Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
2C_395/2007 /ble
Urteil vom 3. September 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jean-Pierre Menge,
gegen
Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht Graubünden, Asyl und Massnahmevollzug, Karlihof 4, 7000 Chur,
Bezirksgerichtspräsidium Plessur,
Poststrasse 14, 7000 Chur.
Gegenstand
Ausschaffungshaft (Art. 13b ANAG),
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den Entscheid des Bezirksgerichtspräsidiums Plessur vom 13. August 2007.
Sachverhalt:
A.
X.________ (geb. 1978) stammt aus Algerien. Er durchlief im Jahre 2004 unter dem Namen Y.________ (geb. 1986) erfolglos ein Asylverfahren. Das Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht Graubünden nahm ihn am 14. Februar 2007 in Ausschaffungshaft. Ab dem 14. Mai 2007 befand sich X.________ im Strafvollzug, bevor er am 8. August 2007 (00.01 Uhr) erneut in Ausschaffungshaft genommen wurde, welche das Bezirksgerichtspräsidium Plessur am 13. August 2007 prüfte und bis zum 7. November 2007 bestätigte.
B.
X.________ ist hiergegen gleichentags mit dem Antrag an das Bundesgericht gelangt, den Entscheid des Haftrichters aufzuheben; er sei sofort aus der Ausschaffungshaft zu entlassen. Die gesetzliche Frist von 96 Stunden zur Prüfung seiner Haft sei deutlich überschritten worden, ohne dass hierfür sachliche Gründe bestanden hätten.
C.
Das Bezirksgerichtspräsidium Plessur hat am 16. August 2007 die Akten eingereicht und auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht Graubünden und das Bundesamt für Migration beantragen, die Beschwerde abzuweisen. X.________ hat am 28. August 2007 an seinen Anträgen und Ausführungen festgehalten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid erging am 13. August 2007 und damit nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110, AS 2006 1205 ff.); die vorliegende Eingabe ist somit - entgegen der Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Entscheid (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) - als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten entgegenzunehmen (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG). Da das Wegweisungsverfahren des Beschwerdeführers am 1. Januar 2007 noch hängig war, beurteilt sich die Zulässigkeit seiner Haft nach der verschärften Zwangsmassnahmenregelung gemäss den Änderungen des Asylgesetzes vom 16. Dezember 2005 (BGE 133 II 1 E. 4 und 5).
2.
Der Beschwerdeführer stellt zu Recht das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen seiner Ausschaffungshaft nicht in Frage: Das Bundesamt für Flüchtlinge wies am 4. Februar 2004 sein - unter einer falschen Identität gestelltes - Asylgesuch ab und hielt ihn an, die Schweiz bis zum 31. März 2004 zu verlassen. Dieser Aufforderung ist er nicht nachgekommen; der Beschwerdeführer verschwand vielmehr wiederholt von dem ihm zugewiesenen Aufenthaltsort, wurde mehrmals straffällig, kam grundlos fremdenpolizeilichen Aufgeboten nicht nach und weigerte sich, bei der Abklärung seiner Identität und der Papierbeschaffung mitzuwirken. Am 9. August 2007 bestieg er zwar das Flugzeug in Zürich, doch war er in Genf nicht bereit, den Weiterflug in seine Heimat anzutreten, worauf er wieder in den Kanton Graubünden verbracht werden musste. Gestützt auf dieses Verhalten besteht bei ihm Untertauchensgefahr im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG (BGE 130 II 56 E. 3.1 S. 58 f. mit Hinweisen). Der Umstand allein, dass der Vollzug der Wegweisung wegen seiner Renitenz nicht leicht fällt, lässt diesen nicht bereits als undurchführbar erscheinen (vgl. Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG; BGE 130 II 56 E. 4.1.3 mit Hinweisen). Gerade wegen solcher Schwierigkeiten hat der Gesetzgeber die Haftdauer erhöht und die Möglichkeit der Haftverlängerung - inzwischen bis zu maximal achtzehn Monaten (vgl. Art. 13b Abs. 2 in der seit dem 1. Januar 2007 gültigen Fassung vom 16. Dezember 2005 [AS 2006 4745 ff.]) - geschaffen (vgl. BGE 133 II 1 E. 4.3.1). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Behörden nicht weiterhin mit Nachdruck darum bemühen werden, die Wegweisung auch gegen den Willen des Beschwerdeführers möglichst rasch zu vollziehen (vgl. Art. 13b Abs. 3 ANAG; BGE 130 II 488 E. 4), zumal seine Identität heute erstellt ist und gestützt hierauf bereits einmal ein Laissez-passer erwirkt werden konnte.
3.
3.1 Die Rechtmässigkeit und die Angemessenheit der Haft sind spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche Behörde auf Grund einer mündlichen Verhandlung zu prüfen (Art. 13c Abs. 2 ANAG); von dieser kann abgesehen werden, wenn die Ausschaffung voraussichtlich innerhalb von acht Tagen nach der Haftanordnung erfolgen wird und die betroffene Person sich damit schriftlich einverstanden erklärt hat; kann die Ausschaffung innert dieser Frist nicht durchgeführt werden, ist die mündliche Verhandlung spätestens zwölf Tage nach der Haftanordnung nachzuholen (Art. 13c Abs. 2bis ANAG). Vorliegend war der Vollzug der Wegweisung des Beschwerdeführers innerhalb von acht Tagen seit der Haftanordnung bzw. Entlassung aus dem Strafvollzug zwar absehbar, doch hatte der Betroffene weder schriftlich noch mündlich auf die gesetzlich vorgesehene richterliche Prüfung verzichtet, weshalb diese innerhalb von 96 Stunden zu erfolgen hatte.
3.2 Der Beschwerdeführer ist am 8. August 2007 (Mittwoch) um 00.01 Uhr in Ausschaffungshaft genommen worden. Ab diesem Zeitpunkt lief die Frist von 96 Stunden gemäss Art. 13c Abs. 2 ANAG und nicht erst ab dem 9. August 2007 (Donnerstag), als er sich in Genf um ca. 14.00 Uhr weigerte, den Flug nach Algier anzutreten und das Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht das Bezirksgerichtspräsidium Plessur ersuchte, die Ausschaffungshaft zu prüfen und zu genehmigen (Fax von 16:01 Uhr), bzw. dem 10. August 2007 (Freitag), an dem es dem Bezirksgericht gegenüber seinen Antrag begründete (Eingangsstempel des Gerichts; handschriftliche Anmerkung: 17:00 Uhr) und der Beschwerdeführer sich gegen 18.00 Uhr wieder im Kanton Graubünden befand. Bei Vorliegen der Voraussetzungen von Art. 13b ff. ANAG kann die zuständige Fremdenpolizeibehörde einen Ausländer gestützt auf einen entsprechenden Haftbefehl während 96 Stunden ohne richterliche Prüfung festhalten, wenn sie aufgrund der konkreten Umstände davon ausgehen darf, dass der Vollzug der Wegweisung innert dieser Frist möglich sein wird; andernfalls hat sie dafür zu sorgen, dass die haftrichterliche Prüfung rechtzeitig erfolgt, d.h. innerhalb von 96 Stunden ab der ausländerrechtlich motivierten Festhaltung des Betroffenen (BGE 127 II 174 E. 2). Scheitert der Ausschaffungsversuch wegen eines unvorhersehbaren Verhaltens des Weggewiesenen, ist die Haftprüfung möglichst umgehend, wenn möglich noch innerhalb der gesetzlichen Frist von 96 Stunden nachzuholen; je nach den Umständen ist in diesem Fall deren Überschreitung jedoch um einige Zeit in Kauf zu nehmen. Ein gescheiterter Ausschaffungsversuch eröffnet indessen - entgegen der Ansicht des Amts für Polizeiwesen und Zivilrecht in seiner Vernehmlassung - nicht generell eine neue Frist von 96 Stunden, um die Haft zu prüfen (vgl. die bundesgerichtlichen Urteile 2C_60/2007 vom 10. April 2007, E. 2.3; 2A.643/2004 vom 12. November 2004, E. 2.1; 2A.200/2002 vom 17. Mai 2002, E. 3.3 und 4; 2A.520/1999 vom 25. Oktober 1999, E. 2b/aa [mit weiteren Hinweisen]; Alain Wurzburger, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral en matière de police des étrangers, in: RDAF 53/1997 I S. 337; Hugi Yar, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Uebersax/Münch/Geiser/Arnold, Ausländerrecht, Basel/ Genf/München 2002, Rz. 7.14). Auf Wochenenden und Feiertage kann nur beschränkt Rücksicht genommen werden, da die Haftprüfung innerhalb von "96 Stunden" zu erfolgen hat und - anders als für Haftentlassungsgesuche - dabei nicht von "Arbeitstagen" die Rede ist (vgl. Art. 13c Abs. 4 ANAG). Die kantonalen Behörden haben sich deshalb grundsätzlich so zu organisieren, dass die Haftprüfung rechtzeitig vor oder nach einem Wochenende stattfinden kann, falls keine Pikettrichterregelung besteht (Urteile 2A.200/2002 vom 17. Mai 2002, E. 4.3, und 2A.520/1999 vom 25. Oktober 1999, E. 2b/bb). Der Anspruch auf - rechtzeitige - richterliche Prüfung der Ausschaffungshaft in einer mündlichen Verhandlung stellt die zentrale prozessuale Garantie dar, welche vor willkürlichem Entzug der Freiheit schützt (BGE 121 II 110 E. 2b S. 113). Art. 13c Abs. 2 ANAG ist zwingender Natur und nicht blosse Ordnungsvorschrift (jüngst wieder bestätigt im Urteil 2C_60/ 2007 vom 10. April 2007, E. 2.3.3).
3.3 Im vorliegenden Fall hatte der Beschwerdeführer bereits am 3. Juli 2007 erklärt, "dass er unter keinen Umständen in sein Heimatland Algerien zurückkehren werde" (so die Aktennotiz vom 3. Juli 2007), womit für das Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht zweifelhaft erscheinen musste, ob sich die Wegweisung des Beschwerdeführers nach dessen Entlassung aus dem Strafvollzug tatsächlich innerhalb von 96 Stunden würde realisieren lassen. Immerhin konnte der Beschwerdeführer am 9. August 2007 (Donnerstag) um ca. 7.00 Uhr nach Zürich verbracht werden, wo er um 12:10 Uhr das Flugzeug nach Genf bestieg; erst dort weigerte er sich, den Weiterflug nach Algier anzutreten (um ca 14:00 Uhr). Das Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht reagierte hierauf sofort und übermittelte dem Bezirksgericht Plessur per Fax den Haftgenehmigungsantrag (9. August 2007, 16:01 Uhr). Aus logistischen Gründen traf der Beschwerdeführer in der Folge jedoch erst am 10. August 2007 (Freitag) gegen 18.15 Uhr in Chur ein. Vor diesem Zeitpunkt war eine Haftverhandlung in seinem Beisein aus objektiven Gründen somit ausgeschlossen; die 96-Stunden-Frist lief ihrerseits am Samstag um Mitternacht ab, womit eine rechtzeitige Vorführung an diesem Tag an sich noch möglich gewesen wäre; stattdessen fand die Verhandlung erst am 13. August 2007 (Montag) um 09.10 Uhr statt, somit rund 33 Stunden zu spät. Ob dies noch als "geringfügige Verzögerung" im Sinne der Rechtsprechung gelten kann, wie das Bezirksgerichtspräsidium geltend macht, erscheint zweifelhaft; als solche wurde in der Rechtsprechung eine Verzögerung um rund 24 Stunden behandelt (Urteil 2A.200/2002 vom 17. Mai 2002, E. 4), hingegen nicht mehr eine Verspätung von rund 96 Stunden (Urteil 2C_60/2007 vom 10. April 2007, E. 2.3.2 [Haftentlassung]). So oder anders führt die Überschreitung der gesetzlichen Frist im vorliegenden Fall nicht zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids und einer Beendigung der Festhaltung.
3.4
3.4.1 Nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften hat eine Haftentlassung zur Folge. Nach der Rechtsprechung kommt es dabei vielmehr einerseits darauf an, welche Bedeutung den verletzten Vorschriften für die Wahrung der Rechte des Betroffenen zukommt, andererseits kann das Anliegen einer reibungslosen Durchsetzung der Ausschaffung der Freilassung entgegenstehen, insbesondere dann, wenn der Ausländer die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet (vgl. BGE 121 II 105 E. 2c S. 109, 110 E. 2a S. 113). Entscheidend ist eine Abwägung aller massgeblichen Interessen unter Berücksichtigung einer allfälligen Straffälligkeit des Ausländers, ohne dass eine solche aber zwingend gegeben sein müsste (vgl. das Urteil 2A.200/2002 vom 17. Mai 2002, E. 4.1 mit Hinweis).
3.4.2 Der Beschwerdeführer hält sich seit Jahren illegal in der Schweiz auf. Er hat seine wahre Identität erst zugestanden, nachdem die schweizerischen Behörden diese nach zahlreichen Abklärungen im In- und Ausland erstellen konnten. Der Beschwerdeführer musste zudem unter anderem wegen einfacher Körperverletzung, Tätlichkeiten, mehrfachen Diebstahls und Verkaufs von Kokain zu insgesamt 11 Monaten und 14 Tagen Gefängnis verurteilt werden. Die verspätete Haftprüfung hat er sich zumindest insofern selber zuzuschreiben, als er in Zürich das Flugzeug bestieg, ohne bereits in diesem Moment erkennen zu geben, dass er in Genf nicht freiwillig umsteigen und die Heimreise damit vereiteln würde. Die verspätete Haftprüfung erlaubte es, ihm für den Montag einen amtlichen Rechtsbeistand zu organisieren und stärkte insofern seine verfahrensrechtliche Stellung. Bei einer Haftentlassung dürfte er schliesslich mit grosser Wahrscheinlichkeit versuchen, erneut im In- oder Ausland unterzutauchen, woraus für die Schweiz entsprechende Rückübernahmepflichten erwachsen könnten (vgl. BGE 133 II 97 E. 4.2.2). Unter diesen Umständen überwiegt das Interesse an der reibungslosen Durchsetzung der Ausschaffung des Beschwerdeführers jenes an einer strikten Einhaltung der Verfahrensvorschriften und ist seine Haft deshalb aufrechtzuerhalten.
4.
Die Beschwerde ist damit abzuweisen. Dem Verfahrensausgang entsprechend würde der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es rechtfertigt sich jedoch, seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu entsprechen (Art. 64 BGG): Soweit ersichtlich, ist der Beschwerdeführer bedürftig; seine Eingabe konnte zudem nicht als zum Vornherein aussichtslos bezeichnet werden. Es sind demnach keine Kosten zu erheben, und der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse angemessen zu entschädigen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung bewilligt, und es wird ihm Rechtsanwalt Dr. Jean-Pierre Menge als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Dr. Jean-Pierre Menge, wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 1'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht Graubünden und dem Bezirksgerichtspräsidium Plessur sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 3. September 2007
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: