Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
9C_659/2007
Urteil vom 24. Juli 2008
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Traub.
Parteien
S.________, 1952, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Advokat Dr. Alex Hediger, Freie Strasse 82, 4051 Basel,
gegen
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 7. August 2007.
Sachverhalt:
A.
Die 1952 geborene S.________, seit Dezember 1989 als Operationsschwester im Spital D.________ tätig gewesen, leidet an einem panvertebralen Schmerzsyndrom, einer beginnenden medialen Arthrose beider Knie sowie an einer depressiven Erkrankung. Mit Wirkung ab November 1996 bezog sie eine Invalidenrente in wechselnder Höhe, zuletzt ab Juli 2000 bei einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent eine halbe Rente (Verfügung vom 25. Oktober 2001).
Aufgrund eines Revisionsgesuchs vom 7. Juli 2002, in welchem eine Verschlechterung des Gesundheitszustands geltend gemacht wurde, klärte die IV-Stelle des Kantons Bern den aktuellen medizinischen Sachverhalt ab, indem sie namentlich ein Gutachten des Medizinischen Zentrums R.________ vom 21. Oktober 2003 (ergänzt durch eine gutachtliche Stellungnahme vom 10. März 2004) sowie - veranlasst durch eine Aktennotiz des Ärztlichen Dienstes der IV-Stelle - eine weitere Expertise des Zentrums V.________ vom 20. Dezember 2005 einholte. In der Folge lehnte die Verwaltung die Erhöhung der Rentenleistung ab und bestätigte den bisherigen Invaliditätsgrad von 50 Prozent (mit Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2006 bestätigte Verfügung vom 5. Januar 2006).
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 7. August 2007).
C.
S.________ lässt Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihr, nach Aufhebung von kantonalem und Einspracheentscheid, mit Wirkung ab Juli 2002 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Ausserdem ersucht sie um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Stellungnahme.
Erwägungen:
1.
1.1 Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten (Art. 17 Abs. 1 ATSG) Anspruch auf eine höhere als eine halbe Invalidenrente (Art. 28 IVG) hat. Konkret geht es um die Frage, ob bis zum Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2006 - verglichen mit den Verhältnissen, wie sie der rechtskräftigen Verfügung vom 25. Oktober 2001 zugrunde gelegt wurden - eine anspruchserhebliche Veränderung in den medizinischen oder erwerblichen Gegebenheiten eingetreten ist.
1.2 Das kantonale Gericht hat die zur Beurteilung des Leistungsanspruchs einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Hervorzuheben ist, dass neue medizinische Festlegungen revisionsrechtlich nur bedeutsam sind, wenn sie eine tatsächliche Veränderung der - hier gesundheitlichen - Verhältnisse zum Ausdruck bringen. Hingegen stellt die bloss andere, abweichende Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalts keine revisionsbegründende oder im Rahmen der Revision relevante Änderung dar (BGE 112 V 371 S. 372 unten; SVR 2004 IV Nr. 5 S. 13 E. 2 [I 574/02]).
1.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Im Verfahren der Leistungsrevision stehen sich zwei Gutachten - dasjenige des Medizinischen Zentrums R.________ vom 21. Oktober 2003 und 10. März 2004 sowie dasjenige des Zentrums V.________ vom 20. Dezember 2005 - gegenüber.
2.1
2.1.1 Bezüglich der rheumatologisch bedingten Beeinträchtigung weisen die Gutachter des Medizinischen Zentrums R.________ darauf hin, seit August 1999 bestünden Nackenschmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm (Mikrodiskektomie bei Diskushernie C6/7 im Dezember 1999). Die Schmerzen hätten sich postoperativ gebessert und seit Oktober 2002 wieder exazerbiert. Die Schmerzen liessen sich im Rahmen eines panvertebralen Schmerzsyndroms erklären. Die Akzentuierung (zervikal und lumbal) folge aus dem Status nach Diskushernienoperationen sowie zusätzlich radiologisch nachweisbaren fortgeschrittenen Degenerationen im Bereich der operierten Segmente sowie zervikal C4/5 und C5/6. Im Laufe der Chronifizierung habe sich eine myofasziale Schmerzkomponente sowohl im Schulter- als auch im Beckengürtelbereich entwickelt. Ausserdem bestehe eine Arthrose beider Knie. Aus rheumatologischer Sicht könne eine Tätigkeit als Operationsschwester oder Krankenschwester nicht mehr zugemutet werden. In einer rückenergonomisch günstigen Tätigkeit könne die Arbeitsfähigkeit nach wie vor 50 % betragen.
Mit Schreiben vom 10. März 2004 bekräftigte der federführende Gutachter des Medizinischen Zentrums R.________, seines Erachtens habe sich die somatische Situation verschlechtert, insbesondere hätten die Nackenschmerzen (Diskushernie C6/7) seit Oktober 2002 zugenommen. Ausserdem seien Knieschmerzen hinzugetreten; es bestehe jetzt eine beginnende beidseitige mediale Gonarthrose.
2.1.2 Im Gutachten des Zentrums V.________ wird festgehalten, der dort erhobene neuro-orthopädische Befund sei (bis auf den Befund betreffend die Kniegelenke) "klinisch identisch mit den Befunden, die im Rahmen der Begutachtung im Medizinischen Zentrum R.________ erhoben wurden". Aufgrund der festgestellten körperlichen Beeinträchtigungen sei die Tätigkeit als Operationsschwester mit Einsatz bei stundenlang anhaltenden und ausschliesslich im Stehen zu absolvierenden Operationen sowie mit Heben und Tragen von schweren Besteckkästen und Ähnlichem weiterhin nicht mehr zumutbar. Hingegen erscheine eine Tätigkeit als Operationsschwester im Bereich der Oto-Rhino-Laryngologie (ORL), Augenheilkunde, Handchirurgie, Kieferchirurgie oder auch bei einer Tätigkeit als Produkt-Manager einer in diesen Gebieten als Zulieferer tätigen Firma, wo überwiegend sitzend und mit kleinen und leichten Geräten und Instrumenten gearbeitet werde, zu 8-9 Stunden pro Tag an 5 Tagen pro Woche zumutbar. Innerhalb dieses zumutbaren Arbeitszeitrahmens sei von einer Verminderung der Leistungsfähigkeit auf maximal 50 Prozent auszugehen. Innerhalb der aktiven Tätigkeitsphasen von in aller Regel 30 bis 60 Minuten sei von einem 100%igen Leistungsvermögen auszugehen.
2.2 Mit Bezug auf den psychiatrischen Befund gelangen die Gutachter zu unterschiedlichen Schlüssen.
2.2.1 Nach Einschätzung des Medizinischen Zentrums R.________ haben sich depressive Symptome "seit 1996 zunehmend einerseits aufgrund der zweiten lumbalen Operation, dann der cervikalen Operation, einer zusätzlich diagnostizierten Hypertonie sowie einem Status nach Myocarditis und einer neu diagnostizierten Gonarthrose beidseits" entwickelt (S. 18). Die leichte bis zeitweise mittelschwere Depression führe zu einer zusätzlichen Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 25 Prozent. In einer leichten, adaptierten Tätigkeit, das heisst ohne Tragen und Heben von schweren Lasten und mit Einhalten von wechselbelastenden Positionen, könne medizinisch-theoretisch eine Arbeitsfähigkeit von 25 Prozent attestiert werden. Die psychische Erkrankung verhindere, dass die somatische Restarbeitsfähigkeit von 50 Prozent voll umgesetzt werden könne (S. 19).
2.2.2 Das Zentrums V.________ geht demgegenüber davon aus, in psychischer Hinsicht liege keine eigenständige Störung im Sinne einer rezidivierenden oder dauerhaft anhaltenden depressiven Verstimmung vor, sondern eine das Schmerzsyndrom begleitende ständige Dysphorie oder Dysthymie. Die Symptome der psychischen Befindlichkeit bezögen sich ausschliesslich auf das chronische lumbale und zervikale Schmerzsyndrom. Bei vollständigem Wegfall aller Schmerzen wären auch keine psychischen Begleitsymptome mehr zu erwarten. Daher sei der Befindlichkeitsstörung - anders als gemäss Einschätzung von behandelndem Psychiater und psychatrischem Gutachter des Medizinischen Zentrums R.________ - keine zusätzliche Leistungsminderung zuzuschreiben (S. 20 f.).
2.3 Die Würdigung des medizinischen Dossiers betrifft Tatfragen (BGE 132 V 393). Diesbezüglich greift eine grundsätzliche Bindung des Bundesgerichts an den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt Platz. Die Vorinstanz hat sich auf das neuere der beiden Gutachten - dasjenige des Zentrums V.________ - gestützt, welches auf das ältere - des Medizinischen Zentrums R.________ - Bezug nimmt und insbesondere auch darlegt, dass die im Medizinischen Zentrum R.________-Gutachten festgestellten Kniebeschwerden, welche die dortige Einschätzung der Arbeitsfähigkeit beeinflusst haben, aktuell nicht von Belang sind. Es ist nicht offensichtlich unrichtig, wenn die Vorinstanz die in der Expertise enthaltene Einschätzung, in einer leidensangepassten Tätigkeit als Operationsschwester bestehe bei vollzeitlicher Präsenz eine Leistungsfähigkeit von 50 Prozent, übernommen hat. Bezüglich der psychischen Situation mag zutreffen, dass das kantonale Gericht nicht näher begründet hat, weshalb es auf das Gutachten des Zentrums V.________ abstellt. Im Sinne einer Eventualerwägung hat es aber ausgeführt, dass, selbst wenn vom Gutachten des Medizinischen Zentrums R.________ auszugehen wäre, keine Verschlechterung gegenüber dem Zustand, wie er der ersten Verfügung zugrunde lag, ausgewiesen sei. Auch diese Feststellung ist nicht offensichtlich unrichtig: Das Gutachten begründet die psychiatrische Einschränkung der Arbeitsfähigkeit mit einer leichten bis zeitweilig mittelschweren Depression und hält fest, dass diese seit Mai 1996 besteht.
3.
3.1 Was das Zumutbarkeitsprofil einer adaptierten Tätigkeit angeht, sind die Ärzte des Zentrums V.________ (im Unterschied zu denjenigen des Medizinischen Zentrums R.________) der Meinung, es gebe "im Rahmen des vielfältigen Spektrums 'OP-Schwester'" eine ganze Reihe von "spezialisierteren Anwendungen", die mit den gesundheitsbedingten Einschränkungen vereinbar seien (Hals-, Nasen-, Ohreneingriffe, Augenheilkunde, Hand- oder Kieferchirurgie). Innerhalb eines Vollzeitpensums sei von einer Verminderung der Leistungsfähigkeit um höchstens 50 % auszugehen. "Mit dieser Minderung sollen vor allen Dingen zeitliche Ruhepausen zwischen den aktiven Tätigkeitsphasen berücksichtigt werden. Innerhalb der aktiven Tätigkeitsphasen von in aller Regel 30 bis 60 Minuten ist von einem 100%-igen Leistungsvermögen auszugehen".
Die Vorinstanz ist bei der Bemessung des (nach Tabellenlöhnen ermittelten) Invalideneinkommens davon ausgegangen, die Beschwerdeführerin könne zumutbarerweise mit einem Pensum von 50 Prozent als Operationsschwester tätig sein.
3.2 Der Verfügung vom 25. Oktober 2001 lag ebenfalls die Annahme zugrunde, es bestehe eine Einschränkung um 50 Prozent. Fraglich ist, ob sich bezüglich des Anforderungsprofils eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ergeben hat; im Zeitpunkt der früheren Verfügung bestand im Zusammenhang mit der Bemessung des Invalideneinkommens noch nicht die Notwendigkeit von Ruhepausen im Umfang eines halben Arbeitspensums. Bei der Bemessung des leidensbedingten Abzugs (BGE 129 V 472 E. 4.2.3 S. 481; 126 V 75) ist die Vorinstanz davon ausgegangen, eine Reduktion des anhand von Erwerbsstatistiken ermittelten Invalideneinkommens um 10 Prozent werde den konkreten Verhältnissen vollumfänglich gerecht. Das Bundesgericht prüft die vorinstanzliche Ermessensbetätigung nicht nach den Grundsätzen zur Angemessenheitskontrolle (BGE 126 V 75 E. 6 S. 81), sondern kann sie nur bei rechtsfehlerhafter Ausübung korrigieren (Art. 95 BGG). Im Rahmen einer Rechtskontrolle ist der vorinstanzlich vorgenommene Abzug von 10 % auf dem Lohn eines 50 %-Pensums nicht zu beanstanden.
3.3 Insgesamt bleibt es beim vorinstanzlichen Erkenntnis, es bestehe auch über Juni 2002 hinaus Anspruch auf eine halbe Invalidenrente.
4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Gemäss dem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung) kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, das Rechtsmittel nicht aussichtslos und die anwaltliche Vertretung geboten war ( Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG ; BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372). Es wird indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes einstweilen auf die Gerichtskasse genommen.
4.
Advokat Dr. Alex Hediger, Basel, wird als unentgeltlicher Anwalt der Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 24. Juli 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Meyer Traub