Tribunale federale
Tribunal federal
{T 7}
I 505/06
Urteil vom 16. Mai 2007
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Traub.
Parteien
IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach, Beschwerdeführerin,
gegen
S.________, 1945, Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Willi Füchslin, Zürcherstrasse 49, 8853 Lachen.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 5. April 2006.
Sachverhalt:
A.
Der 1945 geborene S.________ war ab 1977 bei verschiedenen Arbeitgebern als Maler und Gipser erwerbstätig. Zu Beginn des Jahres 2001 machte er sich als Gipser selbständig. Am 22. Oktober 2003 meldete sich S.________ wegen chronischer Rückenbeschwerden zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Schwyz gewährte ihm Berufsberatung (Verfügung vom 1. März 2004). Nachdem die Eingliederungsbemühungen fehlgeschlagen waren, sprach die IV-Stelle S.________ mit Wirkung ab Oktober 2003 eine Viertelsrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 44 Prozent zu (mit Einspracheentscheid vom 28. November 2005 bestätigte Verfügung vom 8. November 2004).
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hiess die dagegen erhobene Beschwerde in dem Sinne gut, als es S.________ mit Wirkung ab Oktober 2003 eine halbe Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 53 Prozent zusprach (Entscheid vom 5. April 2006).
C.
Die IV-Stelle des Kantons Schwyz führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Beschwerdeentscheid sei aufzuheben.
Versicherter und kantonales Gericht schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
1.2 Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Bundesgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim (damaligen) Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich die bundesgerichtliche Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht.
2.
Strittig ist allein, ob die Vorinstanz bei der - zum Zweck des Einkommensvergleichs nach Art. 28 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG (BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348) erforderlichen - Bemessung des hypothetischen Einkommens ohne Gesundheitsschaden (Valideneinkommen) zu Recht auf die Daten aus Tabelle 1 der Lohnstrukturerhebung des Bundesamts für Statistik (LSE) 2002 (S. 43) und hier auf das Anforderungsniveau 1+2 (Verrichtung "höchst anspruchsvoller und schwierigster" respektive "selbständiger und qualifizierter" Arbeiten) abgestellt hat, was nach Umrechnung des Zentralwerts (Medians) von Fr. 6067.- in die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit und Einbezug der Lohnentwicklung bis 2003 zu einem jährlichen Validenlohn von Fr. 76'856.- führte.
2.1 Für die Bemessung des Valideneinkommens ist entscheidend, was die versicherte Person im massgebenden Zeitpunkt des Rentenbeginns (vgl. BGE 129 V 222 mit Hinweis) als Gesunde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit tatsächlich verdienen würde, und nicht, was sie bestenfalls verdienen könnte. Die Ermittlung des Valideneinkommens muss so konkret wie möglich erfolgen. Massgebend ist, was die versicherte Person aufgrund ihrer beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Umstände sowie unter Berücksichtigung ihrer beruflichen Weiterentwicklung, soweit dafür hinreichend konkrete Anhaltspunkte bestehen, zu erwarten gehabt hätte (AHI 1998 S. 171 E. 5a mit Hinweisen). Da die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden erfahrungsgemäss fortgesetzt würde, ist in der Regel vom letzten vor Eintritt der Gesundheitsschädigung erzielten Lohn auszugehen. Das Gehalt ist, wenn nötig, der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung anzupassen (RKUV 2006 Nr. U 568 S. 66 E. 2, U 87/05).
Bei stark schwankenden Einkommensverhältnissen kann auf den vor Eintritt der Invalidität während einer längeren Zeitspanne erzielten Durchschnittsverdienst abgestellt werden (AHI 1999 S. 240 E. 3b; ZAK 1985 S. 466). Lässt sich aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse das ohne gesundheitliche Beeinträchtigung realisierbare Einkommen nicht hinreichend genau beziffern, ist auf statistische Werte, so auf die Tabellenlöhne der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik, zurückzugreifen (Urteil B 80/01 vom 17. Oktober 2003, E. 5.2.2 mit Hinweisen auf die Kasuistik). Auf sie darf jedoch im Rahmen der Invaliditätsbemessung nur unter Berücksichtigung der für die Entlöhnung im Einzelfall relevanten persönlichen und beruflichen Faktoren abgestellt werden (Urteil I 97/00 vom 29. August 2002, E. 1.2; Meyer-Blaser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997, S. 205 f.; Omlin, Die Invalidität in der obligatorischen Unfallversicherung, Diss. Freiburg 1995, S. 180 f.).
2.2 Diesen Grundsätzen folgend wäre das Valideneinkommen zunächst unter der Vorgabe einer selbständigen Geschäftstätigkeit zu bemessen gewesen. Mit der Vorinstanz ist indes festzustellen, dass die Datengrundlage der Jahre 2001 und 2002 zu schmal und zu uneinheitlich ist, als dass sie tragfähige Rückschlüsse auf das hypothetische Einkommen ohne Gesundheitsschaden erlaubt hätte. Es ist also nicht zu beanstanden, dass im angefochtenen Entscheid statistische Werte beigezogen wurden, welche die branchenübliche Erwerbslage - freilich von Unselbständigerwerbenden - wiedergeben. Strittig und näher zu prüfen ist die Massgeblichkeit der konkreten Tabellenposition.
2.3 Die beschwerdeführende IV-Stelle vertritt die Auffassung, das vom kantonalen Gericht herangezogene Anforderungsniveau 1+2 setze regelmässig eine leitende Funktion voraus. Der Versicherte habe seine Firma aber als Einmanngeschäft betrieben; auch früher habe er nie eine Kaderstellung innegehabt. Er könne daher lohnstatistisch keiner höheren Stufe als Anforderungsniveau 3 ("Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt") zugeordnet werden, was ein massgebendes Valideneinkommen von Fr. 66'937.- (und nicht, wie vom kantonalen Gericht angenommen, ein solches von Fr. 76'856.-) ergebe.
Zu treffen ist eine Annahme über den überwiegend wahrscheinlichen Verlauf der Einkommensentwicklung ohne Gesundheitsschaden; das Valideneinkommen ist nicht eine vergangene, sondern eine hypothetische Grösse (Urteil I 696/01 vom 4. April 2002, E. 4b/bb). Das kantonale Gericht hat das Vorgehen der Verwaltung, auf ein Durchschnittsgehalt mehrerer Jahre abzustellen, zu Recht verworfen. Die im Individuellen Konto der Ausgleichskassen erfassten Einkommen der Jahre 1996 bis 2000 dürfen nicht unbesehen auf den hier interessierenden Zeitraum ab 2003 umgelegt werden, da sie wiederholte Perioden von Arbeitslosigkeit und häufige Stellenwechsel enthalten. Vor diesem Hintergrund erscheint das im Jahr 2000 tatsächlich erzielte Gesamtgehalt von Fr. 71'304.- (hochgerechnet auf 2003: Fr. 75'187.-) nicht als "Ausreisser", auch wenn die im Individuellen Konto der Ausgleichskassen ausgewiesenen Einkommen der Vorjahre alle erheblich tiefer waren. Vielmehr indiziert es die Richtigkeit der Grössenordnung des von der Vorinstanz tabellarisch ermittelten Valideneinkommens von Fr. 76'856.-. Im Weiteren würde die Annahme, der Beschwerdegegner könnte auch zu Zeiten normalisierter Baukonjunktur überwiegend wahrscheinlich nicht mit einer Stabilisierung der erwerblichen Situation rechnen, seinem beruflichen Werdegang nicht gerecht: Der Versicherte erlernte von 1968 bis 1970 den Beruf des Malers und Gipsers und übte diesen jahrzehntelang im Angestelltenverhältnis, seit Beginn 2001 als Selbständigerwerbender aus. Gerade letzterer Umstand ist ungeachtet dessen, dass der Beschwerdegegner eine Einzelfirma unterhielt und keine Führungsfunktion ausübte, durchaus als qualifizierendes Element in die Bemessung des Valideneinkommens einzubeziehen. Es ist sachgerecht, dass das kantonale Gericht den Ansatz für selbständige und qualifizierte Arbeit für massgebend betrachtet hat. Das Anforderungsniveau 1+2 umfasst offenkundig nicht nur eigentliche Spitzentätigkeiten des entsprechenden Sektors; wäre es anders, entstünde zwischen dieser Kategorie und der folgenden (Anforderungsniveau 3: "Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt") eine relativ grosse begriffliche Lücke.
Der angefochtene Entscheid besteht zu Recht und ist auch im Rahmen der Angemessenheitskontrolle (E. 1.2) nicht zu beanstanden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, der Ausgleichskasse Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 16. Mai 2007
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: