Tribunale federale
Tribunal federal
{T 7}
I 504/06
Urteil vom 25. Juli 2007
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.
Parteien
L.________, 1969, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Kessler, Pilatusstrasse 18, 6003 Luzern,
gegen
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 26. April 2006.
Sachverhalt:
A.
L.________, geboren 1969, litt gemäss Gutachten der MEDAS vom 10. Mai 1999 unter einer chronischen Kopfschmerz-Symptomatik mit Schmerzmittelmissbrauch und mässig ausgeprägtem depressiven Zustandsbild. Laut dem Bericht des Psychiatriezentrums X.________ vom 15. März 2002 bestand seit August 2001 eine mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom und seit mehreren Jahren ein Stilnox- und Tramal-Abhängigkeitssyndrom und migräneartige Kopfschmerzen. Die IV-Stelle Luzern sprach L.________ mit Verfügungen vom 26. September 2000 und 4. September 2002 ab 1. Juni 1997 bis 31. Juli 1999 eine ganze, ab 1. August 1999 eine halbe und ab 1. November 2001 erneut eine ganze Invalidenrente zu. Im Rahmen eines im Februar 2003 eingeleiteten Rentenrevisionsverfahrens kam die IV-Stelle zum Schluss, es gehe der Versicherten gesundheitlich besser. Am 26. Februar 2004 verfügte sie die Herabsetzung der ganzen Rente auf eine halbe ab April 2004. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 21. Juli 2004 fest.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 26. April 2006 ab.
C.
L.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei ihr unter Aufhebung des kantonalen Entscheides ab 1. April 2004 weiter eine ganze Invalidenrente auszurichten; die Verwaltung sei zu verpflichten, für das Einsprache- sowie das vor- und letztinstanzliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen; zudem beantragt sie die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Vorinstanz und IV-Stelle schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
2.
Da die Beschwerde am 1. Juli 2006 letztinstanzlich schon anhängig war, richtet sich die Kognition des Bundesgerichts nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG.
3.
Im angefochtenen Gerichtsentscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG; altArt. 4 Abs. 1 IVG) und die Ermittlung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten (Einkommensvergleichsmethode [Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG; altArt. 28 Abs. 2 IVG; BGE 104 V 135 E. 2a und b S. 136 f.]) sowie die Voraussetzungen für einen Rentenanspruch und dessen Umfang (Art. 28 Abs. 1 [in der bis Ende 2003 gültig gewesenen Fassung] und Abs. 1bis IVG [in Kraft gestanden bis Ende Dezember 2003]) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. Dasselbe gilt hinsichtlich der Rechtsprechung zur Aufgabe des Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261, 115 V 133 E. 2 S. 134, 105 V 156 E. 1 S. 158) und zum Beweiswert ärztlicher Berichte (BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 f. mit Hinweisen). Ebenfalls richtig wiedergegeben hat die Vorinstanz die Grundsätze über die revisionsweise Anpassung einer laufenden Rente bei anspruchserheblicher Änderung des Gesundheitszustands oder dessen erwerblichen Auswirkungen (Art. 17 ATSG und Art. 88a Abs. 1 IVV [in der seit 1. März 2004 geltenden Fassung]).
4.
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch ab 1. April 2004.
4.1 In formeller Hinsicht rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung des rechtlichen Gehörs im Einspracheverfahren und der Entscheidsbegründung, da sich die Verwaltung nicht (resp. nicht ausreichend) mit ihren Vorbringen bezüglich des sich verschlechternden Gesundheitszustandes auseinandergesetzt habe. Dazu hat die Vorinstanz bereits zu Recht befunden, dass, selbst wenn im Vorgehen der Verwaltung eine Gehörsverletzung zu sehen wäre, diese geheilt werden konnte, da im kantonalen Verfahren der Sachverhalt und die Rechtslage frei überprüfbar war. Auch der Vorwurf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz (vgl. Ziff. 9 - 11 der Verwaltungsgerichtsbeschwerde), die gewisse gerügte Mängel des Verwaltungsverfahrens nicht beachtet habe, dringt nicht durch. Die Begründungspflicht ist zwar wesentlicher Bestandteil des verfassungsrechtlichen Gehörsanspruchs (Art. 29 Abs. 2 BV). Diese soll verhindern, dass sich die Behörde von unsachlichen Motiven leiten lässt, und es dem Betroffenen ermöglichen, die Verfügung gegebenenfalls sachgerecht anzufechten. Dies bedeutet indessen nicht, dass sie sich ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen muss. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 124 V 180 E. 1a S. 181 mit Hinweisen; Georg Müller, in Kommentar aBV, Art. 4 Rz 112 ff. mit Hinweisen). Die beanstandeten Sachverhalte (einzelne Schreiben an den Rechtsvertreter waren falsch adressiert; ein Gespräch in der Eingliederungs- und Abklärungsstelle IGA Werkräume über den Fortgang der Abklärung soll dem Rechtsvertreter nicht angekündigt worden sein; einzelne Kontaktnahmen der Verwaltung mit der Beschwerdeführerin sollen in den Akten nicht ausreichend dokumentiert sein) haben jedoch ganz offensichtlich keine entscheidwesentliche Bedeutung, weshalb der Vorinstanz nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, dass sie sich in den Erwägungen ihres Entscheides damit nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat.
5.
In materieller Hinsicht rügt die Beschwerdeführerin, Verwaltung und Vorinstanz seien zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich der Invaliditätsgrad im relevanten Zeitraum erheblich geändert habe.
5.1 Im Einspracheentscheid vom 21. Juli 2004 wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin leide nicht mehr unter Depressivität und sie habe den Opioid- und Hypnotikum-Abusus sistiert. Die Arbeitsfähigkeit betrage nunmehr wieder 50 %, der Invaliditätsgrad 53 %, was nur noch Anspruch auf eine halbe Invalidenrente gebe.
Es trifft zwar zu, dass keine Änderung der Diagnose gegenüber der Zusprache der ganzen Rente eingetreten ist. Indessen ist zu beachten: Die Verfügung vom 4. September 2002, worin ab 1. November 2001 eine ganze Rente zugesprochen wurde, stützt sich auf den Bericht des Psychiatriezentrums X.________ vom 15. März 2002. Dort wird eine Arbeitsunfähigkeit von 100 % ab 8. August 2001 bis 1. März 2002 und dann von 70-80 % angegeben, begründet einzig mit der Suchtproblematik, die indessen als solche nicht invalidisierend ist (AHI 1996 S. 301 E. 2a; BGE 102 V 165). Zudem wurde festgehalten, dass eine Besserung möglich wäre, wenn sich die Versicherte für eine Suchtbehandlung entscheiden könnte.
5.2 Gestützt auf diese Beurteilung wäre es zweifellos unrichtig gewesen (und hätte einen Wiedererwägungsgrund gesetzt, vgl. Art 53 Abs. 2 ATSG), wenn die Verwaltung ohne Weiteres eine ganze Rente zugesprochen hätte. Effektiv hat das die Beschwerdegegnerin auch nicht getan: Sie hat in der Verfügung vom 4. September 2002, worin sie die ganze Rente zusprach, klar gesagt, dass eine Entzugsbehandlung innert sechs Monaten erwartet wird, ansonsten eine Reduktion der Rentenleistung geprüft werde. Grund für die Erhöhung der Rente von einer halben auf die ganze war somit einzig die Suchtproblematik, und dies zu Recht nur im Sinne einer vorübergehenden Erhöhung bis zum Medikamentenentzug. Dass ein Entzug problemlos möglich gewesen ist, geht aus dem Austrittsbericht des Psychiatriezentrums X.________ vom 6. Juli 2004 hervor. Damit war der Grund für die vorübergehende Erhöhung der Rente weggefallen.
5.3 Auch die späteren Berichte weisen ausser der Suchtproblematik keine relevante Verschlechterung der krankheitswertigen Leiden aus gegenüber dem Zustand, der bereits früher Anlass zu einer halben Rente gegeben hat, die ja weiter läuft. Abgesehen davon betreffen sie mehrheitlich einen Zeitraum nach dem hier massgebenden Zeitpunkt (Einspracheentscheid: 21. Juli 2004) und/oder stellen auf invaliditätsfremde Aspekte ab (Berichte Dr. med. S.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie vom 9. März und 30. Mai 2006).
6.
Erweist sich somit der angefochtene Entscheid jedenfalls im Ergebnis als richtig, entfällt von vornherein die beantragte Parteientschädigung für das Einsprache-, vor- und letztinstanzliche Verfahren.
7.
Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 152 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird Rechtsanwalt Stefan Kessler, Luzern, für das Verfahren vor dem Bundesgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 25. Juli 2007
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: