Tribunale federale
Tribunal federal
{T 7}
I 479/06
Urteil vom 25. Januar 2007
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Durizzo.
Parteien
A.________, 1955,
Beschwerdeführerin, vertreten durch den Procap, Schweizerischer Invaliden-Verband,
Froburgstrasse 4, 4600 Olten,
gegen
IV-Stelle des Kantons Solothurn,
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 24. April 2006.
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 12. Januar 2005 und Einspracheentscheid vom 24. März 2005 lehnte die IV-Stelle des Kantons Solothurn das Rentengesuch der A.________, geboren 1955, vom 19. Februar 2004 ab.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 24. April 2006 ab.
C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides und des Einspracheentscheides der IV-Stelle sei ihr eine Invalidenrente (sowie Verzugszinsen) zuzusprechen; eventualiter sei die Angelegenheit zu weiteren Abklärungen an die IV-Stelle zurückzuweisen.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Mit diesem Gesetz ist die bisherige organisatorische Selbstständigkeit des Eidgenössischen Versicherungsgerichts aufgehoben und dieses mit dem Bundesgericht fusioniert worden (Seiler in: Seiler/ von Werdt/Güngerich, Kommentar zum BGG, Art. 1 N 4 und Art. 132 N 15). Das vorliegende Urteil wird daher durch das Bundesgericht gefällt. Weil der angefochtene Entscheid jedoch vor dem 1. Januar 2007 ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach dem bis zum 31. Dezember 2006 in Kraft gewesenen Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; Art. 131 Abs. 1 und 132 Abs. 1 BGG; in BGE 132 V 395 Erw. 1.2).
2.
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Bundesgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 gilt indessen bisheriges Recht für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Gericht hängigen Beschwerden. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Gericht hängig war, richtet sich dessen Kognition noch nach Art. 132 Abs. 1 OG.
3.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der Invalidität (Art. 8 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG), zur Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG; zu Art. 28 Abs. 2 IVG [in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2002]: vgl. auch BGE 128 V 30 f. Erw. 1 mit Hinweisen) und zum Beweiswert von medizinischen Berichten (BGE 125 V 352 Erw. 3, 122 V 160 Erw. 1c mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
4.
Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin an einer invalidisierenden somatoformen Schmerzstörung beziehungsweise Fibromyalgie leidet (zur Vergleichbarkeit der beiden Diagnosen bezüglich der Invalidisierung BGE 132 V 65).
Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit können in gleicher Weise wie körperliche Gesundheitsschäden eine Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 ATSG bewirken. Nicht als Folgen eines psychischen Gesundheitsschadens und damit invalidenversicherungsrechtlich nicht als relevant gelten Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit, welche die versicherte Person bei Aufbietung allen guten Willens, die verbleibende Leistungsfähigkeit zu verwerten, abwenden könnte; das Mass des Forderbaren wird dabei weitgehend objektiv bestimmt (BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 V 298 Erw. 4c in fine).
Die Annahme eines psychischen Gesundheitsschadens, so auch einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, setzt zunächst eine fachärztlich (psychiatrisch) gestellte Diagnose nach einem wissenschaftlich anerkannten Klassifikationssystem voraus (BGE 130 V 398 ff. Erw. 5.3 und Erw. 6). Wie jede andere psychische Beeinträchtigung begründet indes auch eine diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung als solche noch keine Invalidität. Vielmehr besteht eine Vermutung, dass die somatoforme Schmerzstörung oder ihre Folgen mit einer zumutbaren Willensanstrengung überwindbar sind. Bestimmte Umstände, welche die Schmerzbewältigung intensiv und konstant behindern, können den Wiedereinstieg in den Arbeitsprozess unzumutbar machen, weil die versicherte Person alsdann nicht über die für den Umgang mit den Schmerzen notwendigen Ressourcen verfügt. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, entscheidet sich im Einzelfall anhand verschiedener Kriterien. Im Vordergrund steht die Feststellung einer psychischen Komorbidität von erheblicher Schwere, Ausprägung und Dauer. Massgebend sein können auch weitere Faktoren, so: chronische körperliche Begleiterkrankungen; ein mehrjähriger, chronifizierter Krankheitsverlauf mit unveränderter oder progredienter Symptomatik ohne längerdauernde Rückbildung; ein sozialer Rückzug in allen Belangen des Lebens; ein verfestigter, therapeutisch nicht mehr beeinflussbarer innerseelischer Verlauf einer an sich missglückten, psychisch aber entlastenden Konfliktbewältigung (primärer Krankheitsgewinn; "Flucht in die Krankheit"); das Scheitern einer konsequent durchgeführten ambulanten oder stationären Behandlung (auch mit unterschiedlichem therapeutischem Ansatz) trotz kooperativer Haltung der versicherten Person (BGE 130 V 352). Je mehr dieser Kriterien zutreffen und je ausgeprägter sich die entsprechenden Befunde darstellen, desto eher sind - ausnahmsweise - die Voraussetzungen für eine zumutbare Willensanstrengung zu verneinen (Meyer-Blaser, Der Rechtsbegriff der Arbeitsunfähigkeit und seine Bedeutung in der Sozialversicherung, in: Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, St. Gallen 2003, S. 77).
Beruht die Leistungseinschränkung auf Aggravation oder einer ähnlichen Konstellation, liegt regelmässig keine versicherte Gesundheitsschädigung vor (siehe Meyer-Blaser, a.a.O., S. 92 f.). Eine solche Ausgangslage ist etwa gegeben, wenn: eine erhebliche Diskrepanz zwischen den geschilderten Schmerzen und dem gezeigten Verhalten oder der Anamnese besteht; intensive Schmerzen angegeben werden, deren Charakterisierung jedoch vage bleibt; keine medizinische Behandlung und Therapie in Anspruch genommen wird; demonstrativ vorgetragene Klagen auf den Sachverständigen unglaubwürdig wirken; schwere Einschränkungen im Alltag behauptet werden, das psychosoziale Umfeld jedoch weitgehend intakt ist (siehe Kopp/Willi/Klipstein, Im Graubereich zwischen Körper, Psyche und sozialen Schwierigkeiten, in: Schweizerische Medizinische Wochenschrift 1997, S. 1434, mit Hinweis auf eine grundlegende Untersuchung von Winckler und Foerster; zum Ganzen: BGE 131 V 49).
5.
Das kantonale Gericht hat das von der Verwaltung eingeholte Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) vom 9. November 2004, die von der Beschwerdeführerin in Auftrag gegebene Expertise der Frau med. prakt. S.________, Fachärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 23. Mai 2005 sowie den Bericht der Frau Dr. med. H.________, Chefärztin an der Klinik B.________, wo die Beschwerdeführerin vom 18. Juli bis zum 25. August 2005 hospitalisiert war (Bericht vom 25. August 2005), einlässlich und sorgfältig gewürdigt und ist zum Schluss gelangt, dass auf die Stellungnahme der MEDAS-Ärzte abzustellen sei. Demnach ist die Arbeitsfähigkeit aus rheumatologischen Gründen um 20 % eingeschränkt.
Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, vermag an dieser zutreffenden Beurteilung, auf welche vollumfänglich verwiesen wird, nichts zu ändern. So wird mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Wesentlichen angeführt, dass der bei der MEDAS-Begutachtung mitwirkende Psychiater die Beschwerdeführerin nur ungenügend exploriert habe, dass sie damals eingeschüchtert worden sei und deshalb schwere und belastende Ereignisse unerwähnt gelassen habe. Unter Berufung auf die Einschätzung der Frau med. prakt. S.________ sowie der Frau Dr. med. H.________ macht die Versicherte eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit - zumindest bis Ende September 2005 - geltend.
Indessen attestieren beide Ärztinnen der Versicherten eine vollständige Arbeitsunfähigkeit erst ab April 2005, somit nach Erlass des Einspracheentscheides vom 24. März 2005, welcher Zeitpunkt für die richterliche Überprüfungsbefugnis massgebend ist (BGE 129 V 169 Erw. 1 mit Hinweis). Dabei stellt Frau Dr. med. H.________ fest, es sei ihr nicht möglich, retrospektiv zur Arbeitsunfähigkeit Stellung zu nehmen, während Frau med. prakt. S.________ berichtet, dass es nach der Ablehnung des Rentengesuchs zufolge von Existenzängsten zu einer zunehmenden depressiven Verstimmung gekommen sei. Beim ersten Explorationsgespräch (am 9. Februar 2005) habe sich die Versicherte selber noch eine Erwerbstätigkeit zugetraut. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass schon vor Erlass des Einspracheentscheides neben der somatoformen Schmerzstörung ein psychisches Leiden mit der geforderten erheblichen Schwere, Ausprägung und Dauer vorlag, welches zu einer Invalidisierung hätte führen können.
Dem Einwand, der begutachtende MEDAS-Psychiater habe solche Beschwerden nicht erkannt, weil er über belastende Ereignisse in Kindheit und Jugend der Beschwerdeführerin nicht informiert gewesen sei, ist zudem zu entgegnen, dass auch die durchgeführten Tests lediglich drei von maximal 60 Punkten (auf der Montgomery-Asperg Depression Rating Scale MADRS) ergaben, wobei eine leichte Depression bei 10-20 Punkten vorliegt.
6.
In erwerblicher Hinsicht wird die Höhe des von der Verwaltung gestützt auf die Salärempfehlungen des Kaufmännischen Verbandes Schweiz ermittelten Invalideneinkommens gerügt. Die Vorinstanz hat indessen einlässlich begründet, weshalb das mittlere Salär der Funktionsstufe C heranzuziehen ist und weshalb es sich nicht rechtfertigt, vom Minimum auszugehen. Des Weiteren hat sie zum Vergleich die Tabellenlöhne gemäss der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2004 beigezogen. Demnach beliefen sich die Frauenlöhne im Kredit- und Versicherungsgewerbe, Anforderungsniveau 3 (Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt), auf Fr. 5753.-, was umgerechnet auf die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit von 41,5 Stunden (Die Volkswirtschaft, 2005 Heft 12, S. 94, Tabelle B 9.2, Kredit- und Versicherungsgewerbe) ein Jahreseinkommen von Fr. 71'625.- für ein Vollpensum, für ein 80%-Pensum Fr. 57'300.- ergibt. Selbst wenn man diesen Tabellenlohn wie beantragt um einen leidensbedingten Abzug von 15 % reduziert (dazu BGE 126 V 79 f. Erw. 5b), resultiert aus dem Vergleich des entsprechenden Invalideneinkommens von Fr. 48'705.- mit dem unbestrittenen Validenlohn von Fr. 77'778.- ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von 37 %.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, der Ausgleichskasse für das schweizerische Bankgewerbe, Zürich, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 25. Januar 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: