Tribunale federale
Tribunal federal
K 117/06{T 7}
Urteil vom 10. Juli 2007
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.
Parteien
VISANA, Juristischer Dienst, Weltpoststrasse 19, 3000 Bern 15, Beschwerdeführerin,
gegen
Kanton St. Gallen, Kantonsarzt-Amt des Kantons St. Gallen, Moosbruggstrasse 11, 9001 St. Gallen, Beschwerdegegner,
betreffend G.________.
Gegenstand
Krankenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 7. Juli 2006.
Sachverhalt:
A.
Der in Schänis wohnhafte G.________ liess sich am 7. Juli 2005 in der Klinik H.________ eine Knie-Totalendoprothese links einsetzen. Am Tag der Entlassung am 19. Juli 2005 trat eine Hemisymptomatik auf, was die notfallmässige Überweisung in die Neurochirurgische Klinik des Universitätsspitals X.________ notwendig machte. Dort wurde ein akutes Subduralhämatom unter oraler Antikoagulation fronto-tempero-parieto-occipital rechts diagnostiziert und evakuiert. Am 28. Juli 2005 konnte G.________ das Spital verlassen. Das Gesuch des Universitätsspitals X.________ um «Kostengutsprache für ausserkantonale Behandlungen nach Artikel 41.3 KVG» lehnte das Kantonsarzt-Amt St. Gallen ab, was es mit Verfügung vom 2. November 2005 gegenüber der Visana, bei welcher G.________ obligatorisch krankenpflegeversichert war, bestätigte. Zur Begründung führte es an, der Versicherte habe sich zuerst freiwillig in ein ausserkantonales Spital begeben. Dort habe sich eine Komplikation aus dieser Hospitalisation (Hirnblutung nach oraler Antikoagulation nach Knie-TP links) ergeben. Das habe zur Einweisung ins Universitätsspital X.________ geführt. Mit Einspracheentscheid vom 24. Januar 2006 hielt die Amtsstelle an ihrem Standpunkt fest.
B.
Die Beschwerde der Visana wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 7. Juli 2006 ab.
C.
Die Visana führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 7. Juli 2006 sei aufzuheben und es sei «Kostengutsprache für ausserkantonale Behandlung nach Art. 41 Abs. 3 KVG» zu erteilen.
Das Kantonsarzt-Amt St. Gallen stellt keinen Antrag zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid erging vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 6. Dezember 2005 über das Bundesgericht (BGG) am 1. Januar 2007. Das Verfahren richtet sich daher noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; Art. 132 Abs. 1 BGG).
2.
Die II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts ist letztinstanzlich zuständig für die Beurteilung der Leistungspflicht des Kantons St. Gallen nach Art. 41 Abs. 3 KVG für die stationäre Behandlung des im Kanton wohnhaften G.________ vom 19. bis 28. Juli 2005 in der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsspitals X.________ (Art. 82 lit. a BGG und Art. 35 lit. d des Reglements für das Bundesgericht vom 20. November 2006 [BGerR] sowie Art. 1 KVG in Verbindung mit Art. 62 Abs. 1 ATSG in der seit 1. Januar 2007 geltenden Fassung; BGE 130 V 215 E. 2.1 S. 219 mit Hinweisen). Die übrigen formellen Voraussetzungen sind ebenfalls erfüllt. Insbesondere ist die Visana, welche als Tiers payant die gesamten Kosten für Behandlung und Aufenthalt abzüglich eines Selbstbehalts im Rahmen der Zusatzversicherung vergütet hat, zur Beschwerde legitimiert (Art. 103 lit. a OG; BGE 123 V 290 E. 4 S. 298; SVR 2005 KV Nr. 29 S. 103 [K 39/04]).
3.
3.1 Nach Art. 41 KVG können die Versicherten unter den zugelassenen Leistungserbringern, die für die Behandlung ihrer Krankheit geeignet sind, frei wählen (Abs. 1 erster Satz). Dabei gilt für die Kostenübernahme bei stationärer Behandlung folgende Regelung: Der Versicherer muss die Kosten höchstens nach dem Tarif übernehmen, der im Wohnkanton der versicherten Person gilt (Abs. 1 dritter Satz). Beanspruchen Versicherte aus medizinischen Gründen einen anderen Leistungserbringer, so richtet sich die Kostenübernahme nach dem Tarif, der für diesen Leistungserbringer gilt (Abs. 2 erster Satz). Medizinische Gründe liegen bei einem Notfall vor oder wenn die erforderlichen Leistungen im Wohnkanton oder in einem auf der Spitalliste des Wohnkantons nach Artikel 39 Absatz 1 Buchstabe e aufgeführten ausserkantonalen Spital nicht angeboten werden (Abs. 2 zweiter Satz und lit. b). Beansprucht die versicherte Person aus medizinischen Gründen die Dienste eines ausserhalb ihres Wohnkantons befindlichen öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spitals, so übernimmt der Wohnkanton die Differenz zwischen den in Rechnung gestellten Kosten und den Tarifen des betreffenden Spitals für Einwohner und Einwohnerinnen des Kantons (Abs. 3 erster Satz; Ausgleichs- oder Differenzzahlungspflicht: BGE 130 V 215 E. 1.1 S. 218 mit Hinweisen).
Nach der Rechtsprechung stellen Notfälle nach Art. 41 Abs. 2 zweiter Satz KVG medizinische Gründe im Sinne von Art. 41 Abs. 3 KVG dar (vgl. BGE 131 V 59 E. 4 und 5.1 S. 61, 127 V 409 E. 3a S. 414).
3.2 Im Urteil K 81/05 vom 13. April 2006 (RKUV 2006 Nr. KV 369 S. 232) hat das Bundesgericht (damals: Eidgenössisches Versicherungsgericht) entschieden, dass keine Differenzzahlungspflicht des Wohnkantons der versicherten Person besteht, wenn eine notfallmässig in einem ausserkantonalen öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spital behandlungsbedürftige Erkrankung in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit einer nicht aus medizinischen Gründen ausserkantonal durchgeführten Behandlung steht. Dieser Konnex ist insbesondere gegeben, wenn die Notfallsituation anlässlich der freiwillig ausserhalb des Wohnkantons durchgeführten Behandlung eintritt. Ob die sofortige medizinische Hilfe erfordernde Erkrankung voraussehbar war oder sogar eine gewisse Auftretenswahrscheinlichkeit bestand, ist nicht von Belang.
4.
In Anwendung der Rechtsprechung gemäss erwähntem Urteil K 81/05 hat das st. gallische Versicherungsgericht eine Differenzzahlungspflicht des Kantons für die notfallmässige stationäre Behandlung von G.________ vom 19. bis 28. Juli 2005 im Universitätsspital X.________ verneint. Die Vorinstanz hat erwogen, der Versicherte sei nach der Knieoperation links (Implantation einer Totalendoprothese) am 7. Juli 2005 in der Klinik H.________ oral mit Marcoumar antikoaguliert worden. Bei der Anwendung dieses Cumarin-Derivats könnten Blutungen resp. Hämatome (Aufhebung der Gerinnungshemmung) auftreten. Bei Hypertonikern und über 50-jährigen Patienten sei das Risiko intracerebraler oder subduraler Hämatomie erhöht; bei über 60-jährigen Personen steige es stark an. Der Versicherte sei im Zeitpunkt des Eintritts des Notfalls 69 Jahre alt gewesen. Auch von Seiten des Vertrauensarztes der Visana sei bestätigt worden, dass eine orale Antikoagulation die Entstehung eines akuten Subduralhämatoms begünstigen könne. Aufgrund des Berichts der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsspitals X.________ vom 4. August 2005 sei die postoperative Behandlung mit Marcoumar zumindest eine Teilursache für das akute Auftreten der Hirnblutung subdural gewesen, was für den sachlichen Zusammenhang im Sinne des Urteils K 81/05 vom 13. April 2006 genüge. Der zeitliche Konnex sei ebenfalls gegeben, indem das Hämatom während der stationären Behandlung in der Klinik H._________ aufgetreten sei (E. 4c des angefochtenen Entscheids).
5.
Die Visana bringt vor, im Urteil K 81/05 vom 13. April 2006 sei die Voraussetzung des zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs zwischen der nicht aus medizinischen Gründen ausserkantonal durchgeführten Behandlung und der notfallmässig in einem ausserkantonalen öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spital behandlungsbedürftigen Erkrankung nicht präzisiert worden. Nach Sinn und Zweck des Art. 41 Abs. 3 KVG genüge es nicht, einzig zwischen alleiniger Kausalität und Teilkausalität zu unterscheiden, wie dies die Vorinstanz gemacht habe. Vielmehr sei innerhalb der geforderten Teilkausalität weiter zu differenzieren, mit welcher Wahrscheinlichkeit die einzelnen Faktoren als Ursache einer Blutung in Frage kämen. Vorliegend sei von einer multifaktoriellen Ätiologie der intrakraniellen Blutung auszugehen. Zu den Risikofaktoren zählten neben der Antikoagulation oral mit Marcoumar das Alter 69 sowie die arterielle Hypertonie, an welcher der Versicherte im Behandlungszeitpunkt gelitten habe. Gemäss dem Gutachten der Frau Dr. med. D.________ vom 6. September 2006 sei der direkte Zusammenhang zwischen der oralen Antikoagulation und der intrakraniellen Blutung gesamthaft als gering bis fehlend einzuschätzen. Es müsse daher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die übrigen Faktoren (Alter, arterielle Hypertonie) einen viel höheren Einfluss auf die Hirnblutung gehabt hätten. Diese sei somit als eigenständiges Krankheitsgeschehen zu betrachten. Der sachliche Zusammenhang zwischen der Knie-Totalendoprothese und dem akuten Subduralhämatom fehle daher. Demzufolge habe sich der Wohnkanton an den Behandlungskosten zu beteiligen.
6.
Entgegen der Auffassung der Visana ergibt sich aus dem Urteil K 81/05 vom 13. April 2006 mit hinreichender Klarheit, wann der sachliche und zeitliche Zusammenhang zwischen einer notfallmässig in einem ausserkantonalen öffentlichen oder öffentlich subventionierten Spital behandlungsbedürftigen Erkrankung und einer nicht aus medizinischen Gründen ausserkantonal durchgeführten Behandlung als gegeben zu betrachten ist. Danach genügt grundsätzlich, dass die notfallmässig zu behandelnde Erkrankung zu den möglichen Risiken des freiwillig ausserkantonal durchgeführten medizinischen Eingriffs gehört und die Notfallsituation während des Spitalaufenthalts eintritt (RKUV 2006 Nr. KV 369 S. 237 E. 5.2). Ob die sofortige medizinische Hilfe erfordernde Erkrankung voraussehbar war oder sogar eine gewisse Auftretenswahrscheinlichkeit bestand, ist nicht von Belang (RKUV a.a.O. E. 5.3). Zu diesen Risiken zählen insbesondere alle Erkrankungen, deren Entstehung durch die freiwillig ausserkantonal durchgeführte Behandlung begünstigt werden können. Unerheblich ist, ob die notfallmässig zu behandelnde Krankheit wahrscheinlich oder sogar überwiegend wahrscheinlich die natürlich kausale Folge des freiwillig ausserkantonal durchgeführten Eingriffs ist und ob sie unter diagnostischen und therapeutischen Gesichtspunkten als selbständiges Krankheitsgeschehen zu betrachten ist. Die Rechtsprechung gemäss RKUV 1999 Nr. KV 91 S. 457 ist nicht anwendbar. Anderes gilt nur, wenn gesagt werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit es auch ohne die freiwillig ausserkantonal durchgeführte Behandlung zur notfallmässig behandlungsbedürftigen Erkrankung gekommen wäre. Nur diese Betrachtungsweise wird dem Zweck des Art. 41 Abs. 3 KVG gerecht.
Vorliegend ist unbestritten, dass die orale Antikoagulation mit Marcoumar nach der Knieoperation vom 7. Juli 2005 die Entstehung eines Subduralhämatoms begünstigen konnte. Dass die Hirnblutung überwiegend wahrscheinlich auch ohne den Eingriff entstanden wäre, ist nicht anzunehmen. Somit entfällt eine Differenzzahlungspflicht des Wohnkantons des Versicherten, wie die Vorinstanz richtig entschieden hat.
7.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario; BGE 130 V 87). Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Visana aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1000.- werden der Visana auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 10. Juli 2007
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: