Tribunale federale
Tribunal federal
{T 7}
I 803/06
Urteil vom 21. Februar 2007
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Kernen,
Gerichtsschreiber Wey.
Parteien
H.________, 1959,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Altermatt, Neuarlesheimerstrasse 15, 4143 Dornach,
gegen
IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
vom 1. März 2006.
Sachverhalt:
A.
Gestützt auf einen Beschluss der IV-Kommission des Kantons St. Gallen vom 18. September 1992 erhielt H.________ durch Verfügungen der Ausgleichskasse Wirte vom 30. Oktober 1992 (zufolge Änderung der Berechnungsgrundlagen ersetzt durch Verfügungen vom 30. April 1993) mit Wirkung ab 1. März 1991 eine ganze und ab 1. September 1991 eine halbe Invalidenrente zugesprochen.
Im Anschluss an ein am 24. Oktober 1996 durch die nunmehr zuständige IV-Stelle des Kantons Basel-Landschaft eingeleitetes Rentenrevisionsverfahren blieb es beim Bezug der halben Invalidenrente.
Unter Hinweis auf ein Betreffnis "Gesuch vom 24. Oktober 1996" erliess die IV-Stelle Basel-Landschaft am 26. November 2004 eine Verfügung, mit welcher sie die "Rentenzahlungen (...) per sofort" einstellte, weil die Versicherte sich einer zumutbaren Untersuchung im Spital X.________ widersetzt habe. Die hiegegen eingereichte Einsprache vom 8. Dezember 2004 lehnte die IV-Stelle nach Beizug eines gutachtlichen Berichts der Orthopädischen Klinik, Spital X.________, vom 14. Mai 2005 ab (Einspracheentscheid vom 12. Juli 2005).
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, mit Entscheid vom 1. März 2006 (eröffnet am 21. August 2006) ab.
C.
H.________ reicht (am 15. September 2006) Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und es sei die unentgeltliche Rechtspflege (Befreiung von den Gerichtskosten, unentgeltliche Verbeiständung) zu gewähren.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen sehen von einer Vernehmlassung ab.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
2.
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 Abs. 2 OG [in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG, in Kraft seit 1. Juli 2006] in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
3.
Das kantonale Gericht erwog, ob eine anspruchserhebliche (zur Revision nach Art. 17 ATSG oder Art. 41a HIVG führende Rentenrevision) Tatsachenänderung eingetreten sei, beurteile sich durch Vergleich des Sachverhalts, wie er im Zeitpunkt der ursprünglichen Rentenverfügung bestanden habe mit demjenigen zur Zeit der Neubeurteilung (Hinweis auf BGE 125 V 368 E. 2 S. 369). In tatsächlicher Hinsicht ging das kantonale Gericht davon aus, dass die IV-Stelle im Oktober 1996 von Amtes wegen eine erste Revision des Rentenanspruchs eingeleitet und diesen nach Durchführung der erforderlichen Abklärungen bestätigt habe. Die Renteneinstellungsverfügung vom 26. November 2004 und den Einspracheentscheid vom 12. Juli 2005 betrachtete die Vorinstanz als im Rahmen eines zweiten im November 2002 von Amtes wegen eingeleiteten Revisionsverfahrens ergangen. Demnach beurteile sich die Frage, ob eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten sei, welche die revisionsweise Aufhebung der bis anhin ausgerichteten Rente rechtfertige, "durch Vergleich des Sachverhalts, wie er im Zeitpunkt der ursprünglichen Rentenverfügung im September 1992 (Zusprechung einer halben Invalidenrente rückwirkend ab 1. September 1991) bestanden habe, mit demjenigen im Zeitpunkt des strittigen Einspracheentscheides vom 12. Juli 2005 (Aufhebung der Rente per sofort)".
Entgegen diesen rechtlichen Erwägungen ging jedoch die Vorinstanz der Frage, ob sich im Falle der Beschwerdeführerin die Verhältnisse zwischen 1992 und 2005 so gebessert haben, dass sich die Aufhebung der laufenden halben Invalidenrente rechtfertigt, nicht nach. Dies erklärt sich damit, dass die Vorinstanz die einspracheentscheidweise bestätigte sofortige Renteneinstellung gemäss Verfügung vom 26. November 2004 zufolge Widersetzlichkeit (gestützt auf Art. 21 Abs. 4 ATSG) schützte und - nachdem sich die Beschwerdeführerin der geforderten Abklärung im Spital X.________ unterzogen hatte - die Rentenaufhebung lediglich unter dem Blickwinkel der Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) prüfte. Diesbezüglich gelangte die Vorinstanz zunächst zum "Zwischenergebnis, dass der Invaliditätsgrad der Versicherten in der Rentenverfügung vom 18. September 1992 in mehrfacher Hinsicht nicht nach Massgabe der rechtlichen Vorgaben ermittelt worden" sei; falls "eine korrekt vorgenommene Invaliditätsbemessung ergibt, dass die seinerzeitige Zusprechung einer halben IV-Rente auch im Ergebnis zweifellos unrichtig war, sind daher die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung dieser nicht richterlich beurteilten Verfügung gegeben". In der Folge stellte das kantonale Gericht gestützt auf den Einspracheentscheid vom 12. Juli 2005 fest, dass die Versicherte "im massgebenden Zeitpunkt der Leistungseinstellung (26. November 2004) (...) in einer leidensangepassten Tätigkeit, d.h. einer leichteren körperlichen Arbeit ohne Heben von Gegenständen über 10 kg sowie unter Vermeidung repetitiver Tätigkeit mit der rechten Hand, wie z. B. einer Bürotätigkeit oder administrativer Tätigkeiten zu 100 % arbeitsfähig zu erachten ist".
4.
Wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingewendet wird, verletzt diese Verfahrensweise Bundesrecht (Art. 104 lit. a OG).
4.1 Zum einen ist das kantonale Gericht in aktenwidriger Weise von zwei in den Jahren 1996 und 2002 eingeleiteten Rentenrevisionsverfahren ausgegangen. Diese Annahme ist offensichtlich unrichtig, findet sich doch in den gesamten Akten keine Verfügung oder Mitteilung, mit welcher das 1996 eingeleitete Rentenrevisionsverfahren jemals zum Abschluss gebracht worden wäre. Gegenteils nimmt die Renteneinstellungsverfügung vom 26. November 2004 ausdrücklich auf ein Gesuch vom 24. Oktober 1996 Bezug. Träfe die vorinstanzliche Annahme zu, so würde sich im Übrigen der massgebliche Prüfungszeitraum auf Grund der neuesten Rechtsprechung verschieben. Im zur Publikation in BGE 132 V bestimmten Urteil I 465/05 vom 6. November 2006 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht - in Anlehnung an die Praxis zur Neuanmeldung (Art. 87 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3 IVV; BGE 130 V 71) - seine Rechtsprechung, auf welche sich die Vorinstanz beruft, geändert. Massgeblicher Vergleichszeitpunkt ist danach neu die letzte rechtskräftige Verfügung, welche auf einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Durchführung eines Einkommensvergleichs beruht.
4.2 Zum andern verkennt das kantonale Gericht den ständiger Praxis entsprechenden Grundsatz, dass sich die Frage nach der zweifellosen Unrichtigkeit als Voraussetzung für die Wiedererwägung im Sinne von Art. 53 Abs. 2 ATSG nach der Sach- und Rechtslage beurteilt, welche bestand, als die ursprüngliche Rentenverfügung erging (BGE 125 V 383 E. 3 S. 389; in ZAK 1987 S. 36 nicht publizierte E. 2b des Urteils vom 20. August 1986; Urteile vom 18. März 2003, E. 4.2 [I 722/02], vom 19. Dezember 2002, E. 3.2 [I 222/02]). Da die Vorinstanz keine Feststellungen getroffen hat, welche die Rechtsfrage nach der zweifellosen Unrichtigkeit der 1992 zugesprochenen Rente zu beantworten erlauben, ist der rechtserhebliche Sachverhalt unvollständig im Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG festgestellt. Weil es für die ausschlaggebende Frage nach der zweifellosen Unrichtigkeit der ursprünglichen Rentenverfügung einer Vielzahl von Feststellungen medizinischer und beruflich-erwerblicher Natur bedarf, ist es nicht Sache des Bundesgerichts, diese anstelle der Vorinstanz zu treffen. Die Sache ist vielmehr zu diesem Zweck an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es die Wiedererwägung der ursprünglichen Rentenverfügung unter dem Gesichtswinkel der zweifellosen Unrichtigkeit auf der Grundlage eines vollständig festgestellten Sachverhaltes beurteile.
5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens obsiegt die Beschwerdeführerin. Die Gerichtskosten sind daher von der Beschwerdegegnerin als unterliegende Gegenpartei zu tragen (Art. 156 OG), welche der Versicherten zudem eine Parteientschädigung für das letztinstanzliche Verfahren zu bezahlen hat (Art. 159 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist daher gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der vorinstanzliche Entscheid vom 1. März 2006 aufgehoben und die Sache an das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, zurückgewiesen wird, damit es im Sinne der Erwägungen verfahre.
2.
Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Basel-Landschaft und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 21. Februar 2007
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: