Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1B_15/2007 /fun
Urteil vom 12. März 2007
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Fonjallaz, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Schoder.
Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Hawi Balmer,
gegen
Untersuchungsrichteramt I Berner Jura-Seeland, Untersuchungsrichterin 2, Spitalstrasse 14,
2501 Biel,
Staatsanwaltschaft I Berner Jura-Seeland,
Prokurator 1, Neuengasse 8, 2502 Biel,
Haftgericht I Berner Jura-Seeland, Haftrichter 2, Spitalstrasse 14, 2501 Biel.
Gegenstand
Haftentlassung,
Beschwerde in Strafsachen gegen den Entscheid
des Haftgerichts I Berner Jura-Seeland, Haftrichter 2, vom 11. Januar 2007.
Sachverhalt:
A.
Gegen X.________ wurde ein Strafverfahren wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Widerhandlungen gegen das AHVG eröffnet. Gemäss dem Haftantrag der Untersuchungsrichterin 2 des Untersuchungsrichteramtes I Berner Jura-Seeland vom 10. Januar 2007 besteht Flucht- und Kollusionsgefahr. Mit Entscheid vom 11. Januar 2007 versetzte der Haftrichter 2 des Haftgerichts I Berner Jura-Seeland X.________ wegen Kollusionsgefahr in Untersuchungshaft. Die Frage, ob auch Fluchtgefahr besteht, liess der Haftrichter offen.
B.
X.________ hat gegen den Entscheid des Haftrichters Beschwerde in Strafsachen erhoben. Er beantragt Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Entlassung aus der Untersuchungshaft.
C.
Der Haftrichter und die Untersuchungsrichterin beantragen Beschwerdeabweisung. Die Staatanwaltschaft I Berner Jura-Seeland hat auf Vernehmlassung verzichtet. Der Beschwerdeführer hat repliziert.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Der angefochtene Entscheid erging später. Gemäss Art. 132 Abs. 1 BGG ist daher das Bundesgerichtsgesetz anwendbar.
1.2 Die Beschwerde in Strafsachen ist in Art. 78 ff. BGG geregelt. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da sich die Beschwerde gegen einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid richtet (Art. 80 BGG), der Beschwerdeführer in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen ist (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG) und die Beschwerdefrist eingehalten wurde (Art. 100 Abs. 1 BGG). Zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde ist gemäss Art. 29 Abs. 3 des Reglements vom 20. November 2006 über das Bundesgericht (SR 173.110.131) die I. öffentlich-rechtliche Abteilung zuständig. Die Anträge des Beschwerdeführers sind zulässig (Art. 107 Abs. 2 BGG).
1.3 Nicht einzutreten ist auf die Ausführungen in der Replik, welche der Beschwerdeführer bereits in der Beschwerdeschrift hätte vortragen können. Diese Vorbringen sind verspätet (Art. 100 Abs. 1 BGG).
2.
2.1 Als erstes rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Gehörsanspruchs (Art. 29 Abs. 2 BV). Er macht geltend, seinem Rechtsverteidiger sei nicht genügend Zeit zur Vorbereitung der Haftverhandlung eingeräumt worden.
2.2 Das Recht des Beschuldigten auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung wird nicht Art. 29 Abs. 2 BV zugeordnet, sondern fällt in den spezifischen Anwendungsbereich der Verteidigungsrechte im Strafverfahren (Art. 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK, Art. 14 Ziff. 3 lit. b UNO-Pakt II; vgl. Pascal Mahon, in: Jean-François Aubert/Pascal Mahon, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, N. 8 zu Art. 32 BV). Wie viel Vorbereitungszeit erforderlich ist, lässt sich nicht abstrakt bestimmen. Massgebend sind die Umstände des konkreten Falls. Dabei sind etwa Umfang und Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, Verfahrensart und -stadium sowie die Lage der Verteidigung zu berücksichtigen (nicht publ. Bundesgerichtsurteil 6P.56/1993 vom 20. Mai 1994 E. 4c; Mark E. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], 2. Aufl., Zürich 1999, N. 509).
2.3 Im vorliegenden Fall steht ein Haftprüfungsverfahren zur Diskussion. Der Haftrichter hat sobald als möglich, spätestens innert 48 Stunden seit Stellung des Haftantrages zu entscheiden (Art. 185 Abs. 2 des Gesetzes des Kantons Bern über das Strafverfahren vom 15. März 1995 [StrV/BE]). In dieser kurzen Zeitspanne muss der Haftrichter selber die Akten studieren, den Parteien Gelegenheit zur Äusserung und Akteneinsicht geben, den Termin für eine mündliche Verhandlung anberaumen und diese Verhandlung durchführen.
Der vorliegende Haftantrag datiert vom 10. Januar 2007. Gemäss Beschwerdeschrift (S. 3) wurde das Aufgebot zur mündlichen Verhandlung am 11. Januar 2007, 14.00 Uhr, dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers am Morgen des 11. Januar 2007 telefonisch kundgetan, und ab 11.00 Uhr wurden ihm die Akten zur Verfügung gestellt. Die Vorbereitungszeit für die Verteidigung von insgesamt drei Stunden war zwar sehr kurz, jedoch in Anbetracht dessen, dass es sich um ein - den Schuldspruch in keiner Weise präjudizierendes - Haftprüfungsverfahren mit äusserst kurzen, auch für den Haftrichter in Stunden bemessenen Fristen handelte, als vertretbar zu betrachten. Eine Grundrechtsverletzung liegt insoweit nicht vor.
2.4 Als weitere Verletzung des Gehörsanspruchs rügt der Beschwerdeführer, während den Ermittlungen in den Jahren 2005/2006 sei er nicht genügend über die gegen ihn gerichteten Beschuldigungen informiert worden. Diese Rüge betrifft das polizeiliche Ermittlungsverfahren und nicht den Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, er sei an der Haftverhandlung nicht darüber aufgeklärt worden, weshalb er festgenommen worden war. Seine diesbezüglichen Ausführungen sind daher nicht zu behandeln.
3.
3.1 Sodann macht der Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit und in diesem Zusammenhang eine Verletzung des Willkürverbots geltend. Er ist der Auffassung, die gesetzlichen Voraussetzungen der Untersuchungshaft seien nicht erfüllt.
3.2 Gemäss Art. 176 Abs. 2 StrV/BE kann eine angeschuldigte Person in Untersuchungshaft versetzt werden, wenn sie eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und zudem ernsthaft Gründe zur Annahme bestehen, sie werde sich durch Flucht dem Strafverfahren oder einer zu erwartenden Sanktion entziehen (Ziff. 1) oder durch Beeinflussung von Personen oder durch Einwirkung auf Spuren oder Beweismittel die Abklärung des Sachverhalts vereiteln oder gefährden (Ziff. 2) oder weitere Verbrechen oder Vergehen begehen, wenn sie während der Dauer des Verfahrens dies bereits mindestens einmal getan hat (Ziff. 3). Liegt ausser dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts einer der besonderen Haftgründe vor, steht der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft auch unter dem Blickwinkel der persönlichen Freiheit (Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK, Art. 10 Abs. 2, Art. 31 Abs. 1 BV ) grundsätzlich nichts entgegen.
3.3 Bei Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuchs erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechts frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 132 I 21 E. 3.2.3 S. 24, mit Hinweisen). Das vom Beschwerdeführer angerufene Willkürverbot hat in diesem Zusammenhang keine über das oben Dargelegte hinausgehende selbständige Bedeutung.
3.4 Der Beschwerdeführer bestreitet zunächst den dringenden Tatverdacht des Betrugs (Art. 146 StGB) und der Urkundenfälschung (Art. 251 StGB).
3.5 Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter hat das Bundesgericht bei der Überprüfung des allgemeinen Haftgrundes des dringenden Tatverdachts keine erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse vorzunehmen. Macht ein Inhaftierter geltend, er befinde sich ohne ausreichenden Tatverdacht in strafprozessualer Haft, ist vielmehr zu prüfen, ob aufgrund der bisherigen Untersuchungsergebnisse genügend konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und eine Beteiligung des Beschwerdeführers an dieser Tat vorliegen, die kantonalen Behörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften. Im Haftprüfungsverfahren genügt dabei der Nachweis von konkreten Verdachtsmomenten, wonach das inkriminierte Verhalten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die fraglichen Tatbestandsmerkmale erfüllen könnte (BGE 116 Ia 143 E. 3c S. 146).
3.6 Gemäss dem Haftantrag vom 10. Januar 2007 besteht der Verdacht, dass der Beschwerdeführer für die A.________ AG im Februar 2004 einen Wirtschaftsförderungsbeitrag in der Höhe von Fr. 250'000.-- gestützt auf gefälschte Investitionsbelege erhalten habe. Dieser Verdacht stütze sich auf ein Schreiben der B.________ GmbH vom 24. Mai 2004, worin diese bestätigt habe, nie eine Rechnung im Betrag von Euro 147'656.-- für die Lieferung von EDV-Material an die A.________ AG ausgestellt und keine entsprechende Zahlung erhalten zu haben. Der Aufforderung des beco-Berner Wirtschaft zur Rückerstattung des Wirtschaftsförderungsbeitrags sei der Beschwerdeführer nicht nachgekommen. Des Weitern habe der Beschwerdeführer der Berner Kantonspolizei einen korrigierten Businessplan und ein Dokument "Angebot und Verpflichtungserklärung" der C.________ AG vom 15./25. Juli 2003 zukommen lassen, wonach sich diese gegenüber der D.________ AG verpflichtet habe, 40% der Gesellschaftsanteile der A.________ AG zu einem Preis von Euro 400'000.-- zu übernehmen. Eine mit der Verpflichtungserklärung verbundene Bestätigung eines in Deutschland ansässigen Rechtsanwalts namens E.________ habe die in diesem Zusammenhang getätigte Anzahlung von Euro 50'000.-- bestätigt. Indessen habe die Befragung von F.________, dem einzigen Verwaltungsrat der C.________ AG, ergeben, dass der Beschwerdeführer der wirtschaftlich Berechtigte der C.________ AG sei und F.________ das erwähnte Dokument "Angebot und Verpflichtungserklärung" auf Geheiss und Vorlage des Beschwerdeführers unterschrieben habe. Auch habe F.________ die mit der Verpflichtungserklärung zusammenhängende Überweisung von Euro 50'000.-- an Rechtsanwalt E.________ nicht bestätigen können. Sodann habe G.________, welcher in der Zeit vom 31. März 2004 bis 28. Juni 2005 Verwaltungsratsmitglied der A.________ AG und der D.________ AG war, ausgesagt, er könne sich nicht vorstellen, in welchem Bereich die A.________ AG eine halbe Million Franken hätte investieren sollen. Dem Beschwerdeführer sei im April 2006 eine polizeiliche Befragung in Aussicht gestellt und er sei aufgefordert worden, die Buchhaltung der A.________ AG bezüglich der Geschäftsjahre 2003 und 2004 mitzubringen. Der Beschwerdeführer sei jedoch unentschuldigt nicht erschienen und sei auf den beiden bekannten Telefonanschlüssen der A.________ AG nicht mehr zu erreichen gewesen. Eine Prüfung der in der Schweiz edierten Buchhaltungsunterlagen habe ergeben, dass die Zahlungen nicht nachvollzogen werden könnten und bezüglich dreier Dokumente, welche dem beco-Berner Wirtschaft eingereicht worden seien, der Verdacht der Fälschung bestehe.
3.7 Dem Haftantrag ist nicht schlüssig zu entnehmen, welche Unterlagen dem Haftrichter zur Verfügung standen. Der Einwand des Beschwerdeführers, der blosse Verweis auf den Haftantrag stelle eine ungenügende Begründung des Haftentscheids dar, trifft zu. Indessen vermag der Beschwerdeführer mit der pauschalen Behauptung, die A.________ AG habe laufend investiert, weshalb der Wirtschaftsförderungsbeitrag nicht ertrogen worden sei, den im Haftantrag eingehend begründeten Tatverdacht des Betrugs und der Urkundenfälschung nicht umzustossen. Nichts anderes gilt bezüglich der Behauptung, persönliche Differenzen mit dem Personal der B.________ AG hätten dazu geführt, dass das Geschäft mit dieser Unternehmung geplatzt sei. Der Einwand des Beschwerdeführers, infolge Kommunikationsschwierigkeiten mit seiner Ehefrau habe er von der Vorladung im April 2006 und von der Aufforderung zur Rückzahlung des Wirtschaftsförderungsbeitrags nicht Kenntnis nehmen können, lassen den Verdacht, der Beitrag sei aufgrund gefälschter Investitionsbelege ausgerichtet worden, ebenfalls nicht als unhaltbar erscheinen. Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer, wie er behauptet, über ausreichende Mittel zur Rückzahlung des Beitrags verfügt, besagt nicht, es habe ihm an der Bereicherungsabsicht gefehlt. Der allgemeine Haftgrund des dringenden Tatverdachts ist somit gegeben.
3.8 Sodann bestreitet der Beschwerdeführer den speziellen Haftgrund der Kollusionsgefahr.
3.9 Kollusion bedeutet, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren und Beweismittel beseitigt. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass der Angeschuldigte die Freiheit oder einen Urlaub dazu missbrauchen würde, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu gefährden. Die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, genügt indessen nicht, um die Fortsetzung der Haft oder die Nichtgewährung von Urlauben unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen. Das Vorliegen von Kollusionsgefahr ist nach Massgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23, mit Hinweisen).
3.10 Gemäss Haftantrag sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. So seien insbesondere die fehlenden Buchhaltungsbelege zu edieren und H.________ von der B.________ GmbH sowie Rechtsanwalt E.________ einzuvernehmen. Bis zum Abschluss dieser Ermittlungen bestehe Kollusionsgefahr.
Die dagegen vorgebrachten Argumente des Beschwerdeführers reichen nicht aus, um den Haftgrund der Kollusionsgefahr im Zeitpunkt des Haftentscheids am 11. Januar 2007 zu widerlegen. Für den Fall, dass die Buchhaltungsunterlagen in der Zwischenzeit sichergestellt und die Zeugen rechtshilfeweise befragt werden konnten, steht es dem Beschwerdeführer im Rahmen des Strafprozessrechts frei, ein neues Gesuch um Haftentlassung wegen des Wegfallens von Kollusionsgefahr zu stellen.
4.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist demzufolge abzuweisen. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Untersuchungsrichteramt I, Untersuchungsrichterin 2, der Staatsanwaltschaft I, Prokurator 1, und dem Haftgericht I Berner Jura-Seeland, Haftrichter 2, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 12. März 2007
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: