Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5P.454/2006 /bnm
Urteil vom 24. April 2007
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, Gerichtsschreiber Möckli.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Lätsch,
gegen
Stockwerkeigentümergemeinschaft Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Benedikt Humbel,
Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 1. Kammer, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.
Gegenstand
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 1. Kammer, vom 11. September 2006.
Sachverhalt:
A.
X.________ ist Eigentümer einer Stockwerkeinheit in A.________. Er bewohnt im Parterre eine 4½-Zimmer-Wohnung, zu welcher die Garage Nr. 6 gehört.
Bei der Erstellung der betreffenden Liegenschaft wurden unter Berücksichtigung der Garagenvorplätze insgesamt zwölf Autoabstellplätze erstellt. Zwei davon, die Plätze Nrn. 3 und 4, wurden in Art. 5 des Stockwerkeigentümerreglements vom 28. Oktober 1994 als Besucherparkplätze ausgeschieden.
B.
Am 29. April 2003 beschloss die Stockwerkeigentümergemeinschaft mit vier gegen die eine Stimme des vertretenen X.________ u.a. Änderungen bei der Parkierordnung (Schaffung neuer Parkplätze und Benutzungsmodalität dahingehend, dass die bisherigen und die neuen Parkplätze nicht nur von Besuchern, sondern auch von den Stockwerkeigentümern benutzt werden können).
Mit Klage vom 27. Mai 2003 verlangte X.________ die Aufhebung bzw. Nichtigerklärung dieser Beschlüsse. Mit Urteilen vom 15. Juni 2004 und 17. Mai 2005 haben sowohl das Bezirksgericht Baden als auch das Obergericht des Kantons Aargau die Klage abgewiesen. Das Obergericht anerkannte zwar, dass das kantonale und kommunale Baurecht die Erstellung und Erhaltung von Besucherparkplätzen fordert. Es verwies aber auf die Möglichkeit von Ausnahmen in der Baubewilligung und erwog, weil der Beschwerdeführer diese nicht eingereicht habe, könne nicht geprüft werden, ob die Reglementsänderung überhaupt gegen öffentliches Recht verstosse.
C.
Mit Urteil vom 12. Dezember 2005 hob das Bundesgericht das obergerichtliche Urteil in dahingehender Gutheissung der Berufung von X.________ auf und wies dies Sache zur Feststellung des massgeblichen Sachverhalts und zur neuen materiellen Beurteilung an das Obergericht zurück (5C.162/2005).
Mit Urteil vom 11. September 2006 hat dieses die Klage erneut abgewiesen.
D.
Gegen dieses Urteil hat X.________ am 25. Oktober 2006 sowohl Berufung als auch staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Mit Letzterer verlangt er dessen Aufhebung und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Durchführung eines gehörigen Beweisverfahrens sowie zur neuen Entscheidung. Die Beschwerdegegnerin und das Obergericht haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der angefochtene Entscheid ist vorher ergangen, so dass noch die Bestimmungen des Bundesrechtspflegegesetzes (OG) anzuwenden sind (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG).
Wird in der gleichen Sache sowohl Berufung als auch staatsrechtliche Beschwerde eingereicht, ist in der Regel zuerst über die staatsrechtliche Beschwerde zu befinden und die Entscheidung über die Berufung auszusetzen (Art. 57 Abs. 5 OG). Es besteht kein Anlass, anders zu verfahren.
2.
In seinem Urteil vom 12. Dezember 2005 hat das Bundesgericht in E. 2.3 festgehalten, dass für den Nachweis einer Ausnahmebewilligung die Stockwerkeigentümergemeinschaft beweisbelastet wäre, und es hat erwogen, dass als Voraussetzung für die Beantwortung der Rechtsfrage, ob die Reglementsänderung gegen das öffentlich-rechtliche Zweckerhaltungsgebot verstosse, in welchem Fall sie anfechtbar wäre, in tatsächlicher Hinsicht abzuklären sei, ob sämtliche Parkplätze dauerhaft von Stockwerkeigentümern belegt werden, wie dies vom Kläger behauptet werde.
Das Obergericht hat in seinem neuen Urteil befunden, der Beschwerdeführer habe im erstinstanzlichen Verfahren einzig mit Bezug auf den Parkplatz Nr. 4 eine Benutzung durch die Familie S.________ beanstandet. Hinsichtlich des Parkplatzes Nr. 3 habe er einfach eine regelmässige Beanspruchung durch die Bewohner der Liegenschaft behauptet. Dies genüge nicht zur Substanziierung, weshalb darüber auch gar kein Beweis abzunehmen sei. Für den Parkplatz Nr. 5 fehle es schliesslich gänzlich an irgendwelchen Vorbringen. Im obergerichtlichen Verfahren habe der Beschwerdeführer ergänzend ausgeführt, der Parkplatz Nr. 3 werde ausschliesslich durch den Sohn von Herrn T.________ benutzt. Der neu geschaffene Parkplatz Nr. 5 werde faktisch ausschliesslich von Herrn U.________ und dessen Freundin beansprucht. Diese Vorbringen seien indes novenrechtlich unbeachtlich, weil keine Entschuldigungsgründe vorgebracht würden. Offenbar sei der Sohn der Familie T.________ in der Zwischenzeit ohnehin ausgezogen, was als echtes Novum zu berücksichtigen wäre. Habe aber der Beschwerdeführer die dauernde Benutzung der Parkplätze Nrn. 3 und 5 nicht nachgewiesen, könne offen bleiben, inwiefern der Platz Nr. 4 tatsächlich dauernd durch die Familie S.________ belegt werde.
3.
Der Beschwerdeführer macht mit Bezug auf den "offenbar erfolgten" Auszug des Sohnes der Familie T.________ eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, habe er doch zu dieser neuen und im Übrigen unbelegten Behauptung in der Appellationsantwort keine Stellung nehmen können. Sodann rügt er eine Verletzung des Willkürverbotes. Der Parkplatz Nr. 5 sei erst während des Verfahrens neu geschaffen worden, weshalb er dazu in erster Instanz gar keine Ausführungen habe machen können. Des Weiteren habe das Obergericht entgegen den bundesgerichtlichen Vorgaben über die bestrittene Tatsache der ausschliesslichen Beanspruchung der Besucherparkplätze durch Stockwerkeigentümer kein Beweisverfahren durchgeführt, sondern sei aktenwidrig davon ausgegangen, dass einzig die Benutzung des Parkplatzes Nr. 4 durch die Familie S.________ behauptet worden sei. Seine Ausführung zur Beanspruchung der Besucherparkplätze durch die anderen Hausbewohner seien durchaus klar gewesen, zumal diesbezüglich nur vier Familien in Frage kämen.
4.
Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör fliesst insbesondere ein Replikrecht in allen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, das nach der neusten Rechtsprechung sogar dann besteht, wenn die urteilende Behörde bei ihrem Entscheid durch die Eingabe der anderen Partei nicht beeinflusst worden ist (zur Publikation bestimmtes Urteil 1A.56/2006, E. 4.3-4.6). Jedenfalls ist Art. 29 Abs. 2 BV verletzt, wenn - wie vorliegend im Zusammenhang mit der Behauptung, der Sohn von Herrn T.________ sei inzwischen ausgezogen - tatsächlich auf neue Vorbringen der Gegenpartei abgestellt wird, ohne dass diesbezüglich Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden wäre; dies entspricht der konstanten Rechtsprechung, wie sie bereits zu Art. 4 aBV bestanden hat (vgl. BGE 111 Ia 2 E. 3 S. 3; 119 V 317 E. 1 S. 323).
Aufgrund der formellen Natur des rechtlichen Gehörs muss das angefochtene Urteil unabhängig von den Erfolgsaussichten in der Sache bereits aus diesem Grund aufgehoben werden (vgl. BGE 115 Ia 8 E. 2a S. 10 unten; 122 II 464 E. 4a S. 469). Indes wäre eine Rückweisung mit dem alleinigen Zweck, dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, insofern nicht prozessökonomisch, als sich die weiteren Erwägungen des Obergerichts überdies als willkürlich erweisen. Auf die vom Beschwerdeführer erhobenen Willkürrügen ist deshalb im Folgenden einzugehen.
5.
Das materielle Bundesrecht bestimmt, wie weit die anspruchsbegründenden Tatsachen inhaltlich zu substanziieren sind, damit sie unter die massgeblichen Bestimmungen des materiellen Rechts subsumiert werden können. Tatsachenbehauptungen müssen dabei so konkret formuliert sein, dass ein substanziiertes Bestreiten möglich ist oder der Gegenbeweis angetreten werden kann (BGE 127 III 365 E. 2b S. 368). Diese so genannte Substanziierungslast ist auch in der Zivilprozessordnung des Kantons Aargau enthalten und wird dort in § 75 Abs. 1 ZPO/AG näher umschrieben. Danach haben die Parteien dem Richter die Tatsachen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und ihre Beweismittel anzugeben. Diese Anforderungen sind erfüllt, wenn die Tatsachenbehauptungen so in Einzeltatsachen aufgegliedert sind, dass darüber Beweis abgenommen werden kann und die Rechtsanwendung möglich wird (vgl. Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Aarau 1998, N. 7 zu § 75 ZPO/AG).
Indem der Beschwerdeführer die permanente Belegung der Besucherparkplätze durch andere Stockwerkeigentümer behauptet hat, ist er seiner Substanziierungslast im erwähnten Sinn nachgekommen, hat er doch damit eine Einzeltatsache genannt, über die ohne weiteres Beweis abgenommen werden kann. Zudem ging es anders als etwa bei einer Behauptung anhand von schriftlichen Dokumenten um ein Thema, bei welchem der Beschwerdeführer im Rahmen der schriftlichen Klage naturgemäss nicht sämtliche Details dartun konnte; vielmehr ist der Umfang der effektiven Benutzung eben gerade Beweisthema. Das Obergericht hat deshalb die Anforderungen an die Substanziierungslast überspannt.
Vor diesem Hintergrund ist es in Willkür verfallen, wenn es von einer Beweisabnahme abgesehen hat mit der Begründung, der Beschwerdeführer hätte im Einzelnen darlegen müssen, wer welche Plätze wann und wie lange in Beschlag nimmt, verlangt es doch damit von ihm letztlich, dass er das Beweisergebnis bereits in der Klageschrift hätte vorwegnehmen, ja sogar im eigentlichen Sinn hätte nachweisen müssen. Von vornherein keine Ausführungen konnte der Beschwerdeführer zur Belegung des Parkplatzes Nr. 5 machen, wurde doch dieser erst im Verlauf des Verfahrens überhaupt angelegt.
Im Übrigen darf nicht einfach übergangen werden, dass erstellte Besucherplätze grundsätzlich in ihrem Zweck zu erhalten sind und die Stockwerkeigentümergemeinschaft dafür beweisbelastet ist, dass eine Ausnahme von der öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Errichtung und Erhaltung der erforderlichen Anzahl von Besucherplätzen besteht und sie deshalb die entsprechenden Parkplätze dauerhaft belegen dürfen; dies hat das Bundesgericht unmissverständlich festgehalten (Urteil 5C.162/2005, E. 2.3). Indem das Obergericht vom Beschwerdeführer den Nachweis verlangt, dass und inwiefern die anderen Stockwerkeigentümer die Besucherparkplätze dauernd in Beschlag nehmen, auferlegt es die Beweislast für das Vorliegen einer Ausnahme vom Zweckerhaltungsgebot im Ergebnis wiederum dem Beschwerdeführer; auch vor diesem Hintergrund erweist sich sein Urteil als willkürlich.
Das Obergericht wird nicht umhinkommen, das vom Bundesgericht geforderte Beweisverfahren durchzuführen (Urteil 5C.162/2005, E. 2.3), allenfalls durch Rückweisung an das Bezirksgericht, zumal die für das Vorliegen einer Ausnahme beweisbelastete Beschwerdegegnerin bezüglich der Belegung der Besucherplätze eine Parteibefragung, S.________ als Zeugen sowie "alle erforderlichen Beweismittel" angeboten hat (Klageantwort, S. 4 und 5).
6.
Zusammenfassend ergibt sich, dass das angefochtene Urteil in Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde aufzuheben ist. Die Beschwerdegegnerin wird somit kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 11. September 2006 wird aufgehoben.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'500.-- wird der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 24. April 2007
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: