Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 781/05
Urteil vom 29. Dezember 2005
III. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Jancar
Parteien
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdeführerin,
gegen
A.________, 1968, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokatin Dr. Helena Hess, Schulstrasse 23, 4132 Muttenz
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel
(Entscheid vom 15. September 2005)
Sachverhalt:
A.
Der 1968 geborene A.________ war vom 11. März 1991 bis 2. Juli 2002 als Bauarbeiter bei der Firma B.________ AG tätig. Am 19. August 2002 meldete er sich wegen Rückenproblemen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Zur Abklärung der Verhältnisse holte die IV-Stelle Basel-Stadt diverse Arztberichte sowie ein psychiatrisches Gutachten vom 10. Oktober 2003 und eine rheumatologische Expertise vom 8. Januar 2004 ein. Mit Verfügung vom 29. Januar 2004 verneinte sie in Ermittlung eines Invaliditätsgrades von 13,69 % den Anspruch auf eine Invalidenrente und auf berufliche Massnahmen. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie ebenso wie das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen anwaltlichen Verbeiständung für das Einspracheverfahren ab (Entscheid vom 18. Januar 2005).
B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt teilweise gut, indem es den Einspracheentscheid bezüglich der Ablehnung der unentgeltlichen Verbeiständung aufhob und die Sache an die IV-Stelle zum Erlass eines neuen Entscheides im Sinne der Erwägungen zurückwies. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab. Den Erwägungen ist zu entnehmen, dass die Verwaltung angewiesen wurde, den Entschädigungsanspruch für das Einspracheverfahren masslich festzusetzen (Entscheid vom 15. September 2005).
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die IV-Stelle, der kantonale Entscheid sei mit Bezug auf die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für das Einspracheverfahren aufzuheben.
Der Versicherte schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für das letztinstanzliche Verfahren. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Der strittige Entscheid hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Bestimmung über die unentgeltliche Verbeiständung im Sozialversicherungsverfahren (Art. 37 Abs. 4 ATSG; vgl. auch Art. 29 Abs. 3 BV) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich der zu den Voraussetzungen der unentgeltlichen Verbeiständung im Einspracheverfahren ergangenen Rechtsprechung (Bedürftigkeit der Partei, fehlende Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren, sachliche Gebotenheit im konkreten Fall; BGE 130 I 182 Erw. 2.2 und 183 f. Erw. 3.2 f., 125 V 34 Erw. 2, 117 V 408 Erw. 5a; AHI 2000 S. 164 Erw. 2b; in Anwaltsrevue 2005/3 S. 123 wiedergegebenes Urteil M. vom 29. November 2004 Erw. 2, I 557/04; in HAVE 2004 S. 317 zusammengefasstes Urteil H. vom 7. September 2004, I 75/04; Urteil V. vom 13. Oktober 2005 Erw. 2, P 32/05). Darauf wird verwiesen.
3.
Streitig ist der Anspruch des Versicherten auf unentgeltliche anwaltliche Verbeiständung in dem der Verfügung vom 29. Januar 2004 folgenden Einspracheverfahren.
Verwaltung und Vorinstanz haben die Voraussetzungen der Bedürftigkeit des Versicherten und der fehlenden Aussichtslosigkeit seiner Rechtsbegehren als erfüllt angesehen, was unbestritten und nicht zu beanstanden ist.
4.
4.1 Umstritten ist einzig, ob es sachlich geboten war, dass sich der Versicherte im Einspracheverfahren anwaltlich verbeiständen liess. Das kantonale Gericht hat dies mit einlässlicher und überzeugender Begründung, auf die verwiesen wird, zu Recht bejaht.
4.2
4.2.1 Die IV-Stelle wendet dagegen im Wesentlichen ein, auf Grund der Offizialmaxime und der Möglichkeit zur Beschwerdeerhebung sei die unentgeltliche anwaltliche Verbeiständung im Einspracheverfahren nur in streng begrenzten Ausnahmefällen zu gewähren. Im Zentrum des Verfahrens seien die vom Versicherten beantragten beruflichen Massnahmen gestanden. Die Verneinung des Rentenanspruchs sei bei einem Invaliditätsgrad von 14 % nur ein Nebenergebnis gewesen. Damit habe kein besonders starker Eingriff in die Rechtsstellung des Versicherten gedroht. Besondere rechtliche Fragen hätten sich nicht gestellt. Das Dossier sei nicht umfangreich gewesen. Es seien auch keine anderen Versicherungsträger involviert gewesen. Der Versicherte sei weder ungebildet noch sprachunkundig. Er verfüge über einen spanischen Schulabschluss "Colegio" und habe eine spanische Ausbildung als Telefonkabelspezialist absolviert. 1994 sei er in die Schweiz eingereist. Hier sei er als Bauarbeiter/Schaler beschäftigt gewesen und habe einen Kurs im Bauplanlesen besucht. Die in italienisch gehaltene IV-Anmeldung habe er selber ausfüllen können und habe am 28. April 2003 ein Schreiben an die IV-Stelle abgefasst (wenn auch möglicherweise mit Dritthilfe). Es wäre ihm zumutbar gewesen, eine Verbeiständung durch Verbandsvertreter, Fürsorger oder andere Fach- und Vertrauenspersonen sozialer Institutionen in Anspruch zu nehmen.
4.2.2 Diese Vorbringen vermögen am Ergebnis des vorinstanzlichen Entscheides nichts zu ändern.
In der Verfügung vom 29. Januar 2004 hat die IV-Stelle den Anspruch auf eine Invalidenrente und auf berufliche Massnahmen verneint. Soweit sie geltend macht, die Negierung des Rentenanspruchs sei bloss ein Nebenergebnis gewesen, ist darauf hinzuweisen, dass die Verfügung mit dem Titel "Kein Anspruch auf eine Invalidenrente" überschrieben war und darin einzig die Bestimmungen über den Rentenanspruch (Art. 28 IVG) und den Grad der Invalidität (Art. 16 ATSG) zitiert wurden. Eine erhebliche Tragweite der Sache für den Versicherten ist mithin zu bejahen (vgl. auch Urteile M. vom 19. April 2005 Erw. 3.2.2, I 83/05, W. vom 12. Oktober 2004 Erw. 4.2, I 386/04, und erwähntes Urteil H. vom 7. September 2004 Erw. 3.3).
Im Weiteren hatte der Versicherte im Einspracheverfahren unter anderem zum 12-seitigen rheumatologischen und zum 13-seitigen psychiatrischen Gutachten Stellung zu nehmen. Für ihn als medizinischen und juristischen Laien war es schwer, die Expertisen objektiv zu würdigen. Weiter hatte er den Einkommensvergleich zu prüfen. Das Verfahren war mithin sachverhaltsmässig und rechtlich nicht einfach (vgl. auch erwähntes Urteil W. vom 12. Oktober 2004 Erw. 4.2 sowie Urteil H. vom 29. Juli 2004 Erw. 4.2.2, I 213/04). Zudem hat die IV-Stelle im Einspracheentscheid eingeräumt, dass beim Versicherten sprachliche Schwierigkeiten bestünden. Unter diesen Umständen vermag sie weder aus seiner Ausbildung noch aus dem Ausfüllen des IV-Anmeldungsformulars etwas zu ihren Gunsten abzuleiten. Soweit sie auf die Eingabe des Versicherten vom 28. April 2003 verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass er darin einzig auf seine erneuten Rückenschmerzen verwies und die Adresse seines neuen Arztes angab. Hieraus kann nicht geschlossen werden, er wäre fähig gewesen, sich im Einspracheverfahren ohne Dritthilfe zurechtzufinden.
Unbehelflich ist der Einwand der IV-Stelle, der Versicherte hätte sich durch Verbandsvertreter, Fürsorger oder andere Fach- und Vertrauenspersonen sozialer Institutionen verbeiständen lassen können. Auch diesbezüglich hat die Vorinstanz korrekt erwogen, dass die direkte Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe angesichts der nicht einfachen Fallumstände gerechtfertigt war (vgl. auch Urteile F. vom 4. August 2005 Erw. 5.2, I 225/05, und R. vom 10. Januar 2005 Erw. 3.2.2, I 611/04).
Die Vorinstanz hat berücksichtigt, dass an die Erforderlichkeit der anwaltlichen Verbeiständung im Einspracheverfahren angesichts der Untersuchungsmaxime ein strenger Massstab anzulegen ist (BGE 130 I 183 f. Erw. 3.2, 125 V 36 Erw. 4b, je mit Hinweisen).
Unerheblich ist schliesslich das Argument der IV-Stelle, gegen den Einspracheentscheid habe das Rechtsmittel der Beschwerde offen gestanden (erwähntes Urteil H. vom 7. September 2004 Erw. 3.3).
5.
Streitigkeiten im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung unterliegen grundsätzlich nicht der Kostenpflicht, weshalb keine Gerichtskosten zu erheben sind (SVR 2002 ALV Nr. 3 S. 7 Erw. 5). Dem obsiegenden Beschwerdegegner ist zu Lasten der IV-Stelle eine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung ist daher gegenstandslos.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die IV-Stelle Basel-Stadt hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 634.85 (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 29. Dezember 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: