Tribunale federale
Tribunal federal
{T 7}
U 155/06
Urteil vom 19. April 2007
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Polla.
Parteien
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdeführerin,
gegen
K.________, 1942, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Richard Weber, Hermannstrasse 8, 8570 Weinfelden.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 18. Januar 2006.
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 15. Oktober 2005 verneinte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) als zuständiger obligatorischer Unfallversicherer ihre Leistungspflicht für die bei dem 1942 geborenen K.________ seit Herbst 2002 aufgetretenen wechselnden rheumatischen Beschwerden mit der Begründung, aufgrund der von Prof. Dr. med. M.________, Klinikdirektor, Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin, Universitätsspital X.________, im Gutachten vom 1. Juli 2004 diagnostizierten Psoriasis bestehe kein sicherer oder wahrscheinlicher Kausalzusammenhang zwischen einem Zeckenstich und den Hautbeschwerden. Daran hielt die SUVA auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 13. April 2005).
B.
Die von K.________ hiegegen geführte Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 18. Januar 2006 gut.
C.
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und der Einspracheentscheid zu bestätigen; eventuell sei die Sache zur weiteren Abklärung an die SUVA zurückzuweisen.
K.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
2.
In formellrechtlicher Hinsicht rügt der Beschwerdegegner, die SUVA habe ihm vor Erstellung des von ihr beim Universitätsspital X.________ in Auftrag gegebenen Gutachtens vom 1. Juli 2004 keine Gelegenheit eingeräumt, zum vorgesehenen Gutachter Prof. Dr. med. M.________ Stellung zu nehmen, womit Art. 44 ATSG - als Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 1 BV; Art. 42 ATSG) - verletzt worden sei. Zutreffend ist, dass zwar die mit der Expertise beauftragte Klinik (samt Fragekatalog), nicht aber der Name des begutachtenden Arztes dem Versicherten vorgängig der Untersuchungen mitgeteilt wurde, was rechtsprechungsgemäss (BGE 132 V 376) den Anforderungen von Art. 44 ATSG nicht entspricht. Nachdem aber auch nachträglich keine begründeten formellen Ausstandsgründe gegen den Experten vorgebracht werden, ist diese Unterlassung für sich allein kein Grund, um nicht auf das Gutachten abzustellen.
3.
Hinsichtlich des Unfallbegriffs (Art. 6 Abs. 1 UVG; Art. 4 ATSG), namentlich auch in Zusammenhang mit einem Zeckenstich (BGE 122 V 230) kann auf die diesbezüglichen Ausführungen von Vorinstanz und SUVA verwiesen werden.
3.1 Die Leistungspflicht eines Unfallversicherers gemäss UVG setzt zunächst voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht. Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs sind alle Umstände, ohne deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg nicht als eingetreten oder nicht als in der gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten gedacht werden kann. Entsprechend dieser Umschreibung ist für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht erforderlich, dass ein Unfall die alleinige oder unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist; es genügt, dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen die körperliche oder geistige Integrität der versicherten Person beeinträchtigt hat, der Unfall mit andern Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181, 402 E. 4.3.1 S. 406, 119 V 335 E. 1 S. 337, 118 V 286 E. 1b S. 289, je mit Hinweisen).
Ob zwischen einem schädigenden Ereignis und einer gesundheitlichen Störung ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht, ist eine Tatfrage, worüber die Verwaltung bzw. im Beschwerdefall das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu befinden hat. Die blosse Möglichkeit eines Zusammenhangs genügt für die Begründung eines Leistungsanspruches nicht (BGE 129 V 177 E. 3.1 181, 119 V 335 E. 1 S. 337, 118 V 286 E. 1b S. 289, je mit Hinweisen).
3.2 Die Leistungspflicht des Unfallversicherers setzt im Weiteren voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang besteht.
Nach der Rechtsprechung hat ein Ereignis dann als adäquate Ursache eines Erfolges zu gelten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt dieses Erfolges also durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheint (BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181, 402 E. 2.2 S. 405, 125 V 456 E. 5a S. 461mit Hinweisen).
4.
4.1 Aufgrund der serologischen Untersuchungsergebnisse steht fest, dass der Beschwerdegegner, aller Wahrscheinlichkeit nach durch Zeckenstich, Kontakt mit dem Borreliose-Erreger Borrelia burgdorferi gehabt hat. Streitig und zu prüfen ist, ob daraus eine Lyme-Borreliose, allenfalls in Form einer Lyme-Arthritis, entstanden ist, welche für das ab September 2002 aufgetretene Beschwerdebild einer Oligoarthritis, welche sich über die Hände auf andere Gelenke (insbesondere die rechte Hüfte) ausgeweitet hat, verantwortlich ist, wofür die Beschwerdeführerin Leistungen nach UVG zu erbringen hat.
4.2 Vorinstanz und Beschwerdegegner gehen von einer durchgemachten Lyme-Borreliose aus, wobei der Versicherte seit September 2005 wieder im Umfang von 100 % arbeitsfähig ist. Demgegenüber stellt sich die SUVA auf den Standpunkt, eine durchlittene Lyme-Borreliose sei nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. med. M.________ (vom 1. Juli 2004) sei vielmehr eine Psoriasisarthropathie für die geklagten Beschwerden verantwortlich, weshalb sie nicht leistungspflichtig sei.
4.3 Während der erfolgte Kontakt mit dem Borreliose-Erreger mittels serologischen Untersuchungen belegt werden kann, genügen diese für den Schluss auf eine daraus entstandene Lyme-Borreliose nicht. Die Diagnose einer Lyme-Borreliose - gleich welchen Stadiums - setzt ein entsprechendes klinisches Beschwerdebild und den Ausschluss von Differentialdiagnosen voraus, wobei je nach Krankheitsstadium ein pathologischer laborchemischer Test die Wahrscheinlichkeit der Diagnose erhöhen kann (Norbert Satz, Klinik der Lyme-Borreliose, 2. Auflage, Bern 2002, S. 70).
4.4
4.4.1 Der Infektiologe Prof. Dr. med. R.________, Chefarzt an der Medizinischen Klinik am Spital Y.________, vertrat in seinen Berichten vom 26. März 2004 und 29. Juni 2005 die Auffassung, die Kriterien für die Bejahung einer Borreliose seien erfüllt. Die Diagnose einer Borrelien-Arthritis beruhe auf den Überlegungen, dass erstens bei der aufgetretenen Oligoarthritis andere Ursachen ausgeschlossen worden seien und zweitens eine positive IgG-Borrelien-Serologie mit Konfirmation im Westernblot vorläge. Die durchgeführte antibiotische Therapie sei damit gerechtfertigt gewesen. Die im Gutachten des Universitätsspitals X.________ (vom 1. Juli 2004) von Prof. Dr. med. M.________ postulierte Psoriasis-Arthritis sei ernsthaft zu hinterfragen, da von zwei Dermatologen keinerlei Hauterkrankung habe festgestellt werden können.
4.4.2 Demgegenüber hielt Prof. Dr. med. M.________ sowohl in seinem Gutachten vom 1. Juli 2004 wie in einer Stellungnahme vom 13. Januar 2005 eine Psoriasisarthropathie für überwiegend wahrscheinlich, wobei eine bis anhin fehlende Psoriasis-Hauterkrankung der Diagnose nicht entgegenstehe; eine Borrelien-Arthritis sei hingegen nur möglich. Das Gelenksmuster entspreche nicht jenem einer Borrelien-Arthritis (vorwiegend Monoarthritis, bei einer Oligoarthritis eher selten Befall von kleinen Gelenken, nur sehr selten Ausbildung einer Daktylitis, keine radiologischen Veränderungen wie im Gutachten beschrieben); die Borrelien-Serologie (nur positive IgG) habe sich unter der Antibiotikatherapie nicht verändert, weshalb sie nur Ausdruck eines früheren Kontaktes mit dem Krankheitserreger zu einem unklaren Zeitpunkt sei. Zudem habe die durchgeführte Antibiotikatherapie mit Doxycyclin und Cefriaxon zu keiner Besserung geführt.
4.5 Mit Blick auf den Krankheitsverlauf und das Beschwerdebild ergibt sich, dass die Gründe, welche gemäss Prof. Dr. med. M.________ gegen die Annahme einer Lyme-Arthritis sprechen, nicht überzeugen (vgl. BGE 125 V 351 E. 3b/bb S. 352). Hinsichtlich des Gelenksmusters befällt gemäss Satz (a.a.O. S. 142 f.) die eigentliche mono- oder oligoartikuläre Entzündung zwar asymmetrisch mehrheitlich die grossen Gelenke und geht mit einer deutlichen Synovitis, Überwärmung, Schwellung und Ergussbildung einher. Fingergelenksentzündungen (Daktylitiden), wie hier, treten dennoch ebenfalls auf, was der Experte selber einräumt. Für die Mono- oder Oligoarthritis typisch ist die entzündliche Mitbeteiligung der periartikulären Gewebe wie Muskeln, Sehnen oder der Bursae. In diesen entzündlichen Strukturen bilden sich Verkalkungen die allenfalls radiologisch nachweisbar werden (z.B. Bursitis retrocalcanearea). Die radiologische Untersuchung am Spital Y.________ vom 20. Mai 2005 ergab, dass sich zwar Hinweise auf eine Arthritis (Weichteilschwellung medial des distalen Interphalangealgelenkes rechts und etwas Flüssigkeit im rechten Hüftgelenk) fanden, welche sich aber bei vielen Arthritisformen, auch bei aktivierten Arthrosen, fänden. Die Borreliose mache normalerweise ausser Ergüssen und gelenksnahen Entkalkungen keine röntgologischen Veränderungen. Aus radiologischer Sicht konnte zusammenfassend eine Psoriasis weder diagnostiziert noch vermutet werden, was die in der Expertise vom 1. Juli 2004 als überwiegend wahrscheinlich diagnostizierte Psoriasisarthropatie nicht stützt. Ebenso wenig konnte aus dermatologischer Sicht (mit histologischem Befund vom 17. Dezember 2004) - auch unter Berücksichtigung der Familienanamnese - eine Psoriasis bestätigt werden (Berichte des PD Dr. med. E.________, FMH Dermatologie und Venerologie, vom 28. September 2004 und des Dr. med. W.________, Facharzt für Dermatologie und Venerologie, Allergologie, Umweltmedizin, Phlebologie, Klinik Q.________, vom 7. September und 20. Dezember 2004). Beide Fachärzte wiesen zudem darauf hin, dass nur bei einer Minderzahl von 11 % der Patienten eine Hauterkrankung nach dem Gelenksbefall auftritt. Noch seltener ist die Haut gar nie beteiligt (6 %; vgl. unter: www.rheuma-online.de). Nicht stichhaltig ist sodann der gutachterliche Hinweis, der IgM-Titer sei immer negativ gewesen und die Borrelien-Serologie habe sich unter Antibiotikatherapie nicht verändert. Zum einen ist bei einer Lyme-Arthritis in über 80 % der Fälle mit einer Erhöhung der IgG-Antikörpertiter gegen Borrelia burgdorferi zu rechnen, hingegen bleibt der IgM-Titer mehrheitlich negativ (Satz, a.a. O. S. 145). Zum andern ist auf den relativ hohen Prozentsatz von Therapieversagern hinzuweisen, wobei als Massstab der Heilung einzig der klinische Verlauf anzusehen ist, zumal die erhöhten Antikörpertiter in der Regel persistieren und erst im Verlauf von Jahren abfallen (Satz a.a.O. S. 242). In Würdigung der verschiedenen medizinischen Auffassungen und der übrigen Berichte vermögen die Einwendungen des Gutachters gegen die diagnostizierte Lyme-Borreliose nicht Stand zu halten. Prof. Dr. med. R.________ hat zwar in knapper, doch einleuchtender Form und unter Ausschluss anderer Ursachen dargelegt, weshalb von einem kausalen Zusammenhang zwischen einer Borrelieninfektion und der aufgetretenen Erkrankung auszugehen ist (Berichte vom 26. März 2004 und 29. Juni 2005). Damit hat es beim vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden. Auf die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eventualiter beantragte ergänzende medizinische Abklärung ist, da davon kein entscheidrelevanter neuer Aufschluss zu erwarten ist, zu verzichten (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 90 E. 4b S. 94).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 19. April 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: