Tribunale federale
Tribunal federal
4P.266/2006 /len
{T 0/2}
Urteil vom 13. Dezember 2006
I. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiber Widmer.
Parteien
X.________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Maja Gehrig,
gegen
Y.________ GmbH,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Luc Humbel,
Handelsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer.
Gegenstand
Art. 9 BV (Zivilprozess; Kosten),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer,
vom 15. September 2006.
Sachverhalt:
A.
Die Y.________ GmbH (Beschwerdegegnerin) führt einen Verkaufs- und Montagebetrieb im Bereich Insekten-, Sonnen- und Wetterschutz einschliesslich aller damit in Zusammenhang stehenden Dienstleistungs- und Wartungsarbeiten. A.________ ist als Gesellschafter und Geschäftsführer mit Einzelunterschrift im Handelsregister eingetragen.
Die X.________ AG (Beschwerdeführerin) betreibt eine Autoreparaturwerkstätte sowie eine Autospenglerei mit Autospritzwerk. B.________ ist als Verwaltungsratspräsident mit Einzelunterschrift im Handelsregister eingetragen.
B.
Mit Klage vom 16. Juni 2005 belangte die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin vor dem Handelsgericht des Kantons Aargau auf Bezahlung von Fr. 10'720.-- nebst Zins. Sie begründete ihre Forderung im Wesentlichen damit, dass sie der Beschwerdeführerin Rollläden geliefert und montiert habe. Diese sei ihr trotz Mahnung den Restbetrag des dafür vereinbarten Preises schuldig geblieben.
Die Beschwerdeführerin stellte in ihrer Klageantwort folgende Rechtsbegehren:
1. Auf die Klage sei mangels sachlicher wie örtlicher Zuständigkeit nicht einzutreten.
2. Eventualiter:
Die Klage sei mangels Passivlegitimation abzuweisen.
3. Subeventualiter:
Die Klage sei abzuweisen.
Widerklage:
Die Klägerin sei widerklageweise zu verpflichten, innert richterlich anzusetzender Frist folgende Mängel zu beheben:
(...)."
Ausserdem ersuchte sie darum, die Replik und Duplik vorläufig auf die Fragen der Zuständigkeit sowie der Sachlegitimation zu beschränken.
Den Antrag auf Abweisung der Klage begründete die Beschwerdeführerin zunächst damit, dass nicht ein Werkvertrag zwischen der Beschwerdegegnerin und ihr, sondern zwischen der Beschwerdegegnerin und B.________ geschlossen worden sei. Ihr fehle damit die Passivlegitimation. Falls das Gericht ihr insoweit nicht folgen sollte, sei die Klage abzuweisen, weil die Bauherrschaft die Behebung von Mängeln verlangt und die Beschwerdegegnerin die verlangten Nachbesserungen nicht ausgeführt habe. Sie sei daher berechtigt, die Bezahlung des noch ausstehenden Betrages zurückzubehalten. Die Widerklage begründete die Beschwerdeführerin ebenfalls mit ihrem Anspruch auf Behebung der Mängel.
Mit Verfügung vom 15. Dezember 2005 beschränkte der Instruktionsrichter das Verfahren auf die Fragen der Zuständigkeit und der Legitimation. Im zweiten Schriftenwechsel hielten die Parteien im Wesentlichen an ihren Begehren fest.
Am 15. September 2006 wies das Handelsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, die Klage (Ziffer 1 des Dispositivs) und die Widerklage ab (Ziffer 2). Die Gerichtskosten auferlegte es den Parteien je zur Hälfte und die Parteikosten schlug es wett (Ziffern 3 und 4). Das Handelsgericht bejahte seine örtliche und sachliche Zuständigkeit. Hingegen sei nicht erwiesen und auch nach dem Vertrauensprinzip nicht anzunehmen, dass die Beschwerdegegnerin den Vertrag über die Lieferung und Montage der Rollläden mit der Beschwerdeführerin geschlossen habe. Vertragspartei sei vielmehr B.________ persönlich. Das Handelsgericht wies daher die Klage mangels Passivlegitimation der Beschwerdeführerin ab. Entsprechend wies es auch die Widerklage mangels Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin ab. Bei der Kostenverteilung berücksichtigte es, dass sowohl die Klage als auch die Widerklage abgewiesen wurden, weshalb die Gerichtskosten hälftig aufzuteilen und die Parteikosten wettzuschlagen seien.
C.
Die Beschwerdeführerin beantragt mit staatsrechtlicher Beschwerde, die Ziffern 2, 3 und 4 des Urteils des Handelsgerichts vom 15. September 2006 aufzuheben und die Streitsache zur Neubeurteilung insbesondere der Gerichts- und Parteikostenverteilung im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen an das Handelsgericht zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Handelsgericht verzichtete auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die Beschwerdeführerin rügt, das Handelsgericht habe die subeventuell gestellte Widerklage willkürlich als normale Widerklage beurteilt. Sie habe verkannt, dass die Widerklage nur für den Fall erhoben worden sei, dass das Handelsgericht die bestrittene Hauptklage gutheissen würde. Bei Abweisung der Hauptklage sei auf die eventuelle Widerklage nicht einzutreten. Das Handelsgericht habe die Hauptklage abgewiesen, sei aber trotzdem auf die subeventuell gestellte Widerklage eingetreten und habe diese abgewiesen, obwohl die Beschwerdeführerin für den Fall der Klagabweisung mangels Passivlegitimation gar kein Widerklagebegehren gestellt habe und auf die Widerklage deshalb nicht einzutreten gewesen wäre. Damit habe das Handelsgericht die ZPO/AG, insbesondere § 180 Abs. 3 ZPO/AG falsch angewendet und somit gegen das Willkürverbot verstossen.
1.2 Eine Widerklage kann auch bloss eventuell erhoben werden, für den Fall der Gutheissung der Hauptklage (Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 8. Aufl., Bern 2006, S. 200 N. 51 und S. 240 N. 51; Max Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich 1979, S. 219; Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons Bern, 5. Aufl., Bern 2000, N. 2g zu Art. 170 ZPO/BE). Die aargauische Zivilprozessordnung sieht die Eventualwiderklage ausdrücklich vor: Nach § 180 Abs. 3 ZPO/AG ist eine bedingte Widerklage für den Fall, dass die Klage gutgeheissen wird, zulässig. Wird die Hauptklage abgewiesen, wird auf die eventuelle Widerklage nicht eingetreten (Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Aarau 1998, N. 18 zu § 180 ZPO/AG).
1.3 Rechtsbegehren sind nach Treu und Glauben auszulegen, insbesondere im Lichte der dazu gegebenen Begründung (BGE 105 II 149 E. 2a; ferner: BGE 125 III 412 E. 1b S. 414; 123 IV 125 E. 1). Die Beschwerdeführerin führte zwar nicht explizit an, dass sie die Widerklage nur für den Fall der Gutheissung der Hauptklage erhebe. Dass eine Eventualwiderklage gemeint war, ergibt sich aber klar aus der Darstellung der Rechtsbegehren und aus dem Inhalt der Widerklage. Erst die Zusprechung der bestrittenen Bezahlung des restlichen Werkpreises bildete die Grundlage für die widerklageweise Geltendmachung der Nachbesserungsschuld der Beschwerdegegnerin. Überdies erklärte die Beschwerdeführerin ausdrücklich, dass die Ausführungen, mit denen die Klage aus anderen Gründen als der fehlenden Passivlegitimation bestritten und mit denen die Widerklage begründet wurde, nur für den Fall erfolgten, dass sowohl die Zuständigkeit wie auch die Sachlegitimation bejaht werden sollten.
1.4 Das Hauptbegehren der Beschwerdeführerin lautete auf Nichteintreten auf die Klage zufolge Unzuständigkeit des Handelsgerichts. Eventualiter, mithin für den Fall, dass das Handelsgericht seine Zuständigkeit bejahen und auf die Klage eintreten würde, stellte sie den Antrag auf Abweisung der Klage. Dabei hielt sie die Klage schon deshalb für unbegründet, weil sie nicht passivlegitimiert sei. Diese Ansicht fasste sie in ein separates Rechtsbegehren auf Abweisung der Klage mangels Passivlegitimation und stellte dementsprechend den Antrag auf einstweilige Beschränkung des Prozesses auf die Fragen der Zuständigkeit und der Sachlegitimation. Die Beschwerdeführerin verkannte nicht, dass die Widerklage von vornherein keinen Erfolg haben könnte, wenn ihre Passivlegitimation verneint werden sollte, somit nicht von einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien auszugehen sein würde. Sie war sich offensichtlich bewusst, dass sie in diesem Fall ihrerseits nicht dazu aktivlegitimiert wäre, vertragliche Ansprüche gegen die Beschwerdegegnerin einzuklagen. Sie erhob daher die Widerklage bloss im Rahmen des - subeventuell - gestellten Begehrens auf Abweisung der Klage (aus anderen Gründen als der fehlenden Passivlegitimation).
Die Widerklage der Beschwerdeführerin war mithin nicht nur bedingt durch die Gutheissung der Hauptklage der Beschwerdegegnerin, sondern in der Rangfolge der von der Beschwerdeführerin gestellten Begehren auch subsidiär zu den Anträgen auf Nichteintreten bzw. Abweisung mangels Passivlegitimation, auf welche Fragen der Prozess beschränkt wurde. Es erscheint daher fraglich, ob das Handelsgericht über die solchermassen bedingte und erst mit dem Subeventualbegehren verbundene Widerklage überhaupt zu befinden hatte. Wenn schon, hätte es auf die Eventualwiderklage nicht eintreten sollen, nachdem die Hauptklage abgewiesen wurde (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N. 18 zu § 180 ZPO/AG). Dies rügt die Beschwerdeführerin zu Recht.
2.
Weiter beanstandet die Beschwerdeführerin die Kostenverteilung im angefochtenen Entscheid.
2.1 Das Handelsgericht erwog, die Gerichtskosten seien nach Massgabe des Obsiegens und Unterliegens auf die Parteien zu verteilen (§ 112 ZPO/AG). In einem Prozess mit Widerklage sei nach Bühler/Edelmann/Killer (a.a.O., N. 7 zu § 112 ZPO/AG) für die Kostenverteilung davon auszugehen, dass die Prozesskosten grundsätzlich je zur Hälfte getragen würden. Diese hälftige Kostenverteilung sei nach Massgabe des Obsiegens und Unterliegens zu korrigieren. Da sowohl die Klage als auch die Widerklage abgewiesen würden, hätten die Parteien die Gerichtskosten je hälftig zu übernehmen und ihre Parteikosten selber zu tragen.
2.2 Die Beschwerdeführerin anerkennt diesen Grundsatz der Kostenverteilung. Er gelte jedoch nicht für subeventuell gestellte Widerklagen. Eventualbegehren seien ausser Betracht zu lassen, soweit das Hauptbegehren geschützt würde.
2.3 Es trifft zu, dass bei der Kostenverteilung Eventualbegehren nicht in Betracht fallen, soweit das Hauptbegehren geschützt oder anerkannt wird (Guldener, a.a.O., S. 406 Fn. 6; Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N. 9 zu § 112 ZPO/AG).
Die Beschwerdeführerin unterlag zwar mit ihrem Hauptbegehren, das auf Nichteintreten lautete. Insoweit liegt nicht die Konstellation vor, dass der Hauptantrag geschützt wird und daher Eventualbegehren ausser Betracht bleiben können. Hingegen obsiegte die Beschwerdeführerin vollumfänglich mit ihrem Eventualbegehren auf Abweisung der Klage mangels Passivlegitimation. Bezogen auf diesen Antrag bildete das Subeventualbegehren, mit dem die Widerklage verbunden war, ein Eventualbegehren, das für die Kostenverteilung ausser Betracht zu lassen war.
Dies hat das Handelsgericht verkannt. Die bloss mit dem Subeventualbegehren verbundene Widerklage hätte, nachdem der übergeordnete Eventualantrag der Beschwerdeführerin vollumfänglich durchdrang, für die Frage des Obsiegens und Unterliegens nicht in Betracht gezogen werden dürfen. Indem das Handelsgericht der Beschwerdeführerin trotz ihres vollumfänglichen Obsiegens die Hälfte der Gerichtskosten auferlegte und eine Parteientschädigung versagte, hat es § 112 ZPO/AG willkürlich angewendet und die Kosten im Ergebnis willkürlich verteilt.
3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Ziffern 2, 3 und 4 des angefochtenen Urteils sind aufzuheben. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdegegnerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und die Ziffern 2, 3 und 4 des Urteils des Handelsgerichts des Kantons Aargau vom 15. September 2006 werden aufgehoben.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.- wird der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. Dezember 2006
Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: