BGer 5P.228/2006 |
BGer 5P.228/2006 vom 06.07.2006 |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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5P.228/2006 /bru
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Urteil vom 6. Juli 2006
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II. Zivilabteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Raselli, Präsident,
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Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi,
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Gerichtsschreiber Zbinden.
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Parteien
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X._______,
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Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Meier,
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gegen
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Y._______,
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Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Walter A. Stöckli,
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Obergericht des Kantons Uri, Zivilrechtliche Abteilung, Postfach 449, 6460 Altdorf UR.
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Gegenstand
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Art. 9 BV (vorsorgliche Massnahmen im Ehescheidungsverfahren),
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Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri, Zivilrechtliche Abteilung, vom 26. April 2006.
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Sachverhalt:
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A.
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A.a Im Rahmen des Eheschutzverfahrens verpflichtete das Obergericht des Kantons Uri am 15. April 2005 den Ehemann, X._______, der Ehefrau, Y._______, rückwirkend per 1. November 1999 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 2'566.-- zu zahlen.
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A.b Am 28. Juli 2004 reichte der Ehemann beim Landgericht Uri Scheidungsklage gestützt auf Art. 114 ZGB ein. Im Nachgang zur Hauptverhandlung vom 6. September 2005 ersuchte er um vorsorgliche Massnahmen für die Dauer des Scheidungsverfahrens mit dem Begehren, er sei ab dem 6. September 2005 bis zum Vorliegen des rechtskräftigen Scheidungsurteils von jeglicher Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau zu befreien.
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A.c Mit Urteil vom 6./23. September 2005 wurde die Ehe der Parteien geschieden, wobei das Dispositiv am 3. Oktober 2005 zugestellt wurde. Laut diesem Urteil hat der Ehemann der Ehefrau keinen nachehelichen Unterhaltsbeitrag zu entrichten. Die Ehefrau hat das erst-istanzliche Scheidungsurteil sowohl im Scheidungs- als auch im Unterhaltspunkt angefochten.
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B.
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B.a Mit Entscheid vom 22. November 2005 entsprach das Landgerichtspräsidium dem Begehren des Ehemannes und befreite ihn mit Wirkung ab dem 1. November 2005 für die Dauer des Scheidungsverfahrens von der Verpflichtung zur Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen an die Ehefrau.
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B.b Am 26. April 2006 hiess das Obergericht des Kantons Uri den Rekurs der Ehefrau gut und hob den Entscheid des Landgerichtspräsidiums Uri vom 22. November 2005 auf. Es hielt dafür, auch die erste Instanz gehe davon aus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Vergleich zum Eheschutzentscheid nicht geändert hätten. Die Vorinstanz begründe ihren Entscheid aber mit der Überlegung, dass die Ehefrau im Scheidungsurteil mit ziemlicher Sicherheit keinen Unterhalt im Sinne von Art. 125 ZGB zugesprochen erhalte. Dabei übersehe sie indes, dass eine allfällige Berücksichtigung des Scheidungsurteils nur zum Tragen komme, wenn eine Teilrechtskraft im Scheidungspunkt vorliege, was hier gerade nicht zutreffe, da die Ehefrau das erstinstanzliche Urteil sowohl im Scheidungs- als auch im Unterhaltspunkt angefochten habe. Entscheidwesentlich bleibe zudem, dass bei beiden Parteien seit Erlass des Eheschutzentscheides keine erheblichen und dauernden tatsächlichen wirtschaftlichen Änderungen eingetreten seien.
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C.
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Der Ehemann führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Begehren, den Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri aufzuheben und den Entscheid des Landgerichtspräsidiums Uri vom 22. November 2005 zu bestätigen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. In der Sache sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
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D.
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Mit Verfügung vom 20. Juni 2006 entsprach der Präsident der II. Zivilabteilung des Bundesgerichts dem Antrag des Beschwerdeführers, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nachdem sich das Obergericht nicht zum Gesuch des Beschwerdeführers geäussert und die Beschwerdegegnerin eine verspätete Vernehmlassung eingereicht hatte.
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E.
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Der Beschwerdeführer hat seine Beschwerde mit einer am 02. Juni 2006 der Post übergebenen Eingabe und verschiedenen Beilagen ergänzt.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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1.1 Der angefochtene Entscheid ist dem Beschwerdeführer am 27. April 2006 zugestellt worden, womit das Ende der 30tägigen Beschwerdeschrift auf Samstag, den 27. Mai 2006, fiel und die Rechtsmittelfrist somit am Montag, den 29. Mai 2006, abgelaufen ist (Art. 89 Abs. 1 i.V.m. Art. 32 Abs. 2 OG sowie Art. 1 des Bundesgesetzes über den Fristenlauf an Samstagen; Poudret/Sandoz-Monod, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Band I, 1990, N. 3.4 zu Art. 32 OG). Die am 2. Juni 2006 der Post übergebene Beschwerdeergänzung samt Beilagen ist damit verspätet und folglich nicht zu beachten. Das als Beilage eingereichte Scheidungsurteil des Obergerichts des Kantons Uri vom 1. Juni 2006 könnte schon deshalb nicht berücksichtigt werden, da dieses Urteil und die damit geschaffene Rechtslage nach dem angefochtenen Entscheid eingetreten sind (BGE 120 Ia 369 E. 3b S. 374).
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1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen, rein kassatorischer Natur (BGE 130 I 258 E. 1.2; 126 III 534 E. 1c S. 536 f. mit Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer mehr als die Aufhebung des Entscheides der letzten kantonalen Instanz verlangt, kann demnach auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden.
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1.3 Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist nicht einzutreten, soweit der Beschwerdeführer einfach Rechtsgrundsätze aufzählt und dazu Literatur zitiert (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 119 Ia 197 E. d S. 201; 120 Ia 369 E. 3a; 123 I 1 E. 4a; 127 III 279 E. 1c S. 282, mit Hinweisen; 128 I 295 E. 7a S. 312; 130 I 258 E. 1.3). Keine rechtsgenügende Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Entscheid enthalten ferner die Ausführungen zum Präjudiz vorsorglicher Massnahmen mit Bezug auf den Endentscheid, wird doch auch damit nicht rechtsgenüglich dargelegt, inwiefern der Entscheid willkürlich sein soll.
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2.
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2.1 Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst geltend, das Obergericht führe im angefochtenen Entscheid aus, da die Beschwerdegegnerin das erstinstanzliche Scheidungsurteil nicht nur in Bezug auf die Unterhaltsfrage, sondern auch im Scheidungspunkt angefochten habe, fehle es an der Voraussetzung der Teilrechtskraft des Scheidungsgrundes, weshalb eine allfällige Berücksichtigung des Scheidungsurteils für die Frage der Unterhaltspflicht im Rahmen der vorsorglichen Massnahmen nicht in Frage komme. Das Obergericht habe damit in willkürlicher Weise (Art. 9 BV) in das korrekt ausgeübte Ermessen der ersten Instanz eingegriffen. Des Weiteren sei entgegen der Auffassung des Obergerichts eine Änderung der tatsächlichen Situation eingetreten, liege doch nunmehr das Urteil des Landgerichts vor, welches die Scheidung der Parteien ausgesprochen und den Beschwerdeführer von jeglicher Unterhaltspflicht gegenüber der Beschwerdegegnerin befreit habe. In diesem Urteil werde zudem festgehalten, dass die IV-Zahlungen an die Beschwerdegegnerin rückwirkend per 2002 eingestellt worden seien, womit die Beschwerdegegnerin - aus der Sicht des Beschwerdeführers - mindestens seit diesem Zeitpunkt nicht mehr als arbeitsunfähig gegolten habe. Der Scheidungspunkt sei von der Beschwerdegegnerin nicht angefochten worden und dieser könne als unbestritten betrachtet werden; da sowohl die zweijährige, als auch die vierjährige Trennungsfrist abgelaufen seien, könne die Beschwerdegegnerin allein aufgrund des zeitlichen Ablaufs keine Einwendungen gegen eine Scheidung der Ehe vorbringen.
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Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, dass der Scheidungsanspruch nach Art. 114 ZGB begründet ist, wenn die Voraussetzung des vier- bzw. nunmehr zweijährigen ununterbrochenen Getrenntlebens erfüllt ist (BGE 131 III 249). Tatsache aber bleibt, dass die Scheidung der Ehe nach den obergerichtlichen Feststellungen ebenso angefochten ist wie der Rentenpunkt und damit noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist; soweit der Beschwerdeführer Gegenteiliges behauptet, richtet er sich gegen anderslautende obergerichtliche Feststellungen, ohne diese rechtsgenüglich als willkürlich zu beanstanden. Darauf ist nicht einzutreten (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 119 Ia 197 E. d S. 201; 120 Ia 369 E. 3a; 123 I 1 E. 4a; 127 III 279 E. 1c S. 282, mit Hinweisen; 128 I 295 E. 7a S. 312; 130 I 258 E. 1.3). Liegt aber noch kein rechtskräftiges Urteil im Scheidungspunkt vor, ist es zumindest nicht willkürlich, die vorsorglichen Massnahmen für die Dauer des Scheidungsverfahrens nicht dem angefochtenen erstinstanzlichen Urteil in der Sache anzupassen. Nach der Lehre kann die Prognose hinsichtlich des Endurteils im Rentenpunkt beim vorsorglichen Unterhalt berücksichtigt werden, sofern dies den Unterhalt für die Zeit nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils im Scheidungspunkt betrifft (Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, 1999, N. 46 zu Art. 137 ZGB). Würde das nicht rechtskräftige Scheidungsurteil bei der Bestimmung des vorsorglichen Unterhalts für die restliche Dauer des Scheidungsverfahrens berücksichtigt, präjudizierte dies im Ergebnis das Endurteil im Unterhaltspunkt, was dem Grundgedanken der vorsorglichen Massnahme als vorsorglichem Rechtsschutz widerspräche (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N. 13 zu Art. 137 ZGB). Die Willkürrüge erweist sich als unbegründet.
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2.2 Nun trifft zwar zu, dass vorsorgliche Massnahmen während des Scheidungsverfahrens einen anderen Zweck verfolgen als Eheschutzmassnahmen. Nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsprozesses wird eine Rückkehr zur gemeinsam vereinbarten Aufgabenteilung weder angestrebt noch ist sie wahrscheinlich; die Auflösung der ehelichen Gemeinschaft ist vielmehr gewollt und steht unmittelbar bevor. Dem Ziel der wirtschaftlichen Selbstständigkeit des bisher nicht (oder bloss in beschränktem Umfang) erwerbstätigen Ehegatten darf deshalb bereits Bedeutung zugemessen werden. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Aufnahme oder Ausdehnung einer Erwerbstätigkeit zumutbar ist, kann in stärkerem Masse - als im Eheschutzverfahren - auf die bundesgerichtlichen Richtlinien zum Scheidungsunterhalt abgestellt werden (BGE 130 III 537 E. 3.2 S. 542 mit Hinweisen auf nicht publizierte Rechtsprechung und Lehre). Der Beschwerdeführer bringt aber nicht rechtsgenüglich vor, dass er Entsprechendes in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vor den kantonalen Instanzen frist- und formgerecht vorgetragen hat. Soweit er schliesslich auf die Einstellung der IV-Leistungen an die Beschwerdegegnerin verweist, um daraus ein Recht auf eine Abänderung der vorsorglichen Massnahmen abzuleiten, führt dies nicht zum Erfolg: Dabei handelt es sich nicht um eine zu berücksichtigende Änderung der Verhältnisse, da dieses Faktum im Rahmen der Eheschutzmassnahmen bereits in Betracht gezogen worden ist.
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3.
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Der Beschwerdeführer macht geltend, vorsorgliche Massnahmen für die Dauer des Scheidungsverfahrens seien aufgrund ihrer beschränkten materiellen Rechtskraft jederzeit abänderbar. Wenn sich das Obergericht darauf stütze, dass bereits im Eheschutzverfahren Massnahmen getroffen worden seien und keine wesentlichen Änderungen vorliegen würden, die eine Änderung der besagten Massnahmen rechtfertigten, so messe es den vorsorglichen Massnahmen mehr Rechtskraft zu, als diese besässen. Es dürfe nicht immer zugewartet werden, bis das Urteil in der Sache vollständig in Rechtskraft erwachsen sei.
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Das Obergericht misst der beschränkten materiellen Rechtskraft vorsorglicher Massnahmen keineswegs eine übermässige Bedeutung zu. Es stützt sich lediglich auf die von der Lehre vertretene Auffassung, wonach eine Abänderung vorsorglicher Massnahmen nur erfolgen kann, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse erheblich und dauernd verändert haben (siehe dazu statt vieler: Gloor, Basler Kommentar, N. 4 zu Art. 137 ZGB). Der Beschwerdeführer beabsichtigt mit seinem Begehren um Abänderung der vorsorglichen Massnahmen in der Tat eine sofortige Umsetzung des erstinstanzlichen Scheidungsurteils, welches weder im Scheidungs- noch im Rentenpunkt in Rechtskraft erwachsen ist. Dass das Obergericht nicht gegen das Willkürverbot verstossen hat, indem es das erstinstanzliche Urteil für die vorsorglichen Massnahmen nicht beachtet hat, ist bereits ausgeführt worden (E. 2.2). Soweit die Willkürrüge überhaupt den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG entspricht, erweist sie sich als unbegründet.
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4.
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Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Für die verspätete Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin zum Gesuch um aufschiebende Wirkung hat er keine Entschädigung zu leisten. In der Sache ist keine Vernehmlassung eingeholt worden.
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5.
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Dem Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist nicht zu entsprechen, da sich die Beschwerde von Anfang an als aussichtslos erwiesen hat (Art. 152 Abs. 1 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2.
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Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3.
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Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
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4.
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Für das bundesgerichtliche Verfahren wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
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5.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Uri, Zivilrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 06. Juli 2006
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Im Namen der II. Zivilabteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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