Tribunale federale
Tribunal federal
{T 7}
U 546/06
Urteil vom 29. August 2007
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Lanz.
Parteien
R.________, 1964, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Sabine Steiger-Sackmann, Dornacherstrasse 10, 4603 Olten,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 13. September 2006.
Sachverhalt:
A.
Die 1964 geborene, als Sekretärin/Chemielaborantin in der Firma X.________ AG tätige und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Unfallfolgen versicherte R.________ erlitt am 21. September 2002 einen Verkehrsunfall. Sie hatte den von ihr gelenkten Peugeot 406 Coupé abgebremst, als ein dahinter fahrender Nissan Sunny, deren Lenkerin dies zu spät bemerkt hatte, in dessen Heck fuhr. R.________ erlitt ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule (HWS). Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Nach Abklärungen zum Unfallhergang und zum medizinischen Sachverhalt eröffnete sie der Versicherten mit Verfügung vom 18. April 2005 die Einstellung der gesetzlichen Leistungen per 30. April 2005. Sie verneinte zudem einen Anspruch auf Invalidenrente und Integritätsentschädigung. Zur Begründung wurde ausgeführt, die noch bestehenden Beschwerden stünden nicht in einem adäquaten Kausalzusammenhang zum Unfall vom 21. September 2002. Daran hielt die SUVA mit Einspracheentscheid vom 22. August 2005 fest.
B.
Die von R.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 13. September 2006 ab.
C.
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung von Einsprache- und vorinstanzlichem Entscheid seien weiterhin UVG-Leistungen auszurichten.
Die SUVA beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ohne sich weiter zur Sache zu äussern. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der angefochtene Entscheid ist indessen vorher ergangen, weshalb sich das Verfahren noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG) richtet (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung aus dem Unfall vom 21. September 2002 über den 30. April 2005 hinaus. Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung massgebenden Rechtsgrundlagen, insbesondere auch zum für einen Leistungsanspruch aus der obligatorischen Unfallversicherung erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden, zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
3.
3.1 Die Parteien und die Vorinstanz sind sich - nach Lage der Akten zu Recht - darin einig, dass die noch bestehenden gesundheitlichen Beschwerden zumindest teilweise (zum Genügen einer Teilursächlichkeit für die Leistungspflicht des Unfallversicherers: BGE 123 V 43 E. 2b S. 45 mit Hinweis, 121 V 326 E. 2 S. 329 mit Hinweisen) natürlich kausal auf das beim Unfall erlittene HWS-Distorsionstrauma zurückzuführen sind. Unbestritten und zutreffend ist auch, dass mangels einer organisch (hinreichend) nachweisbaren Ursache der Beschwerden eine spezifische Adäquanzprüfung zu erfolgen hat, wobei die Schleudertrauma-Praxis (BGE 117 V 359) anzuwenden ist. Letzteres ist insofern relevant, weil demnach, anders als im Falle einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall (BGE 115 V 133), bei der Prüfung der unfallbezogenen Adäquanzkriterien auf eine Differenzierung zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet wird (BGE 117 V 359 E. 6a S. 367).
3.2 Für die Adäquanzbeurteilung ist an das (objektiv erfassbare) Unfallereignis anzuknüpfen (BGE 117 V 359 E. 6a S. 366 f.). Das kantonale Gericht hat die Auffahrkollision vom 21. September 2002 als mittelschwer an der Grenze zu den leichten Unfällen eingeordnet. Diese Beurteilung ist aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufs und im Lichte der Rechtsprechung richtig und auch nicht umstritten.
Von den weiteren, objektiv fassbaren und unmittelbar mit dem Unfall in Zusammenhang stehenden oder als Folge davon erscheinenden Umständen, welche als massgebende Kriterien in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind (BGE 117 V 359 E. 6a s. 367), müssten demnach für eine Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhanges entweder ein einzelnes in besonders ausgeprägter Weise oder aber mehrere in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sein (BGE 117 V 359 E. 6b S. 367 f.).
3.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, es seien die drei Kriterien der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung, der Dauerbeschwerden sowie des Grades und der Dauer der Arbeitsunfähigkeit gegeben, die letztgenannten beiden Kriterien sogar in besonders ausgeprägter Weise. Demgegenüber erachten Vorinstanz und Unfallversicherer nur, und nicht als besonders ausgeprägt, die Kriterien der Dauerbeschwerden und der Arbeitsunfähigkeit für erfüllt.
Das kantonale Gericht hat zum letztgenannten Kriterium namentlich erwogen, dieses sei nicht besonders ausgeprägt gegeben, da die Versicherte auch längere Abschnitte zwischen 20 und 50 % gearbeitet habe. Die Beschwerdeführerin wendet ein, die Arbeitsunfähigkeit sei wesentlich ausgedehnter und mit dem Sachverhalt, welcher dem Urteil U 346/03 vom 13. Mai 2004 zugrunde gelegen habe, zu vergleichen.
3.4 Im Urteil U 346/03 vom 13. Mai 2004 (zusammengefasst in: AJP 2005 S. 338; auszugsweise wiedergegeben in: Plädoyer 4/2004 S. 70) entschied das (damalige) Eidgenössische Versicherungsgericht bei einer Versicherten, welche ein Schleudertrauma der HWS zugezogen hatte, dass bei der gegebenen vollen Arbeitsunfähigkeit von praktisch ununterbrochen 22 Monaten und einer anhaltenden Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50 % das Kriterium des Grades und der Dauer der Arbeitsunfähigkeit als besonders ausgeprägt erfüllt zu bezeichnen sei.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, dass die Versicherte gleich nach dem Unfall vom 21. September 2002 einen Monat voll arbeitsunfähig war. Ab 21. Oktober 2002 arbeitete sie wieder zu 20 %, wobei es in der Folge wiederholt zu medizinisch bedingten kurzfristigen vollständigen Ausfällen kam. Nachdem Statusgespräche mit der Arbeitgeberin stattgefunden hatten, war die Versicherte von September bis November 2003 zu ca. 50 - 60 % tätig. Anschliessend bestand wieder eine volle Arbeitsunfähigkeit. Auf den 1. Januar 2004 wurde die Versicherte vom gleichen Arbeitgeber in einem Pensum von nunmehr 50 % und mit einem schonenderen Anforderungsprofil angestellt. Schon unmittelbar nach Arbeitsantritt wurde aber ab 5. Januar bis 30. September 2004 wieder eine volle Arbeitsunfähigkeit bestätigt. Ein auf Oktober 2004 vorgesehener Arbeitsversuch im Rahmen eines Pensums von anfänglich 25 % fand mangels einer relevanten gesundheitlichen Verbesserung nicht statt. Am 4. Januar 2005 äusserte sich der Kreisarzt im Bericht über die Ärztliche Abschlussuntersuchung dahingehend, dass sich der Zustand zunehmend verschlechtert habe und eine nach dem Unfall vom 21. September 2002 primär noch tolerierte Arbeitsfähigkeit von 50 % in der jetzigen Situation nicht mehr zumutbar sei. Die Prognose bezeichnete der Kreisarzt als ungewiss, wobei er einen späteren Wiedereinstieg in den Arbeitsprozess nicht ausschloss. Der Kreisarzt bestätigte weiter, dass keine Anhaltspunkte für eine Aggravation bestünden.
3.5 Die zuvor zu 100 % erwerbstätig gewesene Versicherte war mithin in den knapp 3 Jahren zwischen dem Unfall vom 21. September 2002 und dem - die zeitliche Grenze der gerichtlichen Überprüfung bildenden (BGE 130 V 445 E. 1.2 S. 446 mit Hinweisen) - Erlass des Einspracheentscheids vom 22. August 2005 lediglich während rund 10 Monaten (mit Unterbrüchen) zu 20 % sowie während rund drei Monaten zu 50 - 60 % arbeitsfähig und im Übrigen, mithin während fast zwei Jahren sowie noch im Zeitpunkt des Einspracheentscheides und ohne Aussicht auf eine baldige Veränderung, voll arbeitsunfähig. Das Kriterium von Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist damit, im Lichte auch des im Urteil U 346/03 vom 13. Mai 2004 Gesagten, in besonders ausgeprägter Weise gegeben. Kantonales Gericht und SUVA haben demnach dem Unfall vom 21. September 2002 zu Unrecht eine massgebliche Bedeutung für die fortbestehenden Beschwerden abgesprochen, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ohne dass noch weiter zu prüfen ist, ob und in welcher Weise weitere Adäquanzkriterien erfüllt wären, gutzuheissen ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 13. September 2006 und der Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom 22. August 2005 werden aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 29. August 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: