Tribunale federale
Tribunal federal
{T 7}
I 1068/06
Urteil vom 31. August 2007
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Arnold.
Parteien
W.________, 1958, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Willy Bolliger-Kunz, Bahnhofplatz 1, 5400 Baden,
gegen
IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 31. Oktober 2006.
Sachverhalt:
A.
Die 1958 geborene W.________ meldete sich am 24. Dezember 2002 unter Hinweis auf eine bei einem Verkehrsunfall am 9. September 2000 erlittene Distorsionsverletzung der Halswirbelsäule (HWS) bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle zog zwecks Abklärung der medizinischen und beruflich-erwerblichen Verhältnisse die Akten der SUVA bei, die ihre Leistungspflicht als Unfallversicherung für das Ereignis vom 9. September 2000 anerkannt hatte, holte einen Bericht des Hausarztes Dr. med. R.________, Allgemeine Medizin FMH vom 10. Februar 2003 ein und liess ein polydisziplinäres Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) des Spitals X.________ vom 7. November 2003 (samt neuropsychologischem und rheumatologischem Teilgutachten) erstellen. In diesem diagnostizierten die Administrativgutachter ein cervico-cephales Syndrom rechtsbetont mit Spannungskopfschmerzen sowie ein chronisches thorako-vertebrales Syndrom rechtsbetont und empfahlen die Durchführung medizinischer Massnahmen (kräftigende Heilgymnastik unter physiotherapeutischer Anleitung, Einnahme schmerzmodulierender Psychopharmaka etc.), wodurch innert sechs bis zwölf Monaten die im Umfang von 20 bis 30 % verminderte Arbeitsfähigkeit wieder vollumfänglich erreicht werden könne. Mit Schreiben vom 26. März 2004 eröffnete die Verwaltung der Versicherten, die gutachterlich empfohlenen medizinischen Massnahmen oder alternativ eine Psychotherapie, falls eine medikamentöse Behandlung des Schmerzsyndroms nicht akzeptiert würde, versprächen eine wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit und seien zumutbar. Unter Hinweis auf die gesetzlichen Mitwirkungs- und Schadenminderungspflichten sowie die Möglichkeit einer Leistungsverweigerung stellte die IV-Stelle in Aussicht, dass das Rentenbegehren im Widersetzungsfall abgelehnt würde. Nachdem sich der Hausarzt Dr. med. R.________ in seinem Kurzbericht vom 11. Mai 2004 auf den Standpunkt gestellt hatte, die ins Auge gefassten medizinischen Massnahmen seien nicht erfolgversprechend, holte die IV-Stelle bei der MEDAS des Spitals X.________ ein ergänzendes - psychiatrisches - Gutachten (vom 14. Mai 2004) ein. Laut diesem liegen keine Hinweise für psychische Beschwerden vor; bezüglich Verbesserung des Gesundheitszustandes und - mittelbar - der Erwerbsfähigkeit wird die Einschätzung gemäss Gutachten der MEDAS (vom 7. November 2003) als richtig bestätigt. Mit Verfügung vom 23. März 2005 lehnte die IV-Stelle das Leistungsgesuch (berufliche Massnahmen, Rente) mit der Begründung ab, die Versicherte widersetze sich der ihr zumutbaren medizinischen Therapie. Daran hielt die Verwaltung auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 7. Juni 2005).
B.
Die dagegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn ab (Entscheid vom 31. Oktober 2006).
C.
W.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sei festzustellen, dass sie "Anspruch auf eine unbefristete ganze Invalidenrente, ev(tl). Anspruch auf berufliche Massnahmen," habe.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das letztinstanzliche Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
1.2 Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 Abs. 2 OG [in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG, in Kraft gewesen von 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006] in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
1.3 Mit Blick auf diese neue Kognitionsregelung im Bereich der Invalidenversicherung ist aufgrund der Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen Bundesrecht verletzt (Art. 104 lit. a OG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 105 Abs. 2 OG). Hingegen hat eine freie Überprüfung des vorinstanzlichen Entscheides in tatsächlicher Hinsicht (aArt. 132 lit. b OG) ebenso zu unterbleiben wie eine Prüfung der Ermessensbetätigung (aArt. 132 lit. a OG) nach den Grundsätzen zur Angemessenheitskontrolle (BGE 126 V 75 E. 6 S. 81). Auch besteht (entgegen aArt. 132 lit. c OG) Bindung an die Parteianträge, handelt es sich doch nicht um eine Abgabestreitigkeit (Art. 114 Abs. 1 OG; zum Ganzen: BGE 132 V 393).
2.
2.1 Entzieht oder widersetzt sich eine versicherte Person einer zumutbaren Behandlung oder Eingliederung ins Erwerbsleben, die eine wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit oder eine neue Erwerbsmöglichkeit verspricht, oder trägt sie nicht aus eigenem Antrieb das ihr Zumutbare dazu bei, so können ihr die Leistungen vorübergehend oder dauernd gekürzt oder verweigert werden. Sie muss vorher schriftlich gemahnt und auf die Rechtsfolgen hingewiesen werden; ihr ist eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen. Behandlungs- und Eingliederungsmassnahmen, die eine Gefahr für Leben und Gesundheit darstellen, sind nicht zumutbar (Art. 21 Abs. 4 ATSG). Art. 7 Abs. 1 IVG verpflichtet die anspruchsberechtigten Personen zusätzlich, unter Hinweis auf die Kürzungs- und Verweigerungsmöglichkeiten gemäss Art. 21 Abs. 4 ATSG, die Durchführung aller Massnahmen, die zur Eingliederung ins Erwerbsleben getroffen werden, zu erleichtern.
2.2 Der gestützt auf Art. 2 ATSG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 IVG im Bereich der IV anwendbare Art. 21 Abs. 4 ATSG stimmt inhaltlich weitgehend mit der Regelung der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Bestimmungen der Art. 10 Abs. 2 IVG und Art. 31 IVG überein (BBl 1991 II 256, 1999 4567). Die hierzu ergangene Rechtsprechung bleibt somit gültig (Urteil I 462/05 vom 16. August 2006, E. 3.2; vgl. Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, N 54 ff. zu Art. 21). Dies betrifft insbesondere die formellen Erfordernisse des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens (BGE 122 V 218; SVR 2005 IV Nr. 30 S. 113 [Urteil I 605/04 vom 11. Januar 2005]; Urteile I 824/06 vom 13. März 2007, E. 2.3, und I 462/05 vom 16. August 2006, E. 3.3). Für die Beantwortung der Frage nach der Zumutbarkeit der Behandlung oder Eingliederungsmassnahme im Sinne von Art. 21 Abs. 4 ATSG kann auf die zu Art. 31 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung ergangene Rechtsprechung verwiesen werden, da sich diesbezüglich mit dem neuen Recht nichts geändert hat (vgl. auch Urteil I 824/06 vom 13. März 2007, E. 3.1.1). Danach sind die gesamten persönlichen Verhältnisse, insbesondere die berufliche und soziale Stellung des Versicherten, zu berücksichtigen. Massgebend ist aber das objektiv Zumutbare, nicht die subjektive Wertung des Versicherten (ZAK 1982 S. 495 E. 3; Urteil I 105/93 vom 11. März 1994, E. 2a; Meyer-Blaser, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 189). Die gesetzliche Vorgabe, wonach Massnahmen, die eine Gefahr für Leben und Gesundheit darstellen, nicht zumutbar sind, bedeutet nicht, dass eine Massnahme, die keine solche Gefahr darstellt, automatisch zumutbar ist (ZAK 1985 S. 326 E. 1; Kieser, a.a.O., N 60 zu Art. 21; Meyer-Blaser, a.a.O., S. 138 f.); sie weist aber doch daraufhin, dass nur Gründe von einer gewissen Schwere zur Unzumutbarkeit führen. Die Zumutbarkeit ist sodann in Relation einerseits zur Tragweite der Massnahme, andererseits zur Bedeutung der in Frage stehenden Leistung zu beurteilen. Namentlich bei medizinischen Massnahmen, die einen starken Eingriff in die persönliche Integrität der versicherten Person darstellen können, ist an die Zumutbarkeit kein strenger Massstab anzulegen (ZAK 1985 S. 325 E. 1). Umgekehrt ist die Zumutbarkeit eher zu bejahen, wenn die fragliche Massnahme unbedenklich ist (RKUV 1995 Nr. U 213 S. 68 E. 2b). Sodann sind die Anforderungen an die Schadenminderungspflicht dort strenger, wo eine erhöhte Inanspruchnahme der Invalidenversicherung in Frage steht, namentlich wenn der Verzicht auf schadenmindernde Vorkehren Rentenleistungen auslöst (BGE 113 V 22 E. 4b S. 32; Urteil I 824/06 vom 13. März 2007, E. 3.1.1).
3.
3.1 Das kantonale Gericht ist aufgrund einer umfassenden, sorgfältigen, objektiven und inhaltsbezogenen Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG; vgl. auch BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400), insbesondere gestützt auf die Gutachten der MEDAS des Spitals X.________ (vom 7. November 2003 und 14. Mai 2004), davon ausgegangen, dass für das Leiden der Beschwerdeführerin grundsätzlich zwei Therapien zur Verfügung stehen, die überwiegend wahrscheinlich Heilung oder doch mindestens eine wieder vollständige Erwerbsfähigkeit erwarten liessen, nämlich entweder eine medikamentöse Behandlung des Schmerzsyndroms oder eine Psychotherapie.
3.2 Bei den Feststellungen über die möglichen Therapien sowie deren Erfolgswahrscheinlichkeit und Risiken handelt es sich um Sachverhaltsfeststellungen, welche das Bundesgericht nur mit eingeschränkter Kognition überprüft (E. 1.2 und 1.3; Urteil I 744/06, E. 3.3). Die von der Beschwerdeführerin gegen die vorinstanzlichen Feststellungen vorgebrachten Einwendungen sind - soweit substantiiert - nicht geeignet, diese als offensichtlich unrichtig oder unvollständig erscheinen zu lassen. Die Vorinstanz hat entscheidwesentlich auf die Gutachten der MEDAS des Spitals X.________ abgestellt, denen, wie das kantonale Gericht zutreffend erwog, voller Beweiswert zukommt, da sie alle rechtsprechungsgemässen (BGE 125 V 351 E. 3 S. 352) Kriterien für beweiskräftige ärztliche Entscheidungsgrundlagen erfüllen. Die Expertisen ergingen gestützt auf gutachterliche Untersuchungen und in Kenntnis der Vorakten (Anamnese). Sie leuchten in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge ein und die Schlussfolgerungen der Fachärzte sind nachvollziehbar und überzeugend begründet. Wohl ergab die psychiatrische Begutachtung durch die MEDAS ("Eindisziplinäres Gutachten vom 14. Mai 2004"), dass keine Hinweise auf psychische Beschwerden vorlägen. Daraus kann, entgegen der offenbaren Auffassung der Beschwerdeführerin, indes nicht gefolgert werden, dass die insbesondere aus rheumatologischer Sicht (vgl. das rheumatologische Teilgutachten des Dr. med. B.________, MEDAS, vom 4. Juli 2003) postulierte Medikation durch schmerzmodulierende Psychopharmaka oder alternativ eine psychotherapeutische Behandlung des rheumatologisch erhobenen Schmerzsyndroms nicht erfolgversprechend wäre, wirken doch bei Schmerzpatienten typischerweise Soma und Psyche in vielfältiger Weise je aufeinander ein. Auf der Basis dieses für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhalts durfte das kantonale Gericht, ohne Bundesrecht zu verletzen, darauf erkennen, dass die Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf Leisungen nach IVG (Rente, berufliche Massnahmen) hat. Mit der Vorinstanz wäre es der Versicherten ohne Weiteres zumutbar gewesen, sich einer der beiden alternativ diskutierten medizinischen Massnahmen zu unterziehen.
4.
Für die Beurteilung, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine befristete Rente bis zum Ablauf des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens hat, d.h. bis jenem Zeitpunkt, in welchem die mit der Leistungsverweigerung zu sanktionierende Widersetzlichkeit feststand (vgl. hiezu AHI 1997 S. 36 E. 5a), ist von den gutachterlichen Stellungnahmen zur Arbeitsfähigkeit auszugehen. Laut Expertise vom 7. November 2003 ist es der Beschwerdeführerin möglich, die angestammte 50%ige Erwerbstätigkeit weiterhin auszuüben; rein theoretisch sei die bisherige Erwerbsarbeit in vollzeitlichem Umfang zumutbar. Die Leistungsfähigkeit in der bisherigen Erwerbstätigkeit ist gemäss den Gutachtern wegen Verlangsamung und des Einlegens schmerzbedingter Pausen um 30 - 40 % eingeschränkt. Dies gilt unabhängig davon, ob ein vollzeitliches Pensum oder aber - wie hier - eine 50%ige Erwerbstätigkeit in Frage steht, weshalb entgegen der Vorinstanz nicht auf eine durchschnittliche Restarbeitsfähigkeit von 65 % geschlossen werden kann. Zieht man in Betracht, dass die Gutachter hinsichtlich - in allen Teilen - leidensangepasster Tätigkeiten eine Leistungseinschränkung von 20 - 30 % postulieren, ist die Restarbeitsfähigkeit in der angestammten 50%igen Erwerbsarbeit vielmehr um maximal 30 % vermindert. Daraus resultiert für den Bereich Erwerbstätigkeit ein - mit dem Faktor 0.5 gewichteter - Invaliditätsgrad von 15 % (zum Prozentvergleich: BGE 114 V 310 E. 3a S. 313 mit Hinweisen). Mit Blick auf die Akten, worunter das von der Beschwerdeführerin letztinstanzlich eingereichte Gutachten des Zentrums Y.________ vom 27. Juni 2006, wonach die Arbeitsfähigkeit im Haushalt im Anschluss an den Unfall vom 9. September 2000 bloss während zweier Monate teilweise eingeschränkt war, fällt ausser Betracht, dass die Beschwerdeführerin im Haushalt - ungewichtet - ab Dezember 2000 (vgl. Art. 48 Abs. 2 IVG) mindestens 50 % eingeschränkt war, was Voraussetzung für den Anspruch auf eine Viertelsrente gewesen wäre (vgl. Art. 28 Abs. 1 IVG), weshalb die Vorinstanz im Ergebnis zu Recht den Anspruch auf eine befristete Rente verneint hat.
5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 zweiter Satz OG in der ab 1. Juli 2006 gültig gewesenen Fassung). Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 31. August 2007
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: