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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
2C_411/2009
Urteil vom 7. Juli 2009
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Müller, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Uebersax.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Plüss,
gegen
Migrationsamt des Kantons Aargau.
Gegenstand
Durchsetzungshaft / Haftverlängerung,
Beschwerde gegen das Urteil des Rekursgerichts im Ausländerrecht des Kantons Aargau vom 25. Mai 2009.
Sachverhalt:
A.
Der nigerianische Staatsangehörige X.________, geb. 7. September 1985, reiste nach eigenen Angaben am 9. September 2007 in die Schweiz ein, wo er ein Asylgesuch stellte. Das Bundesamt für Migration trat darauf am 25. Oktober 2007 nicht ein und verfügte die Wegweisung von X.________. Am 20. November 2007 trat das Bundesverwaltungsgericht auf eine dagegen gerichtete Beschwerde nicht ein.
B.
Vom 3. Dezember 2007 bis zum 29. August 2008 befand sich X.________ in Ausschaffungshaft. Unmittelbar daran schloss Durchsetzungshaft an, die vom Präsidenten des Rekursgerichts im Ausländerrecht des Kantons Aargau am 29. August 2008 erstmals genehmigt und seither regelmässig verlängert wurde.
Bei einer Anhörung durch die nigerianische Konsulin am 29. Januar 2008 wurde X.________ als Staatsangehöriger von Nigeria anerkannt. Da er sich aber weigerte, in sein Heimatland zurückzukehren, wurde kein Ersatzreisedokument ausgestellt. Am 23. April 2008 bestätigte eine Expertendelegation aus Nigeria die Anerkennung als nigerianischer Staatsangehöriger. Weitere Anhörungen durch die nigerianische Konsulin erfolgten am 15. Juli 2008 und am 14. Oktober 2008. Am 12. November 2008 scheiterte eine Ausschaffung, für die ein Flug gebucht war, daran, dass die Konsulin aufgrund der Weigerung von X.________, nach Nigeria zurückzukehren, weiterhin kein Laissez-passer ausstellte. Am 13. Januar 2009 sowie am 7. April 2009 wurde X.________ erneut erfolglos der nigerianischen Konsulin zugeführt.
C.
Am 15. Mai 2009 verlängerte das Migrationsamt des Kantons Aargau die Durchsetzungshaft bis zum 28. Juli 2009. Mit Urteil vom 25. Mai 2009 prüfte und bestätigte der Präsident des Rekursgerichts im Ausländerrecht des Kantons Aargau als Haftrichter die Haftverlängerung.
D.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 25. Juni 2009 an das Bundesgericht beantragt X.________, das Urteil des Haftrichters vom 25. Mai 2009 aufzuheben und ihn sofort aus der Haft zu entlassen; überdies sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu bewilligen.
In der Folge holte das Bundesgericht beim Migrationsamt sowie beim Rekursgericht die Akten ein.
Erwägungen:
1.
Gegen den angefochtenen kantonal letztinstanzlichen Haftentscheid steht praxisgemäss die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen.
2.
2.1 Nach Art. 78 Abs. 1 AuG kann eine Person, die ihre Pflicht zur Ausreise aus der Schweiz innerhalb der ihr angesetzten Frist nicht erfüllt, falls sich die rechtskräftige Weg- oder Ausweisung auf Grund ihres persönlichen Verhaltens nicht vollziehen lässt, in Haft genommen werden, um der Ausreisepflicht Nachachtung zu verschaffen, sofern die Anordnung der Ausschaffungshaft nicht zulässig ist und eine andere mildere Massnahme nicht zum Ziel führt. Unter den Verfahrensbeteiligten ist unbestritten, dass der Haftgrund an sich erfüllt ist. Der Beschwerdeführer macht hingegen geltend, die Verlängerung der Durchsetzungshaft sei wegen der bereits langen Haftdauer sowie des Umstands, dass er weiterhin nicht bereit sei, in sein Heimatland zurückzukehren, unverhältnismässig.
2.2 Zweck der Durchsetzungshaft ist es, die ausreisepflichtige Person in jenen Fällen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, in denen nach Ablauf der Ausreisefrist der Vollzug der rechtskräftig gegen sie angeordneten Weg- oder Ausweisung - trotz entsprechender behördlicher Bemühungen - ohne ihre Kooperation nicht (mehr) möglich erscheint. Die Durchsetzungshaft bildet das letzte Mittel, wenn und soweit keine andere Massnahme (mehr) zum Ziel führt, den illegal anwesenden Ausländer auch gegen seinen Willen in seine Heimat verbringen zu können. Sie darf nach dem Willen des Gesetzgebers maximal 18 Monate dauern, muss aber in jedem Fall verhältnismässig sein. Die Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft dürfen zusammen eine Höchstdauer von 24 Monaten nicht überschreiten (Art. 79 AuG). Es ist jeweils aufgrund der Umstände im Einzelfall zu prüfen, ob die ausländerrechtliche Festhaltung insgesamt (noch) geeignet bzw. erforderlich erscheint und nicht gegen das Übermassverbot verstösst (BGE 135 II 105 E. 2.2.1 S. 107; 134 I 92 E. 2.1 S. 94 f. und 2.3 S. 96 ff.).
2.3 Bei dieser Beurteilung ist dem Verhalten des Betroffenen, den die Papierbeschaffung allenfalls erschwerenden objektiven Umständen (ehemalige Bürgerkriegsregion usw.) sowie dem Umfang der von den Behörden bereits getroffenen Abklärungen Rechnung zu tragen und zu berücksichtigen, wieweit der Ausländer es tatsächlich in der Hand hat, die Festhaltung zu beenden, indem er seiner Mitwirkungs- bzw. Ausreisepflicht nachkommt. Von Bedeutung können zudem seine familiären Verhältnisse sein sowie der Umstand, dass er allenfalls wegen seines Alters, Geschlechts oder Gesundheitszustands als "besonders schutzbedürftig" gelten muss. Das mutmassliche künftige Verhalten des Betroffenen ist jeweils aufgrund sämtlicher Umstände abzuschätzen; dabei kommt dem Haftrichter wegen der Unmittelbarkeit seiner Kontakte mit dem Betroffenen ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Ein erklärtes konsequent unkooperatives Verhalten bildet in diesem Rahmen nur einen - allenfalls aber gewichtigen - Gesichtspunkt unter mehreren. Je länger die ausländerrechtlich motivierte Festhaltung dauert und je weniger die Ausschaffung absehbar erscheint, desto strengere Anforderungen sind an die Verhältnismässigkeit zu stellen und desto kritischer ist die jeweilige Haftverlängerung zu hinterfragen (BGE 135 II 105 E. 2.2.2 S. 107 f.; 134 I 92 E. 2.3.3 S. 97; 134 II 201 E. 2.2.3-2.2.5 S. 205 f.).
3.
3.1 Der Beschwerdeführer befand sich bei der haftrichterlichen Prüfung insgesamt rund 18 Monate (bzw. je neun Monate) in Ausschaffungs- bzw. Durchsetzungshaft. Mit der Verlängerung wird die Haft um zwei zusätzliche Monate ausgeweitet. Nach Ablauf dieser zwei Monate wird die ausländerrechtliche Administrativhaft also gesamthaft 20 Monate gedauert haben. Auch wenn die Schweiz aufgrund der so genannten Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union gehalten sein wird, die maximale Haftdauer auf 18 Monate zu reduzieren (vgl. Art. 15 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. 2008 L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98 ff.; dazu BGE 135 II 105 E. 2.3.3 S. 109 f.), gilt zurzeit nach Art. 79 AuG noch immer eine gesetzlich zulässige Höchstdauer von 24 Monaten.
3.2 Der Beschwerdeführer hat sich bisher konsequent geweigert, die Schweiz freiwillig zu verlassen oder in einer Weise mit den Behörden zusammenzuarbeiten, dass die Ausschaffung vollzogen werden kann. Der Vollzugsprozess befindet sich in einer Sackgasse, nachdem die nigerianischen Behörden den Beschwerdeführer an sich als eigenen Staatsangehörigen anerkennen und dies wiederholt bestätigt haben, aber kein Reisepapier auszustellen bereit sind, solange der Beschwerdeführer sich weigert, in sein Heimatland zurückzukehren. Damit hängt die Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs hauptsächlich vom Beschwerdeführer selbst ab. Die schweizerischen Behörden haben bisher das ihnen Mögliche vorgekehrt und versuchen weiterhin in regelmässigen Abständen, auf einen Ausschaffungsvollzug hinzuwirken. Dieser scheiterte bisher jedoch am beharrlichen renitenten Verhalten des Beschwerdeführers. Zurzeit kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass ein Vollzug der Ausschaffung innert absehbarer Frist gänzlich ausgeschlossen ist.
3.3 Der Beschwerdeführer beruft sich auf den in BGE 135 II 105 beurteilten Fall. Von diesem unterscheidet sich der vorliegende jedoch massgeblich. So hatte der ausländerrechtliche Freiheitsentzug damals bereits 20 Monate, d.h. zwei Monate mehr als vorliegend, gedauert. Überdies und im Unterschied zum Beschwerdeführer verfügte der Häftling in jenem Fall über teils gewichtige familiäre Beziehungen in der Schweiz. So hatte er insbesondere einen Sohn in der Schweiz, gegenüber dem er ein Besuchsrecht besass, das er auch wahrnahm. Auch sein Bruder lebte hier, bei dem er wohnen konnte und der ihn unterstützte. Ausserdem war, namentlich aufgrund der familiären Situation, ein Verfahren um Erteilung einer ausländerrechtlichen Anwesenheitsbewilligung hängig, an dessen Ausgang der damalige Häftling interessiert war und den er kaum durch sein Verhalten hätte gefährden wollen. Solche Zusammenhänge gibt es im vorliegenden Fall nicht. Der Beschwerdeführer macht keine engen Beziehungen zur Schweiz bzw. zu hier lebenden Personen, insbesondere zu engen Familienangehörigen, geltend.
3.4 Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer aus einem anderen Grund besonders schutzbedürftig wäre oder dass sonstige erschwerende objektive Umstände vorliegen würden. Sein erklärtes konsequent unkooperatives Verhalten gibt daher den Ausschlag, weshalb die angefochtene Haftverlängerung nicht unverhältnismässig ist. Der Haftrichter hat diese eingehend und sorgfältig geprüft und dabei seinen Beurteilungsspielraum rechtmässig wahrgenommen. Der angefochtene Entscheid verletzt somit Bundesrecht nicht.
4.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Eine solche war ihm bereits vor dem Haftgericht gewährt worden. Mit Blick auf BGE 135 II 105 sowie darauf, dass der Beschwerdeführer erstmals an das Bundesgericht gelangt, ist seine Beschwerde nicht als von vorneherein aussichtslos zu beurteilen. Dem Gesuch ist somit stattzugeben. Demnach sind keine Kosten zu erheben, und der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Rechtsanwalt Thomas Plüss wird als amtlicher Vertreter des Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt sowie dem Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 7. Juli 2009
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Müller Uebersax