Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6S.262/2006 /rom
Urteil vom 23. Oktober 2006
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Zünd,
Gerichtsschreiber Thommen.
Parteien
A.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Bischoff,
gegen
X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter-Curdin Conrad,
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Chur.
Gegenstand
Fahrlässige schwere Körperverletzung (Art. 125 Abs. 2 StGB),
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, vom 8. März 2006.
Sachverhalt:
A.
Am südlichen Dorfrand von Zernez wurde im Herbst 2002 die Brücke der Kantonsstrasse über die Linie der Rhätischen Bahn erneuert. Am Montag, 25. November 2002, erhielten der Polier A.________ und der Maurer B.________ vom Baustellenleiter X.________ um ca. 21.00 Uhr den Auftrag, das Metallschutzgerüst, von dem aus die Bauarbeiten ausgeführt worden waren, zur Demontage vorzubereiten. Sie wurden dabei auf die Gefahren der unter Strom stehenden Fahrleitung aufmerksam gemacht. Zugleich wurden sie angewiesen, die Arbeiten auf dem Gerüst erst nach 23.00 Uhr, d.h. nach Abschaltung des Stroms der Fahrleitung, auszuführen. Um etwa 22.00 Uhr traf A.________ ein Stromschlag, als er auf dem Gerüst zusammen mit B.________ mit der Trennscheibe direkt über der Fahrleitung einen Metallpfosten entfernte. Er erlitt schwere Verbrennungen und unheilbare Schädigungen des rechten Arms.
B.
Das Kantonsgericht von Graubünden sprach am 8. März 2006 X.________ im Berufungsverfahren vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung frei, verurteilte ihn jedoch wegen fahrlässiger Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde zu einer Busse von Fr. 400.--. Die Adhäsionsklage von A.________ verwies es auf den Zivilweg.
C.
A.________ erhebt gegen das Urteil des Kantonsgerichts eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids mit Ausnahme des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde. Das Kantonsgericht ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Eine Vernehmlassung der Gegenparteien wurde nicht eingeholt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die Vorinstanz stellt fest, dass der Beschwerdegegner als Baustellenleiter für die Einhaltung der massgeblichen Sicherheitsbestimmungen verantwortlich war. Nach den zur Zeit des Unfalls gültigen Vorschriften und Weisungen für die Arbeiten in der Nähe von Bahnanlagen (SBB, RhB, FO) des Tiefbauamts durften die Erstellung und der Abbruch von Schutzgerüsten in unmittelbarer Nähe von Hochspannungsanlagen (d.h. näher als ca. drei Meter) nur bei ausgeschalteter Leitung und in Anwesenheit eines Aufsichtsbeamten vom Fahrleitungsdienst der Bahn ausgeführt werden. In Missachtung dieser Regel erteilte der Beschwerdegegner dem Beschwerdeführer und dem weiteren beigezogenen Arbeiter um 21.00 Uhr den Auftrag, das Plastik und das Holz des Gerüsts bereits vor der Abschaltung der Fahrleitung um 23.00 Uhr zu entfernen, obwohl sich dieses Material weniger als drei Meter von der Leitung entfernt befand.
1.2 Die Vorinstanz erklärt weiter, dass diese Sorgfaltspflichtverletzung jedoch nicht Ursache der schweren Körperverletzung des Beschwerdeführers gewesen sei. Zu Letzterer sei es dadurch gekommen, dass der Beschwerdeführer und sein Arbeiter bereits vor 23.00 Uhr begonnen hatten, die Metallpfosten des Gerüsts mit der Trennscheibe zu entfernen. Die Arbeit am und auf dem Metallgerüst selbst hatte der Beschwerdegegner indessen dem Beschwerdeführer und B.________ vor dem Abschalten der Fahrleitung um 23.00 Uhr unmissverständlich untersagt. Als zentrale Ursache der Körperverletzung erscheine damit der Entscheid des Beschwerdeführers, trotz der entgegenstehenden Weisung des Beschwerdegegners mit dem Abtrennen der Metallpfosten zu beginnen. Dieser Umstand dränge die Sorgfaltspflichtverletzung des Beschwerdegegners völlig in den Hintergrund, weshalb diese nicht als adäquate Ursache der schweren Körperverletzung erscheine.
1.3 Wie der Beschwerdeführer zu Recht darlegt, kann die erwähnte Argumentation nur so verstanden werden, dass die Vorinstanz bereits Zweifel am Vorliegen des natürlichen Kausalzusammenhangs hat, dazu aber letztlich keine eindeutige Feststellung trifft. Nach ihrer Ansicht fehlt es - unabhängig davon - jedenfalls an der Adäquanz der Sorgfaltspflichtverletzung des Beschwerdegegners für den Eintritt der schweren Körperverletzung. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verneinung des adäquaten Kausalzusammenhangs verletze Bundesrecht.
2.
2.1 Fahrlässig begeht der Täter ein Verbrechen oder Vergehen, wenn die Tat darauf zurückzuführen ist, dass er die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat (Art. 18 Abs. 3 Satz 1 StGB). Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung setzt voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat (Art. 18 Abs. 3 Satz 2 StGB). Erkennbar bzw. voraussehbar ist die Gefahr des Erfolgseintritts für den Täter, wenn sein Verhalten geeignet ist, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Dabei müssen die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe für den Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Die Voraussehbarkeit der zu beurteilenden Ursache für den Erfolg ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren in den Hintergrund drängen (BGE 130 IV 7 E. 3.2 S. 10). Ob ein adäquater Kausalzusammenhang vorliegt, beurteilt sich nach einem objektiven Massstab, d.h. aus der Perspektive eines neutralen unbeteiligten Beobachters (BGE 131 IV 145 E. 5.1 S. 147 f.).
2.2 Der vorschriftswidrige Auftrag des Beschwerdegegners bezog sich darauf, beim Gerüst das Plastik und das Holz bereits vor 23.00 Uhr zu entfernen, als die Fahrleitung abgeschaltet werden sollte. Wäre die Anweisung darauf beschränkt geblieben, hätte der Beschwerdegegner damit rechnen müssen, dass der Beschwerdeführer und B.________ auch ohne ausdrücklichen Auftrag mit der Entfernung der Metallteile des Gerüsts vor Abschaltung der Stromleitung beginnen könnten. So verhielt es sich jedoch nicht. Der Beschwerdegegner untersagte dem Beschwerdeführer und B.________ vielmehr jegliche Arbeiten am Metallgerüst vor der Abschaltung der Fahrleitung und wies sie in aller Deutlichkeit auf die Gefahren dieser Arbeiten bei noch eingeschaltetem Strom hin. Der in der Beschwerde erhobene Einwand, der Beschwerdegegner habe mit der Auftragserteilung zur Entfernung des Plastiks und des Holzes den Eindruck erweckt, die Abbrucharbeiten am Gerüst seien generell nicht allzu gefährlich, geht daher fehl. Der Beschwerdegegner durfte darauf vertrauen, dass der Beschwerdeführer als ausgebildeter Polier sich an seine unmissverständliche Weisung halten werde, zumal offenkundig ist, dass das Hantieren mit Metallteilen in unmittelbarer Nähe einer Eisenbahnfahrleitung mit grössten Gefahren verbunden ist. Es ist deshalb auch unerheblich, dass der Beschwerdeführer an diesem Abend das erste Mal auf einer Bahnbaustelle tätig war. Unter diesen Umständen war für den Beschwerdegegner nicht voraussehbar, dass seine vorschriftswidrige Weisung, das Plastik und das Holz zu entfernen, schliesslich zu einem Unfall infolge weisungswidriger Entfernung von Metallpfosten führen könnte.
2.3 Der Beschwerdeführer beruft sich zu Unrecht auf den Grundsatz, wonach derjenige, der sich selber vorschriftswidrig verhält, nicht darauf vertrauen darf, dass andere die dadurch geschaffenen Gefahren durch eine erhöhte Vorsicht ausgleichen (vgl. BGE 120 IV 252 E. 2d/aa S. 254). Die Sorgfaltspflichtverletzung des Beschwerdegegners führte vorliegend gar nicht direkt zum Unfall und bedurfte auch nicht eines Ausgleichs durch andere Personen. Die unmittelbare Unfallursache bildet vielmehr der Entscheid des Beschwerdeführers, die Metallpfosten bereits vor der Stromabschaltung zu entfernen, und in dieser Hinsicht kann dem Beschwerdegegner keine Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden, da er die Ausführung dieser Arbeiten vor 23.00 Uhr ausdrücklich untersagt und auf die Gefahren hingewiesen hat.
2.4 Der angefochtene Entscheid verletzt aus diesen Gründen kein Bundesrecht.
3.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist demnach abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 278 Abs. 1 BStP). Dem Beschwerdegegner ist mangels entstandener Umtriebe keine Parteientschädigung zuzusprechen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dem Beschwerdegegner wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden und dem Kantonsgericht von Graubünden, Kantonsgerichtsausschuss, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. Oktober 2006
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: