Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6S.123/2007
6S.134/2007 /hum
Urteil vom 23. Juli 2007
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Stohner.
Parteien
6S.123/2007
Staatsanwaltschaft I des Kantons Uri, Postfach 933, 6460 Altdorf, Beschwerdeführerin,
gegen
X.________,
Beschwerdegegner,
und
6S.134/2007
X.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft I des Kantons Uri, Postfach 933, 6460 Altdorf, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Verkehrsregelverletzung,
Nichtigkeitsbeschwerden (6S.123/2007 und 6S.134/2007) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Uri, Strafrechtliche Abteilung, vom 11. Oktober 2006.
Sachverhalt:
A.
X.________ hat am 6. und 26. April 2005 auf einem Parkplatz in Altdorf, auf welchem Motorwagen nur gegen Gebühr abgestellt werden dürfen, für die von ihm benutzten Parkfelder die Parkuhr jeweils nicht in Gang gesetzt.
B.
Mit Urteil vom 12. Januar 2006 hat das Landgericht Uri, Strafrechtliche Abteilung, X.________ des zweimaligen Nichtingangsetzens der Parkuhr schuldig befunden und ihn mit einer Busse von Fr. 80.-- bestraft.
C.
Die von X.________ gegen diesen Entscheid eingereichte Berufung hiess das Obergericht des Kantons Uri, Strafrechtliche Abteilung, mit Urteil vom 11. Oktober 2006 teilweise gut. Das Obergericht erklärte X.________ des zweimaligen Nichtingangsetzens der Parkuhr schuldig, nahm jedoch betreffend die erste Tathandlung vom 6. April 2005 von der Strafe Umgang und verurteilte X.________ zu einer Busse von Fr. 40.--.
D.
X.________ und die Staatsanwaltschaft I des Kantons Uri führen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Der Verurteilte beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache sei zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Staatsanwaltschaft stellt die Anträge, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen, X.________ wegen zweimaliger Tatbegehung mit einer Busse von Fr. 80.-- zu bestrafen.
Das Obergericht des Kantons Uri, Strafrechtliche Abteilung, hat keine Gegenbemerkungen zu den Beschwerden eingereicht. X.________ und die Staatsanwaltschaft haben auf Vernehmlassungen zur Nichtigkeitsbeschwerde der Gegenpartei verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das angefochtene Urteil ist vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) am 1. Januar 2007 ergangen. Auf die dagegen erhobenen Rechtsmittel ist deshalb noch das bisherige Verfahrensrecht anwendbar (Art. 132 Abs. 1 BGG, e contrario), hier somit dasjenige der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde (Art. 268 ff. BStP).
Am 1. Januar 2007 ist auch der revidierte Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches in Kraft getreten. Die neuen Bestimmungen sind hier aber noch nicht von Bedeutung, da das Bundesgericht im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde nur prüft, ob das kantonale Gericht das eidgenössische Recht richtig angewendet hat (Art. 269 Abs. 1 BStP), mithin das Recht, welches im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Entscheids noch gegolten hat (BGE 129 IV 49 E. 5.3 mit Hinweisen).
2.
Die Vorinstanz hat erwogen, indem der Verurteilte die Parkuhr für die von ihm belegten Parkfelder nicht in Gang gesetzt habe, habe er den objektiven Tatbestand von Art. 48 Abs. 6 der Signalisationsverordnung (SSV; SR 741.21) erfüllt. Subjektiv sei der Verurteilte einem Sachverhaltsirrtum unterlegen, da er offensichtlich davon ausgegangen sei, die Parkgebühr für das von ihm benutzte Parkfeld bezahlt zu haben, obwohl er in Tat und Wahrheit die Gebühr für ein anderes Feld entrichtet hatte. Dieser Irrtum aber wäre bei pflichtgemässer Vorsicht vermeidbar gewesen, weshalb der Verurteilte grundsätzlich wegen fahrlässiger Tatbegehung strafbar sei (angefochtenes Urteil S. 6 f.).
Da der Verurteilte jedoch betreffend Computern, Handys und anderen elektronischen Apparaten, welche mit Tastaturen zu bedienen seien, eher unbeholfen sei und ein fehlerhaftes Eintippen einer Ziffer an einem Automaten zudem schnell geschehen könne, könne die erste Tat vom 6. April 2005 als besonders leichter Fall gemäss Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG qualifiziert und deshalb von der Strafe Umgang genommen werden. Betreffend die zweite Tatbegehung sei dies nicht der Fall, da der Verurteilte sich der Gefahren nunmehr hätte bewusst sein und besondere Umsicht hätte walten lassen müssen (angefochtenes Urteil S. 8).
I. Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten
3.
3.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe beide Male die Parkgebühr bezahlt. Rechtlich sei zu differenzieren, ob jemand eine Parkuhr grundsätzlich nicht bediene, oder ob jemand, wie er, die Parkgebühr versehentlich für ein falsches Parkfeld entrichte, indem er nicht exakt hinschaue respektive sich vertippe. Ihm für diesen Fehler eine Busse aufzuerlegen, bedeute einen überspitzten Leerlaufformalismus.
3.2 Nach Art. 48 Abs. 6 SSV dürfen Motorwagen auf den entsprechend gekennzeichneten Parkplätzen nur gegen Gebühr und gemäss den an der Parkuhr vermerkten Bestimmungen abgestellt werden. Diese Zahlungspflicht gilt uneingeschränkt (BGE 114 IV 62 E. 3b). Das Nichtingangsetzen der Parkuhr gemäss dieser Bestimmung wird mit einer Busse von Fr. 40.-- bestraft (Anhang 1 Ziff. 203.3 Ordnungsbussenverordnung [OBV; SR 741.031]).
3.3 Auf dem in Frage stehenden Parkplatz erfolgt die Registrierung direkt an der Parkuhr, so dass die Quittung nicht im Auto deponiert werden muss. Die Quittungen werden deshalb häufig sofort in den Abfalleimer geworfen, weshalb es ein Leichtes ist, sich einer entledigten Quittung zu behändigen und unter deren Vorweisung zu behaupten, man habe zwar bezahlt, jedoch für das falsche Parkfeld. Die rechtsanwendenden Behörden hätten mithin in jedem Einzelfall die Glaubwürdigkeit solcher Vorbringen zu prüfen. Eine solche Überprüfung wäre nicht nur schwierig, sondern liefe aufgrund des den Behörden erwachsenden unverhältnismässig hohen Aufwands auch einem effizienten Vollzug der Ordnungsbussen zuwider. Des Weiteren würde eine solche Praxis Missbrauch Tür und Tor öffnen, da oftmals zugunsten der angeschuldigten Person davon ausgegangen werden müsste, diese habe sich tatsächlich vertippt.
Folglich verletzt die Auffassung der Vorinstanz, bereits das falsche Eintippen, d.h. das Entrichten der Gebühr für ein nicht benutztes Parkfeld, erfülle den objektiven Tatbestand von Art. 48 Abs. 6 SSV, kein Bundesrecht.
3.4 Strafbar ist auch die fahrlässige Tatbegehung (vgl. Art. 100 Ziff. 1 Abs. 1 SVG). Auf der Parkuhr selbst ist eine gut verständliche Anleitung angebracht; angesichts der Einfachheit der Bedienung wäre deshalb das falsche Eintippen der Nummer für den Beschwerdeführer bei der gebotenen Aufmerksamkeit vermeidbar gewesen. Die Vorinstanz hat den subjektiven Tatbestand von Art. 48 Abs. 6 SSV somit zu Recht bejaht.
3.5 Im Ergebnis ist damit entscheidend, dass der Beschwerdeführer die Gebühr für das konkret benutzte Parkfeld fahrlässig nicht bezahlt hat.
Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.
II. Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft
4.
4.1 Die Nichtigkeitsbeschwerde ist im Schuld- und Strafpunkt rein kassatorischer Natur (Art. 277ter Abs. 1 BStP). Soweit die Beschwerdeführerin mehr verlangt als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, ist auf ihr Rechtsmittel nicht einzutreten (BGE 129 IV 276 E. 1.2).
4.2 Mit Nichtigkeitsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG, da die Vorinstanz zwar den Tatbestand von Art. 48 Abs. 6 SSV bejaht, jedoch mit der Begründung, es liege in Bezug auf die erste Tatbegehung ein besonders leichter Fall vor, von der Bestrafung Umgang genommen habe.
4.3 Nach Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG kann in besonders leichten Fällen von einer Bestrafung Umgang genommen werden. Bei der Auslegung und Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs des "besonders leichten Falls" verfügt der Sachrichter über einen weiten Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift insoweit nur bei Ermessensüberschreitung oder -missbrauch ein. Dies ist namentlich der Fall, wenn die kantonalen Behörden von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen sind oder wesentliche Gesichtspunkte zu Unrecht ausser Acht gelassen bzw. (in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens) in einer unhaltbaren Weise gewichtet haben (BGE 129 IV 6 E. 6.1).
Ob ein besonders leichter Fall vorliegt, hängt von den gesamten objektiven und subjektiven Umständen ab, die bei der Abwägung des Verschuldens zu berücksichtigen sind (BGE 124 IV 184 E. 3a). Von einer Busse soll nur Umgang genommen werden, wenn eine noch so geringe Strafe, weil dem Verschulden des Täters nicht angemessen, als stossend erschiene. Die Rechtsprechung stellt mithin an den besonders leichten Fall hohe Anforderungen; insbesondere kann nicht jede fahrlässige Erfüllung des Tatbestands als besonders leicht gelten (BGE 117 IV 302 E. 3b/cc).
4.4 Die Vorinstanz hat erwogen, der Beschwerdegegner sei technisch eher unbeholfen und ein falsches Eintippen einer Ziffer an einem Automaten sei schnell geschehen.
Es ist jedoch unbestritten und vom Beschwerdegegner ausdrücklich anerkannt, dass er am 6. April 2005 die Nummer auf dem Parkfeld falsch abgelesen und diese falsche Nummer anschliessend an der Parkuhr an sich korrekt eingetippt hat (erstinstanzliches Urteil S. 6). Wie die Beschwerdeführerin zutreffend geltend macht, ist somit das Nichtingangsetzen der Parkuhr für das korrekte Parkfeld nicht auf ein Vertippen an der Apparatur, sondern auf ein Verwechseln der Parkfeldnummer zurückzuführen.
Dementsprechend ist die technische Unbeholfenheit des Beschwerdegegners nicht von Relevanz. Die Vorinstanz hat somit diesem Umstand zu Unrecht massgebliches Gewicht beigemessen und hierdurch ihr Ermessen missbräuchlich ausgeübt.
4.5 Das falsche Ablesen der Parkfeldnummer wäre für den Beschwerdegegner bei pflichtgemässer Vorsicht ohne Weiteres vermeidbar gewesen. Besondere Umstände, welche die Bestrafung des Beschwerdegegners mit einer Busse von Fr. 40.-- als derart stossend erscheinen liessen, dass hiervon Umgang genommen werden müsste, liegen nicht vor.
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Beschwerdeführerin ist demnach gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist.
III. Kosten- und Entschädigungsfolgen
5.
Bei diesem Ausgang der Verfahren trägt der Verurteilte die Kosten (Art. 278 Abs. 1 BStP). Der Staatsanwaltschaft steht keine Entschädigung zu (Art. 278 Abs. 3 BStP).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde von X.________ wird abgewiesen.
2.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft I des Kantons Uri wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, das Urteil des Obergerichts des Kantons Uri, Strafrechtliche Abteilung, vom 11. Oktober 2006 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
3.
Die Gerichtsgebühren von insgesamt Fr. 4'000.-- werden X.________ auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Uri, Strafrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. Juli 2007
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: