Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
4C.428/2006 /len
Urteil vom 8. März 2007
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiberin Hürlimann.
Parteien
A.________,
Kläger und Berufungskläger,
vertreten durch Advokat Stefan Hofer,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA),
Beklagte und Berufungsbeklagte,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Ineichen.
Gegenstand
Quotenvorrecht,
Berufung gegen den Entscheid der Obergericht des Kantons Luzern, I. Kammer als Beschwerdeinstanz,
vom 17. Oktober 2006.
Sachverhalt:
A.
A.________ (Kläger) ist seit der Kollision seines Personenwagens mit einem Lastwagen mit französischen Kennzeichen auf französischem Staatsgebiet am 14. April 1989 vollständig invalid.
Neben der von der IV bezahlten Rente sprach die SUVA (Beklagte) dem Kläger eine Komplementärrente zu, wobei sie den für die Berechnung massgebenden versicherten Jahresverdienst auf Fr. 39'600.-- festsetzte. Das Begehren des Klägers, die Komplementärrente auf der Grundlage eines versicherten Jahresverdienstes von Fr. 78'000.-- zu berechnen, wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn ab. Die dagegen beim Eidgenössischen Versicherungsgericht eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde blieb erfolglos (Urteil U 282/99 vom 30. November 2001).
Mit rechtskräftigem Urteil vom 30. September 2004 wies das Tribunal de Grande Instance de Mulhouse die Schadenersatzklage des Klägers gegen die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers mit der Begründung ab, der nach französischem Recht zu berechnende Schaden des Klägers sei durch die Leistungen der SUVA vollständig gedeckt worden ("dit que le recours de la SUVA a absorbé l'intégralité du préjudice subi par M. A.________; En conséquence déboute M. A.________ des fins de sa demande de dommages-intérêts").
B.
Am 4. Juli 2005 reichte der Kläger Teilklage beim Amtsgericht Luzern-Stadt ein und beantragte, die Beklagte sei zu verurteilen, ihm Fr. 20'000.-- zuzüglich 5 % Zins ab Klageeinreichung zu bezahlen. Mit Entscheid vom 12. Juni 2006 trat das Amtsgericht auf die Klage mit der Begründung nicht ein, die Streitsache sei bereits durch das Tribunal de Grande Instance de Mulhouse rechtskräftig entschieden worden.
C.
Der Kläger focht den Entscheid des Amtsgerichts am 20. Juli 2006 mit Nichtigkeitsbeschwerde, eventuell Appellation an. Das Obergericht des Kantons Luzern nahm das Rechtsmittel als Nichtigkeitsbeschwerde entgegen und wies diese mit Entscheid vom 17. Oktober 2006 ab, soweit es darauf eintrat.
D.
Gegen das Urteil des Obergerichts reichte der Kläger gleichzeitig Berufung und staatsrechtliche Beschwerde ein. Mit der Berufung beantragt er dem Bundesgericht, die Urteile des Amtsgerichts Luzern-Stadt vom 12. Juni 2006 und des Obergerichts des Kantons Luzern vom 17. Oktober 2006 seien aufzuheben. Die Akten seien an das Obergericht zurückzuweisen zum Neuentscheid über die Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens und zur Rückweisung der Sache ans Amtsgericht mit der Weisung, auf die Klage einzutreten und ein Sachurteil zu sprechen. Er macht geltend, das Obergericht habe Bundesrecht verletzt, indem es die Einrede der abgeurteilten Sache geschützt habe.
Die Beklagte beantragt, die Berufung sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei, und der Entscheid des Obergerichts vom 17. Oktober 2006 sowie der Entscheid des Amtsgerichts Luzern-Stadt vom 12. Juni 2006 seien zu bestätigen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG, SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006, 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach dem OG (Art. 132 Abs. 1 BGG).
2.
Wird ein kantonales Urteil gleichzeitig mit staatsrechtlicher Beschwerde und mit Berufung angefochten, wird die Entscheidung über letztere in der Regel bis zur Erledigung der staatsrechtlichen Beschwerde ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5 OG). Die Aussetzung rechtfertigt sich jedoch nicht, wenn der Entscheid in der Sache selbst zum vornherein nicht vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens abhängt (Poudret/Sandoz, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. II, N. 5 zu Art. 57 OG). Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unter anderem dann der Fall, wenn sich die Berufung als unzulässig erweist (BGE 117 II 631 E. 1a S. 631; 93 IV 49 E. I S. 52).
3.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition die Zulässigkeit der ihm unterbreiteten Rechtsmittel (BGE 132 III 291 E. 1 S. 292; 131 I 153 E. 1 S. 156; 131 II 571 E. 1 S. 573). Der Kläger verlangt von der SUVA unter Vorbehalt der Mehrforderung die Zahlung von Fr. 20'000.--. Zur Begründung führt er aus, die Frage, wie die von der französischen Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers geleisteten Schadenersatzbeiträge auf die SUVA, die IV und den Kläger zu verteilen seien, sei nach schweizerischem Recht zu beurteilen. Er habe kraft seines Quotenvorrechts Anspruch auf einen Teil der Schadenersatzzahlung, die die Haftpflichtversicherung der SUVA geleistet habe, weil eine Schadensberechnung nach schweizerischem Recht - anders als nach französischem Recht - Schadenersatzbeträge ergebe, die die Summe der Leistungen der IV und der SUVA überstiegen.
3.1 Die Berufung ist zulässig in Zivilsachen bzw. Zivilrechtsstreitigkeiten ( Art. 44, 45 und 46 OG ). Unter einer Zivilrechtsstreitigkeit versteht die Rechtsprechung ein kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei oder mehreren natürlichen oder juristischen Personen in ihrer Eigenschaft als Trägerinnen privater Rechte oder zwischen solchen Personen und einer Behörde, die nach Bundesrecht die Stellung einer Partei einnimmt. Entscheidend ist dabei, dass die Parteien nach ihren Rechtsbegehren und Sachvorbringen Ansprüche des Bundeszivilrechts erhoben haben und ebensolche objektiv streitig sind (BGE 128 III 250 E. 1a S. 252 mit Verweisen).
3.2 Der Kläger macht als versicherte Person gestützt auf einen Unfall Ansprüche gegen die SUVA geltend. Diese Ansprüche sind im Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) vom 20. März 1981 (SR 832.20) geregelt. Sie sind öffentlich-rechtlicher Natur (zum Quotenvorrecht vgl. Art. 73 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG] vom 6. Oktober 2000 [SR 830.1]) und können zwischen dem Versicherten und dem Sozialversicherer kein privatrechtliches Rechtsverhältnis begründen. Im Übrigen verkennt der Kläger das Prinzip des Quotenvorrechts. Dieses besagt, dass dem Geschädigten im Fall einer Subrogation Priorität gegenüber dem Regressrecht des Versicherers zukommt, der seinen Anspruch erst durchsetzen kann, wenn der Geschädigte vollständig entschädigt worden ist (BGE 117 II 609 E. 11c S. 627; Urteil 4C.62/2005 vom 1. November 2005, E. 5.1, publ. in: Pra 2006, Nr. 93, S. 662). Das Privileg des Quotenvorrechts dient nicht dazu, den Geschädigten zu bereichern, weshalb es nur zur Anwendung kommt, wenn ein Teil des Schadens ungedeckt bleibt (BGE 131 III 12 E. 7.1 S. 16 mit Hinweisen). Der Kläger bestreitet nicht, dass das Tribunal de Grande Instance de Mulhouse rechtskräftig festgestellt hat, der nach französischem Recht zu berechnende Schaden des Klägers sei durch die Leistungen der SUVA vollumfänglich gedeckt. Damit besteht von vorneherein kein Raum für das Quotenvorrecht. Ein Anspruch gegenüber der SUVA aus Bundesprivatrecht existiert nicht. Es liegt keine Zivilrechtsstreitigkeit vor. Die Berufung ist unzulässig.
4.
4.1 Selbst wenn eine Zivilrechtsstreitigkeit vorliegen würde, könnte auf die Berufung nicht eingetreten werden. Die Berufung ist gemäss Art. 48 Abs. 1 OG in der Regel erst gegen die Endentscheide der oberen kantonalen Gerichte zulässig. Ergeht der Entscheid der oberen kantonalen Behörde auf Grund eines ausserordentlichen Rechtsmittels ohne Suspensiveffekt und mit beschränkter Kognition, liegt kein Endentscheid im Sinn dieser Bestimmung vor (BGE 110 II 249 E. 1a S. 251 f.). Das kantonale Recht hat gemäss dem Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) in an sich berufungsfähigen Streitsachen dafür zu sorgen, dass die anstehenden bundesrechtlichen Fragen durch eine Rechtsmittelinstanz überprüft werden, deren Entscheid als Endentscheid im Sinn von Art. 48 Abs. 1 OG mit Berufung anfechtbar ist (BGE 119 II 183 E.4b/cc S. 187 und E. 5a S. 189; BGE 131 I 242 E. 3.2 S. 247; 128 IV 137 E. 3a S. 143 f.). Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, tritt das Bundesgericht auf die gegen den Entscheid der oberen kantonalen Instanz erhobene Berufung nicht ein (Urteil 4C.346/1993 vom 17. Dezember 1993, E. 3b; 4C.86/1999 vom 5. August 1999, E. 2 und 4) und weist die Sache zurück zur Behandlung im ordentlichen Rechtsmittelverfahren bzw. zur Weiterleitung an die dafür zuständige kantonale Behörde (BGE 128 IV 137 E. 3b S. 144; vgl. auch BGE 119 II 183 E. 5 S. 189).
4.2 Im vorliegenden Fall ist das Amtsgericht Luzern-Stadt auf die Klage mit der Begründung nicht eingetreten, es liege eine res iudicata vor. Gegen einen derartigen Erledigungsentscheid steht nach der Zivilprozessordnung des Kantons Luzern lediglich die Nichtigkeitsbeschwerde offen (§ 104 Abs. 3 in Verbindung mit § 245, 258 und 265 ZPO LU). Dabei handelt es sich mit Bezug auf Entscheide um ein kassatorisches Rechtsmittel ohne Suspensivwirkung und mit beschränkter Kognition (§ 266, 267 Abs. 2 und 272 Abs. 2 ZPO LU). Die Kognition ist auch hinsichtlich des in § 266 lit. a ZPO LU genannten Nichtigkeitsgrunds der Verletzung materiellen Rechts beschränkt. Obwohl das Gesetz auf das Erfordernis einer Verletzung klaren Rechts verzichtet, ist eine appellatorische Überprüfung nicht möglich, da die Nichtigkeitsbeschwerde nur grobe Rechtsverstösse ahnden will (Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, N. 2 f. zu § 266 ZPO LU unter Hinweis auf die Botschaft des Regierungsrates). Der angefochtene Entscheid ist damit kein Endentscheid gemäss Art. 48 Abs. 1 OG. Läge tatsächlich eine Zivilrechtsstreitigkeit vor, wäre die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, da die materielle Rechtskraft mit Bezug auf Ansprüche des Bundeszivilrechts eine Frage des Bundesrechts ist (BGE 121 III 474 E. 2 S. 476 f.) und der Streitwert Fr. 8'000.-- übersteigt.
5.
Aus den genannten Gründen ist auf die Berufung nicht einzutreten. Die Gerichtsgebühr ist bei diesem Ausgang des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat der anwaltlich vertretenen Beklagten, die sich hat vernehmen lassen, deren Parteikosten zu ersetzen (Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Kläger auferlegt.
3.
Der Kläger wird verpflichtet, die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, I. Kammer als Beschwerdeinstanz, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. März 2007
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: