Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
C 80/06
Urteil vom 3. Juli 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiberin Bollinger
Parteien
B.________, 1977, Beschwerdeführerin,
gegen
Dienststelle für Wirtschaft und Arbeit Luzern (wira), Hallwilerweg 5, 6003 Luzern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
(Entscheid vom 3. Februar 2006)
Sachverhalt:
A.
Die 1977 geborene B.________ war seit 1. August 2002 als Primarlehrerin in der Gemeinde X.________ tätig, bevor sie ihre Stelle aus gesundheitlichen Gründen per 31. Januar 2005 kündigte. Am 13. April 2005 buchte sie einen Sprachaufenthalt in Vancouver/Kanada vom 18. Juni bis 2. August 2005. Am 18. Mai 2005 meldete sich B.________ bei der Arbeitslosenversicherung zum Bezug von Taggeldern ab sofort an. Im Antragsformular erklärte sie, ab sofort bis 5. September 2005 sowie ab 24. Dezember 2005 für eine vollzeitliche Anstellung zur Verfügung zu stehen. Zu jenem Zeitpunkt war ihr bereits eine Stellvertretung in Y.________ vom 5. September bis 24. Dezember 2005 zugesichert.
Nachdem am 6. Juni 2005 das erste Beratungsgespräch auf dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum Sursee (RAV) stattgefunden hatte, überwies die Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern die Angelegenheit am 22. Juni 2005 dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Luzern (wira) zum Entscheid über die Vermittlungsfähigkeit. Das wira verneinte die Vermittlungsfähigkeit mit Verfügung vom 6. Juli 2005, da B.________ vor ihrer Abreise ins Ausland dem Arbeitsmarkt nur sechs Wochen zur Verfügung gestanden habe.
Mit Einspracheentscheid vom 5. Oktober 2005 änderte das wira seine Verfügung dahingehend, dass die Vermittlungsfähigkeit für die Zeit vom 12. Mai bis 2. August 2005 verneint, für die Zeit ab 3. August 2005 hingegen bejaht wurde.
B.
Hiegegen erhob B.________ Beschwerde, welche das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern am 3. Februar 2006 abwies.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt B.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides.
Vorinstanz und wira schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) verzichtet auf Vernehmlassung.
Am 25. Mai 2006 reicht B.________ eine Stellungnahme zu den Akten.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Im angefochtenen Entscheid werden die massgeblichen gesetzlichen Grundlagen und Grundsätze zur Vermittlungsfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 AVIG; BGE 126 V 522 Erw. 3a mit Hinweisen) korrekt dargelegt. Darauf wird verwiesen.
2.
Die Vorinstanz hat zutreffend und im Einklang mit der Rechtsprechung (vgl. die Hinweise bei Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, S. 86 Rz. 216 Fn 471) erwogen, dass angesichts der wenigen Wochen, welche die Beschwerdeführerin dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden hätte, die Vermittlungsfähigkeit zu verneinen wäre. Dass die Beschwerdeführerin - wie sie geltend macht - trotzdem einige Lektionen erteilen konnte, ändert nichts daran, dass typischerweise eine Vermittlungsfähigkeit für so kurze Dauer zu verneinen ist. Streitig und zu prüfen ist hingegen, ob die Versicherte zufolge verletzter Beratungspflicht gestützt auf vertrauensschutzrechtliche Grundsätze so zu stellen ist, wie wenn ihre Vermittlungsfähigkeit gegeben wäre.
3.
Das kantonale Gericht erwog, die Versicherte habe ihren Sprachkurs bereits am 13. April 2005 gebucht. Selbst wenn sie anlässlich des ersten Beratungsgesprächs vom 6. Juni 2005 richtig aufgeklärt worden wäre, sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie ihre Teilnahme am Kurs angesichts der erheblichen Annullationskosten abgesagt hätte. Dies gelte umso mehr, als die Beschwerdeführerin wiederholt selbst betont habe, wie wichtig der Sprachkurs für ihre berufliche Zukunft (Einführung des Frühenglisch im Kanton Luzern ab Schuljahr 2006/2007) sei. Unter diesen Umständen könne sie aus dem Vertrauensschutz nichts zu ihren Gunsten ableiten.
Demgegenüber bringt die Versicherte vor, das RAV hätte sie bereits am 12. Mai 2005 darauf aufmerksam machen müssen, dass der am 13. April 2005 gebuchte Sprachaufenthalt die Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigen könne. Zu jenem Zeitpunkt wäre eine Annullation mit geringen Kosten verbunden gewesen, weshalb sie eine solche ohne Weiteres vorgenommen hätte (Stellungnahme vom 25. Mai 2006). Dass am 12. Mai 2005 kein Beratungsgespräch stattgefunden habe, könne ihr nicht angelastet werden. Im Übrigen habe sie selbstverständlich anlässlich ihres ersten Besuches beim RAV auf den vorgesehenen Auslandaufenthalt hingewiesen. Sodann hätte das erste Beratungsgespräch innert 15 Tagen seit der Anmeldung, also spätestens am 27. Mai 2005, stattfinden müssen.
Mit Vernehmlassung vom 25. April 2006 führt das wira aus, das RAV habe am 12. Mai 2005 - mangels Erwähnung durch die Versicherte - nichts vom geplanten Sprachaufenthalt gewusst, weshalb eine Aufklärung über allfällige Konsequenzen zu jenem Zeitpunkt unmöglich gewesen sei. Sollte das Beratungsgespräch vom 6. Juni 2005 verspätet erfolgt sein, gelte es zu berücksichtigen, dass auch eine Annullation am 27. Mai 2005 mit beträchtlichen Kosten verbunden gewesen wäre. Zwar wären diese um Fr. 1'600.- geringer gewesen als die auszurichtende Arbeitslosenentschädigung, indessen könne angesichts der Bedeutung, welche die Weiterbildung in englischer Sprache für die Beschwerdeführerin gehabt habe, davon ausgegangen werden, dass sie den Kurs mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch dann nicht annulliert hätte, wenn sie bereits am 27. Mai 2005 auf die (allenfalls) fehlende Vermittlungsfähigkeit aufmerksam gemacht worden wäre.
4.
4.1 Im Rahmen des Beratungsgesprächs muss der Versicherungsträger die Situation der versicherten Person hinsichtlich der ihm aus dem Gesprächszusammenhang ersichtlichen und bei gebotener Befassung zu Tage tretenden Besonderheiten möglichst erschöpfend auszuleuchten und den Sachverhalt allenfalls durch eigene Fragen klären (BGE 131 V 479 Erw. 4.3 mit Hinweisen auf die deutsche Literatur, welche für die Auslegung des Art. 27 Abs. 2 ATSG deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil letzter § 14 des deutschen Sozialgesetzbuches [SGB] nachgebildet wurde). So muss die Verwaltung beispielsweise bemerken, dass eine Versicherte, welche auf dem entsprechenden Formular den Bezug kontrollfreier Tagen beantragt und gleichzeitig den verbleibenden Feriensaldo sowie den Ablauf der Rahmenfrist angibt, den Anspruch auf kontrollfreie Tage in der alten Rahmenfrist nicht voll ausschöpft. Das RAV hat deshalb darauf hinzuweisen, dass der Verzicht auf den Bezug erworbener Ferientage innerhalb der entsprechenden Rahmenfrist den Anspruch auf diese Ferientage gefährdet (Urteil L. vom 11. Oktober 2005, C 122/05). Ebenso hat die Verwaltung für die ungenügende Wahrnehmung der Beratungspflicht einzustehen, wenn sie es unterlässt, den Versicherten rechtzeitig auf die zur Anspruchserhebung benötigten Unterlagen und den drohenden Rechtsnachteil bei fehlender Einreichung aufmerksam zu machen, obwohl der Versicherte seine Mitwirkungsbereitschaft unmissverständlich kundtut (Urteil B. vom 1. Dezember 2005, C 240/04).
4.2 Gegenstand und Umfang der Aufklärungs- und Beratungspflicht werden somit durch den Grundsatz von Treu und Glauben beschränkt, was bedeutet, dass die Behörde nach pflichtgemäss durchgeführtem Beratungsgespräch erkennbaren Anlass gehabt haben muss, über den fraglichen Punkt aufzuklären. Es besteht hingegen keine voraussetzungslose, spontane Aufklärungspflicht der Versicherungsträger bezüglich aller möglichen Eventualitäten. Dem Versicherungsträger kann somit keine Verletzung seiner Auskunfts- und Beratungspflicht angelastet werden, wenn Anhaltspunkte auf den Leistungsanspruch allenfalls gefährdende Dispositionen fehlen.
5.
5.1 Vorinstanz und Beschwerdeführerin gehen übereinstimmend zu Recht davon aus, dass es - vorbehältlich der soeben dargelegten Einschränkungen - zur Beratungspflicht der Verwaltung gehört hätte, die Versicherte darauf aufmerksam zu machen, der bereits vor der Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung gebuchte Sprachaufenthalt gefährde den Leistungsanspruch. Richtig ist insbesondere, dass es Pflicht des RAV und nicht des Gemeindearbeitsamtes gewesen wäre, die Beschwerdeführerin entsprechend zu beraten (Art. 85b Abs. 1 AVIG; Art. 20 Abs. 1 und 2 AVIV ; § 3 und § 5 Abs. 1 bis 3 des luzernischen Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung und den Arbeitslosenhilfefonds vom 18. Januar 2000 [SRL 890]).
5.2 Das erste Beratungsgespräch muss gemäss Art. 22 Abs. 1 AVIV innerhalb von 15 Tagen nach der Anmeldung zur Arbeitsvermittlung geführt werden. Wenn die Anmeldung am 12. Mai 2005 erfolgte, so hätte eine am 27. Mai 2005 stattfindende Beratung nicht als verspätet betrachtet werden können. Selbst wenn man von der - unbelegten - Annahme ausgeht, die Verwaltung hätte in jenem Zeitpunkt Hinweise auf den geplanten Sprachaufenthalt gehabt und die Beschwerdeführerin entsprechend informieren müssen, wäre somit eine Annullation des Sprachkurses erst weniger als 30 Tage vor dessen Beginn möglich gewesen, was erhebliche Kosten (50 % der Kurskosten und 30 % des Flugpreises) zur Folge gehabt hätte. Unter diesen Umständen ist - nach den zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid - in Anbetracht der Wichtigkeit des Kurses für die weitere berufliche Tätigkeit der Beschwerdeführerin eine Absage (für welche der Beschwerdeführerin die Beweislast obliegt; vgl. BGE 115 V 142 Erw. 8a) nicht überwiegend wahrscheinlich. Zu berücksichtigen gilt es in diesem Zusammenhang, dass eine Verschiebung schon wegen der bereits vor der Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung zugesicherten Stellvertretung in Y.________ ab 5. September 2005 nicht einfach gewesen wäre und jedenfalls zu einer beträchtlichen Verzögerung der im Hinblick auf die Unterrichtung in Frühenglisch unabdingbaren Weiterbildung geführt hätte.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 3. Juli 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: