Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
5P.346/2006 /bnm
Urteil vom 12. Oktober 2006
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Zbinden.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat Dr. Marco Biaggi,
gegen
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, Bäumleingasse 1, 4051 Basel.
Gegenstand
Art. 29 Abs. 3 BV (unentgeltliche Rechtspflege, Eheschutz, Kindesunterhalt),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, vom 28. Juni 2006.
Sachverhalt:
A.
X.________ ist der Vater der am 21. März 1990 geborenen Tochter Y.________. Mit Verfügung der Eidgenössischen Invalidenversicherung, IV-Stelle Basel-Stadt, vom 4. Januar 2006 wurde ihm eine Invalidenrente von Fr. 2'132.-- zugesprochen, die sich aus einer monatlichen persönlichen Rente von Fr. 1'523.-- und einer IV-Kinderrente von Fr. 609.-- pro Monat zusammensetzt.
B.
Im Rahmen des zwischen den Eheleuten X.________ und Z.________ hängigen Trennungsverfahrens vor dem Einzelgericht in Familiensachen Basel-Stadt stellte der Zivilgerichtspräsident mit Verfügung vom 15. März 2006 fest, dass die IV-Kinderrente dem Kind zustehe. An der Verhandlung vom 9. Mai 2006 bestätigte er diese Verfügung und wies dementsprechend die Ausgleichskasse an, die IV-Kinderrente weiterhin der Mutter auszuzahlen.
Gegen die Verfügung vom 9. Mai 2006 gelangte X.________ mit Rekurs an die Kammer des Zivilgerichts mit dem Begehren, die Verfügung vom 9. Mai 2006 aufzuheben und festzustellen, "dass der Rekurrent mangels Leistungsfähigkeit an die Rekursbeklagte" mit Wirkung ab dem 1. April 2006 keinen Kinderunterhaltsbeitrag schulde. Die Ausgleichskasse sei anzuweisen, die IV-Kinderrente dem Rekurrenten auszuzahlen.
In diesem Verfahren stellte X.________ ein Gesuch um Kostenerlass, welches der Instruktionsrichter mit Verfügung vom 22. Mai 2006 wegen Aussichtslosigkeit abwies. Die von X.________ gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies der Ausschuss des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt am 28. Juni 2006 ab. Auch diese Instanz ging von der Aussichtslosigkeit des Rekursverfahrens aus.
C.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht mit den Begehren, das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, vom 28. Juni 2006 aufzuheben und ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. In der Sache ist keine Vernehmlassung eingeholt worden.
D.
In Gutheissung des Gesuchs des Beschwerdeführers wurde der Beschwerde mit Verfügung vom 30. August 2006 aufschiebende Wirkung zuerkannt, nachdem sich das Appellationsgericht dem Gesuch nicht widersetzt hatte.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gegen (Zwischen-)Entscheide, mit denen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wird, steht gemäss ständiger Rechtsprechung im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG die staatsrechtliche Beschwerde offen, da sie regelmässig einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken (BGE 129 I 129 E. 1.1). Auf das von der persönlich unterlegenen und daher betroffenen Partei (Art. 88 OG) rechtzeitig (Art. 89 Abs. 1 OG) gegen einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid (Art. 86 Abs. 1 OG) eingelegte Rechtsmittel ist somit einzutreten.
2.
In der staatsrechtlichen Beschwerde herrscht ein grundsätzliches Novenverbot; neue rechtliche und tatsächliche Vorbringen sowie neue Beweismittel sind nur ausnahmsweise zulässig (BGE 129 I 49 E. 3). Auf die Beschwerde ist von vornherein nicht einzutreten, soweit der Beschwerdeführer in seiner Eingabe die tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich des Verfahrens betreffend Eheschutzmassnahmen ergänzt (Beschwerde S. 3 Ziff. 2).
3.
Das Appellationsgericht erachtet das Rekursverfahren als aussichtslos und hält dafür, der Beschwerdeführer gehe davon aus, dass ihm bei einem Einkommen von Fr. 2'132.--, das sich aus der persönlichen IV-Rente von Fr. 1'523.-- und der IV-Kinderrente von Fr. 609.-- zusammensetze, die Leistungsfähigkeit für einen Unterhaltsbeitrag an das Kind fehle und seine persönliche IV-Rente von Fr. 1'523.-- sein Existenzminimum nicht zu decken vermöge. Daraus folgere er, dass ihm die IV-Rente inklusive Kinderrente zustehe und dem Kind nur zugesprochen werden könne, was sein Existenzminimum übersteige. Bereits aus dem klaren Wortlaut von Art. 285 Abs. 2 ZGB ergebe sich indes, dass das Begehren des Beschwerdeführers mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen sei, stünden doch festgesetzte Unterhaltsbeiträge und Sozialversicherungsrenten dem Kind kumulativ zu. Im gleichen Sinne äussere sich die einschlägige Lehre. Im vorliegenden Rekursverfahren stelle sich zwar die Frage, ob die zum Ersatzeinkommen des Unterhaltspflichtigen zu rechnende IV-Kinderrente ungeachtet der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen grundsätzlich dem Kind zustehe. Über diese Frage sei indes nicht vom Richter zu befinden, weil der Gesetzgeber sie in Art. 285 Abs. 2 ZGB bereits beantwortet habe.
Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, nach der Ordnung von Art. 285 ZGB in ihrer Gesamtheit und Art. 285 Abs. 2 ZGB im Besonderen sei die IV-Kinderrente nicht von Gesetzes wegen ohne Eingriffsmöglichkeit des Richters zwingend dem Kind zuzuweisen. Vielmehr sei zuerst anhand der Kriterien nach Art. 285 Abs. 1 ZGB zu prüfen, ob der Elternteil als leistungsfähig zu betrachten sei, und erst im Anschluss daran gelte es, die Grundsätze von Art. 285 Abs. 2 ZGB anzuwenden. Die gesamte IV-Rente, somit auch die IV-Kinderrente, stelle Ersatzeinkommen des Unterhaltspflichtigen dar und stehe diesem und nicht dem Kind zu. Die Frage, ob die IV-Kinderrente von Gesetzes wegen ungeachtet der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen dem Kind zustehe, sei noch nicht höchstrichterlich entschieden worden (Beschwerde S. 2 ff. Ziff. 1-4). Indem das Appellationsgericht von der Aussichtslosigkeit des Rekursverfahrens ausgegangen sei, habe es Art. 29 Abs. 3 BV verletzt.
3.1 Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat nach Art. 29 Abs. 3 BV Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 109 Ia 5 E. 4 mit Hinweisen; 119 Ia 251 E. 3b; 122 I 267 E. 2b; 124 I 304 E. 2c).
Die Prozesschancen sind in vorläufiger und summarischer Prüfung des Prozessstoffes abzuschätzen, wobei es im Rechtsmittelverfahren um die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs geht (Haefliger, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 167 f. Ziffer 6). Die Frage lautet, ob das Rechtsmittel offenbar prozessual unzulässig oder aussichtslos ist (BGE 60 I 179 E. 1 S. 182; 78 I 193 E. 2 S. 195). Dass der angefochtene Entscheid oder das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, genügt für die Bejahung der Erfolgsaussichten nicht; entscheidend ist allein, ob das Rechtsmittel voraussichtlich gutgeheissen werden muss (vgl. Poudret/Sandoz-Monod, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, V, Bern 1992, N. 5 zu Art. 152 OG, S. 123).
Hinsichtlich der Aussichtslosigkeit ist frei zu prüfende Rechtsfrage, welche Umstände bei der Beurteilung der Prozessaussichten in Betracht fallen und ob sie für oder gegen eine hinreichende Erfolgsaussicht sprechen; allein auf Willkür zu prüfende Tatfrage bildet hingegen, ob und wieweit einzelne Tatumstände erstellt sind (BGE 124 I 304 E. 2b S. 307).
3.2 Bereits aus dem Wortlaut von Art. 285 Abs. 2 ZGB ergibt sich, dass Sozialversicherungsleistungen und andere, für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen, zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu entrichten sind. In der Lehre wird in Auslegung von Art. 285 Abs. 2 ZGB einhellig vertreten, dass solche Sozialversicherungsleistungen dem Kind zukommen sollen (Breitschmid, Basler Kommentar, ZGB I, N. 29 f. zu Art. 285 ZGB; Wullschleger, Fam-Kommentar Scheidung, Bern 2005, N. 72 zu Art. 285 ZGB; Markus Krapf, Die Koordination von Unterhalts- und Sozialversicherungsleistungen für Kinder, Diss. Freiburg 2004, 400 ff.).
3.3 Nach Art. 35 Abs. 4 IVG (SR 831.20) wird die Kinderrente wie die Rente ausbezahlt, zu der sie gehört. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes handelt es sich bei dieser Kinderente zwar um einen Anspruch, der dem Rentenberechtigten selbst zusteht (BGE 114 II 123 E. 2b S. 124). Ebenso fest steht aber, dass die IV-Kinderrente die Unterhaltspflicht des Unterhaltsschuldners erleichtern soll (BGE 114 II 123 E. 2a S. 125) und damit dem Zweck von Art. 35 IVG entsprechend ausschliesslich für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes zu verwenden ist (Ulrich Meyer, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, 1997, Kommentar zu Art. 35 S. 247). Mit Blick auf den Zweck der Norm ist die herrschende Lehre denn auch der Auffassung, der im Genuss einer IV-Kinderrente stehende Elternteil habe die Kinderrente selbst dann ungeschmälert dem Kind bzw. dem gesetzlichen Vertreter zu überweisen, wenn er aufgrund mangelnder Leistungsfähigkeit (Art. 285 Abs. 1 ZGB) nicht zu einem Unterhaltsbeitrag zu Gunsten des Kindes verhalten werden kann (Hegnauer, Berner Kommentar, N. 67 zu Art. 285 ZGB; Krapf, a.a.O., S. 99, Rz. 400). Der Beschwerdeführer weist selbst keine, dieser Auffassung entgegenstehende Lehrmeinung oder eine anderslautende kantonale Rechtsprechung nach.
3.4 Im Lichte des Wortlautes von Art. 285 Abs. 2 ZGB, des mit Art. 35 IVG verfolgten Zwecks der Kinderrente, aber auch der einschlägigen und übereinstimmenden Lehre, die sich mit überzeugenden Argumenten für eine Überweisung der Rente an das Kind stark macht, durfte das Appellationsgericht davon ausgehen, die Gewinnaussichten des Rekursverfahrens seien erheblich geringer als die Verlustgefahren. Dieser Schlussfolgerung steht ebenso wenig entgegen, dass die strittige Frage bisher noch nicht vom Bundesgericht entschieden worden ist. Auch dieser Umstand ändert nichts daran, dass das Appellationsgericht aufgrund der ihm obliegenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten angesichts der aufgezeigten Umstände auf Aussichtslosigkeit des Verfahrens schliessen durfte. Eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV liegt demnach nicht vor.
4.
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
5.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ist abzuweisen, da sich sich die Beschwerde aufgrund der klaren, von der herrschenden Lehre einheitlich beurteilten Rechtslage als aussichtslos erwiesen hat (Art. 152 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 12. Oktober 2006
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: