Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
4P.124/2006 /bie
Urteil vom 17. August 2006
I. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichterin Klett, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Mathys,
Gerichtsschreiber Luczak.
Parteien
X.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Raidt,
gegen
A.________, Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Fricker,
Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, Obere Vorstadt 38,
5000 Aarau.
Gegenstand
Willkürliche Beweiswürdigung im Zivilprozess;
rechtliches Gehör,
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht,
2. Kammer, vom 2. März 2006.
Sachverhalt:
A.
A.________ (Beschwerdegegner) beauftragte Fürsprecherin X.________ (Beschwerdeführerin) in einem Scheidungs-, einem Arbeitsgerichts- und einem IV-Antragsverfahren mit der Wahrung seiner Interessen. Gestützt auf eine handschriftliche Vereinbarung vom 19. April 2000 erlangte die Beschwerdeführerin am 16. Dezember 2002 in der von ihr für eine Pauschal-Honorarforderung von Fr. 20'000.-- eingeleiteten Betreibung provisorische Rechtsöffnung. Dieser Entscheid wurde dem Beschwerdegegner am 15. Januar 2003 im Dispositiv und am 26. Februar 2003 in begründeter Ausfertigung zugestellt.
B.
Die vom Beschwerdegegner am 28. März 2003 eingereichte Aberkennungsklage hiess das Bezirksgericht Bremgarten am 9. Juni 2005 gut und stellte im Wesentlichen fest, dass die in Betreibung gesetzte Forderung nebst Zins nicht bestehe. Die gegen dieses Urteil von der Beschwerdeführerin erhobene Appellation wies das Obergericht des Kantons Aargau am 2. März 2006 ab.
C.
Gegen dieses Urteil führt die Beschwerdeführerin beim Bundesgericht staatsrechtlichen Beschwerde und Berufung. Mit der Beschwerde beantragt sie, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Aberkennungsklage abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Mit Eingabe vom 17. Juli 2006 reicht die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht einen in einer anderen Sache ergangenen Entscheid des Obergerichts vom 17. Mai 2006 betreffend Rechtsöffnung ein. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dieser Entscheid stütze ihre Argumentation.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen ist die staatsrechtliche Beschwerde rein kassatorischer Natur (BGE 129 I 129 E. 1.2.1 S. 131 f.). Auf die vorliegende Beschwerde ist daher insoweit nicht einzutreten, als die Beschwerdeführerin mehr verlangt als die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Ebenfalls unbeachtet bleibt die Eingabe vom 17. Juli 2006. Nach Art. 89 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde binnen 30 Tagen von der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung des angefochtenen Entscheides an gerechnet einzureichen. Gemäss den Angaben der Beschwerdeführerin erfolgte die Zustellung am 27. März 2006. Damit ist die Eingabe vom 17. Juli 2006 offensichtlich verspätet, zumal die Beschwerdeführerin weder darlegt, dass die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung trotz Ablauf der Frist (vgl. Art. 35 OG zur Wiederherstellung von Fristen) erfüllt wären, noch einen zweiten Schriftenwechsel (Art. 93 Abs. 3 OG) verlangt oder aufzeigt, weshalb dieser anzuordnen wäre.
2.
Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die Aberkennungsklage sei verspätet erfolgt. Während das für die Beschwerdeführerin bestimmte Exemplar des Rechtsöffnungsentscheides am 20. Dezember 2002 der Post übergeben und am 23. Dezember 2002 zugestellt worden sei, sei das für den Beschwerdegegner bestimmte offenbar erst am 14. Januar 2003 der Post übergeben worden, wobei die Jahreszahl beim Poststempel von Hand von 02 auf 03 korrigiert worden sei. Der Grund für die verspätete Zustellung liege wohl darin, dass das Gericht von der Post anlässlich einer am 11. Dezember 2002 aufgegebenen Postzustellung informiert worden sei, die Post des Empfängers lagere gemäss dessen Auftrag bis zum 13. Januar 2003 bei der Post. Derartige Rückbehaltungsaufträge dürfen nach Auffassung der Beschwerdeführerin die Zustellung nicht verzögern, weshalb die Fiktion zu greifen habe, die Zustellung sei bereits am 23. Dezember 2002 erfolgt. Die unterschiedlichen Zustelldaten für sie selbst und den Beschwerdegegner begründeten eine Rechtsungleichheit und beruhten auf Willkür. Zudem habe das Obergericht das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt, indem es sich mit ihren Argumenten nicht in einer Art und Weise auseinandergesetzt habe, die es erlaube, den Entscheid anzufechten.
2.1 Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt insbesondere, dass die Gerichte die rechtserheblichen Vorbringen der Parteien anhören und bei der Entscheidfindung berücksichtigen (BGE 124 I 241 E. 2 S. 242). Damit sich die Parteien ein Bild über die Erwägungen des Gerichts machen können, ist sein Entscheid zu begründen. Die Begründung muss kurz die Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die sich sein Entscheid stützt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich der Entscheid mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinander setzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Es genügt, wenn der Entscheid gegebenenfalls sachgerecht angefochten werden kann (BGE 129 I 232 E. 3.2 S. 236; 126 I 97 E. 2b S. 102 f., je mit Hinweisen).
2.2 Das Obergericht hat in seinem Entscheid ausgeführt, dass sich die Frage der Zustellungsfiktion erst stellen könne, wenn ein behördlicher Zustellungsversuch stattgefunden habe. Damit konnte die Beschwerdeführerin erkennen, weshalb das Obergericht ihre Vorbringen für unwesentlich hielt, und dass sie für eine sachgerechte Anfechtung hätte aufzeigen müssen, dass die Zustellungsfiktion (grundsätzlich oder im konkreten Einzelfall) auch ohne vorgängigen Zustellungsversuch hätte greifen müssen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist offensichtlich nicht gegeben.
2.3 Aber auch materiell ist die Auffassung des Obergerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Zustellungsfiktion setzt voraus, dass die Postsendung in den Machtbereich des Adressaten gelangt und dieser sie demzufolge zur Kenntnis nehmen kann (vgl. Bundesgerichtsurteil 2A.186/2004 vom 13. Juli 2004 E. 2.2). Bevor ein Zustellungsversuch unternommen wird, kann dieser Fall nicht eintreten. Eine Ausnahme wäre allenfalls in Erwägung zu ziehen, wenn der Beschwerdegegner im Wissen um den bevorstehenden Zustellungsversuch diesen böswillig vereitelt oder verzögert hätte. Entsprechendes ist nicht festgestellt.
2.4 Selbst wenn die Beschwerdeführerin bei der Zustellung allenfalls willkürlich und rechtsungleich behandelt worden sein sollte, wäre dies für die Rechtzeitigkeit der Aberkennungsklage ohne Bedeutung, denn die Rechtsgleichheit kann nicht durch Verletzung der verfassungsmässigen Rechte des Beschwerdegegners hergestellt werden. Darauf liefe es aber hinaus, wenn die Frist für die Aberkennungsklage zu laufen begänne, bevor überhaupt ein Zustellungsversuch unternommen wurde. Die Vorinstanz hat zu Recht erkannt, dass die Vorbringen der Beschwerdeführerin an der Sache vorbeigehen, da sie, selbst wenn sie zuträfen, keine Zustellungsfiktion zu rechtfertigen vermöchten. Diesbezüglich erweist sich die Beschwerde als unbegründet, soweit überhaupt darauf einzutreten ist.
3.
Das Obergericht legte die getroffene Pauschalhonorarvereinbarung aus und erkannte, dass damit auch Leistungen abgegolten werden sollten, für welche dem Kläger die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt worden war und für welche die Beklagte gemäss kantonalem Recht keine zusätzliche Entschädigung verlangen darf. Da nicht festgestellt werden könne, mit welchem Inhalt die Parteien die Vereinbarung ohne den nichtigen Teil geschlossen hätten, hielt es die Vereinbarung als Ganze für nichtig und die Aberkennungsklage für begründet. Die Beschwerdeführerin wendet sich in diesem Zusammenhang gegen zwei Feststellungen des Obergerichts, die ihrer Ansicht nach willkürlich sind.
3.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, es treffe nicht zu, dass sie keinerlei Nachweis dafür erbracht habe, dass ein Teil der Vereinbarung eine Schenkung des Beschwerdegegners gewesen sei. Soweit die Beschwerdeführerin dazu ausführt, der Beschwerdegegner habe die Vereinbarung im Wissen darum unterzeichnet, dass er für die von der unentgeltlichen Rechtspflege erfassten Leistungen nichts bezahlen müsse, ist bereits zweifelhaft, ob ein derartiges Schenkungsversprechen vor den kantonalrechtlichen Bestimmungen betreffend die unentgeltliche Prozessführung standhielte. Zudem schloss das Obergericht aus einem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 10. April 2001, in welchem diese den Beschwerdegegner daran erinnerte, "eine Zahlungsvereinbarung betreffend Scheidung, Arbeitsgerichtsverfahren, Beschwerdeverfahren und IV-Verfahren getroffen zu haben", dass die Vereinbarung Mehrforderungen für die von der unentgeltlichen Prozessführung erfassten Leistungen betreffe. Inwiefern dieser Schluss willkürlich sein soll, legt die Beschwerdeführerin nicht dar, und sie setzt sich auch sonst mit dem angefochtenen Entscheid nicht auseinander. Mangels genügender Begründung ist sie mit ihrer Rüge nicht zu hören (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 130 I 26 E. 2.1 S. 31; 258 E. 1.3 S. 261 f.).
3.2 Als willkürlich rügt die Beschwerdegegnerin schliesslich die Annahme, ihr vorprozessualer Aufwand sei "nicht plausibel zu begründen gewesen und vor allem auch nie nur ansatzweise ausgewiesen worden". Zur Begründung ihrer Rüge weist sie auf Dokumente und Umstände hin, die ihrer Ansicht nach die Honorarforderung berechtigt erscheinen lassen. Sie zeigt aber nicht auf, dass sie sich im kantonalen Verfahren zum Nachweis des Aufwandes auf die erwähnten Dokumente gestützt hätte. Unter diesen Umständen kann von Willkür keine Rede sein. Das Obergericht war nicht verpflichtet, die Akten nach Hinweisen für den geltend gemachten Aufwand zu durchforsten.
4.
Schliesslich behauptet die Beschwerdeführerin, das Obergericht habe die Dispositionsmaxime verletzt und ihr weniger zugesprochen, als der Beschwerdegegner in seiner Replik anerkannt habe. Zudem habe der Beschwerdegegner nie behauptet, er hätte die Vereinbarung in Kenntnis der angeblichen Teilnichtigkeit nicht geschlossen.
4.1 Ob das Obergericht der Beschwerdeführerin weniger zugesprochen hat als vom Beschwerdeführer anerkannt, braucht nicht abschliessend beurteilt zu werden. Bereits das Bezirksgericht hat die Aberkennungsklage gutgeheissen. Damit gab bereits dieser Entscheid Anlass, diesbezüglich eine Verletzung der Dispositionsmaxime zu rügen. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, dass sie dem Obergericht eine entsprechende Rüge unterbreitet hätte, und auch aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich dies nicht. Damit gilt die Rüge als neu und mangels materieller Erschöpfung des Instanzenzuges als unzulässig (vgl. BGE 128 I 354 E. 6 S. 355 ff.; Marc Forster, Staatsrechtliche Beschwerde, in Geiser/Münch [Hrsg.], Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl. Rz. 2.14 S. 63 f.).
4.2 Auch in Bezug auf die Frage der Teilnichtigkeit liegt keine Verletzung der Dispositionsmaxime vor, denn zwischen den Parteien bestand keine Einigkeit, mit welchem Inhalt die Vereinbarung bei Annahme von Teilnichtigkeit gelten sollte. Das Obergericht erkannte vielmehr, dass nicht festgestellt werden könne, mit welchem Inhalt der Vertrag ohne die nichtigen Bestimmungen geschlossen worden wäre. Inwiefern diese Annahme in tatsächlicher Hinsicht willkürlich sein soll, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Ob die Annahme bundesrechtskonform ist und welche Konsequenzen sie gegebenenfalls zeitigt, ist im Rahmen der Berufung näher zu erörtern (Art. 84 Abs. 2 OG). Im Übrigen geht die Beschwerdeführerin wiederum nicht auf die Erwägungen des Obergerichts ein, weshalb ihre Rüge nicht zu hören ist (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 130 I 26 E. 2.1 S. 31; 258 E. 1.3 S. 261 f.).
5.
Damit erweist sich die Beschwerde insgesamt als unbegründet und ist abzuweisen, soweit überhaupt darauf einzutreten ist. Dem Verfahrensausgang entsprechend wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. August 2006
Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: