BGer I 180/2005
 
BGer I 180/2005 vom 16.01.2006
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 180/05
Urteil vom 16. Januar 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin Bollinger
Parteien
R.________, 1959, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann, Hauptstrasse 36, 4702 Oensingen,
gegen
Kantonale IV-Stelle Wallis, Bahnhofstrasse 15,
1950 Sitten, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Kantonales Versicherungsgericht des Wallis, Sitten
(Entscheid vom 27. Januar 2005)
Sachverhalt:
A.
A.a R.________, geboren 1959, war seit seiner Einreise in die Schweiz im Jahre 1984 als Saisonangestellter auf dem Bau (in der Wintersaison 1996/97 auch als Skiliftangestellter) tätig. Nachdem er im Herbst 1994 während mehrerer Wochen Arbeiten mit der Schlagbohrmaschine verrichtet hatte, verspürte er Schmerzen in der nicht dominanten linken Hand. Die nachfolgenden ärztlichen Untersuchungen zeigten eine Fraktur (Navicularepseudoarthrose), welche am 14. Dezember 1994 im Regionalspital S.________ operiert wurde (Spanplastik nach Matti-Russe). Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), bei der R.________ obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert war, anerkannte die Handbeschwerden als Folgen eines Berufsunfalles. Sie kam für die Heilbehandlung auf und richtete ein Taggeld aus. Nach unauffälligem postoperativem Verlauf nahm R.________ die Arbeit am 17. Mai 1995 wieder vollumfänglich auf.
A.b Am 3. September 1997 stürzte R.________ bei der Arbeit auf die linke Hand und zog sich eine distale undislozierte Radiusfraktur zu, die wiederum im Regionalspital S.________ behandelt wurde. Ab 1. März 1998 war er wieder voll arbeitsfähig (nahm aber aus wirtschaftlichen Gründen die Arbeit erst am 17. März 1998 auf). Im weiteren Verlauf klagte R.________ über belastungsabhängige Schmerzen im Bereich des linken Handgelenks. Medizinische Interventionen (Steroidinfiltration am 5. Mai 1998; Arthrodese des Mittelhandknochens am 9. Oktober 1998) und stationäre Rehabilitationen (vom 21. April bis 2. Juni 1999 in B.________; vom 23. August bis 12. September 2000 in der Rheuma- und Rehabilitationsklinik L.________) blieben erfolglos. Zwischenzeitlich hatte sich R.________ am 6. Mai 1999 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung (Umschulung auf eine neue Tätigkeit; Arbeitsvermittlung) angemeldet. Eine berufliche Abklärung in der Stiftung A.________ brach er im Oktober 1999 vorzeitig ab.
Mit Verfügung vom 16. Juni 2000 (insoweit bestätigt mit Einspracheentscheid vom 16. Januar 2001) sprach die SUVA R.________ eine Rente ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 20 % sowie eine Integritätsentschädigung von 15 % zu.
R.________ klagte in der Folge über zunehmende Beschwerden, neu auch im rechten Handgelenk, und lumbale Schmerzen. Nach weiteren ärztlichen Abklärungen und einer Begutachtung in der Medas (Gutachten vom 3. Juli 2002) verfügte die IV-Stelle des Kantons Wallis nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren am 11. Juli 2003 die Ausrichtung einer ganzen Rente vom 1. August 1999 bis 30. April 2000. Einen weiteren Rentenanspruch verneinte sie mangels rentenbegründendem Invaliditätsgrad. Die dagegen erhobene Einsprache hiess sie am 14. Mai 2004 teilweise gut, indem sie R.________ ab 1. Mai 2000 eine Viertelsrente zusprach.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher R.________ die Zusprechung von Versicherungsleistungen "nach Massgabe eines Invaliditätsgrades von mindestens 50 %" zuzüglich Verzugszins, eventualiter die Rückweisung zu ergänzender Abklärung und Neuverfügung, beantragen liess, wies das Versicherungsgericht des Kantons Wallis am 27. Januar 2005 ab.
C.
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Form; Art. 8 ATSG), die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG in der bis Ende 2002 geltenden Fassung; Art. 16 ATSG) und zur intertemporalrechtlichen Anwendbarkeit der materiellen Bestimmungen des ATSG bei Dauerleistungen (BGE 130 V 445) zutreffend dargelegt. Korrekt ist weiter, dass das ATSG bezüglich der Begriffe Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit und Invalidität sowie der Einkommensvergleichsmethode keine Neuerungen brachte (BGE 130 V 343). Darauf wird verwiesen.
2.
Die Vorinstanz hat dem Gutachten der Medas vom 3. Juli 2002 vollen Beweiswert zuerkannt, in antizipierter Beweiswürdigung auf weitere medizinische Abklärungen verzichtet und den von der IV-Stelle im Einspracheentscheid vom 14. Mai 2004 auf 45,68 % festgesetzten Invaliditätsgrad geschützt.
Demgegenüber bringt der Beschwerdeführer vor, der Handchirurge Dr. med. E.________ habe bezüglich einer allfällig zumutbaren Controlling-Tätigkeit zusätzliche Abklärungen gefordert, die in der Folge unterblieben seien. Auf das Gutachten der Medas könne daher nicht abgestellt werden. Sodann sei das rechte Handgelenk ungenügend untersucht worden, insbesondere habe die IV-Stelle zu Unrecht auf ein Szintigramm verzichtet und die Abnützungserscheinungen nicht berücksichtigt. Schliesslich sei die Restarbeitsfähigkeit nicht mehr verwertbar, da es an Teilzeitstellen ohne Zeitdruck fehle. Zumindest aber sei ein Abzug vom Tabellenlohn in Höhe von 25 % angemessen.
3.
3.1 Dr. med. E.________ führte in seinem Gutachten vom 6. März 2002 zur Frage einer angepassten Tätigkeit aus, Controlling-Arbeiten "ohne Handhabungen" wären dem Versicherten möglich. Er scheine aber die erforderlichen intellektuellen Voraussetzungen nicht mitzubringen, was in einer entsprechenden Anstalt (z.B. Appisberg) überprüft werden sollte.
3.2 Der Versicherte unterzog sich bereits im Rahmen der stationären Rehabilitation in B.________ vom 28. April bis 26. Mai 1999 einer beruflichen Abklärung. Diese ergab unter Berücksichtigung der Bildung (Grundschule in Bosnien) genügende theoretische Leistungen, eine feinmotorische Veranlagung und gute Handgeschicklichkeit; die Fertigkeiten im handwerklichen Bereich waren für einen langjährigen Bauarbeiter sogar beachtenswert gut. Eine neue berufliche Tätigkeit sei in den Bereichen Metall, Elektro oder Elektronikmontage denkbar, dank guter Grundfähigkeiten würde sich der Versicherte aber auch für viele leichte industrielle Tätigkeiten eignen. Daraufhin setzte die SUVA mit Verfügung vom 16. Juni 2000 ausgehend von ihrer Dokumentation über Arbeitsplätze (DAP; Nr. 478 [Hilfsarbeiter Papierproduktion], Nr. 590 [Parkwächter, Überwachung von Parkanlagen], Nr. 3317 [Hilfskraft bei der PTT], Nr. 3417 [Billettkontrolleur], Nr. 4611 [Staplerfahrer] und Nr. 5885 [ouvrier d'usine, scieur de mousse]) das zumutbare Invalideneinkommen fest.
Nachdem die Ärzte der Rheuma- und Rehabilitationklinik L.________ leichtere Arbeiten, welche das linke Handgelenk nicht stark belasten, ebenfalls als zumutbar erachtet hatten (Bericht vom 4. Oktober 2000), stellte sich in der Abklärung der Eingliederungsstelle der IV heraus, dass (weitere) berufliche Massnahmen oder eine Belastbarkeitsabklärung aussichtslos sein würden da sich der Versicherte standhaft an seinen Schmerz klammere, "welcher ihn daran hindere, länger als zehn Minuten zu stehen, nur kurzes Spazieren zulasse und ihn auch im Sitzen enorm einschränke". Der Beschwerdeführer habe erklärt, in diesem Gesundheitszustand auf gar keinen Fall irgendeine Arbeit annehmen zu können; er warte auf Besserung (Bericht vom 7. Dezember 2000).
Indessen zeigte sich anlässlich der Begutachtung durch die Medas, dass leichtere Tätigkeiten, die mehrheitlich mit der rechten Hand durchgeführt werden können und bei denen die linke Hand lediglich stützend und ohne Greiffunktion einzusetzen ist, dem Versicherten im Umfang von 60 % (entsprechend einer Arbeitszeit von täglich fünf Stunden [wobei auch sechs Stunden pro Tag zumutbar wären]) möglich sind (Gutachten vom 3. Juli 2002). Damit aber beschränken sich die zumutbaren Tätigkeiten keineswegs ausschliesslich auf Controlling-Funktionen. Selbst wenn der Versicherte aus intellektuellen Gründen nicht in der Lage wäre, (bestimmte) Controlling-Tätigkeiten auszuüben, ist die verbliebene Restarbeitsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Erw. 5.1 hienach) auch anderweitig verwertbar. Dies gilt selbst dann, wenn der zum Zeitpunkt der Medas-Untersuchung noch mögliche Einsatz der linken Hand als Hilfsorgan mit angelegter Schiene bei geringem Kraftaufwand bis zum Erlass des Einspracheentscheides weiter eingeschränkt wurde (vgl. dazu Bericht des SUVA-Kreisarztes Dr. med. P.________ vom 18. Oktober 2004). Denn es deutet nichts darauf hin, dass leichtere, vorwiegend einhändig zu verrichtende Arbeiten nunmehr unmöglich geworden sind (soweit Dr. med. P.________ ausführt, die rechte Hand könne nur noch als Hilfshand eingesetzt werden, ist nach Lage der Akten nicht zweifelhaft, dass es sich dabei um einen Verschrieb handelt; insbesondere dem Schreiben des behandelnden Dr. med. O.________, Allgemein-, Unfall- und Gefässchirurgie, vom 25. Februar 2005 lassen sich keine Hinweise auf eine solch gravierende Verschlechterung bezüglich der rechten Hand entnehmen).
Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung, dass nach übereinstimmender Einschätzung der beteiligten Ärzte die derzeitige Schmerzfixierung und fehlende Motivation des Versicherten eine weitere Abklärung zum Vornherein aussichtslos erscheinen lassen, hat die IV-Stelle von einer zusätzlichen Überprüfung der Einsatzmöglichkeiten zu Recht abgesehen.
4.
Zwar trifft es zu, dass Dr. med. E.________ weitere Untersuchungen auch bezüglich des rechten Handgelenks anregte. Indessen ergibt sich aus den medizinischen Akten und namentlich aus den weiteren Ausführungen des Dr. med. E.________ selbst, dass die zunehmend geklagten Beschwerden, insbesondere auch die Schmerzen im rechten Handgelenk, hauptsächlich psychisch begründet sind (Bericht des Dr. med. E.________ vom 6. März 2002; vgl. auch Ausführungen des Dr. med. C.________ vom 3. Mai 2004). Zwar liessen sich geringgradige somatische Befunde objektivieren (im Wesentlichen beginnende arthrotische Veränderungen; Berichte des Dr. med. O.________ vom 31. Oktober 2003 und 14. Mai 2004). Die beteiligten Ärzte gehen jedoch darin einig, dass diese die geklagten massiven Beeinträchtigungen nicht zu erklären vermögen (Bericht der Rehaklinik L.________ vom 4. Oktober 2000; Konsiliarbericht des Dr. med. G.________, Regionalspital S.________, vom 20. November 2000; Medas-Gutachten vom 3. Juli 2002; Einschätzung des SUVA-Arztes Dr. med. C.________ vom 3. Mai 2004). Aus diesem Grund und unter Berücksichtigung, dass die beteiligten Mediziner - mit Ausnahme des behandelnden Dr. med. O.________ (Bericht vom 31. Oktober 2003) - einen Einsatz der rechten Hand für leichte Tätigkeiten bejahen, sind weitere somatische Untersuchungen nicht angezeigt. Von zusätzlichen psychischen Abklärungen ist abzusehen, da das Gutachten der Medas vom 3. Juli 2002 keine invalidisierende psychische Erkrankung zu Tage gefördert hat.
5.
5.1 Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, seine Restarbeitsfähigkeit sei nicht mehr wirtschaftlich verwertbar, bleibt darauf hinzuweisen, dass für die Invaliditätsbemessung nicht der aktuelle, sondern der ausgeglichene Arbeitsmarkt massgebend ist. Bei der Beurteilung der Aussichten einer versicherten Person, im Arbeitsmarkt effektiv vermittelt zu werden, sind somit nicht die dort herrschenden konkreten Verhältnisse massgebend. Vielmehr wird - abstrahierend - unterstellt, hinsichtlich der in Frage kommenden Stellen bestehe ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Es kommt also darauf an, ob die versicherte Person die ihr verbliebene Arbeitskraft wirtschaftlich nutzen könnte, wenn die verfügbaren Arbeitsplätze dem Angebot an Arbeitskräften entsprechen würde (AHI 1998 S. 287 mit Hinweis auf BGE 110 V 276 Erw. 4b; vgl. auch SVR 1999 IV Nr. 6 S. 15 Erw. 2 Ingress und 2b/aa). Ausserdem sind an die Konkretisierung von Arbeitsgelegenheiten und Verdienstaussichten praxisgemäss nicht übermässige Anforderungen zu stellen (AHI 1998 S. 290 Erw. 3b).
5.2 Zwar wird der Beschwerdeführer in der freien Wirtschaft auch unter sonst günstigen Voraussetzungen nurmehr einen sogenannten Nischenarbeitsplatz besetzen können. Solche Stellen sind bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage jedoch nicht nur theoretischer Natur, weshalb die Tatsache allein, dass der Versicherte auf ein soziales Entgegenkommen von Seiten des Arbeitgebers angewiesen ist, nicht zur Verneinung des Vorhandenseins entsprechender Arbeitsgelegenheiten auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt führt (vgl. Urteil P. vom 29. Januar 2003, U 425/00, Erw. 4.4).
5.3 Unter Berücksichtigung aller Umstände (Einreise in die Schweiz 1984, Niederlassungsbewilligung, Geburtsjahr 1959, vorwiegend einhändige Teilzeittätigkeit, wobei die Einschränkungen vor allem die adominante linke Hand betreffen) lässt sich der vorinstanzlich nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen (BGE 126 V 78 ff. Erw. 5 mit Hinweisen) vorgenommene Abzug vom Tabellenlohn in Höhe von 15 % im Rahmen der Ermessensprüfung (Art. 132 lit. a OG; BGE 126 V 81 Erw. 6, 123 V 152 Erw. 2 mit Hinweisen) insbesondere auch unter Berücksichtigung vergleichbarer Fälle (vgl. etwa Urteile N. vom 5. November 2003, U 147/00, G. vom 11. November 2002, U 248/02, und K. vom 28. Oktober 2002, U 247/00) nicht beanstanden. Auch sonst ist der vorinstanzliche Einkommenvergleich korrekt.
6.
Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Rémy Wyssmann, Oensingen, aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonalen Versicherungsgericht des Wallis und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 16. Januar 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: