Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
8C_17/2009
Urteil vom 25. Juni 2009
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiber Holzer.
Parteien
Allianz Suisse Versicherungen, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich, Beschwerdeführerin,
gegen
R.________, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Laube, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 22. Oktober 2008.
Sachverhalt:
A.
Die 1964 geborene R.________ war als Teilzeit-Pharma-Assistentin der Firma Y.________ bei der Allianz Suisse Versicherungsgesellschaft (nachstehend: Allianz) gegen die Folgen von Unfällen versichert, als sie am 17. Februar 2001 aus einem Sessellift stürzte und sich einen Oberschenkelhalsbruch zuzog. Die Allianz anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses und erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Nachdem Dr. med. G.________ in seinem Gutachten vom 8. November 2006 der Versicherten eine Arbeitsfähigkeit von 12 bis 15 Stunden pro Woche in ihrer angestammten Tätigkeit attestierte, setzte die Allianz mit Verfügung vom 9. Mai 2007 und Einspracheentscheid vom 11. Dezember 2007 die zur Berechnung der Taggelder massgebende Arbeitsunfähigkeit der Versicherten für die Zeit ab 1. April 2007 auf 40 % fest.
B.
Die von R.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 22. Oktober 2008, soweit es auf sie eintrat, im Sinne der Erwägungen gut und stellte fest, dass der Taggeldanspruch ab dem 1. April 2007 auf der Basis einer Arbeitsunfähigkeit von 70 % zu berechnen sei. Die Leistungsausstände seien mit 5 % zu verzinsen.
C.
Mit Beschwerde beantragt die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, es sei in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides ihr Einspracheentscheid vom 11. Dezember 2007 zu bestätigen.
Während R.________ beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Gemäss Art. 100 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde gegen einen Entscheid - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - innert 30 Tagen nach Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen. Der vorinstanzliche Entscheid wurde der Beschwerdeführerin am 18. November 2008 zugestellt. Gemäss dem "Track & Trace"-Auszug der Schweizerischen Post wurde die Beschwerde am 5. Januar 2009, um 20:54 Uhr am Grosskundenschalter der Post zur Weiterbeförderung übergeben. Damit wurde die Beschwerde - unter Berücksichtigung des Friststillstandes gemäss Art. 46 BGG - rechtzeitig erhoben; auf sie ist einzutreten.
2.
2.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
2.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG ).
3.
3.1 Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, hat die versicherte Person, wenn sie infolge des Unfalles voll oder teilweise arbeitsunfähig ist, Anspruch auf ein Taggeld (Art. 16 Abs. 1 UVG). Das Taggeld beträgt bei voller Arbeitsunfähigkeit 80 % des versicherten Verdienstes. Bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit wird es entsprechend gekürzt (Art. 17 Abs. 1 UVG). Arbeitsunfähigkeit ist gemäss Art. 6 ATSG die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten. Bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt.
3.2 Ist eine versicherte Person infolge des Unfalles mindestens zu 10 Prozent invalid, so hat sie gemäss Art. 18 Abs. 1 UVG Anspruch auf eine Invalidenrente. Zur Bestimmung des Invaliditätsgrades wird gemäss aArt. 18 Abs. 2 UVG (heute: Art. 16 ATSG) das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der unfallbedingten Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (sog. Invalideneinkommen), in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (sog. Valideneinkommen).
Gemäss Rechtsprechung ist das Valideneinkommen in der Unfallversicherung unabhängig davon zu bestimmen, ob die versicherte Person vor dem Unfall ihre Arbeitskraft ganz oder nur teilweise eingesetzt hat (BGE 119 V 475 E. 2b S. 481). Diesem Faktor wird nämlich bereits dadurch Rechnung getragen, dass aufgrund des geringeren versicherten Verdienstes eine bloss teilzeitlich tätige Person eine kleinere Rente erhalten wird, als eine vollzeitlich erwerbstätige (JEAN-MAURICE FRÉSARD/MARGIT MOSER-SZELESS, L'assurance-accidents obligatoire, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007, Rz. 177 S. 901). Bei der Festlegung des hypothetischen Valideneinkommens ist somit von einer vollzeitlich erwerbstätigen Person auszugehen, die hinsichtlich Fähigkeiten, Ausbildung, Alter und örtlicher Verhältnisse mit der versicherten Person vergleichbar ist (Alexandra RUMO-JUNGO, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 3. Aufl. 2003, S. 124).
4.
Streitig und zu prüfen ist, wie hoch der Grad der für die Berechnung des Taggeldes massgebenden Arbeitsunfähigkeit in der Zeit nach dem 1. April 2007 war.
4.1 Es steht fest und ist unbestritten, dass die Versicherte vor dem Unfall vom 17. Februar 2001 mit einem Wochenpensum zwischen etwa 17 und 20 Stunden (Durchschnittswert somit 18,5 Stunden) als Teilzeit-Pharma-Assistentin in einer Apotheke erwerbstätig war. Die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit in jener Apotheke betrug gemäss Angaben der Arbeitgeberin 41 Stunden. Weiter ist ebenfalls unbestritten, dass aus medizinischer Sicht der Beschwerdegegnerin in der Zeit ab dem 1. April 2007 zuzumuten war, ihre bisherige Tätigkeit mit einem Wochenpensum von etwa 12 bis 15 Stunden (Durchschnittswert somit 13,5 Stunden) auszuüben. Die Beschwerdeführerin interpretiert die bundesgerichtliche Rechtsprechung (Urteil U 604/06 vom 16. Januar 2008 E. 3; vgl. auch Urteil 8C_530/2007 vom 10. Juni 2008 E. 5.2.3) dahingehend, dass zur Ermittlung des Grades der Arbeitsfähigkeit - und damit mittelbar des mit diesem korrelierenden, für die Bemessung der Taggelder massgebenden Grads der Arbeitsunfähigkeit - das zumutbare Wochenpensum ins Verhältnis zum Pensum der versicherten Person unmittelbar vor dem Unfall zu setzen ist. Gemäss der vorinstanzlichen Interpretation der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist demgegenüber - bei grundsätzlich gegebener Verdiensteinbusse - der Grad der Arbeitsfähigkeit aus dem Verhältnis des zumutbaren Wochenpensums zur betriebsüblichen Arbeitszeit zu errechnen.
4.2 Auch wenn Taggelder, wie im vorliegenden Fall, zuweilen über Jahre ausbezahlt werden, handelt es sich doch nach der Konzeption des Gesetzgebers um kurzfristige Leistungen (so ausdrücklich Art. 90 Abs. 1 UVG). Sie sind in dem Sinne bloss vorübergehende Leistungen, als sie nur geschuldet sind, so lange eine Arbeitsunfähigkeit besteht und von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung noch eine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes erwartet werden kann (Art. 19 Abs. 1 UVG). Durch die Taggelder soll der konkrete Erwerbsausfall, welchen die versicherte Person durch den Unfall in der Heilungsphase erleidet, ausgeglichen werden. Es trifft zwar zu, dass die Taggelder insofern "abstrakt" berechnet werden, als bei der Berechnung des versicherten Verdienstes grundsätzlich jenes Einkommen massgeblich ist, welches die versicherte Person unmittelbar vor dem Unfall erzielte (Art. 15 Abs. 2 UVG); das System des KUVG, zur Bemessung des versicherten Verdienstes jeweils vom tatsächlichen Erwerbsausfall auszugehen, wurde bei der Einführung des UVG preisgegeben. Damit war indessen nicht eine Änderung in der Zwecksetzung der Taggelder angestrebt; vielmehr sollten die Versicherungsträger vom unverhältnismässigen administrativen Aufwand, für jede versicherte Person und für jeden einzelnen Tag abzuklären, wie hoch der tatsächliche Erwerbsausfall ist, entlastet werden (Botschaft vom 18. August 1976 zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung, BBl 1976 III 141 Ziff. 342).
4.3 Die vorinstanzliche Vorgehensweise, den zur Bemessung der Taggelder massgebenden Grad der Arbeitsunfähigkeit durch den Vergleich der medizinisch-theoretischen Arbeitsfähigkeit mit der betriebsüblichen Arbeitszeit zu bestimmen, führt bei versicherten Personen, die vor dem Unfall nur teilzeitlich erwerbstätig waren und nach dem Unfall in einem geringeren Umfang weiterhin eine Arbeitsleistung erbringen können, dazu, dass die Taggelder - zusammen mit dem erzielbaren Lohn - den Betrag übersteigen würden, welchen sie vor dem Unfall als Einkommen erzielten. Aufgrund der strengen Orientierung der Taggelder am tatsächlichen Erwerbsausfall ist ein solches Resultat abzulehnen. Die Beschwerdeführerin macht somit zu Recht geltend, als Referenzpensum zur Ermittlung des Grades der Arbeitsunfähigkeit sei das Arbeitspensum unmittelbar vor dem Unfall einzusetzen.
4.4 Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, vermag diese unterschiedliche Berechnungsmethode der Arbeits- bzw. der Erwerbsunfähigkeit bei den Taggeldern und bei den Renten im Einzelfall zu bewirken, dass die nach Fallabschluss zugesprochene Rente betragsmässig höher als das unmittelbar vor Fallabschluss ausbezahlte Taggeld liegt oder dass gar ein Rentenanspruch bestehen kann, obwohl ein Taggeld mangels Arbeitsunfähigkeit verweigert werden musste. Eine betragsmässig höhere Rente als das vorangegangene Taggeld kann indessen bereits aus der gesetzlichen Konzeption resultieren, den versicherten Verdienst für die Taggelder und für die Renten je nach anderen Grundsätzen zu berechnen (vgl. Art. 15 Abs. 2 UVG). Die Berechnung der Taggelder beruht im Weiteren auf der Vermutung, dass die Arbeitssituation und damit das Pensum der versicherten Person ohne Unfall unverändert geblieben wäre (vgl. jedoch Art. 23 Abs. 7 UVV; zur Tragweite dieser Norm bei Pensumsänderung: RKUV 1994 Nr. U 201 S. 271, U 36/93 E. 3a). Eine solche Vermutung rechtfertigt sich bei kurzfristigen Leistungen, nicht jedoch bei den Dauerleistungen, mithin bei den Renten. Dem Umstand, dass ein Rentenanspruch bestehen kann, obwohl vor dem Fallabschluss ein Taggeld mangels Arbeitsunfähigkeit verweigert werden musste, könnte theoretisch dadurch Abhilfe geschaffen werden, dass in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung auch die Erwerbsunfähigkeit bei den Renten aufgrund des mutmasslichen Pensums der versicherten Person bemessen würde. Dabei würde der versicherten Person aufgrund von Art. 17 Abs. 1 ATSG analog der Situation in der Invalidenversicherung (vgl. BGE 133 V 545 E. 6.1 S. 546) das Recht offenstehen, eine Rentenrevision zu verlangen, sobald überwiegend wahrscheinlich erstellt ist, dass sie ihren Beschäftigungsgrad ohne Unfall erhöht hätte. Im Gegensatz zu den UV-Taggeldern und den Renten der Invalidenversicherung werden die Renten der Unfallversicherung jedoch nicht nach dem Ausgabenumlageverfahren, sondern nach dem Rentenwertumlageverfahren finanziert (Art. 90 Abs. 2 UVG). Im Moment der Rentenzusprache wird somit der gesamte Kapitalwert der Rente der Betriebsrechnung des Versicherungsträgers belastet (vgl. Art. 109 Abs. 2 UVV), wohingegen die laufenden Renten aus dem damit gebildeten Deckungskapital ausgerichtet werden (vgl. zum Rentenwertumlageverfahren: Stefan Keller, Der flexible Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe, 2008, S. 443). Die Durchführung der Versicherung würde daher durch zusätzliche Rentenrevisionsverfahren mindestens erschwert. Auch aus den unterschiedlichen Finanzierungsverfahren der Taggelder und der Renten ergibt sich somit, dass die Bemessungsgrundsätze, welche für die einen entwickelt wurden, sich nicht ohne weiteres auf die anderen übertragen lassen.
5.
Vergleicht man das medizinisch zumutbare Pensum von 13,5 Stunden pro Woche mit dem Wochenpensum der Versicherten vor dem Unfall von 18,5 Stunden, so erscheint der von der Beschwerdeführerin auf 40 % angesetzte Grad der Arbeitsunfähigkeit als grosszügig. Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und der vorinstanzliche Entscheid ist aufzuheben.
6.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 22. Oktober 2008 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass das Taggeld ab dem 1. April 2007 auf der Basis einer Arbeitsfähigkeit von 40 % abzurechnen ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 25. Juni 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Ursprung Holzer