BGer H 17/2006
 
BGer H 17/2006 vom 20.07.2006
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
H 17/06
Urteil vom 20. Juli 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold
Parteien
K.________ und U.________, Beschwerdeführer,
gegen
Ausgleichskasse Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal
(Entscheid vom 14. September 2005)
Sachverhalt:
A.
Die Firma X.________ verlegte mit Statutenänderung vom ... ihren Sitz von B.________ nach M.________ und war ab 1. Mai 2001 bei der Ausgleichskasse des Kantons Basel-Landschaft (nachfolgend: Ausgleichskasse) als Arbeitgeberin erfasst. K.________ amtete als Verwaltungsrat mit Kollektivprokura zu zweien, ab Sitzverlegung als dessen Präsident mit Einzelunterschrift; U.________ war seit der Sitzverlegung Mitglied des Verwaltungsrates mit Einzelunterschrift. Am ... 2002 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet. Der Kollokationsplan war vom ... bis ... 2003 aufgelegt. Mit Verfügungen vom 4. Februar 2004 verpflichtete die Ausgleichskasse K.________ und U.________, jeweils unter solidarischer Haftung, Schadenersatz in der Höhe von Fr. 37'069.10 für entgangene Beiträge zu bezahlen. Mit Einspracheentscheid vom 28. April 2005 reduzierte die Ausgleichskasse den zu ersetzenden Betrag auf Fr. 23'862.15.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 14. September 2005 ab.
C.
K.________ und U.________ führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen Begehren, die Verpflichtung zur Zahlung von Schadenersatz sei aufzuheben. Zudem beanstanden sie, sie seien durch das Kantonsgericht Basel-Landschaft über den Verlauf der Verhandlung vom 14. September 2005 sowie über den Fristenstillstand im Schreiben vom 19. Dezember 2005 falsch informiert worden. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft enthält sich in seiner Stellungnahme vom 8. Februar 2006 eines Antrags. Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist vollumfänglich einzutreten, da die Ausgleichskasse mit Verfügungen vom 4. Februar 2004 lediglich Schadenersatz für entgangene Beiträge kraft Bundesrechts geltend macht (BGE 131 V 426 Erw. 1 mit Hinweis).
2.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
3.
Vorweg sind die prozessualen Einwände zu prüfen.
3.1 Die Beschwerdeführer rügen, sie hätten sich am 14. September 2005 nicht äussern können. Wie die Vorinstanz in ihrer Stellungnahme vom 8. Februar 2006 zu Recht festhält, erging am 14. Juli 2005 die Einladung zur Urteilsberatung vom 14. September 2005 und nicht zu einer Verhandlung; auf dieser Einladung war vermerkt, dass die Parteien dabei der Urteilsberatung zuhören können, ohne jedoch die Möglichkeit zu haben, selbst das Wort zu ergreifen. Die Beschwerdeführer waren weder irregeführt noch falsch informiert worden. Es besteht keine gerichtliche Hinweispflicht auf eine mündliche Verhandlung.
3.2 Was den angeblich unterlassenen Hinweis auf den Fristenstillstand betrifft, so ist festzuhalten, dass nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine mangelhafte Rechtsmittelbelehrung keine Nichtigkeit bewirkt; allerdings dürfen den Parteien durch eine mangelhafte Rechtsmittelbelehrung keine Nachteile erwachsen (BGE 111 V 150 Erw. 4c mit Hinweisen; Art. 107 Art. 3 in Verbindung mit Art. 132 OG). Nachdem die Beschwerdeführer durch das Fehlen des Hinweises auf den Fristenstillstand im Schreiben vom 19. Dezember 2005 offensichtlich nicht benachteiligt worden sind, kann offen gelassen werden, ob der fehlende Hinweis auf den Fristenstillstand von Art. 34 Abs. 1 lit. c OG einen Mangel der Rechtsmittelbelehrung darstellt.
4.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die zeitliche Anwendung des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG; BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen), und die Haftung des Arbeitgebers für nicht bezahlte Beiträge (Art. 52 AHVG), insbesondere die Voraussetzungen der subsidiären Organhaftung (BGE 129 V 11 mit Hinweisen), des Schadens (BGE 123 V 15 Erw. 5b, 121 III 384 Erw. 3bb, je mit Hinweisen), der Widerrechtlichkeit (BGE 118 V 195 Erw. 2a; SVR 2001 AHV Nr. 15 S. 52 Erw. 5, je mit Hinweisen), des Verschuldens (BGE 108 V 187 Erw. 1b und 202 Erw. 3a, je mit Hinweisen) sowie des adäquaten Kausalzusammenhangs (BGE 129 V 181 Erw. 3.2, 119 V 406 Erw. 4a, je mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
5.
Vor dem Eidgenössische Versicherungsgericht sind weder die subsidiäre Organhaftung, der Schaden, die Widerrechtlichkeit noch der adäquate Kausalzusammenhang streitig. Die Beschwerdeführer räumen in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine gewisse Schuld ein, doch verwahren sie sich gegen den Vorwurf, sie hätten (grob)fahrlässig gehandelt.
5.1 Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer vermag das Verhalten ihrer Hausbank sie nicht zu entlasten. Denn eine Kreditkündigung durch die Bank des betroffenen Arbeitgebers stellt keinen Entschuldigungsgrund dar, wenn angesichts der sich verschlimmernden finanziellen Situation des Unternehmens diese Kündigung nicht überraschend kommt und sich die Verstösse gegen die Beitragszahlungspflicht zum Kündigungszeitpunkt bereits ereignet haben (Urteil M. vom 8. September 2000, H 379/99). So verhält es sich auch im hier zu beurteilenden Fall: Als die Hausbank der Gesellschaft Ende Mai 2002 die Geschäftskonten wegen massiver Überziehung des Kreditrahmens sperrte, kämpfte das Unternehmen bereits länger mit finanziellen Problemen, die sich zunehmend verschärften; es hatten deswegen im Herbst 2001 auch Besprechungen mit der Bank stattgefunden. Zudem war die Gesellschaft bei Kündigung des Bankkredits schon über längere Zeit Beiträge schuldig geblieben, sodass sich der Beitragsausstand bereits angehäuft hatte (vgl. Kontoauszug vom 1. Dezember 2003).
5.2 Wie sich aus den Akten ergibt (vgl. etwa die verschiedenen Zahlungsbefehle sowie den Kontoauszug vom 1. Dezember 2003), musste das Unternehmen seit Anschluss an die Ausgleichskasse regelmässig gemahnt und betrieben werden. Auch blieb es bereits die erste Rate des Tilgungsplanes vom 29. Oktober 2001 schuldig, womit dieser hinfällig wurde. Allein schon aus diesen Gründen gelangt die Rechtsprechung von BGE 121 V 243, wonach nicht von einem qualifizierten Verschulden des fehlbaren Organs ausgegangen werden kann, wenn der Beitragsausstand nur von kurzer Dauer ist, der Arbeitgeber bis anhin klaglos seiner Beitragszahlungspflicht nachkam und berechtigte Hoffnung bestand, durch die Nichtbezahlung der Beiträge das Unternehmen retten zu können, nicht zur Anwendung.
5.3 Zudem ist festzuhalten, dass eine Entlastung der subsidiär haftenden Organe infolge des Versuchs, die Firma durch vorübergehende Nichtbezahlung der Beiträge zu retten, ausgeschlossen ist, wenn die Beitragsschuld im Verhältnis zu den Gesamtschulden geringfügig ist (vgl. Urteil W. und C. vom 13. Dezember 2000, H 124/00 + 125/00). Davon ist auch hier auszugehen: Denn selbst wenn zu Gunsten der Beschwerdeführer die Passiven von Fr. 900'000.- um den geltend gemachten Betrag von Fr. 100'000.- infolge übersetzter Forderungen eines Vertragsfahrers aus Deutschland reduziert würden, resultiert bei Konkurseröffnung immer noch ein Fehlbetrag von insgesamt Fr. 250'000.-.
5.4 Soweit sich die Beschwerdeführer auf weitere Umstände wie den Streit mit der Oberzolldirektion, die Einführung der LSVA oder geplante Einsparungen infolge Fahrzeugverkaufs und geänderten Zahlungsverhaltens bezüglich der Abgaben auf den französischen Autobahnen berufen, können sie nicht gehört werden. Denn diese sind dem Unternehmerrisiko inhärent und begründen daher keinen milderen Massstab bei der Arbeitgeberhaftung gegenüber der Ausgleichskasse. Andernfalls würde das wirtschaftliche Risiko auf die Ausgleichskasse überwälzt, was nicht angeht.
6.
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die unterliegenden Beschwerdeführer haben die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1700.- werden Beschwerdeführern auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 20. Juli 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: