BGer 5A_491/2007 |
BGer 5A_491/2007 vom 15.11.2007 |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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5A_491/2007/aka
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Urteil vom 15. November 2007
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II. zivilrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Raselli, Präsident,
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Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
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Gerichtsschreiber Zbinden.
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Parteien
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A. X.________, c/o seine Mutter B. X.________,
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Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwalt Franz Dörig,
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gegen
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Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer,
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Postfach, 6002 Luzern.
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Gegenstand
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unentgeltliche Rechtspflege (Kinderunterhalt),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 7. August 2007.
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Sachverhalt:
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A.
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Mit Urteil vom 15. Juni 2007 verpflichtete das Amtsgericht Luzern-Land, I. Abteilung, den Vater des Beschwerdeführers, diesem ab dem 1. Oktober 2007 einen monatlichen und indexierten Unterhaltsbeitrag von Fr. 440.-- bis zum vollendeten 12. Altersjahr und danach von Fr. 550.-- zu bezahlen. Gegen dieses Urteil erklärte der am 23. Dezember 2001 geborene, durch seine Mutter gesetzlich vertretene, im Verfahren vor erster Instanz ohne Anwalt prozessierende Beschwerdeführer Appellation beim Obergericht des Kantons Luzern mit dem Begehren, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Kinderunterhaltsbeiträge zu Lasten des Beklagten auf Fr. 700.- bzw. 900.-- pro Monat zu erhöhen.
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B.
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Für das Appellationsverfahren ersuchte der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung durch einen Anwalt. Das Obergericht erteilte dem Beschwerdeführer mit Entscheid vom 7. August 2007 für das Appellationsverfahren die unentgeltliche Rechtspflege für die Gerichts- und Beweiskosten, wies aber das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands ab. Sodann setzte es dem Beschwerdeführer Frist zur Einreichung der Appellationsbegründung.
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C.
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Der Beschwerdeführer gelangt mit einer als Beschwerde in Zivilsachen sowie Verfassungsbeschwerde bezeichneten Eingabe vom 7. September 2007 an das Bundesgericht mit dem Antrag, die Beschwerde, eventuell die Verfassungsbeschwerde gutzuheissen, Ziff. 1 Satz 2 des obergerichtlichen Entscheides aufzuheben und das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes für das Appellationsverfahren gutzuheissen; eventuell sei die Sache im Sinn der Erwägungen zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. Das Obergericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
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D.
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Dem Gesuch des Beschwerdeführers um aufschiebende Wirkung ist mit Verfügung vom 11. Oktober 2006 entsprochen worden.
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Erwägungen:
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1.
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1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG), mit dem die unentgeltliche Verbeiständung für das kantonale Appellationsverfahren betreffend Erhöhung des Kinderunterhalts verweigert worden ist. Dabei handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1), dessen ungeachtet, ob er während des Hauptverfahrens, zusammen mit dessen Endentscheid oder nach diesem ergangen ist (Urteil 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007, E. 1.2).
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1.2 Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache. Diese betrifft den Kinderunterhalt und damit eine Zivilsache im Sinn von Art. 72 Abs. 1 BGG, deren Streitwert von Fr. 30'000.-- angesichts der verlangten Erhöhung des Beitrages und deren Dauer ohne weiteres gegeben ist (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Gegen den Entscheid in der Sache ist die Beschwerde in Zivilsachen zulässig, womit sie auch zur Anfechtung des Zwischenentscheides offen steht. Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch das Verfassungsrecht gehört. Gerügt werden kann ferner eine Verletzung des Völkerrechts (Art. 95 lit. b BGG).
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2.
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2.1 Das Obergericht erwog, angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers resp. seiner Mutter als Inhaberin der elterlichen Sorge seien die Voraussetzungen für die Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege für die Gerichts- und Beweiskosten erstellt. Zur nunmehr strittigen Verweigerung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes führte es aus, das Verfahren betreffend Unterhaltspflicht sei von der Untersuchungsmaxime bzw. von der Offizialmaxime beherrscht. Der Vater und Beklagte, welcher überdies zwei weitere Kinder habe, sei ab März 2007 zu 50 % und ab April 2007 zu 100 % arbeitsfähig, wobei er derzeit noch arbeitslos sei und Arbeitslosenversicherung beziehe. Es werde von Amtes wegen zu prüfen sein, ob und in welchem Mass ihm nach einer gewissen Zeit ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden könne. Die Appellationsinstanz stütze sich dabei auf die Lohnstrukturerhebungen des Bundesamtes für Statistik, so dass die Rechtslage geklärt sei und die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes nicht notwendig erscheine. Das Obergericht habe entsprechenden Hinweisen des Beschwerdeführers zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Vaters von Amtes wegen nachzugehen und könne namentlich Editionen veranlassen oder Zeugen befragen. Die Gegenpartei sei ihrerseits nicht anwaltlich vertreten. Die Mutter des Beschwerdeführers sei überdies der deutschen Sprache mächtig und in Kroatien ausgebildete Juristin.
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2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, die in Verfahren betreffend den Kinderunterhalt geltende Untersuchungsmaxime entbinde die appellierende Partei nicht von der Rüge- und Begründungspflicht. Im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht sei es ausserordentlich schwierig, angesichts des renitenten Beklagten den prozessualen Pflichten zu genügen. Dass seine Mutter Kenntnisse in serbischem Recht besitze, genüge nicht, setzten doch die prozessualen Anforderungen schweizerische bzw. luzernische Rechtskenntnisse voraus. Richtig sei zwar, dass seine Mutter Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitze, die es ihr allerdings nicht erlaubten, eine gesetzeskonforme Appellationsbegründung zu verfassen.
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3.
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3.1 Der Beschwerdeführer beruft sich in seiner Eingabe mit Bezug auf den Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand auf Art. 29 Abs. 3 BV, subsidiär auf Art. 135 ZPO/LU. Er behauptet nicht substantiiert, dass ihm Art. 135 ZPO einen weitergehenden Anspruch einräumt als Art. 29 Abs. 3 BV (BGE 124 I 1 E. 2). Allein im Lichte der Verfassungsbestimmung ist daher zu prüfen, ob die Verweigerung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes zugelassen werden kann.
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3.2 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV hat die bedürftige Partei Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen. Dabei fallen neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts auch in der Person des Betroffenen liegende Gründe in Betracht, wie etwa seine Fähigkeit, sich im Verfahren zurecht zu finden (BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232; 122 I 49 E. 2c/bb S. 51, 275 E. 3a S. 276; 120 Ia 43 E. 2a S. 44 f. mit Hinweisen; 130 I 180 E. 2.2). Wesentlich ist in diesem Zusammenhang namentlich, ob die gesuchstellende Person rechtskundig ist. Weiter ist auch die Tragweite des Entscheides für den Betroffenen von Bedeutung, wobei in der Regel eine gewisse Zurückhaltung Platz greift, wenn ausschliesslich finanzielle Interessen betroffen sind (BGE 104 Ia 73 E. 3c S. 77, mit Hinweisen). Mit in Betracht zu ziehen ist sodann, ob die Gegenpartei sich ihrerseits von einem Anwalt vertreten lässt.
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3.3 Der Vorwurf der Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV ist begründet. Im vorliegenden Fall trifft zu, dass das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen zu erforschen hat (Untersuchungsmaxime) und an die Anträge der Parteien nicht gebunden ist (Offizialmaxime; Art. 280 Abs. 1 und 2 ZGB; BGE 128 III 411 E. 3.2.1 S. 413 [Untersuchungsmaxime]; 118 II 93 E. 1a [Offizialmaxime]). Dies schliesst jedoch - entgegen der im Entscheid und in der Vernehmlassung geäusserten Ansicht des Obergerichts - die unentgeltliche Verbeiständung nicht von vornherein aus (BGE 130 I 183 f. E. 3.2 und 3.3 mit Hinweisen; 122 II 8; 125 V 32 E. 4b S. 36). Die Untersuchungsmaxime entbindet die Parteien nicht, das Tatsächliche des Streits vorzutragen und die Beweismittel zu nennen. Auch in den von der Untersuchungsmaxime beherrschten Bereichen trifft die Parteien eine Mitwirkungspflicht (BGE 128 III 411 E. 3.2.1; 125 III 231 E. 4a S. 238 f.). Das Obergericht stellt nicht fest, dass die Mutter des Beschwerdeführers in Kroatien als Anwältin gearbeitet hat oder zumindest über Kenntnisse des schweizerischen Rechts verfügt. Dass sie eine juristische Ausbildung in Kroatien absolviert hat, versetzt sie nicht ohne weiteres in die Lage, ihren minderjährigen Sohn angemessen im Verfahren zu vertreten. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch nicht erstellt, dass ihre Deutschkenntnisse eine die Interessen des Beschwerdeführers wahrende Teilnahme am Verfahren ermöglichen. Schliesslich sind für den Beschwerdeführer bedeutende Interessen im Spiel, geht es doch um einen, seinen Bedürfnissen entsprechenden Unterhalt. Unter den gegebenen tatsächlichen Umständen lässt sich nicht vertreten, die Bestellung eines amtlichen Rechtsbeistandes erübrige sich. Damit hat das Obergericht Art. 29 Abs. 3 BV verletzt.
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3.4 Antragsgemäss ist Ziffer 1 Satz 2 des Entscheides des Obergerichts des Kantons Luzern vom 7. August 2007 aufzuheben und dem Beschwerdeführer für das Appellationsverfahren ein Rechtsbeistand in der Person des gewählten Anwalts beizugeben (Art. 107 Abs. 2 BGG).
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4.
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Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Luzern hat indes den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen.
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5.
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Mit der vorliegenden Kosten- und Entschädigungsregelung wird das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird gutgeheissen und Ziffer 1, Satz 2 des Entscheides des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 7. August 2007 aufgehoben. Dem Beschwerdeführer wird für das Appellationsverfahren ein amtlicher Rechtsbeistand in der Person von Rechtsanwalt Franz Dörig, Alpenstrasse 1, 6004 Luzern, bestellt.
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2.
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Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
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3.
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Es werden keine Kosten erhoben.
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4.
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Der Kanton Luzern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.
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5.
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Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 15. November 2007
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Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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Raselli Zbinden
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