Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5P.59/2007 /blb
Urteil vom 12. Juli 2007
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber von Roten.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Rudolf,
gegen
Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Vroni Schwitter,
Obergericht des Kantons Nidwalden, Zivilabteilung Grosse Kammer, Rathausplatz 1, 6371 Stans.
Gegenstand
Art. 9 BV (Abänderung des Scheidungsurteils),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden, Zivilabteilung Grosse Kammer, vom 13. November 2006.
Sachverhalt:
A.
Die Ehe zwischen X.________ (Ehemann) und Y.________ (Ehefrau) wurde am 2. Dezember 1985 geschieden. Gemäss der gerichtlich genehmigten Vereinbarung über die Nebenfolgen der Scheidung verpflichtete sich der Ehemann, der Ehefrau gestützt auf aArt. 151 Abs. 1 ZGB monatlich Fr. 1'650.-- während den ersten zehn Jahren und daraufhin Fr. 1'350.-- zu bezahlen. Die Unterhaltsbeiträge waren mit einer gerichtsüblichen Indexklausel versehen.
B.
Am 2. Mai 2005 leitete X.________ den Abänderungsprozess ein. Er beantragte die Aufhebung seiner Unterhaltspflicht vorab mit der Begründung, infolge Pensionierung habe sich sein Einkommen verringert. Das Kantonsgericht und - auf Appellation von X.________ hin - das Obergericht des Kantons Nidwalden wiesen die Klage wegen Vorhersehbarkeit der Veränderung der Verhältnisse ab (Urteile vom 29. März 2006 und vom 13. November 2006).
C.
X.________ hat gegen das obergerichtliche Urteil staatsrechtliche Beschwerde erhoben und eidgenössische Berufung eingelegt. Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt er dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil aufzuheben. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG, SR 173.110) in Kraft getreten, das gemäss Art. 132 Abs. 1 BGG auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar ist, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist. Letztere Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, so dass die Eingaben des Beschwerdeführers vom 21. Mai 2007 gegen das obergerichtliche Urteil vom 13. November 2006 als staatsrechtliche Beschwerde (Art. 84 ff. OG) und als eidgenössische Berufung (Art. 43 ff. OG) zu behandeln sind. Der Regel entsprechend (Art. 57 Abs. 5 OG), ist über die staatsrechtliche Beschwerde zuerst zu entscheiden.
2.
Gemäss - dem hier anwendbaren (Art. 7a Abs. 3 SchlTZGB) - aArt. 153 ZGB ist die Aufhebung oder Herabsetzung der Unterhaltsbeiträge unter anderem dann zulässig, "wenn die Vermögensverhältnisse des Pflichtigen der Höhe der Rente nicht mehr entsprechen" (Abs. 2). Nach ständiger Rechtsprechung muss die Veränderung der Verhältnisse erheblich, dauernd und unvorhersehbar sein (BGE 96 II 301 Nr. 41; 117 II 211 E. 5a S. 217 und 359 E. 3 S. 363; 118 II 229 E. 3 S. 232 ff.). Beide kantonalen Instanzen haben die Unvorhersehbarkeit verneint und angenommen, dass zum Zeitpunkt der Scheidung sowohl die Pensionierung als auch deren finanziellen Auswirkungen vorhersehbar gewesen seien. Das Obergericht hat dabei vollumfänglich auf die kantonsgerichtlichen Ausführungen (E. 3.4 S. 12 ff.) verwiesen (E. 4c S. 10 des angefochtenen Urteils). Der Beschwerdeführer wendet dagegen Willkür in der Beweiswürdigung ein (S. 5 ff. Ziff. 3-6). Er macht weiter geltend, auf die Vorhersehbarkeit komme es nicht an. Ausschlaggebend sei vielmehr einzig, ob die Unterhaltsbeiträge mit Blick auf die vorhersehbare Veränderung festgesetzt worden seien, wofür sich keinerlei Hinweise fänden und das Obergericht lediglich allgemeine Grundsätze anführe (S. 7 Ziff. 7 der Beschwerdeschrift).
3.
Der Abänderung gemäss aArt. 153 Abs. 2 ZGB unterliegen nicht bloss durch Urteil festgelegte, sondern auch von den Parteien vereinbarte und anschliessend gerichtlich genehmigte Renten (BGE 105 II 166 E. 1 S. 169). Von welchen Vorstellungen die Parteien bei Abschluss einer Vereinbarung ausgegangen sind, ist Tatfrage und kann im Verfahren der eidgenössischen Berufung grundsätzlich nicht überprüft werden (BGE 105 II 166 E. 2 S. 169). Anders verhält es sich, wenn das kantonale Gericht die Vorhersehbarkeit der Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse weder zum Gegenstand der Beweisführung gemacht noch anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt, sondern darüber ausschliesslich gestützt auf die allgemeine Lebenserfahrung entschieden hat. Derartige Annahmen über die mutmasslichen Erwartungen der Parteien im Scheidungszeitpunkt können im Verfahren der eidgenössischen Berufung gleich Rechtsfragen frei überprüft werden (BGE 118 II 229 E. 3a S. 232/233; allgemein: Poudret/Sandoz-Monod, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. II, Bern 1990, N. 4.2.1 S. 533 f., N. 4.2.3 und N. 4.2.4 zu Art. 63 OG; Spühler, Wann sind Grundsätze der Lebenserfahrung allgemeine Rechtssätze?, SJZ 93/1997 S. 392 ff., mit weiteren Beispielen).
Der Beschwerdeführer hebt hervor, es bestünden keinerlei Indizien, dass die Parteien im Scheidungszeitpunkt vorhergesehen hätten, wie sich sein Einkommen zur Zeit der Pensionierung konkret verändern würde. Die kantonalen Gerichte haben auch kein Beweisverfahren dazu durchgeführt. Das Obergericht ist - in Übereinstimmung mit dem Kantonsgericht - davon ausgegangen, dass das Dreisäulenkonzept im Grundsätzlichen, aber auch das damit bezweckte Leistungsziel der Sicherung von 60 % des letzten Einkommens mit Hilfe der 1. und 2. Säule (AHV/IV und BVG) sowohl den Parteien und ihren Rechtsvertretern wie auch dem Scheidungsgericht zum damaligen Zeitpunkt bekannt gewesen sein dürfte und dass die gerichtlich genehmigte Scheidungsvereinbarung deshalb im Wissen und in Berücksichtigung der finanziellen Folgen der dereinstigen Pensionierung des Beschwerdeführers ergangen sei.
Die obergerichtliche Schlussfolgerung beruht auf allgemeiner Lebenserfahrung und stützt sich weder auf Indizien noch sonstwie auf Ergebnisse eines Beweisverfahrens. Sie kann im Verfahren der eidgenössischen Berufung überprüft werden, so dass sich die staatsrechtliche Beschwerde insoweit als unzulässig erweist (Art. 84 Abs. 2 OG).
4.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kommt es nicht entscheidend auf die Vorhersehbarkeit der Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse an, sondern darauf, ob der Unterhaltsbeitrag mit Blick auf diese vorhersehbare Veränderung festgelegt wurde (BGE 131 III 189 E. 2.7.4 S. 199 mit Hinweisen). Dabei ist allerdings im Sinne einer tatsächlichen Vermutung anzunehmen, dass vorhersehbare Veränderungen auch berücksichtigt wurden (Lüchinger/Geiser, Basler Kommentar, 1996, N. 12 zu aArt. 153 ZGB; vgl. auch Spycher/Gloor, Basler Kommentar, 2006, N. 9, und Schwenzer, FamKommentar Scheidung, Bern 2005, N. 7, je zu Art. 129 ZGB).
Wird eine tatsächliche Vermutung aus konkreten Umständen eines Einzelfalls abgeleitet, gehört sie zur (Indizien-) Beweiswürdigung, die ausschliesslich mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte angefochten werden kann. Beruht die tatsächliche Vermutung aber auf der allgemeinen Lebenserfahrung, kann sie im Verfahren der eidgenössischen Berufung gleich einer Rechtsfrage frei überprüft werden (BGE 117 II 256 E. 2b S. 258; allgemein: Poudret/Sandoz-Monod, a.a.O., N. 4.3.3 zu Art. 43 OG; Hohl, Le contrôle des présomptions et autres déductions par le Tribunal fédéral, en particulier en matière de preuve facilitée, FS Schüpbach, Basel 2000, S. 187 ff., S. 190 f., mit weiteren Beispielen).
Der Beschwerdeführer hebt hervor, die kantonalen Gerichte stützten sich weder auf Indizien noch auf Anhaltspunkte in den Scheidungsakten oder sonstige Hinweise. Es werde ausgeführt, dass im Sinne einer tatsächlichen Vermutung anzunehmen sei, die Veränderung - die finanziellen Folgen der dereinstigen Pensionierung - seien damals mitberücksichtigt worden. Findet die tatsächliche Vermutung ihre Grundlage somit in der allgemeinen Lebenserfahrung, hat der Beschwerdeführer seine Rüge, die Vermutung sei unzutreffend, mit eidgenössischer Berufung vorzubringen. Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich auch diesbezüglich als unzulässig (Art. 84 Abs. 2 OG).
5.
Aus den dargelegten Gründen kann auf die staatsrechtliche Beschwerde insgesamt nicht eingetreten werden. Der Beschwerdeführer wird damit kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden, Zivilabteilung Grosse Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 12. Juli 2007
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: