Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
9C_188/2007
Urteil vom 25. Juni 2007
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.
Parteien
O.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Dr. Michel Béguelin, Dufourstrasse 12, 2502 Biel,
gegen
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 9. März 2007.
Sachverhalt:
A.
Die 1951 geborene O.________ meldete sich im Februar 2005 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen verneinte die IV-Stelle Bern mit Verfügung vom 5. Dezember 2005 den Anspruch auf eine Invalidenrente, was sie mit Einspracheentscheid vom 11. Oktober 2006 bestätigte.
B.
Die Beschwerde der O.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, mit Entscheid vom 9. März 2007 ab.
C.
O.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 9. März 2007 sei aufzuheben und es sei ihr eine Rente zuzusprechen; eventualiter sei die Sache an die IV-Stelle zur weiteren Abklärung und zu neuer Entscheidung zurückzuweisen.
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Nach dieser kognitionsrechtlichen Ordnung ist die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes (BGE 125 V 193 E. 2 S. 195) und der Beweiswürdigungregeln durch das kantonale Versicherungsgericht nach Art. 61 lit. c ATSG frei überprüfbare Rechtsfrage. Feststellungen des kantonalen Gerichts, allenfalls als Ergebnis der Beweiswürdigung, zum Gesundheitszustand (Befund, Diagnose, Prognose etc.) und zur trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung zumutbaren Arbeitsfähigkeit betreffen grundsätzlich Tatfragen und sind somit lediglich unter eingeschränktem Blickwinkel überprüfbar (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397).
2.
Das kantonale Gericht hat durch Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG und BGE 128 V 29 E. 1 S. 30) einen Invaliditätsgrad von 30% ermittelt, was keinen Anspruch auf eine Rente ergibt (Art. 28 Abs. 1 IVG). Validen- und Invalideneinkommen hat es auf der Grundlage des Verdienstes in der seit Mai 1999 teilzeitlich ausgeübten Tätigkeit als Lehrerin für Deutsch an einer Sprachschule in X.________ (BGE 126 V 75 E. 3b/aa S. 76) bestimmt. Dabei ist die Vorinstanz von einer trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung zumutbaren Arbeitsfähigkeit von 70% entsprechend der Einschätzung des Hausarztes Dr. med. W.________ im Bericht vom 30. September 2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 17. Oktober 2005 ausgegangen.
3.
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe den rechtserheblichen Sachverhalt in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit als Sprachlehrerin offensichtlich unrichtig und unvollständig festgestellt.
3.1 Die Rüge ist unbegründet, soweit das kantonale Gericht sich mit den im Wesentlichen gleichen Vorbringen in der vorinstanzlichen Beschwerde auseinandergesetzt und ihnen keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat. Es betrifft dies die Schmerzproblematik sowie den Beweiswert des Berichts des Dr. med. B.________ vom 3. November 2006. Die Beschwerdeführerin legt denn auch nicht ansatzweise dar, inwiefern die diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Schlussfolgerung der Vorinstanz unrichtig oder sonst wie bundesrechtswidrig sind.
Im Weitern ist nicht zu beanstanden, dass das kantonale Gericht dem angeblich widersprüchlichen Verhalten des Hausarztes Dr. med. W.________ und gewissen Ungenauigkeiten bei der Wiedergabe der Anamnese und der sozialen Situation im Arztbericht vom 30. September 2005 keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat.
3.2 Zum Vorbringen, die an einer colitis ulcerosa leidende Beschwerdeführerin müsse jeden Morgen im Durchschnitt etwa ein Dutzend Mal auf die Toilette und könne daher das Haus erst gegen Mittag verlassen, hat sich das kantonale Gericht nicht geäussert, insbesondere keine Feststellungen getroffen.
3.2.1 Aus den Akten ergibt sich, dass die Versicherte bereits bei der Mitteilung von Name und Adresse ihres Arbeitgebers unmittelbar nach der Anmeldung bei der Invalidenversicherung erwähnte, sie arbeite «sehr unregelmässig, nie vormittags, aus gesundheitlichen Gründen». Die Sprachschule für Erwachsene, an welcher die Beschwerdeführerin seit Mai 1999 als Lehrerin für Deutsch teilzeitlich tätig war, hielt in ihrer Arbeitsbestätigung vom 23. Oktober 2006 fest, diese habe im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. September 2006 367 Lektionen zu 45 Minuten erteilt. Da sie aus gesundheitlichen Gründen morgens nicht arbeiten könne, sei vereinbart worden, dass sie im Normalfall nicht mehr als 15 Lektionen pro Woche unterrichte. Dies entspricht bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden gemäss Fragebogen für den Arbeitgeber vom 10. Mai 2005 einem Pensum von 37,5%. Der Hausarzt Dr. med. W.________ erwähnte im Arztbericht vom 30. September 2005 bei den angegebenen Beschwerden u.a. «Morgendlicher Stuhlgang mit mehreren Entleerungen».
Die IV-Stelle hielt dem Einwand in der Einsprache, die Versicherte müsse jeden Morgen im Durchschnitt etwa ein Dutzend Mal auf die Toilette und könne daher das Haus erst gegen Mittag verlassen, entgegen, es könne ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der seit 2000 behandelnde Hausarzt über die Anzahl der Stuhlentleerungen bestens informiert sei, auch wenn er im Bericht vom 30. September 2005 die Häufigkeit nicht ausdrücklich genannt habe (Einspracheentscheid vom 11. Oktober 2006). Diese Begründung erscheint plausibel. Es kommt dazu, dass die vom Hausarzt attestierte Arbeitsfähigkeit - verstanden als noch vorhandenes funktionelles Leistungsvermögen einschliesslich der Zumutbarkeit entsprechend profilierter Tätigkeiten (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398) - von 70% nicht im Widerspruch dazu stehen muss, dass eine erwerbliche Tätigkeit ausser Haus aus welchen Gründen auch immer erst ab Mittag in Betracht fällt.
3.2.2 Kann die Beschwerdeführerin tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen nicht vor Mittag unterrichten, stellt sich die Frage, ob unter diesen Umständen an der aktuellen Stelle ein Pensum von 70%, was fünf bis sechs Lektionen im Tag entspricht, überhaupt realisierbar ist. Ist das zu verneinen, kann zumindest das Invalideneinkommen nicht auf der Grundlage des Verdienstes als Lehrerin für Deutsch an der betreffenden Sprachschule ermittelt werden (vgl. E. 2). Vielmehr wären dazu statistische Durchschnittslöhne heranzuziehen (BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475, 126 V 75 E. 3b/bb S. 76). Dies erforderte vorab eine schlüssige fachärztliche Einschätzung der zumutbaren Arbeitsfähigkeit. Daran gebricht es vorliegend. Dr. med. W.________ äusserte sich einzig zur Arbeitsfähigkeit in der seit Mai 1999 ausgeübten Tätigkeit als Sprachlehrerin. Wenn und soweit aus gesundheitlichen Gründen frühestens ab Mittag eine ausserhäusliche Tätigkeit in Betracht fallen sollte, erschiene auch die erwerbliche Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit erschwert.
Das Gesagte zeigt, dass der Frage, ob die Beschwerdeführerin tatsächlich jeden Morgen im Durchschnitt etwa ein Dutzend Mal auf die Toilette gehen muss und daher das Haus erst gegen Mittag verlassen kann, entscheidende Bedeutung für den streitigen Rentenanspruch zukommt. Da hinreichend Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es sich effektiv so verhält, hätten entsprechende Abklärungen vorgenommen werden müssen, was indessen unterblieben ist. Die Vorinstanz hat somit in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes den rechtserheblichen Sachverhalt unvollständig festgestellt (Art. 97 BGG und Art. 61 lit. c ATSG). Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Die IV-Stelle wird im dargelegten Sinne ergänzende Abklärungen vorzunehmen haben und danach über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Invalidenrente neu verfügen.
4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Zudem hat die Verwaltung der Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
In Gutheissung der Beschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 9. März 2007 und der Einspracheentscheid vom 11. Oktober 2006 aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle Bern zurückgewiesen, damit sie nach Abklärungen im Sinne der Erwägungen über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Rente der Invalidenversicherung neu verfüge.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle Bern auferlegt.
3.
Der Beschwerdeführerin wird der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- zurückerstattet.
4.
Die IV-Stelle Bern hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung (einschliesslich Mehrwertsteuer) von Fr. 2500.- zu bezahlen.
5.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung hat die Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses festzusetzen.
6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 25. Juni 2007
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: