BGer 2C_19/2008
 
BGer 2C_19/2008 vom 18.06.2008
Tribunale federale
{T 0/2}
2C_19/2008/ble
Urteil vom 18. Juni 2008
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.
Parteien
1. X.________,
2. Y.________,
Beschwerdeführer,
beide vertreten durch Rechtsanwältin Eva Cerny,
gegen
Ausländeramt des Kantons Schaffhausen,
Regierungsrat des Kantons Schaffhausen.
Gegenstand
Widerruf bzw. Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 30. November 2007.
Sachverhalt:
A.
Die russische Staatsangehörige X.________ (geb. 1971) heiratete am 4. Juli 2003 den Schweizer Bürger Z.________ (geb. 1961) und erhielt in der Folge eine Aufenthaltsbewilligung, welche mehrmals verlängert wurde (zuletzt bis zum 20. September 2007). Im Februar 2004 erhielt auch ihr aus einer früheren Ehe stammender, in die Schweiz nachgezogener Sohn Y.________ (geb. 1991) eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei der Mutter.
Im Oktober 2006 trennten sich die Eheleute. Am 19. Dezember 2006 hob das Kantonsgericht Schaffhausen auf Begehren der Ehefrau nach etwas mehr als drei Jahren ehelicher Gemeinschaft den gemeinsamen Haushalt auf unbestimmte Zeit auf.
B.
Aufgefordert zur Stellungnahme über die eheliche Situation nach der Trennung erklärte X.________ am 26. Januar 2007 gegenüber dem Ausländeramt Schaffhausen, sie habe die Trennung wegen Unerträglichkeit des Zusammenlebens (Drohungen des Ehemannes) gewollt, strebe aber für einen späteren Zeitpunkt die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft an. Z.________ erklärte am 6. Februar 2007, er wolle das Eheleben mit seiner Frau keinesfalls wieder aufnehmen.
C.
Mit Verfügung vom 19. Februar 2007 widerrief das Ausländeramt des Kantons Schaffhausen die bis zum 20. September 2007 gültige Aufenthaltsbewilligung von X.________ und verlängerte auch die am 21. Februar 2007 ablaufende Aufenthaltsbewilligung ihres Sohnes Vadim nicht mehr. Der hiegegen beim Regierungsrat des Kantons Schaffhausen erhobene Rekurs blieb erfolglos, und mit Urteil vom 20. September 2007 wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen die gegen den regierungsrätlichen Entscheid vom 24. April 2007 erhobene Beschwerde ebenfalls ab.
D.
Mit gemeinsamer Eingabe vom 5. Januar 2008 führen X.________ und Y.________ beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit den Anträgen, den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 30. November 2007 aufzuheben und festzustellen, dass der Widerruf der Aufenthaltsbewilligung für X.________ und die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung für ihren Sohn rechtswidrig gewesen sei. Sodann seien beide Aufenthaltsbewilligungen zu verlängern, eventuell das kantonale Ausländeramt anzuweisen, den Beschwerdeführern die betreffenden Bewilligungen zu erteilen.
Das Ausländeramt hat auf Vernehmlassung verzichtet. Der Regierungsrat beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Das Obergericht des Kantons Schaffhausen und das Bundesamt für Migration stellen denselben Antrag.
E.
Mit Verfügung vom 10. Januar 2008 hat der Abteilungspräsident der Beschwerde - antragsgemäss - aufschiebende Wirkung zuerkannt. Das Gesuch um weitere vorsorgliche Massnahmen wies er ab.
Erwägungen:
1.
1.1 Gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auf dem Gebiet des Ausländerrechts unzulässig gegen Entscheide betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt.
1.2 Zwar ist am 1. Januar 2008 das Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG, SR 142.20) in Kraft getreten, doch bestimmt dessen Art. 126 Abs. 1, dass auf Gesuche, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingereicht worden sind, noch das bisherige Recht anwendbar bleibt. Gleiches muss gelten, wenn der angefochtene (erstinstanzliche) Entscheid über den Widerruf bzw. die Nichtverlängerung einer Bewilligung noch unter der Herrschaft des bisherigen Rechts ergangen ist. Die Beschwerdeführer berufen sich daher vergeblich auf das neue Ausländergesetz (vgl. auch E. 3.4): Die vorliegende Streitsache beurteilt sich allein nach dem inzwischen aufgehobenen Bundesgesetz vom 26. Mai 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) und seinen Ausführungserlassen.
1.3 Da die Beschwerdeführerin formell mit einem Schweizer Bürger verheiratet ist, hat sie gestützt auf Art. 7 Abs. 1 ANAG einen grundsätzlichen Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Gegen deren Widerruf (bzw. gegen die darin implizit mitenthaltene und heute allein noch aktuelle Verweigerung einer Verlängerung der Bewilligung) ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten daher zulässig. Unzulässig sind die gestellten Feststellungsanträge: Derartige Begehren setzen gemäss Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 25 BZP ein besonderes Feststellungsinteresse voraus (vgl. BGE 122 II 97 E. 3 S. 98). Ein solches ist hier weder geltend gemacht noch ersichtlich. Unzulässig ist die Beschwerde auch, soweit gerügt wird, das Obergericht habe zu Unrecht das Vorliegen eines Härtefalles verneint (vgl. Art. 13 lit. f der Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl der Ausländer [BVO; zur heutigen Rechtslage Art. 18 ff. und Art. 30 AuG] in Verbindung mit Art. 83 lit. c Ziff. 2 und Ziff. 5 BGG). Insoweit kann auf das vorliegende Rechtsmittel nicht eingetreten werden.
1.4 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
2.
2.1 Gemäss Art. 7 Abs. 2 ANAG hat der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers keinen Anspruch auf Erteilung der ihm nach Absatz 1 grundsätzlich zustehenden Bewilligung, wenn die Ehe eingegangen worden ist, um die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern und namentlich jene über die Begrenzung der Zahl der Ausländer zu umgehen. Erfasst wird davon die sog. Scheinehe bzw. Ausländerrechtsehe, bei der die Ehegatten von vornherein keine echte eheliche Gemeinschaft beabsichtigen (BGE 128 II 145 E. 2.1 S. 151; 127 II 49 E. 4a S. 55, mit Hinweisen). Auch wenn die Ehe nicht bloss zum Schein eingegangen worden ist, heisst dies nicht zwingend, dass dem ausländischen Ehepartner der Aufenthalt bzw. die Niederlassung ungeachtet der weiteren Entwicklung gestattet werden muss. Zu prüfen ist diesfalls, ob sich die Berufung auf die Ehe nicht anderweitig als rechtsmissbräuchlich erweist (BGE 127 II 49 E. 5a S. 56, mit Hinweisen).
2.2 Rechtsmissbrauch im Zusammenhang mit Art. 7 ANAG liegt vor, wenn der Ausländer sich im Verfahren um Erteilung einer fremdenpolizeilichen Anwesenheitsbewilligung auf eine Ehe beruft, welche nur (noch) formell und ohne Aussicht auf Aufnahme bzw. Wiederaufnahme einer ehelichen Gemeinschaft besteht (BGE 128 II 145 E. 2.2 S. 151 mit Hinweisen). Ein Rechtsmissbrauch darf aber nicht leichthin angenommen werden, namentlich nicht schon deshalb, weil die Ehegatten nicht mehr zusammenleben oder ein Eheschutz- oder Scheidungsverfahren eingeleitet worden ist. Gerade weil der ausländische Ehegatte nicht der Willkür des schweizerischen ausgeliefert sein soll, hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung vom ehelichen Zusammenleben abhängig zu machen (ausführlich: BGE 118 Ib 145 E. 3 S. 149 ff.; anders die heutige Rechtslage, vgl. Art. 42 AuG). Erforderlich sind klare Hinweise darauf, dass die Führung einer Lebensgemeinschaft nicht mehr beabsichtigt und nicht mehr zu erwarten ist (BGE 127 II 49 E. 5a S. 56 f. mit Hinweisen).
2.3 Die Beschwerdeführerin beanstandet die Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach der Aufenthaltsanspruch des ausländischen Ehegatten gemäss Art. 7 ANAG nicht nur bei einer eigentlichen Scheinehe entfällt, sondern ein Rechtsmissbrauch darüber hinaus auch vorliegt, wenn unter Berufung auf eine definitv gescheiterte Ehe ein Aufenthaltsrecht geltend gemacht wird. Sie beruft sich auf den Gesetzgeber, der - gerade um den ausländischen Ehegatten vor der Willkür seines Partners zu schützen - auf das Erfordernis des Zusammenlebens verzichtet habe. Das ist richtig, weshalb in der Rechtsprechung auch festgehalten wird, dass die blosse Einleitung eines Scheidungsverfahrens oder die Aufgabe des gemeinsamen Haushaltes den Aufenthaltsanspruch des ausländischen Ehegatten für sich allein noch nicht untergehen lassen (vgl. E. 2.2). Ein Rechtsmissbrauch liegt jedoch vor, wenn ein Aufenthaltsanspruch geltend gemacht wird, obwohl mit einer Weiterführung bzw. Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft offensichtlich nicht mehr gerechnet werden kann (vgl. ebenda). Es besteht kein Anlass, von dieser zu Art. 7 und 17 ANAG entwickelten festen Rechtsprechung abzuweichen, umso weniger, als das neue Ausländergesetz den Anwesenheitsanspruch des ausländischen Ehepartners nunmehr generell vom Zusammenleben der Ehegatten abhängig macht (vgl. Art. 42 und 43 AuG) und insofern strenger ist als die bisherige Ordnung des ANAG, welche diese Voraussetzung nur für die Ehegatten von niedergelassenen Ausländern statuierte (Art. 17 ANAG).
3.
3.1 Das Obergericht hat im Wesentlichen erwogen, die Beschwerdeführerin habe "aus eigenem Antrieb" die gerichtliche Trennung verlangt, weil das weitere Zusammenleben mit ihrem Ehemann nach eigenen Angaben unerträglich geworden sei. Dennoch habe sie gegenüber dem Ausländeramt erklärt, sie wolle später - "nach Klärung der Situation mit ihrem Mann" - die Ehegemeinschaft wieder aufnehmen. Diese Aussagen seien widersprüchlich: Wenn die Beschwerdeführerin ihren Mann wegen angeblich unhaltbarer Zustände verlassen habe, sei nicht einzusehen, wie eine Wiederaufnahme des ehelichen Zusammenlebens noch möglich sein solle, zumal Z.________ klar festgehalten habe, für ihn komme eine Wiederaufnahme der Beziehung nicht in Frage. Die Ehe sei damit faktisch als endgültig gescheitert zu betrachten, wobei die Gründe hiefür irrelevant seien. Im Übrigen habe das Stadtrichteramt Zürich die Beschwerdeführerin am 7. Januar 2006 wegen illegaler Prostitution gebüsst, was die Aussichten auf die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft als noch geringer erscheinen lasse. Die Erwägungen des Regierungsrates, wonach sich die Beschwerdeführerin auf rechtsmissbräuchliche Weise nur deshalb auf den (formellen) Bestand der Ehe berufe, um ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz nicht zu verlieren, seien daher weder stossend noch unbillig.
3.2 Aufgrund dieser im angefochtenen Urteil enthaltenen und für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlichen Feststellungen (vgl. E. 1.4) durfte das Obergericht zulässigerweise annehmen, mit einer Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft sei vorliegend nicht (mehr) zu rechnen, und alsdann die Geltendmachung eines Aufenthaltsanspruches nach Art. 7 ANAG als rechtsmissbräuchlich einstufen, ohne dass den Ursachen dieses Zustandes noch weiter nachzugehen war (vgl. BGE 130 II 113 E. 4.2 S. 117). Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang die Feststellung der Vorinstanz beanstandet, sie habe sich in einem entsprechenden Etablissement in Zürich als Prostituierte betätigt, dringt sie damit nicht durch; das Obergericht konnte sich für diesen - nicht offensichtlich unrichtigen und durch die Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht widerlegten - Schluss auf eine entsprechende, in Rechtskraft erwachsene Bussenverfügung des Stadtrichteramts Zürich vom 7. Januar 2006 stützen. Dass die Beschwerdeführerin diesen Sachverhalt bestreitet, wurde im angefochtenen Entscheid nicht übersehen.
3.3 Schliesslich erscheint auch die Rüge der Verletzung des Übereinkommens über die Rechte der Kinder (Kinderrechtekonvention, KRK; SR 0.107) unbegründet: Zwar ist Art. 12 KRK, der die Anhörung des Kindes als Persönlichkeitsrecht des Kindes ausgestaltet, unmittelbar anwendbar (BGE 124 III 90 E. 3a), doch muss die Anhörung nicht notwendigerweise in jedem Fall mündlich erfolgen, sondern es kann genügen, wenn der Standpunkt des Kindes sonstwie in tauglicher Weise, zum Beispiel durch eine Eingabe seines Vertreters, Eingang in das Verfahren gefunden hat (BGE 124 II 361 E. 3c S. 368 mit Hinweisen). Vorliegend hatte es die Vertreterin der Beschwerdeführer in der Hand, in ihren Eingaben auch den Standpunkt und die Interessen des Sohnes Vadim darzulegen; seiner persönlichen Anhörung bedurfte es hiefür nicht.
3.4 Soweit die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 50 des neuen Ausländergesetzes wegen erfolgreicher Integration (Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG) oder aus wichtigen persönlichen Gründen (Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG) trotz Auflösung der Familiengemeinschaft ein Anwesenheitsrecht geltend machen will, steht dem schon der Umstand entgegen, dass diese neue gesetzliche Regelung gemäss der Übergangsbestimmung in Art. 126 Abs. 1 AuG nicht anwendbar ist (vgl. vorne E. 1.2).
4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (Art. 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt, unter solidarischer Haftung.
3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Ausländeramt und dem Regierungsrat des Kantons Schaffhausen, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 18. Juni 2008
Im Namen der II. Öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Merkli Klopfenstein