Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6S.133/2007 /hum
Urteil vom 11. September 2008
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Zünd, Mathys,
Gerichtsschreiberin Binz.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Josephsohn,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Versuchte schwere Körperverletzung (Art. 122 Abs. 1 StGB),
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 23. November 2005.
Sachverhalt:
A.
Am 20. November 2003 verletzte X.________ bei einer handgreiflichen Auseinandersetzung ihren damaligen Lebenspartner A.________ mit einem Messerstich in den Brustkorb. Der Geschädigte erlitt eine maximal 5 cm tiefe und 3,5 cm breite Stichwunde in Höhe des 10. Zwischenrippenraums links, die zu einer Ansammlung von Luft im Brustraum führte (Pneumothorax). Als Folge davon kollabierte die Lunge des Geschädigten teilweise.
B.
Das Geschworenengericht des Kantons Zürich verurteilte X.________ am 23. November 2005 wegen versuchter schwerer Körperverletzung und (in anderem Zusammenhang) wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über den Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer zu 18 Monaten Gefängnis bedingt und Fr. 600.-- Busse. Eine dagegen erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 27. Mai 2008 ab, soweit es darauf eintrat.
C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des Geschworenengerichtes des Kantons Zürich vom 23. November 2005 sei aufzuheben, und sie sei vom Vorwurf der versuchten schweren Körperverletzung freizusprechen. Sie beantragt zudem, es sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt die Abweisung der Beschwerde, während die Vorinstanz auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Das angefochtene Urteil ist vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz) ergangen. Auf das Rechtsmittel ist deshalb noch das alte Verfahrensrecht anwendbar, hier somit dasjenige der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde (Art. 268 ff. BStP). Die eingereichte Beschwerde in Strafsachen ist deshalb als eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde entgegenzunehmen.
2.
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe zu Unrecht einen Eventualvorsatz angenommen. Zu ihren Gunsten müsse davon ausgegangen werden, dass sie darauf vertraute, es werde nichts passieren. Denn sie habe das Messer lediglich defensiv gehalten und es nicht losgelassen, wozu sie auch nicht verpflichtet gewesen sei. Sie habe sich keine Rauferei geliefert, sondern nur das Messer, welches ihr der Geschädigte habe entreissen wollen, festgehalten. Damit habe sie den eingetretenen Erfolg nicht in Kauf genommen. Es falle auf, dass im angefochtenen Urteil die Möglichkeit einer Fahrlässigkeit nicht einmal geprüft werde. Die Beschwerdeführerin rügt auch die Annahme der Vorinstanz, es liege ein vollendeter Versuch einer schweren Körperverletzung vor. Es werde ihr kein eigentliches Verursachen der Verletzung vorgeworfen, sondern vielmehr das Schaffen eines gefährlichen Zustandes. Zwischen dem Schaffen eines solchen Zustandes und der Verwirklichung der Gefahr fehle jedenfalls ein Glied in der Kausalkette, nämlich der Eintritt der eigentlichen Verletzung und zudem die Schwere dieser Verletzung. Nach Meinung der Beschwerdeführerin erfasst ihr Verhalten keineswegs alle notwendigen Handlungen, um eine schwere Körperverletzung zu provozieren, sondern diese würden - wenn überhaupt - nur die Möglichkeit einer solchen Verletzung erhöhen. Indem die Vorinstanz das Verhalten als vollendeter Versuch im Sinne von Art. 22 Abs. 1 StGB qualifizierte, habe sie diese Bestimmung falsch angewendet. Schliesslich macht die Beschwerdeführerin geltend, der Vorwurf, in einer Rangelei das Messer nicht losgelassen zu haben, sei ein Unterlassen und kein Tun. Es gehe dogmatisch um ein unechtes Unterlassungsdelikt. Sie habe aber keine Garantenstellung gehabt, was von der Vorinstanz auch nicht behauptet werde. Schliesslich sei Art. 122 Abs. 1 StGB (Lebensgefahr) kein Erfolgsdelikt, sondern ein Gefährdungsdelikt, weshalb es nicht durch Unterlassung erfüllt werden könne.
2.2 Die Vorinstanz hat verbindlich festgestellt, die Beschwerdeführerin habe sich mit dem Messer in der Hand - nach vorangegangenen Drohungen und fuchtelnden Bewegungen - mit dem Geschädigten eine Rauferei bzw. eine Rangelei geliefert und dabei billigend in Kauf genommen, dass dieser lebensgefährliche Stichverletzungen erleiden könnte. Damit wird ihr ein aktives Verhalten vorgeworfen, weshalb die Voraussetzungen des unechten Unterlassungsdeliktes nicht weiter zu prüfen sind. Entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerin handelt es sich bei Art. 122 Abs. 1 StGB im Übrigen nicht um ein Gefährdungsdelikt, sondern um ein Erfolgsdelikt (BGE 124 IV 53 E. 2 S. 56, mit Hinweisen).
2.3 Im angefochtenen Urteil wird weiter festgehalten, die Beschwerdeführerin habe dem Geschädigten gedroht, ihn umzubringen. Sie habe eine potentiell gefährliche Waffe behändigt und den Geschädigten damit konfrontiert. Sie habe nochmals gedroht, ihn fertig zu machen, und habe vor ihm fuchtelnde Bewegungen gemacht. Dass sie dabei überhaupt nicht mit der Möglichkeit einer schweren Verletzung rechnete, vermöge nicht zu überzeugen. Als Motiv für die Ergreifung des Messers habe die Beschwerdeführerin den durchaus nachvollziehbaren Wunsch erwähnt, einmal nicht nachgeben zu wollen. Es sei eine Art Schutz für sie gewesen, sie habe sich Respekt und Abstand verschaffen und sich ein bisschen stärker fühlen wollen. Wer sich - so die Vorinstanz - im Bewusstsein relativer Stärke, vielleicht sogar Überlegenheit gegenüber dem unbewaffneten Geschädigten, und mit dem festen Willen, nun um keinen Preis nachzugeben, mit einem langen Messer in der Hand eine Rauferei bzw. Rangelei liefere, der nehme auch schwere Verletzungen in Kauf. Dies gelte umso mehr, als die Beschwerdeführerin den Geschädigten gut kannte und trotz aller Beziehungsschwierigkeiten nicht habe befürchten müssen, von diesem ernsthaft verletzt zu werden.
2.4 Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt (Art. 12 Abs. 2 Satz 1 StGB). Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 Satz 2 StGB). Nach ständiger Rechtsprechung ist Eventualvorsatz gegeben, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs beziehungsweise die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein. Für den Nachweis des Vorsatzes kann sich das Gericht - soweit der Täter nicht geständig ist - regelmässig nur auf äusserlich feststellbare Indizien und auf Erfahrungsregeln stützen, die ihm Rückschlüsse von den äusseren Umständen auf die innere Einstellung des Täters erlauben. Zu den äusseren Umständen, aus denen der Schluss gezogen werden kann, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen, zählt auch die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung und die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung. Je grösser dieses Risiko ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto eher darf gefolgert werden, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen (BGE 134 IV 26 E. 3.2.2 S. 28 f., mit Hinweisen).
2.5 Die Begründung und Schlussfolgerung der Vorinstanz, wonach die Verletzungen des Geschädigten den objektiven Tatbestand der einfachen Körperverletzung gemäss Art. 123 StGB erfüllen, ist nicht zu beanstanden und wird in der Beschwerde auch nicht in Frage gestellt. Im Lichte der dargestellten Rechtsprechung kann auch nicht zweifelhaft sein, dass die Beschwerdeführerin diese Körperverletzung eventualvorsätzlich herbeigeführt hat. Wer sich mit einem langen Messer in der Hand mit einem andern rauft, der weiss, dass dieser verletzt werden kann. Die von der Vorinstanz aufgeführten Umstände vermögen aber auch darzutun, dass die Beschwerdeführerin eine solche Verletzung in Kauf nahm. Ihr fester Wille, bei der tätlichen Auseinandersetzung nicht nachzugeben und das Messer in der Hand zu behalten, zeigt, dass sie das offenkundige Risiko auf sich nahm und es ihr letztlich gleichgültig war, den Geschädigten zu verletzen. Damit handelte sie tatbestandsmässig im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 StGB.
2.6 Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz, wenn sie darüber hinaus annimmt, die Beschwerdeführerin habe auch eine allfällige schwere Körperverletzung gemäss Art. 122 Abs. 1 StGB in Kauf genommen. Dies lässt sich aufgrund des im vorinstanzlichen Urteil aufgeführten Sachverhaltes nicht begründen. Selbst wenn der Beschwerdeführerin bewusst war, mit ihrem Vorgehen den Geschädigten lebensgefährlich verletzen zu können, heisst das noch nicht, sie habe solches tatsächlich auch in Kauf genommen. Aus dem Wissen des Erfolgseintritts allein darf noch nicht auf dessen Inkaufnahme und damit auf Eventualvorsatz geschlossen werden. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen (BGE 131 IV 1 E. 2.2 S. 5), was bei der Beschwerdeführerin nicht zutrifft. Es finden sich im Gegenteil Indizien, die zu ihren Gunsten sprechen. So hat sie nicht bewusst in den Brustkorb gestochen, was hinsichtlich schwerer Verletzungen mit einem ungleich grösseren Risiko verbunden wäre. Ihre Absicht war es, sich Respekt und Abstand zu verschaffen, dem Geschädigten Angst einzuflössen und ihn zum Weggehen zu veranlassen. Zu diesem Zweck dessen Leben aufs Spiel zu setzen, macht keinen Sinn. Die Vorinstanz weist zu Recht darauf hin, dass die Beschwerdeführerin den Geschädigten gut kannte und trotz aller Beziehungsschwierigkeiten nicht befürchten musste, von ihm ernsthaft verletzt zu werden. Auch dies spricht gegen die Inkaufnahme einer lebensgefährlichen Verletzung.
2.7 Zusammenfassend lässt sich nicht dartun, die Beschwerdeführerin habe eventualvorsätzlich eine versuchte schwere Körperverletzung im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB begangen. Die entsprechende Schlussfolgerung der Vorinstanz ist deshalb bundesrechtswidrig, weshalb ihr Urteil vom 23. November 2005 aufzuheben ist.
3.
Da die Beschwerdeführerin obsiegt, hat sie keine Kosten zu tragen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos. Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin ist eine angemessene Entschädigung aus der Bundesgerichtskasse auszurichten ( Art. 278 Abs. 2 und 3 BStP ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Geschworenengerichtes des Kantons Zürich vom 23. November 2005 aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird als gegenstandslos abgeschrieben.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Dem Vertreter der Beschwerdeführerin wird eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Geschworenengericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 11. September 2008
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Schneider Binz