BGer I_56/2007
 
BGer I_56/2007 vom 03.10.2007
Tribunale federale
{T 7}
I 56/07
Urteil vom 3. Oktober 2007
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Traub.
Parteien
C.________, 1952, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Benvenuto Savoldelli, Hauptgasse 20, Postfach 1823, 4601 Olten,
gegen
IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 21. Dezember 2006.
Sachverhalt:
A.
Die 1952 geborene C.________ leidet an Psoriasis (sog. Schuppenflechte) der Handinnenflächen. Am 6. Dezember 2002 meldete sie sich zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn lehnte das Begehren um eine Invalidenrente mangels eines anspruchsbegründenden Invaliditätsgrades ab (mit Einspracheentscheid vom 28. November 2005 bestätigte Verfügung vom 7. November 2003).
B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn hiess die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde in dem Sinne gut, als es der Versicherten einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung durch die Invalidenversicherung zuerkannte. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab (Entscheid vom 21. Dezember 2006).
C.
C.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihr, unter Aufhebung von vorinstanzlichem und Einspracheentscheid, eine Invalidenrente auszurichten. Eventuell sei die Sache zur weiteren Abklärung und neuen Verfügung an die Verwaltung zurückzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
1.2 Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 Abs. 2 OG [in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG, in Kraft seit 1. Juli 2006] in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
2.
Die Vorinstanz hat namentlich die Bestimmungen über den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG) sowie über die Ermittlung des Invaliditätsgrades - bei Erwerbstätigen nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG) und bei Teilerwerbstätigen nach der sogenannten gemischten Methode (Art. 28 Abs. 2ter IVG; BGE 130 V 393) - zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
3.
IV-Stelle und Vorinstanz haben die Invalidität anhand der gemischten Methode bemessen, dies unter Annahme, die Beschwerdeführerin sei ohne Gesundheitsschaden je hälftig im Erwerb und im Haushalt tätig. Während die Verwaltung einen Invaliditätsgrad von 24 Prozent ermittelte, erkannte das kantonale Gericht auf einen solchen von 19 Prozent (bestehend aus einem - je aufgrund der erwähnten Annahme gewichteten - Behinderungsgrad von 7,5 Prozent in der ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit und von 11,5 Prozent im Haushalt).
3.1 Die Beschwerdeführerin leidet seit ungefähr 1993 an Psoriasis palmoplantaris. Zunächst konnte der Krankheitsverlauf mit einer Weichstrahltherapie günstig beeinflusst werden (Berichte des Kantonsspitals A.________ vom 4. Januar, 14. Februar und 17. Mai 2002). Nachdem die Hautdermatose "unter Arbeitskarenz" vollständig abgeheilt war, nahm die Versicherte im Oktober 2002 eine neue Arbeit auf, worauf sich die Situation sofort wieder verschlechterte (Bericht des Prof. Dr. I.________, Leitender Arzt Abteilung Dermatologie in der Medizinischen Klinik des Kantonsspitals A.________, vom 28. November 2002). Der Allgemeinmediziner Dr. K.________ berichtete am 1. Dezember 2003, seine Patientin könne keine manuellen Tätigkeiten versehen, da es schon bei geringsten mechanischen Belastungen zu einer Exazerbation der Hautveränderungen in Gestalt einer hyperkeratotischen rhagadiformen Reaktion (vor allem blutende, schmerzhafte Hautrissbildungen) komme. Prof. I.________ führte am 17. Januar 2005 aus, die Patientin habe in letzter Zeit keine adäquate Selbstbehandlung (mit Salben) durchgeführt. Die Hautveränderungen führten bei mechanischer Belastung mit Sicherheit zu einer verstärkten Verletzbarkeit der Hände. Tiefe Rhagaden (Hautrisse, Schrunden) im Bereich der Finger und der Handflächen schränkten eine manuelle Tätigkeit ein. Leichte Arbeiten seien aber zumutbar. Zudem sei die Situation über eine adäquate Therapie stark verbesserungsfähig. Falls der Zustand der Haut gut auf die Therapie anspreche, könne die Patientin den Haushalt und "prinzipiell" auch wieder leichte erwerbliche Arbeiten übernehmen. Der Facharzt nahm sodann in zwei Berichten Stellung zum therapeutischen Verlauf: Am 6. April 2005 teilte er der IV-Stelle mit, die seit dem 14. Januar 2005 durchgeführte UVB-Bestrahlung habe nur mässigen Erfolg gezeigt. Daher sei zusätzlich eine medikamentöse Therapie eingeleitet worden. Mit Schreiben vom 14. Juni 2005 kam Prof. I.________ zum Schluss, trotz konsequenter Lokaltherapie mit Salben sowie UVB-Schmalbandtherapie sei es zu keiner Besserung gekommen. Alle üblichen Massnahmen seien ausgeschöpft; weitere Rehabilitationsmöglichkeiten sehe er nicht. Der zuständige Regionale Ärztliche Dienst (RAD) der Invalidenversicherung wies am 31. August 2005 darauf hin, es sei offen, ob eine ursprünglich ins Auge gefasste Neotigasontherapie auch tatsächlich durchgeführt worden sei. Der behandelnde Arzt sei deshalb (unter anderem) anzufragen, ob die Psoriasis austherapiert sei oder welche Behandlungsmöglichkeiten noch offenstünden. Prof. I.________ antwortete, es seien sämtliche gängigen Behandlungsstrategien, welche für die gegebene klinische Situation rational begründbar seien, "durchgespielt" worden. Eine manuelle Tätigkeit sei aktuell unmöglich; prinzipiell seien "theoretische, intellektuelle Arbeiten denkbar" (Schreiben vom 28. September 2005).
3.2 Hinsichtlich der Bemessung des Invalideneinkommens vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, die zum Entscheid beigezogene dermatologische Einschätzung mache nicht genügend deutlich, welche ausserhäuslichen Arbeiten ihr noch zumutbar seien. Zudem macht sie geltend, der sogenannte leidensbedingte Abzug trage den tatsächlichen Umständen nicht ausreichend Rechnung.
3.2.1 Es ist nicht Aufgabe der begutachtenden Mediziner, Verweisungstätigkeiten zu bezeichnen; sie sind vielmehr zuständig, die auf den Gesundheitsschaden zurückzuführenden funktionellen Einschränkungen möglichst präzise zu umschreiben. Die Verwaltung legt sodann mit Hilfe von Fachleuten des Arbeitsmarktes fest, welche Tätigkeiten dem ärztlich definierten Anforderungsprofil entsprechen. Im Hinblick auf die Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (oben E. 1.2) ist die Feststellung, ob und inwiefern der (konjunkturell) ausgeglichene Arbeitsmarkt (Art. 16 ATSG) leidensangepasste Stellen bereithält, vorerst Tatfrage, deren Festlegung durch die Vorinstanz das Bundesgericht grundsätzlich bindet (Art. 105 Abs. 2 OG); Rechtsfrage ist hingegen, ob die Invaliditätsbemessung den im Einzelfall angezeigten Substantiierungsanforderungen genügt. Nach der Rechtsprechung muss die Verwaltung grundsätzlich konkrete Arbeitsmöglichkeiten bezeichnen, welche aufgrund der ärztlichen Angaben und unter Berücksichtigung der übrigen Fähigkeiten der versicherten Person in Frage kommen. Dabei dürfen jedoch nicht übermässige Anforderungen an die Konkretisierung von Arbeitsgelegenheiten und Verdienstmöglichkeiten gestellt werden. Die Sachverhaltsabklärung muss nur so weit gehen, dass eine zuverlässige Ermittlung des Invaliditätsgrades gewährleistet ist (AHI 1998 S. 290 E. 3b). Die vorinstanzliche Begründung beschränkt sich diesbezüglich auf die pauschalen Feststellungen, aus der ärztlichen Umschreibung der zumutbaren Erwerbstätigkeiten (volle Arbeitsfähigkeit hinsichtlich von Tätigkeiten, die keine mechanisch-physikalische Belastung der Hände, sondern hauptsächlich Kopfarbeit erfordern) gehe eindeutig hervor, dass die Verwertbarkeit einer so umschriebenen Leistungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt ohne weitere Abklärungen bejaht werden dürfe (E. 5a); zumutbare Tätigkeiten seien nicht nur in derart eingeschränkter Form möglich, dass sie der allgemeine Arbeitsmarkt praktisch nicht kenne oder dass sie nur unter nicht realistischem Entgegenkommen eines durchschnittlichen Arbeitgebers ausgeübt werden könnten (E. 8b). Nach den gesamten Umständen liegt indes nicht ohne weiteres auf der Hand, dass die im Zeitpunkt des Einspracheentscheids 53-jährige Beschwerdeführerin, die nur über eine Anlehre verfügt und in ihrem Berufsleben vorwiegend als Betriebsmitarbeiterin mit der Fertigung von Schuhen beschäftigt war, in einem als ausgeglichen gedachten Arbeitsmarkt auf ein Stellensegment trifft, das keine Ausbildung voraussetzt und nicht mit manueller Belastung verbunden ist.
Die Problematik wird allerdings dadurch entschärft, dass das kantonale Gericht einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung (Art. 18 Abs. 1 IVG) anerkannt hat. Die soeben aufgeworfene Frage nach dem grundsätzlichen Vorhandensein geeigneter Verweisungstätigkeiten wird sich allenfalls im Zuge der Vermittlungsbemühungen der Invalidenversicherung klären. Erwiese es sich als nicht möglich, die Beschwerdeführerin im Arbeitsmarkt zu plazieren, so könnte dies eine negative Antwort implizieren, sofern die Versicherte ihren Mitwirkungspflichten bei der beruflichen Integration vollumfänglich nachgekommen ist und auch deutlich wird, dass der ausbleibende Eingliederungserfolg nicht der konjunkturellen, sondern der strukturellen Verfassung des Arbeitsmarktes geschuldet ist. Bei einer solchen Sachlage wäre das Invalideneinkommen (nach Eintritt der formellen Rechtskraft einer euen Verwaltungsverfügung) entsprechend den Grundsätzen von Art. 53 Abs. 1 ATSG zu revidieren.
3.2.2 Bei der Bemessung des Invalideneinkommens hat das kantonale Gericht eine Korrektur des Tabellenlohns um 15 Prozent vorgenommen (vgl. dazu BGE 126 V 75) und damit dem Umstand Rechnung getragen, dass die Versicherte gegenüber gesunden Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt ist. Die Beschwerdeführerin verlangt einen höheren Abzug. Die Festlegung des Ausmasses einer Kürzung des Tabellenlohns beschlägt eine typische Ermessensfrage und kann letztinstanzlich nur korrigiert werden, wenn das kantonale Gericht sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat (BGE 132 V 393 E. 3.3 in fine S. 399). Die Vorinstanz hat indes weder einen erheblichen Umstand ausser Acht gelassen noch die in Betracht gezogenen Elemente offenkundig falsch gewichtet, so dass diesbezüglich kein Rechtsfehler vorliegt.
3.3 Was die Einschränkung im häuslichen Bereich betrifft, so ist zunächst nicht erkennbar, inwiefern die Vorinstanz den rechtserheblichen Sachverhalt offensichtlich unrichtig oder unvollständig festgestellt haben sollte (Art. 105 Abs. 2 OG), indem sie dem umfassenden und sorgfältig redigierten Abklärungsbericht Haushalt der IV-Stelle vom 6. September 2004 als solchem vollen Beweiswert zuerkannt hat. Jedoch war der Haushaltbericht, der auf am 21. Juni 2004 getätigten Erhebungen beruht, im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens Ende November 2005 offenkundig nicht mehr aktuell. Aus dem medizinischen Dossier ergibt sich, dass sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin zwischenzeitlich erheblich verändert hatte. Während der Dermatologe Prof. I.________ zu Beginn des Jahres 2005 noch eine günstige Prognose stellte und von einer Einschränkung bei manuellen Tätigkeiten sprach, leichte Arbeiten aber als zumutbar erachtete, berichtete derselbe Arzt am 14. Juni und 28. September 2005, mittlerweile seien sämtliche rational begründbaren Behandlungen zum Zuge gekommen, ohne dass sich der erhoffte Erfolg eingestellt habe. Eine manuelle Tätigkeit erscheine jetzt unmöglich (vgl. oben E. 3.1). Diese Einschätzung ist mit der Schlussfolgerung in der früher erstatteten Haushaltabklärung, die Einschränkung betrage 23 Prozent, nicht vereinbar, da häusliche Verrichtungen die Hände zum ganz überwiegenden Teil beanspruchen. Ist somit anzunehmen, dass die Beeinträchtigung im Haushalt bis zum massgeblichen Zeitpunkt revidiert werden muss, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie im Rahmen der gemischten Bemessungsmethode zu einem rentenbegründenden Invaliditätsgrad beiträgt.
Nach dem Gesagten sind die Auswirkungen des Gesundheitszustands auf die Haushaltstätigkeit einer neuen Beurteilung zu unterziehen. Die Verwaltung wird zu diesem Zweck entweder eine Aktualisierung der Haushaltabklärung veranlassen oder zur Feststellung der funktionellen Einschränkungen eine - gegenüber dem Schreiben vom 28. September 2005 - einlässlichere Stellungnahme von Prof. I.________ einholen. Letzteres Vorgehen hätte den Vorteil, dass bei dieser Gelegenheit klargestellt werden könnte, ob die Versicherte eine adäquate Selbstbehandlung durchführt (vgl. das Schreiben des Prof. I.________ vom 17. Januar 2005) und wie es sich mit der vom RAD am 31. August 2005 angesprochenen Möglichkeit einer Neotigasontherapie verhält.
4.
Das Verfahren hat Leistungen der Invalidenversicherung zum Gegenstand und ist deshalb kostenpflichtig (Art. 134 Satz 2 OG, gültig gewesen vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006; vgl. E. 1.2). Die teilweise obsiegende, anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine anteilmässige Parteientschädigung zu Lasten der Beschwerdegegnerin (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 21. Dezember 2006 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 28. November 2005 werden aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung neu verfüge. Im Übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden zu drei Fünfteln, ausmachend Fr. 300.-, der Beschwerdegegnerin und zu zwei Fünfteln, ausmachend Fr. 200.-, der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Der geleistete Kostenvorschuss wird der Beschwerdeführerin im Betrag von Fr. 300.- zurückerstattet.
4.
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
5.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wird über eine Neuverlegung der Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 3. Oktober 2007
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: