Tribunale federale
Tribunal federal
{T 7}
U 410/05
Urteil vom 3. April 2007
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Nussbaumer.
Parteien
U.________, 1961, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Urs Wüthrich, Zentralplatz 51, 2503 Biel,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 23. September 2005.
Sachverhalt:
A.
U.________ (geboren 1961) war vom 1. Oktober 1989 bis 31. März 2003 bei der Firma S.________ AG in X.________ angestellt. Seit 1995 leidet er an einer Colitis ulcerosa. Im August 2002 erkrankte er an einer membranösen Glomerulonephritis. Mit unangefochten gebliebener Verfügung vom 7. Januar 2003 erklärte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) den Versicherten für Arbeiten mit Exposition zu Kohlenstoffverbindungen (z.B. organische Lösungsmittel) und Schwermetallen als nicht geeignet.
Am 16. Januar 2003 reichte U.________ eine Berufskrankheitsmeldung ein. Mit Verfügung vom 23. Januar 2003 verneinte die SUVA das Vorliegen einer Berufskrankheit und lehnte einen Anspruch auf Taggelder sowie die Übernahme von Behandlungskosten ab. Sie stellte ihm jedoch in Aussicht, zu prüfen, ob Geldleistungen in Form eines Übergangstaggeldes oder allenfalls auch in Form einer Übergangsentschädigung ausgerichtet werden könnten. Daran hielt sie nach Einholen von Stellungnahmen der behandelnden Ärzte mit Einspracheentscheid vom 10. Januar 2005 fest.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 23. September 2005 ab.
C.
U.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei festzustellen, dass es sich bei den aufgetretenen gesundheitlichen Problemen und Erkrankungen um Berufskrankheiten handle und es seien ihm gestützt darauf die entsprechenden, ihm zustehenden gesetzlichen Leistungen zu erbringen. Eventuell sei die Sache zur Durchführung weiterer Abklärungen, namentlich zur spezialärztlichen Begutachtung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205 ff., 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 E. 1.2).
2.
Soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, werden die Versicherungsleistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten gewährt. Als Berufskrankheiten gelten gemäss Art. 9 Abs. 1 UVG Krankheiten (Art. 3 ATSG), die bei der beruflichen Tätigkeit ausschliesslich oder vorwiegend durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten verursacht worden sind. Der Bundesrat erstellt eine Liste dieser Stoffe und Arbeiten sowie der arbeitsbedingten Erkrankungen. Gestützt auf diese Delegationsnorm und Art. 14 UVV hat der Bundesrat in Anhang 1 zur UVV eine Liste der schädigenden Stoffe und der arbeitsbedingten Erkrankungen erstellt. Nach der Rechtsprechung ist eine "vorwiegende" Verursachung von Krankheiten durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten gegeben, wenn diese mehr wiegen als alle anderen mitbeteiligten Ursachen, mithin im gesamten Ursachenspektrum mehr als 50 % ausmachen (BGE 119 V 200 f. E. 2a mit Hinweisen).
Gemäss Art. 9 Abs. 2 UVG gelten als Berufskrankheiten auch andere Krankheiten, von denen nachgewiesen wird, dass sie ausschliesslich oder stark überwiegend durch berufliche Tätigkeit verursacht worden sind. Diese Generalklausel bezweckt, allfällige Lücken zu schliessen, die dadurch entstehen können, dass die bundesrätliche Liste gemäss Anhang 1 zur UVV entweder einen schädlichen Stoff, der eine Krankheit verursachte, oder eine Krankheit nicht aufführt, die durch die Arbeit verursacht wurde. Nach der Rechtsprechung ist die Voraussetzung des "stark überwiegenden" Zusammenhangs erfüllt, wenn die Berufskrankheit mindestens zu 75 % durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden ist (BGE 119 V 201 E. 2b mit Hinweis). Dabei sind an die Annahme einer Berufskrankheit relativ strenge Anforderungen zu stellen. Verlangt wird, dass der Versicherte für eine gewisse Dauer einem typischen Berufsrisiko ausgesetzt ist. Die einmalige gesundheitliche Schädigung, die gleichzeitig mit der Berufsausübung eintritt, genügt nicht. Für die Beurteilung der Exposition (oder Arbeitsdauer) ist die gesamte ausgeübte Berufstätigkeit zu berücksichtigen (BGE 126 V 186 E. 2b mit Hinweisen).
3.
3.1 Der Beschwerdeführer arbeitete vom 1. Oktober 1989 bis 31. März 2003 bei einer Firma für Sonderabfallverwertung. Diese sammelt flüssige und feste Sonderabfälle, sortiert und deklariert sie und führt sie der endgültigen Entsorgung zu. Am Arbeitsplatz kam der Beschwerdeführer unter anderem in Berührung mit Kohlenwasserstoffen und mit Schwermetallen. 1995 erkrankte er an einer Colitis ulcerosa und im August 2002 an einer membranösen Glomerulonephritis. Daneben litt er in den Jahren 1999 und 2001 an Hautekzemen. Mit unangefochten gebliebener Verfügung vom 7. Januar 2003 erklärte ihn die SUVA für Arbeiten mit Exposition zu Kohlenstoffverbindungen (z.B. organische Lösungsmittel) und Schwermetallen als nicht geeignet.
3.2 Im Bericht vom 27. August 2002 führten die Dres. med. O.________ und B.________, Abteilung Nephrologie/Hypertonie des Spitals Y.________, aus, die neu aufgetretene membranöse Glomerulonephritis könne gemäss Literatur durch eine immunologische Reaktion auf diverse Chemikalien oder Medikamente ausgelöst werden. Obwohl ein Zusammenhang mit den Chemikalien am Arbeitsplatz zweifelsfrei nie 100%ig bewiesen werden könne, lege die Anhäufung der "Immunerkrankungen" beim Beschwerdeführer einen Zusammenhang sehr nahe. Der weitere Kontakt mit potentiell für die Nierenerkrankung ursächlichen Chemikalien im Falle eines positiven Zusammenhanges werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer terminalen Niereninsuffizienz führen. Es habe beispielsweise zweifelsfrei bewiesen werden können, dass der chronische Kontakt mit Kohlenwasserstoffverbindungen nach bioptisch gesicherter Glomerulonephritis die renale Funktionsprognose deutlich verschlechtere.
PD Dr. med. E.________, leitender Arzt der Abteilung Gastroenterologie der Poliklinik des Spitals Y.________, hält im Schreiben vom 3. September 2003 fest, ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers und der massiv erhöhten entzündlichen Aktivität der Colitis ulcerosa, dem Auftreten von Hautekzemen und der Glomerulonephritis sei wahrscheinlich. Seine Auffassung begründet er indessen nicht näher.
Im Bericht vom 28. April 2004 beantwortete Prof. Dr. med. I.________, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie des Spitals Y.________, die ihm von Dr. med. C.________, Spezialarzt FMH für Innere Medizin und Arbeitsmedizin der Abteilung Arbeitsmedizin der SUVA, gestellten Fragen dahingehend, dass nach dem heutigen Stand der Erkenntnisse nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Colitis ulcerosa selbst durch die Exposition von Kohlenwasserstoffen induziert worden sei. Bislang sei das Auftreten einer Colitis ulcerosa oder deren Exacerbation nach Kohlenwasserstoff-Exposition in keiner Studie untersucht worden. Beim Beschwerdeführer hielt er das Auftreten von Glomerulonephritiden nach Exposition mit Kohlenwasserstoffen für wahrscheinlich, wies jedoch gleichzeitig darauf hin, dass die Nephrologen bezüglich der membranösen Glomerulonephritis eine eindeutige Aussage treffen müssten. Es könne postuliert werden, dass die Exposition von Kohlenwasserstoffen zu einer Glomerulonephritis und auch zu einer Verschlimmerung der immunologisch bedingten Colitis ulcerosa geführt habe. Bei einer isolierten Betrachtung liege keine überwiegende Wahrscheinlichkeit vor. Beim Beschwerdeführer, welcher sowohl an Kontaktekzemen als auch an Glomerulonephritis als auch an therapiefraktären Schüben der Colitis ulcerosa leide, sei ein Zusammenhang möglich. Es sei auffällig, dass Schübe der Colitis ulcerosa häufig mit Kontaktekzemen einhergegangen seien. Da in der Literatur keine weiteren derartigen Fälle beschrieben worden seien, könne ein Kausalzusammenhang jedoch nicht bewiesen werden.
Im Schreiben vom 17. November 2004 hielten die Dres. med. Eisenberger und Kruse von der Klinik und Poliklinik Nephrologie und Hypertonie des Spitals Y.________ fest, hinsichtlich der Inzidenz bei exponierten und nicht exponierten Patienten fehlten prospektive Daten, was mit der geringen Inzidenz der Erkrankungen, insbesondere der membranösen Glomerulonephritis zusammen hänge. Anhand der aktuellen Datenlage bestehe keine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die berufliche Exposition des Beschwerdeführers mit Kohlenwasserstoffen zu der Erkrankung der membranösen Glomerulonephritis geführt habe. Einen Kausalzusammenhang hielten sie für möglich, eine genaue Gewichtung könnten sie aufgrund der Datenlage nicht vornehmen.
Aufgrund dieser medizinischen Unterlagen und der übrigen Akten kam der SUVA-Arzt Dr. med. C.________ in seiner Beurteilung vom 5. Januar 2005 zum Schluss, dass die Colitis ulcerosa und die membranöse Glomerulonephritis weder mit Sicherheit noch mit Wahrscheinlichkeit auf die früheren beruflichen Expositionen des Beschwerdeführers zurückzuführen seien. Auf die von Prof. Dr. med. I.________ im Bericht vom 28. April 2004 vorgenommene Einschätzung des Nierenleidens könne nicht abgestellt werden, da Prof. Dr. med. I.________ selbst die Beantwortung des Kausalzusammenhangs den Nephrologen vorbehalten habe.
3.3 Das kantonale Gericht stellte für die Beantwortung der Frage, ob beim Beschwerdeführer eine Berufskrankheit vorliege, in medizinischer Hinsicht zur Hauptsache auf die Einschätzung des SUVA-Arztes Dr. med. C.________ ab und sah von der Einholung eines Gutachtens ab. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer arbeitete während mehr als einem Jahrzehnt bei einer Firma, welche Sonderabfall verwertet. Bei dieser Tätigkeit kam er mit verschiedenen Chemikalien, Lösungsmitteln und Schwermetallen in Kontakt. Zwar wurden am Arbeitsplatz verschiedentlich Messungen durchgeführt, so beispielsweise in den Jahren 1994 und 1995 auch auf die Quecksilberkonzentration. Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang jedoch zu Recht vor, dass diese Messungen unregelmässig und bezüglich unterschiedlicher Stoffe durchgeführt worden sind. Aufgrund der Einschätzungen der behandelnden Ärzte erliess die SUVA am 7. Januar 2003 eine Nichteignungsverfügung für Arbeiten mit Exposition zu Kohlenstoffverbindungen (z.B. organische Lösungsmittel) und Schwermetallen. Damit hielt die SUVA einen Zusammenhang mindestens für die Verschlimmerung der Krankheiten durch die Expositionen am Arbeitsplatz für möglich. Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, haftet die SUVA auch für die Verschlimmerung einer vorbestandenen Krankheit durch Listenstoffe/Listenarbeiten oder durch die berufliche Tätigkeit (BGE 117 V 354). Bereits diesbezüglich sind die vorhandenen medizinischen Akten zuwenig aufschlussreich, zumal dieser Aspekt nicht Gegenstand der Fragen der bei den behandelnden Ärzten eingeholten Auskünfte waren. Da diese einen Zusammenhang für möglich halten, drängt sich angesichts des langjährigen Kontaktes mit Chemikalien, Lösungsmitteln und Schwermetallen die Einholung eines spezialärztlichen Gutachtens auf, welches sich in Kenntnis der am Arbeitsplatz in Frage kommenden einwirkenden Stoffe darüber auszusprechen haben wird, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Colitis ulcerosa und membranöse Glomerulonephritis Folge von Einwirkungen solch schädigender Stoffe am Arbeitsplatz sind oder ob diese zu einer Verschlimmerung der Krankheiten geführt haben.
4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Entsprechend dem Ausgang des Prozesses hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung zu Lasten der SUVA (Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 23. September 2005 und der Einspracheentscheid vom 10. Januar 2005 aufgehoben werden und die Sache an die SUVA zurückgewiesen wird, damit diese, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Leistungsanspruch neu befinde.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die SUVA hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 3. April 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: