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Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
K 140/05
Urteil vom 10. Mai 2006
II. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Widmer
Parteien
CSS Kranken-Versicherung AG, Rösslimattstrasse 40, 6005 Luzern, Beschwerdeführerin,
gegen
K.________, 1992, Beschwerdegegnerin, handelnd durch Ihren Vater, und dieser vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Rüegg, Schachenstrasse 2, 6011 Kriens
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
(Entscheid vom 27. Juli 2005)
Sachverhalt:
A.
Die 1992 geborene K.________ ist bei der CSS Kranken-Versicherung AG (CSS) obligatorisch für Krankenpflege und gegen Unfälle versichert. Am 30. April 2001 wurde sie von einem sich öffnenden Garagentor mit elektrischem Antrieb erfasst, in die Höhe gezogen und zwischen Tor und Decke eingeklemmt. Nach rund einer Viertelstunde wurde sie von der Feuerwehr aus dieser Lage befreit. Sie erlitt ein schweres Thoraxkompressionstrauma mit Anoxie und in der Folge schwerer tetraspastischer Bewegungsstörung sowie einem apallischen Syndrom (Wachkoma). Nach der initialen Behandlung im Kinderspital X.________ war K.________ vom 22. Mai 2001 bis 28. August 2002 im Rehabilitationszentrum A.________ des Kinderspital Y.________ hospitalisiert. An diesem Tag wurde sie ins Heilpädagogische Zentrum S.________, verlegt. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt (vom 29. September bis 11. Oktober 2002) erfolgte schliesslich am 15. November 2002 der Wiedereintritt der Versicherten in das Rehabilitationszentrum A.________.
Mit Verfügung vom 3. März 2003 verneinte die CSS ihre Leistungspflicht für die stationäre Behandlung von K.________ im Rehabilitationszentrum A.________, weil es sich nicht um eine eigentliche Rehabilitation, sondern einen Pflegeaufenthalt mit intensiver Therapie handle. Es bestehe daher nur Anspruch auf Pflegeleistungen. Mit Einspracheentscheid vom 26. Mai 2003 hielt die CSS daran fest, dass K.________ nur Anspruch auf den höchstmöglichen Pflegebeitrag von Fr. 77.- (2002)/Fr. 82.- (2003) pro Tag habe.
Der Vater von K.________ liess Beschwerde führen mit dem Antrag, die CSS sei zu verpflichten, für den Aufenthalt seiner Tochter im Rehabilitationszentrum A.________ ab 15. November 2002 die bei einem Spitalaufenthalt geschuldeten Leistungen zu erbringen. Mit Entscheid vom 17. März 2004 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Beschwerde ab.
Die vom Vater von K.________ erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde hiess das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 26. August 2004 in dem Sinne gut, dass es den vorinstanzlichen Entscheid vom 17. März 2004 aufhob und die Sache an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern zurückwies, damit es zur Frage, ob die Versicherte ab 15. November 2002 auf den Aufenthalt in einem Rehabilitationszentrum angewiesen war, ein unabhängiges fachärztliches Gutachten einhole.
B.
In Nachachtung des Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 26. August 2004 beauftragte das Verwaltungsgericht Prof. L.________, Facharzt FMH für Pädiatrie, Neuropädiatrie und Neurologie, Universitäts-Kinderspital B.________, mit der Erstattung eines fachärztlichen Gutachtens. Gestützt auf die Angaben des Experten (vom 6. Juni 2005) gelangte das kantonale Gericht zum Schluss, dass die Spitalbedürftigkeit der Versicherten bei Eintritt ins Rehabilitationszentrum A.________ am 15. November 2002 zu bejahen sei. Dementsprechend hob es den Einspracheentscheid vom 26. Mai 2003 in Gutheissung der Beschwerde auf und verpflichtete die CSS, die Kosten für den Aufenthalt im Rehabilitationszentrum A.________ ab 15. November 2002 zu übernehmen (Entscheid vom 27. Juli 2005).
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die CSS, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.
Während die Eltern von K.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen lassen, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
D.
Am 10. Mai 2006 führte das Eidgenössische Versicherungsgericht eine parteiöffentliche Beratung durch.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, sind im vorliegenden Fall die auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 nicht anwendbar.
Die hier massgebenden Bestimmungen des KVG zur Leistungspflicht der obligatorischen Krankenversicherung für stationär durchgeführte Pflegemassnahmen und Massnahmen der medizinischen Rehabilitation (Art. 24, 25 Abs. 2 lit. a, 25 Abs. 2 lit. b, 25 Abs. 2 lit. e, 39 Abs. 1) sowie die Rechtsprechung zur Spitalbedürftigkeit (BGE 126 V 326 Erw. 2b mit Hinweisen) und zum Begriff der medizinischen Rehabilitation im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG (BGE 126 V 326 Erw. 2c mit Hinweisen) sind im Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 26. August 2004, mit welchem die Sache zur Einholung eines Gutachtens an die Vorinstanz zurückgewiesen wurde, wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden.
2.
Das Bundesrecht schreibt nicht vor, wie die einzelnen Beweismittel zu würdigen sind. Für das gesamte Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 40 BZP in Verbindung mit Art. 19 VwVG; Art. 95 Abs. 2 OG in Verbindung mit Art. 113 und 132 OG). Danach haben Versicherungsträger und Sozialversicherungsgericht die Beweise frei, d.h. ohne Bindung an förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Für das Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass das Sozialversicherungsgericht alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Insbesondere darf es bei einander widersprechenden medizinischen Berichten den Prozess nicht erledigen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen und die Gründe anzugeben, warum es auf die eine und nicht auf die andere medizinische These abstellt. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist also entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet sind. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten oder in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht oder Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis).
Bei Gerichtsgutachten weicht das Gericht nach der Praxis nicht ohne zwingende Gründe von der Einschätzung der medizinischen Fachleute ab, deren Aufgabe es ist, ihre Fachkenntnisse der Gerichtsbarkeit zur Verfügung zu stellen, um einen bestimmten Sachverhalt medizinisch zu erfassen. Ein Grund zum Abweichen kann vorliegen, wenn die Gerichtsexpertise widersprüchlich ist oder wenn ein vom Gericht eingeholtes Obergutachten in überzeugender Weise zu andern Schlussfolgerungen gelangt. Abweichende Beurteilung kann ferner gerechtfertigt sein, wenn gegensätzliche Meinungsäusserungen anderer Fachleute dem Gericht als triftig genug erscheinen, die Schlüssigkeit des Gerichtsgutachtens in Frage zu stellen, sei es, dass es die Überprüfung durch eine weitere Fachperson im Rahmen einer Oberexpertise für angezeigt hält, sei es, dass es ohne eine solche vom Ergebnis des Gerichtsgutachtens abweichende Schlussfolgerungen zieht (BGE 125 V 352 Erw. 3b/aa mit Hinweisen).
3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Versicherte bei Wiedereintritt ins Rehabilitationszentrum A.________ am 15. November 2002 spitalbedürftig war und die CSS aus diesem Grund die Leistungen nach Spitaltarif (Art. 49 Abs. 3 KVG) oder ob die Krankenversicherung lediglich den erheblich geringeren Pflegebeitrag nach dem Tarif für den Aufenthalt in einem Pflegeheim (Art. 50 KVG) zu erbringen hat.
3.1 Gerichtsgutachter Prof. L.________ gelangte in seiner zusammenfassenden medizinischen Beurteilung in der Expertise vom 6. Juni 2005 zum Schluss, dass für die Versicherte nur eine Institution in Frage komme, die im Umgang mit Patienten mit apallischem Syndrom Erfahrung hat und die einerseits die Physiotherapie, die Anpassung der orthopädischen Hilfsmittel, aber auch die medikamentöse Therapie, inklusive Lioresal-Pumpe, gewährleisten kann. Dafür komme eigentlich nur eine in diesen Fragen ausgebildete Klinik oder ein spezialisiertes Rehabilitationszentrum, wie z.B. A.________, in Frage. Auf die Frage des Gerichts, ob es zutreffe, dass im November 2002 nur das Rehabilitationszentrum A.________ des Kinderspital Y.________, nicht aber eine andere Institution im Gebiet der Deutschschweiz tatsächlich in der Lage gewesen sei, der Versicherten während längerer Zeit die nötige medizinische und pflegerische Behandlung, verbunden mit einem kindergerechten Umfeld, zu gewähren, erklärte Prof. L.________, das Rehabilitationszentrum A.________ des Kinderspital Y.________ sei die einzige Rehabilitationsklinik für Kinder in der deutschen Schweiz. K.________ habe eine sehr vielschichtige und umfassende Therapie (Physiotherapie, immer wieder erneute Anpassung der orthopädischen Hilfsmittel und medikamentöse Therapie, eventuell sogar Lioresal-Pumpe) benötigt. Die Koordination all dieser Massnahmen sei sehr aufwändig und es seien entsprechende Fachpersonen für die Gewährleistung dieser Therapien nötig. Ausserhalb von A.________ kenne er keine Institution, die diesen Aufgaben ganz gerecht werden kann. Eine Hospitalisation z.B. in der Kinderklinik X.________ wäre ungünstig, da diese Klinik hauptsächlich für akute Erkrankungen eingerichtet ist und für chronische Probleme deutlich weniger gut geschultes Personal hat als das Rehabilitationszentrum A.________; ein Pflegeheim sei mit diesen Therapien sicher überfordert.
3.2 Auf Grund der widerspruchsfreien Darlegungen des Gerichtsgutachters, die im Übrigen in wesentlichen Punkten mit den Angaben des Dr. med. N.________, Rehabilitationszentrum A.________, im Verlaufsbericht vom 23. Dezember 2003 übereinstimmen, ist mit der Vorinstanz als erstellt zu betrachten, dass die Versicherte im November 2002 spitalbedürftig war.
Die von der CSS in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobenen Einwendungen legen keine abweichende Betrachtungsweise nahe. Insbesondere vermag die CSS aus dem Umstand, dass Prof. L.________ ein Aktengutachten verfasst hat, nichts zu ihren Gunsten abzuleiten. Abgesehen davon, dass auch Aktengutachten voller Beweiswert zukommt, wenn sich der Experte, wie hier, auf Grund vorhandener Unterlagen mit ausreichenden, auf persönlichen Untersuchungen des Versicherten beruhenden ärztlichen Beurteilungen ein gesamthaft lückenloses Bild machen kann (in RKUV 1988 Nr. U 56 S. 370 publizierte Erw. 5b des in BGE 114 V 109 auszugsweise veröffentlichten Urteils B. vom 29. April 1988, U 10/87; RKUV 2001 Nr. U 438 S. 345 [Urteil B. vom 31. Juli 2001, U 492/00]), war im vorliegenden Fall eine persönliche Untersuchung der Versicherten schon deshalb nicht angezeigt, weil es um die Spitalbedürftigkeit im November 2002 geht, zu deren nachträglicher Beurteilung im Juni 2005 aus fachärztlicher Sicht die medizinischen Unterlagen und übrigen Akten ausreichend waren.
Des Weitern scheint die CSS zu verkennen, dass die Spitalbedürftigkeit im November 2002 (bis zum Zeitpunkt des Einspracheentscheides vom 26. Mai 2003) zur Diskussion steht und nicht die Frage, wie sich der Gesundheitszustand der Versicherten bis im Januar 2005 entwickelt hat, weshalb für die hier zu beurteilende Frage unerheblich ist, ob in diesem Zeitraum eine Verbesserung eingetreten ist. Die Tatsache, dass sich die Versicherte seit Anfang 2005 nicht mehr in der Rehabilitationsklinik A.________, sondern im Heilpädagogischen Zentrum H.________ aufhält, lässt keine Rückschlüsse darauf zu, dass sie - entgegen den Feststellungen des Gerichtsgutachters - bereits im November 2002 nicht mehr spital-, sondern pflegebedürftig war. Solches lässt sich im Übrigen auch nicht dem Schreiben des Dr. med. N.________ vom 14. November 2002 entnehmen, andernfalls für das Eidgenössische Versicherungsgericht kein Grund bestanden hätte, gerade zu dieser Frage eine fachärztliche Begutachtung zu veranlassen. Schliesslich ist entgegen den Ausführungen der CSS nicht entscheidend, ob andere Wachkomapatienten in Pflegeheimen betreut werden, sondern zu beurteilen ist die Spitalbedürftigkeit der Versicherten im November 2002.
4.
Wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, ist die Versicherte am 15. November 2002 aus medizinischen Gründen ins Rehabilitationszentrum A.________, ein auf der Spitalliste des Wohnkantons nach Art. 39 Abs. 1 lit. e KVG aufgeführtes ausserkantonales Spital, eingetreten, weil die erforderliche Behandlung im Wohnkanton nicht angeboten werden konnte. Die CSS hat daher ab 15. November 2002 die Kosten gemäss Tarif für den Aufenthalt in einem Spital (Art. 49 Abs. 3 Satz 1 KVG) zu übernehmen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die CSS Kranken-Versicherung AG hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 10. Mai 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: