BGer 6B_716/2008
 
BGer 6B_716/2008 vom 02.04.2009
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
6B_716/2008
Urteil vom 2. April 2009
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Ferrari,
Gerichtsschreiber Briw.
Parteien
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich, Beschwerdeführerin,
gegen
Y.________, Beschwerdegegner, vertreten
durch Rechtsanwalt Willi Berchten.
Gegenstand
Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit (Art. 91a Abs. 1 SVG),
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 18. April 2008.
Sachverhalt:
A.
Y.________ wird vorgeworfen, er habe am 17. Oktober 2005, nachts um 03.00 Uhr, sein Fahrzeug Citroen, das im Parkhaus unter anderen des Dancings P1 in Dübendorf abgestellt war, aufgrund einer Fehlmanipulation zunächst vorwärts in einen parkierten Mercedes gefahren und an diesem einen Sachschaden (Lackabrieb) verursacht, und hernach rückwärts aus dem Parkfeld gesetzt und dabei ein Fahrzeug touchiert. Ohne Anhalten und Benachrichtigen des Geschädigten oder der Polizei habe er sich von der Unfallstelle entfernt und es damit verunmöglicht, dass die Polizei eine Atemalkoholprobe und weitere Untersuchungen habe vornehmen können. Er konnte anschliessend an seinem Wohnort nicht angetroffen werden.
B.
Das Bezirksgericht Uster fand ihn am 20. Juni 2007 schuldig
- der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit im Sinne von Art. 91a Ziff. 1 SVG,
- der mehrfachen Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 SVG,
- des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall im Sinne von Art. 92 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1 und 3 SVG.
Es widerrief die mit Strafbescheid des Untersuchungsamts Uznach am 18. August 2003 ausgefällte bedingte Strafe von 4 Wochen Gefängnis und bestrafte ihn unter Einbezug der widerrufenen Strafe mit einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 150.-- als Gesamtstrafe sowie einer Busse von Fr. 1'000.--, wobei es die Geldstrafe im Umfang von 30 Tagessätzen unbedingt und den Rest bedingt mit einer Probezeit von fünf Jahren aussprach.
C.
Das Obergericht des Kantons Zürich stellte auf Appellation der Staatsanwaltschaft und des Verurteilten am 18. April 2008 fest, das bezirksgerichtliche Urteil sei hinsichtlich der Schuldsprüche wegen mehrfacher Verletzung der Verkehrsregeln und des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall in Rechtskraft erwachsen. Es sprach ihn bezüglich der Anklage der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit frei. Es bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 1'000.-- und verzichtete auf den Widerruf des mit Strafbescheid vom 18. August 2003 bedingt ausgesprochenen Strafvollzugs.
D.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Eventualiter sei der Beschwerdegegner der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit im Sinne von Art. 91a Abs. 1 SVG (eventuell des Versuchs dazu) sowie der mehrfachen Verletzung der Verkehrsregeln und des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall schuldig zu sprechen, der mit Strafbescheid vom 18. August 2003 bedingt ausgesprochene Strafvollzug sei zu widerrufen, der Beschwerdegegner sei mit einer unbedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 150.-- (als Gesamtstrafe) sowie einer Busse von Fr. 1'000.-- zu bestrafen, wobei für den Fall des schuldhaften Nichtbezahlens der Busse eine Ersatzfreiheitsstrafe von 10 Tagen festzusetzen sei.
In der Vernehmlassung verzichtet das Obergericht auf eine Stellungnahme. Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde vollumfänglich abzuweisen, ihn angemessen zu entschädigen und die Kosten dem Staate aufzuerlegen.
Erwägungen:
1.
Die Schuldsprüche wegen mehrfacher Verletzung der Verkehrsregeln und des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall sind in Rechtskraft erwachsen. Insoweit ist von diesem Sachverhalt auszugehen.
2.
2.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, der objektive und subjektive Tatbestand von Art. 91a Abs. 1 SVG sei erfüllt. In subjektiver Hinsicht wirft sie der Vorinstanz vor, indem sie annehme, der Schaden beim Mercedes sei so geringfügig gewesen, dass der Beschwerdegegner ihn nicht erkannt hätte bzw. hätte erkennen müssen, so dass er nicht veranlasst gewesen wäre, die Polizei zu benachrichtigen, widerspreche sie ihrer früheren Feststellung, dieser sei unter den gegebenen Umständen zu einem Vorgehen gemäss Art. 51 Abs. 3 SVG verpflichtet gewesen. Zudem hätten die Kollisionsgeräusche Anlass zur Besichtigung gegeben. Weiter werde im Urteil festgestellt, dass der Beschwerdegegner den Zusammenstoss mit dem Mercedes bemerkt haben musste.
2.2 Diese Vorbringen der Beschwerdeführerin sind zutreffend. Die Vorinstanz führt nämlich zusammenfassend aus, es sei mit dem Bezirksgericht festzustellen, dass der Beschwerdegegner beim Wegfahren nicht nur mit dem vor ihm parkierten Mercedes kollidierte, sondern diesen Zusammenstoss auch bemerkt haben musste, und dass er anschliessend davonfuhr ohne anzuhalten, den Halter des Mercedes oder die Polizei zu benachrichtigen und ohne auf den Versuch eines (der beiden) Zeugen, ihn zu stoppen, zu reagieren (angefochtenes Urteil S. 11).
2.3 Der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit macht sich gemäss Art. 91a Abs. 1 SVG schuldig, wer sich als Motorfahrzeugführer vorsätzlich einer Blutprobe, einer Atemalkoholprobe oder einer anderen vom Bundesrat geregelten Voruntersuchung, die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung gerechnet werden musste, entzieht. Damit will das Gesetz verhindern, dass der korrekt sich einer Blutprobe unterziehende Führer schlechter wegkommt als derjenige, der sich ihr entzieht oder sie sonstwie vereitelt (BGE 126 IV 53 E. 2d; 124 IV 175 E. 4a; 117 IV 297 E. 2a).
Diesen Tatbestand kann unter bestimmten weiteren Voraussetzungen die vorsätzliche (oder eventualvorsätzliche) Verletzung der Verhaltenspflichten bei Unfällen gemäss Art. 51 Abs. 3 SVG erfüllen (BGE 131 I 36 E. 2.1). Diese Pflichten zur Benachrichtigung des Geschädigten oder, wenn dies nicht möglich ist, zur unverzüglichen Verständigung der Polizei verletzen nicht den nemo-tenetur-Grundsatz (BGE 131 IV 36 E. 3.5.3; vgl. Entscheid des EGMR in Sachen O'Halloran and Francis v. Grossbritannien vom 29. Juni 2007, Nr. 15809/02 und 25624/02, teilweise veröffentlicht in: FP 1/2008 S. 2). Der Beschwerdegegner ist wegen Verletzung der Verhaltenspflichten gemäss Art. 51 Abs. 3 SVG rechtskräftig schuldig gesprochen worden.
2.4 Die Vorinstanz stellt indessen fest, es lasse sich der zur Erfüllung des subjektiven Tatbestands von Art. 91a Abs. 1 SVG erforderliche (Eventual-)Vorsatz nicht nachweisen. Stehe nämlich fest, dass der Beschwerdegegner den Schaden nicht erkannt hätte und auch nicht hätte erkennen müssen, so hätte er bei diesem Kenntnisstand auch keine Veranlassung gehabt, die Polizei von der Kollision zu benachrichtigen. Eben so wenig hätte er in diesem Zusammenhang Grund gehabt, auf den Versuch eines Zeugen, ihn zu stoppen, zu reagieren. Unter diesen Umständen könne sein Verhalten nicht als Inkaufnahme der Vereitelung einer Blutprobe gewertet werden. Ob die Polizei bei Meldung des Unfalls sehr wahrscheinlich eine Blutprobe angeordnet hätte, spiele bei dieser Sachlage keine Rolle (angefochtenes Urteil S. 13). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Mit der vorinstanzlichen Annahme, der Schaden beim Mercedes sei "geringfügig" gewesen, steht entgegen ihrer Folgerung nicht fest, dass der Beschwerdegegner den Schaden nicht erkannt hätte und auch nicht hätte erkennen müssen. Vielmehr steht damit fest, dass er den (geringfügigen) Schaden hätte erkennen können.
Nach dem Gutachten war die Kollision mit dem Mercedes-Heck so heftig, dass an der Citroen-Front rote Farbspuren mit dem ganzen Lackprofil (dreischichtige, rot metallisierte Lackspuren) haften blieben (angefochtenes Urteil S. 10; Gutachten der Stadtpolizei Zürich vom 9. Februar 2007, act. 30). Die Vorinstanz geht davon aus, dass der Beschwerdegegner die Kollision bemerkt haben musste. Die beiden Zeugen wurden auf die Kollision aufmerksam, weil es plötzlich hinter ihnen "geknallt" hatte (angefochtenes Urteil S. 8). Der Beschwerdegegner hielt aber trotzdem nicht an, um nachzusehen, und reagierte auch nicht auf den Stoppversuch eines Zeugen. Er musste nicht nur mit einem Schaden rechnen, sondern hätte die augenscheinlichen Schäden an den drei Fahrzeugen bemerken müssen, wenn er angehalten oder auf den Stoppversuch eines Zeugen reagiert und nachgesehen hätte (Fotodokumentation der Kantonspolizei Zürich, act. 3).
Aufgrund dieses Sachverhalts lässt sich ein Vorsatz bundesrechtlich nicht verneinen. Ein Fahrzeugführer, der morgens um 03.00 Uhr in einem Parkhaus, das unter anderen zu einem Dancing gehört, beim Wegfahren zuerst vorwärts und dann rückwärts mit anderen Fahrzeugen kollidiert (von diesem Sachverhalt ging die Polizei nach ihrem Rapport am Unfallort aus), muss mit einer Blutprobe rechnen (vgl. BGE 131 IV 36 E. 2.2; 126 IV 53 E. 2a). Mit seinem fluchtartigen Davonfahren nahm der Beschwerdegegner eine Vereitelung der Blutprobe in Kauf, soweit nicht direkter Vorsatz anzunehmen ist.
2.5 Hinsichtlich des von der Beschwerdeführerin eventualiter in Betracht gezogenen untauglichen Versuchs ist sachverhaltlich davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner wegen der heftigen Kollision mit einem Schaden rechnen musste. Ein Schaden war tatsächlich entstanden. Ein untauglicher Versuch kommt somit nicht in Betracht, denn es fehlten nicht tatsächliche Merkmale, die er für gegeben hielt (vgl. BGE 126 IV 53 E. 2b und c). Hätte er hingegen angehalten und bei seiner Prüfung den Schaden nicht erkannt, liesse sich grundsätzlich ein Sachverhaltsirrtum prüfen, der aber nicht unterstellt werden kann, da er sich bewusst nicht darum kümmerte, obwohl er wegen der Kollision mit einem Schaden rechnen musste.
3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Auf den Eventualantrag ist nicht einzutreten. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung der Vereitelungshandlung gemäss Art. 91a Abs. 1 SVG mit den entsprechenden Strafmass- und Kostenfolgen unter Einbezug der Frage des Widerrufs des mit Strafbescheid vom 18. August 2003 ausgesprochenen bedingten Vollzugs an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerdeführerin ist keine Entschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 3 BGG). Der Beschwerdegegner unterliegt mit seinem Antrag und hat die Kosten vor Bundesgericht zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG; vgl. Urteil 6B_588/2007 vom 11. April 2008 E. 5.3, veröffentlicht in: FP 1/2009 S. 11).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. April 2008 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 2. April 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Favre Briw