BGer I 685/2005
 
BGer I 685/2005 vom 16.05.2006
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
I 685/05
Urteil vom 16. Mai 2006
IV. Kammer
Besetzung
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Grunder
Parteien
N.________, 1950, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,
gegen
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
(Entscheid vom 29. August 2005)
Sachverhalt:
A.
Der 1950 geborene N.________ zog sich bei einem Sturz im Dezember 1998 eine Traumatisierung einer möglicherweise vorbestehenden Scaphoidpseudarthrose oder eine frische Scaphoidfraktur an der rechten Hand zu. Trotz am 25. März und 15. Oktober 1999 durchgeführten chirurgischen Eingriffen sowie einem Rehabilitationsaufenthalt in der Rehaklinik X.________ vom 24. Juli bis 13. September 2000 bestanden die ausgeprägte Funktionsstörung der rechten Hand mit bewegungs- und belastungsabhängigen Schmerzen im Handgelenk und an der Daumenbasis, Bewegungseinschränkung in allen Ebenen, ausgeprägtem Kraftdefizit sowie leichter Hyposensibilität an der gesamten Hand fort. Seit dem Unfall vom 18. Dezember 1998 ist N.________ in den bislang ausgeübten Berufen als Eisenleger und Gärtner nicht mehr arbeitsfähig. Am 17. August 2000 meldete er sich zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle Luzern nahm berufliche Abklärungen vor (Bericht der BEFAS Berufliche Abklärungsstelle vom 15. April 2002, Fragebogen für den Arbeitgeber der Firma M.________ AG vom 3. Oktober 2000), zog die Akten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) bei (worunter die Berichte der Rehaklinik X.________ vom 27. September 2000 sowie des Dr. med. G.________, "Plast.u.Wiederher.chirur.FMH", vom 8. Mai 2002) und veranlasste eine psychiatrische Begutachtung (Expertise des Dr. med. K.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 1. September 2003). Gestützt auf diese Unterlagen sprach die IV-Stelle dem Versicherten eine halbe Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 50 % mit Beginn ab 1. März 2000 zu (Verfügung vom 4. Dezember 2003). Eine Einsprache, mit welcher ein von der SUVA angefordertes Gutachten des Prof. Dr. med. T.________, FMH Chirurgie, spez. Handchirurgie, Spital Y.________, vom 10. Februar 2002 eingereicht wurde, wies sie ab (Einspracheentscheid vom 6. September 2004).
B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern ab (Entscheid vom 29. August 2005).
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt N.________ beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm eine Invalidenrente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von mindestens 70 % zuzusprechen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig und zu prüfen ist, in welchem Umfang und in welcher Art und Weise der Beschwerdeführer eine ihm zumutbare Tätigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt verwerten kann.
1.1 Das kantonale Gericht hat zutreffend festgestellt, dass sich mit In-Kraft-Treten des ATSG am 1. Januar 2003 an den Begriffen der Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit (Art. 6 und 7 ATSG), der Invalidität (Art. 8 ATSG) sowie an der Bestimmung des Invaliditätsgrades (Art. 16 ATSG) nichts Grundlegendes geändert hat, weshalb die altrechtliche Rechtsprechung weiterhin anwendbar ist. Richtig sind auch die Ausführungen hinsichtlich der mit der 4. IV-Revision auf den 1. Januar 2004 geänderten Abstufung der Rentenhöhe (Art. 28 Abs. 1 IVG) sowie der Bedeutung ärztlicher Auskünfte und Arbeitsfähigkeitsschätzungen für die Invaliditätsbemessung. Darauf wird verwiesen.
1.2 Die Vorinstanz ist in einlässlicher Würdigung der medizinischen Unterlagen und des Berichts der BEFAS vom 15. April 2002 zum Schluss gelangt, der Beschwerdeführer vermöge eine körperlich leichte bis knapp mittelschwere Arbeit auszuüben, bei der das rechte Handgelenk und der Daumen wenig eingesetzt werden müssen. Tätigkeiten, welche mit Schlägen und Vibrationen verbunden seien, allgemeine repetitive Arbeiten und Krafteinsatz erfordernde Verrichtungen seien rechtshändig nicht zumutbar. Das Tragen von Gewichten über 5 kg sei reduziert und Aufgaben, welche feinmotorische Fähigkeiten verlangten, seien nur verlangsamt ausübbar oder gar nicht möglich. In einer diesen Beeinträchtigungen Rechnung tragenden Beschäftigung sei der Beschwerdeführer vollständig arbeitsfähig. Wegen der psychiatrischen Befunde gemäss Gutachten des Dr. med. K.________ bestehe eine Leistungseinbusse im Umfang von 50 % in einer den körperlichen Beeinträchtigungen angepassten Erwerbstätigkeit.
1.3 Der Beschwerdeführer bringt vor, laut Gutachten des Prof. Dr. med. T.________ vermöge er mit der rechten Hand nur noch Gewichte unter 2 kg zu halten, welche überdies nur noch als unbelastete Hilfshand einsetzbar sei. Auch Dr. med. G.________ habe festgehalten, der Patient könne die rechte Hand nur noch als Zudienhand gebrauchen. Die Rehaklinik X.________ spreche zudem von einer ausgeprägten Funktionsstörung. Diesen Unterlagen zufolge sei er faktisch als Einhänder zu betrachten. Die Vorinstanz verkenne, dass die Auswirkungen der sich aus somatischer und psychiatrischer Sicht ergebenden Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit in ihrer Gesamtheit zu beurteilen seien. Überdies leide er an einer Ausweitung der Schmerzen auf die ganze obere Extremität sowie wegen eines früheren Unfalles an einer bleibenden Sensibilitätsstörung an der linken Hand.
2.
2.1 Gemäss Gutachten des Prof. Dr. med. T.________ vom 10. Februar 2004 sind "unter dem Schutz einer Handgelenksmanschette leichte Arbeiten (unter 2 kp) oder der Einsatz der rechten Hand als unbelastete Hilfshand (ganztags) möglich". Aus dieser Formulierung ergibt sich nicht, der Beschwerdeführer sei faktisch als Einhänder zu betrachten. Vielmehr ist aufgrund der von Prof. Dr. med. T.________ erhobenen klinischen Befunde, welche in Übereinstimmung mit den Untersuchungsergebnissen der anderen Ärzte stehen, davon auszugehen, dass der Versicherte die rechte Hand im Alltag nicht nur als Zudienhand gebraucht (die Manschette wies deutliche Gebrauchsspuren auf und die Umfangmasse des rechten und linken Armes waren seitengleich). Insbesondere hat die Rehaklinik X.________ festgehalten (Bericht vom 27. September 2000), dass rein aufgrund der objektivierbaren Unfallfolgen leichte manuelle Tätigkeiten der rechten Hand zumindest mit der Handgelenksmanschette ganztags zumutbar sind. Demgegenüber überzeugt die im Bericht vom 8. Mai 2002 geäusserte Auffassung des Dr. med. G.________, der Patient vermöge die rechte Hand nurmehr als Zudienhand zu gebrauchen, nicht. Er nimmt keinen Bezug auf die Frage, wie es sich mit der Gebrauchsfähigkeit verhält, wenn eine das rechte Handgelenk und den Daumen stützende Manschette getragen wird.
2.2 Es finden sich in den Akten keine Anhaltspunkte, dass das Schultergelenk und der Ellenbogen schmerzbedingt in der Funktionsfähigkeit eingeschränkt sind. Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden denn auch keine Belegstellen in den Akten genannt oder solche Beschwerden bestätigende ärztliche Unterlagen eingereicht. Hinsichtlich der geltend gemachten Sensibilitätsstörung an der linken Hand hat Prof. Dr. med. T.________ auf Nachfrage der SUVA hin explizit festgehalten, dass diese keine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit zur Folge hat.
2.3 Unter diesen Umständen ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Arbeitsfähigkeit in einer den schmerzbedingten und funktionellen Einschränkungen der rechten Hand angepassten Tätigkeit auf 100 % festlegte.
3.
Zu prüfen ist sodann die Bestimmung des Invaliditätsgrades.
3.1 Das kantonale Gericht hat das Valideneinkommen gestützt auf die Angaben im Arbeitgeberbericht vom 3. Oktober 2000 für das Jahr 2000 auf Fr. 49'166.30 festgelegt. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, es sei nicht auf diesen unterdurchschnittlichen Verdienst, sondern auf die darüber liegenden statistischen Löhne abzustellen, ist nicht stichhaltig. Die Ermittlung des im Gesundheitsfall vom Versicherten hypothetisch erzielbaren Einkommens hat so konkret wie möglich zu erfolgen, weshalb in der Regel vom letzten Lohn, welcher vor Eintritt der Gesundheitsschädigung bezogen wurde, auszugehen ist (Meyer-Blaser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997, S. 205). Es liegen keine Anhaltspunkte vor, von diesem Grundsatz ausnahmsweise abzuweichen (vgl. ZAK 1992 S. 92 Erw. 4 sowie das in Plädoyer 2002 S. 73 veröffentlichte Urteil M. vom 4. April 2002 [I 696/01] Erw. 4, je mit Hinweisen). Das vorinstanzliche Vorgehen ist somit nicht zu beanstanden.
3.2 Zur Bestimmung des Invalideneinkommens hat das kantonale Gericht die statistischen Durchschnittslöhne im privaten Sektor (Tabelle TA1) der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) des Jahres 2000 herangezogen und errechnete unter Berücksichtigung einer Arbeitsunfähigkeit von 50 % und einer leidensbedingten Einbusse von 20 % einen hypothetischen Jahresverdienst von Fr. 27'820.-.
Der Beschwerdeführer wendet ein, es sei fraglich, ob er in der Lage sei, die Restarbeitsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu verwerten. Die Vorinstanz habe die ihm zumutbaren Verweisungstätigkeiten nicht konkretisiert und stelle zu Unrecht auf eine unbeschränkt mögliche Einsetzbarkeit im Produktionsbereich ab. Es seien ihm allenfalls gewisse Tätigkeiten im Dienstleistungssektor zumutbar, wobei ein Abzug von 25 % vom statistischen Lohn vorzunehmen sei.
3.3 Nach der Rechtsprechung sind in der Regel für die Festsetzung des Invalideneinkommens aufgrund von Tabellenlöhnen die Lohnverhältnisse im gesamten privaten Sektor massgebend (RKUV 2001 Nr. U 439 S. 347). Von diesem Grundsatz abzuweichen besteht hier kein Anlass. Dem Beschwerdeführer stehen trotz seines Gesundheitsschadens im Sektor Produktion zahlreiche Arbeitsplätze offen, wie Überwachungsaufgaben an automatischen oder halbautomatischen Produktionseinheiten, Qualitätskontrolle oder Aufgaben im Auskunftsdienst. Solche Arbeitsgelegenheiten sind auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt durchaus zu finden. In Industrie und Gewerbe werden Arbeiten, welche physische Kraft erfordern, in zunehmenden Mass durch Maschinen verrichtet, während den körperlich weniger belastenden Bedienungs- und Überwachungsfunktionen eine stetig wachsende Bedeutung zukommt (ZAK 1991 S. 321 Erw. 3b in fine). Andererseits bleiben dem Beschwerdeführer im Sektor Dienstleistungen (LSE 2000, TA1, Positionen 50 bis 93) viele Arbeitsplätze im Anforderungsniveau 4 verschlossen, so etwa in den Bereichen Reparatur Automobile, Gastgewerbe oder Abfallbeseitigung. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz zur Bestimmung des Invalideneinkommens auf das Total der im privaten Sektor durchschnittlich erzielbaren Löhne abgestellt hat.
3.4 Wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, ergibt sich auch in Berücksichtigung einer praxisgemäss maximal zulässigen Herabsetzung wegen leidensbedingter Beeinträchtigungen um 25 % des aufgrund statistischer Durchschnittslöhne ermittelten hypothetischen Invalideneinkommens ein zwischen 50 % und 60 % liegender Invaliditätsgrad, weshalb nur ein Anspruch auf eine halbe Invalidenrente besteht.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 16. Mai 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Vorsitzende der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: