Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_614/2007/bri
Urteil vom 8. Januar 2008
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiber Stohner.
Parteien
X.A.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Alain Joset,
gegen
1. A.________,
2. B.________,
3. C.________,
4. D.________,
5. E.________,
Beschwerdegegner,
alle vertreten durch Advokat Dietmar Grauer-Briese,
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410 Liestal,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Einstellung des Strafverfahrens (einfache Körperverletzung),
Beschwerde gegen den Beschluss des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft vom 25. Juni 2007.
Sachverhalt:
A.
Am 29. November 2005 erstattete X.A.________ Strafanzeige gegen die Polizeibeamten A.________, B.________, C.________, D.________ und E.________ wegen einfacher Körperverletzung, angeblich begangen anlässlich einer polizeilichen Hausdurchsuchung am 10. Oktober 2005.
B.
Am 2. Mai 2006 wurde gegen die fünf Polizeibeamten jeweils ein Strafverfahren wegen einfacher Körperverletzung eröffnet. Am 19. März 2007 stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft die Verfahren mit der Begründung ein, das Vorgehen der Polizei sei gerechtfertigt gewesen.
C.
Die von X.A.________ gegen diesen Einstellungsbeschluss erhobene Beschwerde wies das Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft mit Beschluss vom 25. Juni 2007 ab.
D.
X.A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, der Beschluss des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft vom 25. Juni 2007 sei aufzuheben, und die Streitsache sei zur Anklageerhebung an die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
1.1 Zur Beschwerde in Strafsachen ist unter anderem das Opfer legitimiert, sofern sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung seiner Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG).
1.2 Als Opfer im Sinne von Art. 2 OHG ist jede Person anzusehen, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist, unabhängig davon, ob der Täter ermittelt worden ist und ob er sich schuldhaft verhalten hat (BGE 129 IV 206 E. 1; 128 IV 39 E. 3b/bb; 127 IV 189 E. 2a).
Nach der Rechtsprechung muss die Beeinträchtigung von einem gewissen Gewicht sein. Bagatelldelikte wie z.B. Tätlichkeiten, die nur unerhebliche Beeinträchtigungen bewirken, sind daher vom Anwendungsbereich des Opferhilfegesetzes grundsätzlich ausgenommen. Entscheidend ist jedoch nicht die Schwere der Straftat, sondern der Grad der Betroffenheit der geschädigten Person. So kann etwa eine Tätlichkeit die Opferstellung begründen, wenn sie zu einer nicht unerheblichen psychischen Beeinträchtigung führt. Umgekehrt ist es denkbar, dass eine im Sinne des Opferhilfegesetzes unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen und psychischen Integrität angenommen wird, obwohl der Eingriff strafrechtlich als leichte Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) zu beurteilen ist. Entscheidend ist, ob die Beeinträchtigung des Geschädigten in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität das legitime Bedürfnis begründet, die Hilfsangebote und die Schutzrechte des Opferhilfegesetzes - ganz oder zumindest teilweise - in Anspruch zu nehmen (BGE 128 I 218 E. 1.2 mit Hinweis).
1.3 Am 10. Oktober 2005 führte die Polizei im Rahmen einer Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer wegen Verdachts auf Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz eine Durchsuchung des Hauses seiner Mutter, X.B.________, durch. Dabei kam es zwischen dem Beschwerdeführer und einigen der Beschwerdegegner zu einem Handgemenge, bei welchem sich alle Beteiligten Verletzungen zuzogen. Der Beschwerdeführer erlitt gemäss dem rechtsmedizinischen Gutachten vom 24. Oktober 2005 (erstinstanzliche Akten act. 131 ff.) namentlich Hauteinblutungen am Gesicht, an der Kinnunterseite und an den Armen.
Die eher geringfügigen Verletzungen dürften insbesondere in Anbetracht der belastenden Situation der polizeilichen Hausdurchsuchung zu einer nicht unerheblichen psychischen Beeinträchtigung des Beschwerdeführers geführt haben. Die Opfereigenschaft im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG ist deshalb zu bejahen.
1.4 Als Zivilansprüche im Sinne des OHG gelten nur solche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. Primär handelt es sich um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff. OR. Nicht erfasst werden Ansprüche, die sich aus öffentlichem Recht ergeben (BGE 128 IV 188 E. 2; 127 IV 189 E. 2b; 125 IV 161 E. 2 b).
Gemäss § 1 Abs. 1 des Gesetzes für Verantwortlichkeit der Behörden und Beamten des Kantons Basel-Landschaft (SGS 105) sind sowohl Behörden als auch einzelne Beamte und Angestellte für ihre Amtsverrichtungen verantwortlich, und zwar gegen den Staat wie gegen die Beteiligten. Diese Bestimmung sieht somit eine solidarische Haftung des Gemeinwesens und des fehlbaren Beamten vor, d.h. der Beschwerdeführer hat die Möglichkeit, die mutmasslich fehlbaren Polizeibeamten zivilrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Seine Haftungsansprüche stützen sich daher nicht einzig auf kantonales öffentliches Recht, sondern auch auf Bundeszivilrecht.
Das Opfer braucht seine Entschädigungsansprüche nicht bereits im Untersuchungsverfahren geltend zu machen, es genügt, dass sich die Einstellung des Verfahrens auf seine Zivilforderungen auswirken kann.
Der Beschwerdeführer ist damit zur Beschwerde legitimiert.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Aussagen der beteiligten Polizeibeamten seien in verschiedenen Punkten widersprüchlich und vermittelten kein einheitliches Bild der Vorfälle bei der Hausdurchsuchung vom 10. Oktober 2005 (Beschwerde S. 6). Bei einer solch diffusen Beweislage aber wäre eine Anklageerhebung unabdingbar gewesen, damit alle Beweise in Anwesenheit der Parteien in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung hätten erhoben werden können. Vorliegend hätte einzig eine öffentliche Gerichtsverhandlung eine fundierte Beurteilung der Glaubwürdigkeit der involvierten Personen und eine Einschätzung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen gewährleisten können (Beschwerde S. 7).
Der Beschwerdeführer führt weiter aus, seine Verletzungen seien primär auf das dilettantische Vorgehen der Polizeibeamten zurückzuführen. Wer als ausgebildeter und erfahrener Polizist im Rahmen einer Zwangsmassnahme durch unprofessionelles Verhalten vermeidbare Umstände schaffe, welche in der Folge zu einer voraussehbaren tätlichen Auseinandersetzung führten, anlässlich welcher die beteiligten Privatpersonen erhebliche Verletzungen erlitten, könne sein Handeln und die verursachten Körperverletzungen nicht ohne weiteres mit dem Hinweis auf seine Amtspflichten rechtfertigen. Die Recht- und Verhältnismässigkeit des Verhaltens der Polizeibeamten sei zumindest äusserst fraglich. Die Vorinstanz habe daher den Rechtfertigungsgrund der gesetzlich erlaubten Handlung gemäss Art. 14 StGB falsch angewendet und sei willkürlich davon ausgegangen, dass im Sinne von § 136 Abs. 1 lit. b StPO/BL (SGS 251) eine Verurteilung der Polizeibeamten mit grösster Wahrscheinlichkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zu erwarten sei (Beschwerde S. 8 f.).
Das Verfahren - ein reiner Aktenprozess - könne nicht mehr als fair und unabhängig im Sinne von Art. 6 EMRK und Art. 29 BV qualifiziert werden. Verletzt worden sei insbesondere sein Recht auf eine mündliche und öffentliche Gerichtsverhandlung (Beschwerde S. 9).
2.2 Die Vorinstanz hat erwogen, vorliegend habe eine unglückliche Verkettung verschiedener Umstände zur handgreiflichen Auseinandersetzung geführt:
Anlässlich der Hausdurchsuchung vom 10. Oktober 2005 habe der Beschwerdeführer - wohl weil er auf die Toilette musste - den Raum fluchtartig verlassen wollen. Die Polizeibeamten hätten dieses Handeln des Verhafteten als Fluchtversuch gedeutet und versucht, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. Der Beschwerdeführer habe sich zur Wehr gesetzt, und es sei in der Folge zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen, bei welcher sich dieser die erwähnten Verletzungen zugezogen habe. Aufgrund seines Verhaltens sei der Beschwerdeführer für das Geschehene zumindest mitverantwortlich.
Die Vorgehensweise der Polizei sei nachvollziehbar und in Würdigung der Gesamtsituation auch verhältnismässig, zumal der Verdacht bestanden habe, der Beschwerdeführer wolle fliehen. Die Polizeibeamten hätten in Ausübung ihrer beruflichen Pflichten gehandelt, weshalb die allfällige Erfüllung eines Straftatbestandes durch den Rechtfertigungsgrund von Art. 14 StGB gedeckt wäre. Da demzufolge eine Verurteilung mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten gewesen wäre, sei die Einstellung gestützt auf § 136 Abs. 1 lit. b StPO/BL zu Recht erfolgt (angefochtenes Urteil S. 7 f.).
2.3 Unter welchen Voraussetzungen ein Strafverfahren eingestellt werden darf und wann Anklage zu erheben ist, ergibt sich primär aus dem kantonalen Strafprozessrecht (vgl. aber Art. 52 StGB zur Einstellung aus Opportunitätsgründen), wobei das Bundesgericht allfällige Verletzungen kantonalen Prozessrechts lediglich auf Willkür überprüft.
Gestützt auf § 136 Abs. 1 lit. b StPO/BL kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren oder Teile davon einstellen, wenn mit grösster Wahrscheinlichkeit eine Verurteilung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zu erwarten ist.
Im Zweifelsfall hingegen ist Anklage zu erheben resp. zu überweisen, da bei nicht eindeutiger Beweislage nicht die Untersuchungs- oder Anklagebehörden, sondern die für die materielle Beurteilung zuständigen Gerichte über einen Vorwurf entscheiden sollen (vgl. Bernard Cloetta, Nichtanhandnahme und Einstellung der Strafuntersuchung in der Schweiz, Diss. Zürich 1983, S. 64; Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, N. 1375; Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2004, N. 797; Thomas Zweidler, Die Praxis zur thurgauischen Strafprozessordnung, Bern 2005, § 137 N. 2).
2.4 Die Vorinstanz hat die Einstellung damit begründet, das Handeln der Polizeibeamten sei durch Art. 14 StGB gerechtfertigt gewesen, weshalb eine Verurteilung mit grösster Wahrscheinlichkeit aus rechtlichen Gründen nicht zu erwarten gewesen wäre.
Nach Art. 14 StGB verhält sich rechtmässig, wer handelt, wie es das Gesetz gebietet oder erlaubt. Amts- und Berufspflichten können im Rechtsstaat die Verwirklichung eines Straftatbestands einzig in dem Umfang rechtfertigen, wie dies das öffentliche Recht verlangt oder zulässt (Günter Stratenwerth/Wolfgang Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch Handkommentar, Bern 2007, Art. 14 StGB N. 2; Kurt Seelmann, Basler Kommentar StGB I, 2. Aufl., Basel 2007, Art. 14 StGB N. 6).
Gemäss § 3 Abs. 1 lit. a des kantonalen Polizeigesetzes (PolG/BL; SGS 700) ergreift die Polizei Massnahmen, um unmittelbar drohende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie für Mensch, Tier und Umwelt abzuwehren und eingetretene Störungen zu beseitigen. Gestützt auf § 38 PolG/BL kann die Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben und im Rahmen der Verhältnismässigkeit unmittelbaren Zwang gegen Personen oder Sachen anwenden und geeignete Hilfsmittel einsetzen. Soweit es die Umstände zulassen, ist die Anwendung unmittelbaren Zwangs vorher anzudrohen. Dabei ist die Fesselung einer Person soweit notwendig zulässig, wenn der dringende Verdacht besteht, dass diese Person fliehen wird (§ 40 lit. b PolG/BL).
2.5 Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz § 136 Abs. 1 lit. b StPO/BL nicht willkürlich angewendet:
Gestützt auf § 38 Pol/G waren die Polizeibeamten berechtigt, unmittelbaren Zwang auszuüben, da sie aufgrund der Umstände davon ausgehen mussten, der Beschwerdeführer unternehme einen Fluchtversuch. Sie wendeten dabei das mildeste Mittel an, um den Beschwerdeführer am Verlassen des Raums zu hindern und die Situation zu entschärfen. Dass der Beschwerdeführer bei diesem Vorgehen geringfügige Verletzungen erlitt, ist nicht auf ein dilettantisches Vorgehen der Polizei, sondern auf dessen Widerstand zurückzuführen. Der polizeiliche Eingriff wahrte somit den Grundsatz der Verhältnismässigkeit.
Die Argumentation der Vorinstanz, das Handeln der Polizeibeamten sei durch Art. 14 StGB gerechtfertigt gewesen, so dass eine Verurteilung mit grösster Wahrscheinlichkeit aus rechtlichen Gründen nicht zu erwarten gewesen wäre, ist deshalb nicht zu beanstanden. Insbesondere hat die Vorinstanz hierdurch Art. 14 StGB nicht falsch angewendet.
Da die Einstellung des Verfahrens daher der bundesgerichtlichen Überprüfung Stand hält - die Vorinstanz mithin von der Überweisung an ein Gericht absehen durfte -, kann sich der Beschwerdeführer auch nicht mit Erfolg auf den Grundsatz der Öffentlichkeit berufen, wonach Gerichtsverhandlungen partei- und publikumsöffentlich durchzuführen sind. Im Übrigen bleibt es ihm unbenommen, einen ordentlichen Zivilprozess zu führen, sprich die behaupteten zivilrechtlichen Ansprüche auf dem Zivilweg einzuklagen.
2.6 Die Beschwerde ist demnach vollumfänglich abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. Januar 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Schneider Stohner