BGer 2A.298/2006 |
BGer 2A.298/2006 vom 27.10.2006 |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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2A.298/2006 /zga
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Urteil vom 27. Oktober 2006
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II. Öffentlichrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Merkli, Präsident,
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Bundesrichter Betschart, Hungerbühler,
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Wurzburger, Müller,
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Gerichtsschreiber Klopfenstein.
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Parteien
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X.________
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Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Bruno C. Lenz,
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gegen
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Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg, route d'Englisberg 9/11, 1763 Granges-Paccot,
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Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg, I. Verwaltungsgerichtshof, Postfach, 1762 Givisiez.
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Gegenstand
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Familiennachzug,
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Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den
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Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg vom 6. April 2006.
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Sachverhalt:
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A.
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Die philippinische Staatsangehörige X.________ (geb. 1960) hat aus einer früheren Ehe mit einem Landsmann, der die Familie im Jahre 1990 verlassen hatte und inzwischen verstorben ist, die vier Kinder A.________ (geb. ***1981), B.________ (geb. ***1984), C.________ (geb. ***1986) und D.________ (geb. ***1989). Am 16. Dezember 1998 heiratete X.________ auf den Philippinen den Schweizer Bürger Z._________ (geb. 1952) und erhielt in der Folge in der Schweiz, wo sie seit dem 13. April 1999 weilt, eine Aufenthaltsbewilligung.
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B.
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Im Juni 2002 ersuchten die Eheleute Z._________ um Nachzug der vier auf den Philippinen zurückgebliebenen Kinder. Infolge eines - am 30. November 2004 mit einem Freispruch endenden - Strafverfahrens gegen X.________ wegen Verdachts der Fälschung der Todesurkunde ihres ehemaligen philippinischen Ehemannes verzögerte sich die Behandlung des Familiennachzugsgesuches.
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Am 9. August 2004 erhielt X.________ die Niederlassungsbewilligung.
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Mit Verfügung vom 18. Oktober 2005 wies das Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg das Familiennachzugsgesuch für alle vier Kinder ab. Zur Begründung führte das Amt im Wesentlichen aus, X.________ lebe seit Jahren von ihren Kindern getrennt. Die Kinder hätten ihr ganzes Beziehungsnetz in ihrem Heimatland bei den Familienmitgliedern, die sich seit dem Weggang ihrer Mutter um sie gekümmert hätten. Demzufolge sei das Familiennachzugsgesuch abzuweisen.
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Gegen diese Verfügung erhob X.________ Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg und beantragte den Familiennachzug für die drei Kinder B.________, C.________ und D.________. Mit Entscheid vom 6. April 2006 wies das angerufene Gericht die Beschwerde ab.
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C.
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Mit Eingabe vom 23. Mai 2006 führt X.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit den Anträgen, den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg vom 6. April 2006 sowie die Verfügung des kantonalen Amtes für Bevölkerung und Migration vom 18. Oktober 2005 aufzuheben und den drei Kindern B.________, C.________ und D.________ den Familiennachzug zu gewähren.
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Das Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg verweist in seiner Vernehmlassung auf die Erwägungen des angefochtenen Entscheids. Das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesamt für Migration schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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1.1 Nach Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiet der Fremdenpolizei ausgeschlossen gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Gemäss Art. 4 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) entscheidet die zuständige Behörde, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland, nach freiem Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt und Niederlassung. Damit besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Bewilligung, es sei denn, der Ausländer oder seine in der Schweiz lebenden Angehörigen können sich hierfür auf eine Sondernorm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags berufen (BGE 130 II 281 E. 2.1 S. 284; 128 II 145 E. 1.1.1 S. 148 mit Hinweisen).
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1.2 Art. 8 EMRK und Art. 13 BV garantieren den Schutz des Familienlebens. Gestützt darauf ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des um die fremdenpolizeiliche Bewilligung ersuchenden Ausländers oder seiner hier anwesenden nahen Verwandten zulässig, wenn diese über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügen und die familiäre Beziehung tatsächlich gelebt wird und intakt ist (BGE 109 Ib 183; 127 II 60 E. 1d/aa S. 64 f., mit Hinweisen).
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Bei Einreichung des Nachzugsgesuches im Juni 2002 war die Beschwerdeführerin lediglich im Besitze einer Aufenthaltsbewilligung. Da diese auf Art. 7 ANAG beruhte - welche Norm dem ausländischen Ehegatten eines Schweizer Bürgers u.a. einen Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung einräumt -, lag insoweit ein gefestigtes Anwesenheitsrecht vor, welches aufgrund von Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Nachzug der Kinder verschaffen konnte. Dieser konventionsrechtliche Anspruch garantiert jedoch - im Gegensatz zu Art. 17 ANAG, wonach nachgezogene minderjährige Kinder eines niedergelassenen Ausländers sofort eine (unbefristete) Niederlassungsbewilligung erhalten bzw. in die Niederlassungsbewilligung ihrer Eltern einbezogen werden - nur die Gestattung des Aufenthaltes im Rahmen von befristeten Aufenthaltsbewilligungen bis zur Erreichung der Mündigkeit. Aus diesem Grunde stellt die bundesgerichtliche Praxis für die Ansprüche aus Art. 7 und 17 ANAG auf das Alter des Kindes im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung ab (vgl. BGE 129 II 11 E. 2 S. 13 mit Hinweisen). Das aus Art. 8 EMRK ableitbare Anwesenheitsrecht erlischt dagegen mit Erreichen der Mündigkeit, womit zugleich die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde entfällt, welche einen (aktuellen) Rechtsanspruch auf die anbegehrte Bewilligung voraussetzt (BGE 120 Ib 257 E. 1f S. 262 f.).
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Im Zeitpunkt des im Juni 2002 gestellten Nachzugsgesuches konnte sich die Beschwerdeführerin hiefür nicht auf Art. 7 oder Art. 17 ANAG, sondern nur auf Art. 8 EMRK stützen. Bei Einleitung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht (21. November 2005) besass sie zwar bereits - seit dem 9. August 2004 - die Niederlassungsbewilligung, doch war lediglich das jüngste Kind (D.________, geb. ***1989) noch minderjährig. Stellt man (zugunsten der Beschwerdeführerin) auf den Zeitpunkt ab, ab welchem die Ehefrau nach fünfjährigem ordnungsgemässen Aufenthalt in der Schweiz aufgrund von Art. 7 ANAG Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung hatte (13. April 2004), konnte das gesetzliche Nachzugsrecht für die Kinder (mit Anspruch auf Niederlassungsbewilligung) gestützt auf die genannte Gesetzesbestimmung zusätzlich für das zweitjüngste Kind (C.________, geb. ***1986) geltend gemacht werden. In Bezug auf das zweitälteste dritte Kind (B.________, geb. ***1984) konnte es sich nur um Ansprüche aus Art. 8 EMRK handeln, die inzwischen mit Erreichen der Mündigkeit dahingefallen sind und daher nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde bilden können. Ein (gesetzlicher) Anspruch auf Familiennachzug kann nach dem Gesagten heute nur in Bezug auf die beiden jüngsten Kinder geltend gemacht werden, und es ist nur insoweit auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.
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Anfechtungsgegenstand bildet sodann einzig das verwaltungsgerichtliche Urteil (vgl. Art. 98 lit. g in Verbindung mit Art. 98a OG). Soweit die Beschwerdeführerin auch die Aufhebung der Verfügung des kantonalen Amtes für Bevölkerung und Migration vom 18. Oktober 2005 verlangt, ist auf die Beschwerde ebenfalls nicht einzutreten.
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2.
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2.1 Die in der Rechtsprechung zu Art. 7 und 17 ANAG entwickelten Voraussetzungen für den nachträglichen Nachzug von Kindern sind unterschiedlich, je nachdem ob es sich um die Vereinigung mit den gemeinsamen Eltern oder aber mit einem getrennt lebenden Elternteil handelt. Im ersten Fall bedarf es, unter Vorbehalt des Rechtsmissbrauches, keiner besonderen Rechtfertigung dafür, dass das Nachzugsrecht erst nachträglich geltend gemacht wird; im zweiten Fall dagegen wird ein nachträglicher Familiennachzug nur bewilligt, wenn besondere familiäre Gründe bzw. eine Änderung der Betreuungssituation dies gebieten (BGE 130 II 1 E. 2.2 S. 4; 129 II 11 E. 3.1 S. 14 f.; 126 II 329 E.2a und 3b S. 330/332).
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2.2 Das Verwaltungsgericht stützte sich bei der Handhabung von Art. 7 bzw. Art. 17 ANAG auf die für den nachträglichen Nachzug von Kindern getrennt lebender Elternteile entwickelten Regeln. Es kann sich dafür im Grundsatz auf ein Urteil des Bundesgerichts vom 11. Oktober 2002 stützen. Danach kann ein verwitweter bzw. wiederverheirateter Elternteil, der sein Kind jahrelang in der Obhut der Grosseltern oder anderer naher Verwandter gelassen hat, gleich wie ein getrennter oder geschiedener Elternteil nur dann einen Anspruch auf nachträglichen Familiennachzug geltend machen, wenn stichhaltige Gründe bzw. eine Änderung der Betreuungssituation dies gebieten (BGE 129 II 11 E. 3 S. 14 ff.). Das Bundesgericht behielt im genannten Entscheid (E. 3.3) allerdings einen weitergehenden (d.h. nur der Schranke des Rechtsmissbrauches unterworfenen) Nachzugsanspruch des überlebenden Elternteils für den Fall vor, dass zwischen diesem und den im Heimatland zurückgelassenen minderjährigen Kindern eine Familiengemeinschaft bereits bestanden hat, der überlebende Elternteil die Rolle, welche an sich den Eltern gemeinsam zukommt, trotz vorübergehender Betreuung der Kinder durch (nicht zur Kernfamilie gehörende) Dritte auch tatsächlich ausübt und er sich das erneute Zusammenleben mit den Kindern durch seine persönliche Lebensgestaltung erkennbar vorbehalten hat. An diesen Voraussetzungen fehlte es in dem in BGE 129 II 11 beurteilten Fall, wo der überlebende Elternteil mit seinem (unehelichen) Kind, welches nach dem Tod der Mutter von den Grosseltern aufgezogen wurde, praktisch nie zusammengelebt hatte und dieses erst im Alter von 16 Jahren nachziehen wollte.
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2.3 Im hier zu beurteilenden Fall liegen die Dinge wesentlich anders: Die Beschwerdeführerin hat mit ihren auf den Philippinen zurückgelassenen Kindern, die sie seit 1990 (Wegzug des inzwischen verstorbenen Vaters) allein betreute, bis zu ihrer Übersiedlung zu ihrem zweiten Ehemann in die Schweiz während langer Zeit in Familiengemeinschaft gelebt. Sie hat sodann - wie das Schreiben von Z._________ vom 22. Januar 1999 an die kantonale Fremdenpolizeibehörde belegt - von Anfang an zu erkennen gegeben, dass sie nach Massgabe der finanziellen Möglichkeiten einen Nachzug ihrer Kinder anstrebt, und sie hat in der Folge, im Juni 2002, für alle vier Kinder ein Nachzugsgesuch gestellt, dessen Behandlung aus nicht von ihr zu vertretenden Gründen lange verzögert wurde.
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2.4 Das Begehren der Beschwerdeführerin ist daher nach den für zusammenlebende Elternteile geltenden Grundsätzen zu beurteilen (vgl. E. 2.1) und, da von einer missbräuchlichen Geltendmachung des Nachzugsrechts für die beiden jüngeren, unter die Regelung von Art. 17 ANAG fallenden Kinder nicht gesprochen werden kann, in diesem Umfang teilweise gutzuheissen. Dass das Ziel der Vereinigung der Familie damit nicht vollständig und nur mit erheblicher Verzögerung realisiert wird, ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht allein auf das erwähnte, gegen sie geführte Strafverfahren zurückzuführen, sondern ist weitgehend in ihren persönlichen Lebensumständen begründet, nämlich vorab eine Folge dessen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für den Familiennachzug erst nach Ablauf der fünfjährigen Frist gemäss Art. 7 ANAG erfüllt waren und eine Geltendmachung des aus Art. 8 EMRK fliessenden (indirekten) Nachzugsrechtes jedenfalls in der ersten Zeit mangels ausreichender finanzieller Mittel bzw. wegen drohender Fürsorgeabhängigkeit auf Schwierigkeiten stiess (vgl. zur Zulässigkeit einer Verweigerung des Familiennachzugs bei drohender Fürsorgeabhängigkeit BGE 122 II 1 E. 3c S. 8 f.). Gemäss unwidersprochener Darstellung in der Beschwerdeschrift sind die finanziellen Probleme des Ehemannes Z._________ heute gelöst, weshalb keine drohende konkrete Fürsorgeabhängigkeit dem Anspruch auf Nachzug der beiden jüngeren Kinder entgegenstehen könnte.
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3.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach dem Gesagten teilweise gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, und das angefochtene Urteil aufzuheben.
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Hebt das Bundesgericht die angefochtene Verfügung auf, so entscheidet es selbst in der Sache oder weist diese zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück; hat diese als Beschwerdeinstanz entschieden, so kann es die Sache an die Behörde zurückweisen, die in erster Instanz verfügt hat (Art. 114 Abs. 2 OG).
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Vorliegend erscheint es als richtig, dass das Bundesgericht das Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg anweist, den beiden jüngsten Kindern der Beschwerdeführerin (C.________, geb. *** 1986, und D.________, geb. am ***1989) die Niederlassungsbewilligung zu erteilen. Sache des Verwaltungsgerichts wird es sein, über die Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens neu zu befinden; zu diesem Zweck werden die Akten an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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4.
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Damit hat die Beschwerdeführerin nur teilweise obsiegt. Ihr ist daher eine - reduzierte - Gerichtsgebühr aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 und 3 OG). Der Kanton Freiburg ist, da er nicht in Verfolgung von Vermögensinteressen gehandelt hat, von der Pflicht zur Kostentragung befreit (Art. 156 Abs. 2 OG). Er hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor Bundesgericht aber eine - ebenfalls reduzierte - Parteientschädigung auszurichten (Art. 159 Abs. 2 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg vom 6. April 2006, soweit es die beiden jüngsten Kinder der Beschwerdeführerin betrifft, aufgehoben. Das Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg wird angewiesen, den beiden jüngsten Kindern (C.________, geb. ***1986, und D.________, geb. ***1989) die Niederlassungsbewilligung zu erteilen.
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2.
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Die Akten werden an das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg zurückgewiesen zur Neufestsetzung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens.
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3.
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Der Beschwerdeführerin wird eine (reduzierte) Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- auferlegt.
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4.
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Der Kanton Freiburg hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine (reduzierte) Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- auszurichten.
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5.
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Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Freiburg und dem Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg (I. Verwaltungsgerichtshof) sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 27. Oktober 2006
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Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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