BGer 2P.144/2006
 
BGer 2P.144/2006 vom 27.07.2006
Tribunale federale
{T 1/2}
2P.144/2006/fun
Urteil vom 27. Juli 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Matter.
Parteien
Einwohnergemeinde Münsingen, handelnd durch
den Gemeinderat, vertreten durch die Bauverwaltung, Postfach 1330, 3110 Münsingen,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher
Urs Eymann,
gegen
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion, Rechtsamt, Reiterstrasse 11, 3011 Bern,
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Speichergasse 12, 3011 Bern.
Gegenstand
Art. 50 BV (Gemeindeautonomie; Abwassergebühren),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 26. April 2006.
Sachverhalt:
A.
Die Einwohnergemeinde Münsingen erhob am 9. April 2003 gestützt auf ihr Reglement zur Abwasserentsorgung gegenüber dem Kanton Bern - als Grundeigentümer einer Parzelle auf Gemeindegebiet - eine Gebühr von Fr. 270.-- für die Einleitung von Regenabwasser in das kommunale Kanalisationssystem und in das öffentliche Gewässer "Schwandbach".
Nach erfolgloser Beschwerde an den Regierungsstatthalter Konolfingen gelangte der Kanton Bern, vertreten durch die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion, an das kantonale Verwaltungsgericht. Dieses hiess die Beschwerde teilweise gut, soweit es darauf eintrat, und hob die Gebühr in dem Ausmass auf, als sie sich nicht auf die Einleitung von Niederschlagswasser in das kommunale Kanalisationssystem, sondern auf den Regenwasserabfluss in den Schwandbach bezog.
B.
Am 24. Mai 2006 hat die Einwohnergemeinde Münsingen staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Sie rügt namentlich eine Verletzung ihrer Gemeindeautonomie und beantragt die Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 26. April 2006.
Der Kanton Bern und das Verwaltungsgericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts stellt einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid dar, gegen den als eidgenössisches Rechtsmittel einzig die staatsrechtliche Beschwerde zur Verfügung steht (Art. 84 Abs. 2 und Art. 86 Abs. 1 OG; vgl. auch BGE 128 I 46 E. 1b S. 49 ff.).
1.2 Die Einwohnergemeinde Münsingen wird durch den angefochtenen Entscheid als Gläubigerin einer öffentlichen Abgabe und damit in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt berührt. Sie ist daher legitimiert, wegen Verletzung der Gemeindeautonomie staatsrechtliche Beschwerde zu führen. Ob die beanspruchte Autonomie besteht, ist keine Frage des Eintretens, sondern der materiellen Beurteilung (vgl. BGE 128 I 3 E. 1c S. 7, 136 E. 1.2 S. 139, je mit Hinweisen).
1.3 Die staatsrechtliche Beschwerde muss die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze inwiefern durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Das Bundesgericht untersucht nicht von Amtes wegen, ob ein kantonaler Hoheitsakt verfassungsmässig ist, sondern prüft nur rechtsgenügend vorgebrachte, klar erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (vgl. BGE 110 Ia 1 E. 2 S. 3 f.; 119 Ia 197 E. 1d S. 201, mit Hinweisen). Wird eine Verletzung des Willkürverbots geltend gemacht, genügt es nicht, wenn der Beschwerdeführer bloss den angefochtenen Entscheid kritisiert, wie er dies in einem appellatorischen Verfahren tun könnte, bei dem die Rechtsmittelinstanz die Rechtsanwendung frei überprüfen kann. Er muss deutlich dartun, welche Vorschriften oder allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze die kantonalen Behörden in einer gegen Art. 9 BV verstossenden Weise verletzt haben sollen (vgl. BGE 117 Ia 10 E. 4b S. 12, mit Hinweis). Die Beschwerdeschrift genügt diesen Anforderungen über weite Strecken nicht.
2.
2.1 Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts (Art. 50 Abs. 1 BV). Eine Gemeinde ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen (vgl. BGE 128 I 3 E. 2a S. 7 f., 136 E. 2.1 S. 140; 124 I 223 E. 2b S. 226 f., je mit Hinweisen).
2.2 Die Abwasserentsorgung ist nach Art. 6 des Kantonalen Gewässerschutzgesetzes vom 11. November 1996 (KGSchG; BSG 821.0) eine kommunale Aufgabe. Deren Finanzierung haben die Gemeinden in einem Reglement zu regeln (vgl. Art. 23 ff. KGSchG). Im Rahmen der sich auf das Grundsätzliche beschränkenden Vorgaben der Gewässerschutzgesetzgebungen von Bund und Kanton sind somit die Berner Gemeinden bei der Ausgestaltung ihrer Kanalisationsreglemente frei. Die Beschwerdeführerin verfügt daher über einen erheblichen Gestaltungsspielraum, weshalb ihr in diesem Bereich Autonomie zukommt (vgl. dazu das unveröffentlichte Bundesgerichtsurteil 1P.573/1998 vom 5.1.1999 i.S. Einwohnergemeinde O.; zur Gemeindeautonomie bei der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung siehe u.a. auch: ZBl 105/2004 270 E. 2 und 104/2003 533 E. 2.).
3.
3.1 Gemäss Art. 32 Abs. 7 des Abwasserentsorgungsreglements (AER) der Einwohnergemeinde Münsingen vom 17. Februar 2003 ist für Regenwasser, insbesondere von Hof- und Dachflächen sowie von Gemeinde- und Privatstrassen, Plätzen etc., das in die Kanalisation, in einen Reinabwasserkanal, einen Regenabwasserkanal oder direkt in ein öffentliches Gewässer eingeleitet wird, eine Gebühr pro m2 entwässerte Fläche zu bezahlen. Gestützt auf diese Bestimmung rechtfertigt die Gemeinde die hier streitige Abgabe mit der folgenden Argumentation: Durch die Aufnahme von Niederschlagswasser wird auch ein öffentliches Gewässer zum Bestandteil des kommunalen Kanalisationssystems. Aus der Sicht der Gemeinde ist unerheblich, ob Regenabwasser im Trennsystem in eine spezielle Sauberwasserleitung und von dort aus in ein Fliessgewässer eingeleitet wird, oder ob das Wasser im Mischsystem über Schmutzwasserleitungen der Abwasserreinigungsanlage zugeleitet wird. Denn in beiden Fällen werden erhebliche Kosten verursacht, welche mittels Gebührenerhebung zu decken sind. Gesamthaft gilt für die Beschwerdeführerin: Wer Regenabwasser nicht versickern lässt, soll eine Gebühr bezahlen.
3.2 Dem hat das Verwaltungsgericht entgegengehalten, dass eine Gebührenerhebung für die Einleitung von Regenabwasser in ein Oberflächengewässer (gemäss Art. 32 Abs. 7 AER) gegen übergeordnetes Recht verstösst, und zwar sowohl gegen das eidgenössische und kantonale Gewässerschutzrecht (E. 3.2.1) als auch gegen die bernische Wasserbaugesetzgebung (E. 3.2.2):
3.2.1 In Bezug auf das Gewässerschutzrecht wird im angefochtenen Entscheid erwogen, dass die Kanalisation aus künstlich geschaffenen Bauten und Anlagen besteht, welche zum Zweck der Abwasserbeseitigung bzw. -reinigung erstellt und unterhalten werden. Dass ein Bach auch dazu dient, Regenwasser aufzunehmen, macht ihn noch nicht zu einem solchen Werk, selbst wenn er - wie hier - teilweise eingedolt ist; denn andernfalls wäre letztlich jedes öffentliche Gewässer als Kanalisation zu qualifizieren.
Im Weiteren hat das Verwaltungsgericht hervorgehoben, dass Regenabwasser gemäss Art. 3 Abs. 3 der eidgenössischen Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 1998 (GSchV; SR 814.201) in der Regel als nicht verschmutztes Abwasser gilt und deshalb möglichst nicht in die Kanalisation einzuleiten, sondern versickern zu lassen ist. Falls es nicht zur Versickerung gebracht werden kann, ist es in ein oberirdisches Gewässer einzuleiten (vgl. Art. 7 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer [Gewässerschutzgesetz; GSchG; SR 814.20]). Nur wenn auch das ausgeschlossen ist, ist es in die Kanalisation einzuleiten (vgl. Art. 16 f. der kantonalen Gewässerschutzverordnung vom 24. März 1999; [KGV; BSG 821.1]). Damit wird bezweckt, das Kanalisationsnetz und die Abwasserreinigungsanlage vor einer unnötigen Belastung mit Regenabwasser möglichst zu bewahren. Somit verläuft im eidgenössischen wie im kantonalen Recht die massgebliche Unterscheidung nicht zwischen versickertem und abgeleitetem Niederschlagswasser, sondern danach, ob es in eine Kanalisation eingeleitet wird oder sonstwie abfliesst. Dem Grundsatz der geringstmöglichen Belastung des Kanalisationssystems wird durch die Einleitung von Regenabwasser in ein öffentliches Gewässer Rechnung getragen. Auch deswegen lässt der Abfluss von nicht verschmutztem Niederschlagswasser in ein Gewässer dieses nicht zu einer Kanalisation im Rechtssinn werden. Damit steht im Einklang, dass Art. 34 Abs. 5 KGV die Erhebung einer wiederkehrenden Gebühr nur zulässt, wenn Regenabwasser in eine Kanalisation abgeleitet wird. Hingegen belässt die geltende eidgenössische und kantonale Gesetzgebung der Gemeinde keinen Spielraum, um eine solche Abgabe auch für die Einleitung in ein öffentliches Gewässer vorzusehen.
3.2.2 Andererseits hat das Verwaltungsgericht erwogen, dass die hier massgebliche Abwasserabgabe als Benutzungsgebühr ausgestaltet ist. Somit hat sie dem Äquivalenzprinzip zu entsprechen und auf einer gewässerschutzrechtlich relevanten Leistung der Gemeinde zu beruhen. Eine solche wird hier nicht erbracht. Soweit die Einleitung von Regenabwasser in ein öffentliches Gewässer für die Gemeinde zusätzliche Aufwendungen für den Unterhalt des öffentlichen Gewässers zur Folge hat, handelt es sich nicht um gewässerschutzrechtlich, sondern allenfalls um wasserbaurechtlich begründbare Aufwendungen. Gemäss Art. 41 des bernischen Gesetzes über Gewässerunterhalt und Wasserbau vom 14. Februar 1989 (Wasserbaugesetz; WBG; BSG 751.11) können die Gemeinden durch Reglement vorsehen, von Grundeigentümern an die Kosten der Planung, des aktiven Hochwasserschutzes und des Erwerbs dinglicher Rechte nach Massgabe der besonderen Vorteils Beiträge zu erheben. Damit hat der Gesetzgeber für die Gemeinden eine abschliessende Finanzierungsordnung beschlossen, welche (nebst Kantonsbeiträgen) allein die Erhebung von Vorzugslasten vorsieht. Diese Regelung belässt den Gemeinden keinen Spielraum, um für Unterhaltsaufwendungen an öffentlichen Gewässern zusätzlich wiederkehrende Gebühren zu erheben.
3.3 Die Beschwerdeführerin wirft dem Verwaltungsgericht vor, ihre Gemeindeautonomie verletzt zu haben. Im Rahmen von Art. 50 BV prüft das Bundesgericht nur die Anwendung von eidgenössischem und kantonalem Verfassungsrecht frei, jene von kantonalem Gesetzes- und Verordnungsrecht - wie hier massgeblich - bloss unter dem Gesichtswinkel der Willkür (vgl. BGE 129 I 410 E. 2.3 S. 414 mit Hinweisen).
Willkür in der Rechtsanwendung liegt nach der Rechtsprechung nicht schon vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder sogar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht weicht vom Entscheid der kantonalen Behörde nur ab, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtssatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Vorausgesetzt ist sodann, dass nicht bloss die Begründung des Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (vgl. BGE 128 II 259 E. 5 S. 280 f. mit Hinweisen).
Was die Gemeinde gegen den angefochtenen Entscheid vorbringt, ist weitgehend appellatorischer Natur (vgl. E. 1.3 oben) und reicht jedenfalls nicht aus, um ihn als geradezu unhaltbar erscheinen zu lassen. Das gilt namentlich für den Begriff der Kanalisation, der - selbst teilweise eingedolte - Bäche nicht umfasst, wie in vertretbarer Weise angenommen werden kann. Auch hält es vor dem Willkürverbot stand, die Erhebung einer Abwasserentsorgungsgebühr dann als unzulässig einzustufen, wenn - im Sinne einer minimalen Belastung des Kanalisationssystems - das unverschmutzte Niederschlagswasser gerade nicht in das System eingeleitet, sondern sonstwie zum Abfluss gebracht wird. Ebenso erweist es sich als zulässig, die hier massgeblichen Unterhaltsaufwendungen dem Bereich des Wasserbaus zuzuordnen und diesbezüglich davon auszugehen, dass die kantonale Gesetzgebung ausschliesslich die Erhebung von Vorzugslasten vorsieht, was den Gemeinden keinen Spielraum für Benutzungsgebühren belässt. Im Übrigen kann die Beschwerdeführerin aus dem Grundsatz, dass die Abwasserentsorgung finanziell selbsttragend zu sein hat (vgl. Art. 24 KGSchG), nichts zu ihren Gunsten ableiten.
3.4 Frei zu prüfen ist einzig die Rechtsgleichheitsrüge. Es ist aber ein rechtlich relevanter Unterschied, ob Meteorwasser in die von der Gemeinde erstellte Abwasserentsorgungsanlage oder direkt in ein Oberflächengewässer eingeleitet wird. Lediglich im ersten Fall wird die Abwasserinfrastruktur der Gemeinde in Anspruch genommen. Wohl verursacht auch der Unterhalt der fliessenden Gewässer Kosten, die indessen auf einer anderen Ebene liegen und nach einem anderen System finanziert werden als diejenigen der Abwasserentsorgung (vgl. dazu u.a. URP 2004 211 E. 3.3.2). Diesen Unterscheidungen trägt Art. 32 Abs. 7 AER nicht Rechnung, wie der angefochtene Entscheid verfassungskonform festgehalten hat.
4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Gemeinde, um deren Vermögensinteressen es hier geht, kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 und 2 OG in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Einwohnergemeinde Münsingen auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion sowie dem Verwaltungsgericht, Verwaltungsrechtliche Abteilung, des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Juli 2006
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: