Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
9C_1022/2008
Urteil vom 24. Juli 2009
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.
Parteien
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Thomann,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle des Kantons Solothurn,
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 20. Oktober 2008.
Sachverhalt:
A.
Die 1962 geborene, im August 1998 aus Mazedonien in die Schweiz eingereiste B.________ war von März 2001 bis März 2004 bei der Firma D.________ als Mitarbeiterin in der Reinigung und Produktion tätig. Am 28. Dezember 2004 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn holte verschiedene Arztberichte ein (des Dr. med. L.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 24. September 2002, der Dr. med. S.________, Fachärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 26. Mai 2004, des Dr. med. F.________, Kinderarzt FMH, vom 10. Januar 2005 und der psychiatrischen Poliklinik des Spitals X.________ vom 7. Juni 2005) und veranlasste eine Begutachtung durch Dr. med. K.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie (Gutachten vom 23. Mai 2005). Nachdem die Abklärung an Ort und Stelle (Situationsbericht Haushalt vom 15. September 2005) nach Auffassung der IV-Stelle einige Widersprüchlichkeiten ergeben hatte, forderte diese bei Dr. med. K.________ eine ergänzende Stellungnahme vom 16. Februar 2006 an. Schliesslich erfolgte nach der Stellungnahme des RAD vom 24. März 2006 eine weitere Begutachtung durch Dr. med. I.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie (Expertise vom 21. September 2006). Nach Erlass des Vorbescheids vom 10. Januar 2007 holte die IV-Stelle eine Stellungnahme bei Dr. med. I.________ zu Fragen betreffend die Dolmetscherfunktion der Tochter anlässlich der Begutachtung ein und lehnte mit Verfügung vom 18. Juni 2006 einen Anspruch auf berufliche Massnahmen und Rente ab.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 20. Oktober 2008 ab.
C.
B.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides seien ihr berufliche Massnahmen, eventuell eine Rente nach Massgabe des relevanten Invaliditätsgrades zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zu weiteren medizinischen Abklärungen an die IV-Stelle zurückzuweisen.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde an das Bundesgericht (Art. 107 Abs. 1 BGG) nur zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (unter anderem) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ). Hiezu gehört insbesondere auch die unvollständige (gerichtliche) Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes als einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (Urteile 9C_534/2007 vom 27. Mai 2008, E. 1 mit Hinweis auf Ulrich Meyer, N 58-61 zu Art. 105, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008; Seiler/von Werdt/ Güngerich, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, N 24 zu Art. 97).
2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember 2007 gültig gewesenen Fassung; vgl. jetzt Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie die Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG, ab 1. Januar 2004 bis Ende 2007 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348 f., 128 V 29 E. 1 S. 30 f.) zutreffend dargelegt. Ebenfalls richtig sind die Ausführungen zur Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung, zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261 mit Hinweisen) sowie zum im Sozialversicherungsrecht erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181) sowie zur Rechtsprechung, wonach psychische Störungen, welche ihre Ursache in psychosozialen und soziokulturellen Belastungsfaktoren haben, in aller Regel nicht zu den invalidisierenden Gesundheitsschäden zu zählen sind (BGE 127 V 294 E. 5a S. 299). Darauf wird verwiesen.
3.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch der Versicherten auf berufliche Massnahmen und eine Rente. In Frage steht insbesondere, ob bei der Versicherten ein invalidisierender psychischer Gesundheitsschaden vorliegt. Uneins sind sich die Parteien darüber, ob zur Beantwortung dieser Frage auf das Gutachten des Dr. med. I.________ vom 21. September 2006 abgestellt werden kann.
3.1 Die Vorinstanz hat mit der Verwaltung gestützt auf dieses Gutachten festgestellt, ein psychischer Gesundheitsschaden mit Krankheitswert liege bei der Beschwerdeführerin nicht vor. Das Gutachten des Dr. med. I.________, der als Diagnosen ohne Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit einen Verdacht auf tendenziell aggravierte Schmutzphobie ICD_10 F.40.2 mit Zwangsstörung sowie vorwiegend Zwangshandlungen (Reinigungs-Rituale) F42.1 als ursprünglich reaktive dysfunktionale Verhaltensweisen im Sinne pathologischer Ereignisbewältigungsstrategien resp. -versuche festhalte, unterscheide sich vom Gutachten des Dr. med. K.________, mit welchem es sich eingehend auseinandergesetzt habe, nicht eigentlich in der Diagnosestellung (dieser hatte als Diagnose mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit eine Zwangsstörung F42.1 seit 1998 mit a. [vermutlich] vorwiegend Zwangshandlungen, b. einem mittelgradigen depressiven Syndrom c. bei passiv-aggressiven und emotional instabilen Persönlichkeitszügen angenommen), sondern in der Frage, ob den Diagnosen ein Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit zukommt und damit in der Qualifikation der diagnostizierten Zwangsstörung als invalidisierender Gesundheitsschaden. Während Dr. med. K.________ die Arbeitsunfähigkeit auf über 85 % schätze, lege Dr. med. I.________ zutreffend dar, dass aufgrund der von Dr. med. K.________ ausgeblendeten psychosozialen und soziokulturellen Ursachenanalyse die diagnostizierte psychische Störung nur auf solche Umstände zurückzuführen sei und deshalb keinen invalidisierenden psychischen Gesundheitsschaden darstelle. Schliesslich könne den Berichten des Spitals X.________, des behandelnden Psychiaters Dr. med. L.________ und der Fachärztin Dr. med. S.________ wie auch des Hausarztes Dr. med. F.________, welche eine Arbeitsunfähigkeit attestierten, nur ein erheblich eingeschränkter Beweiswert zuerkannt werden.
Demgegenüber wendet die Beschwerdeführerin ein, das Gutachten genüge den rechtsprechungsgemässen Anforderungen an eine beweiskräftige medizinische Grundlage nicht. Sie rügt insbesondere einen mehrfachen Verstoss gegen die Beweiswürdigungsregeln und den Untersuchungsgrundsatz im Zusammenhang mit der Dolmetscherfunktion der Tochter anlässlich der Begutachtung.
3.2 Die vorinstanzlichen Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit betreffen grundsätzlich eine Tatfrage, welche bloss unter dem eingeschränkten Blickwinkel von Art. 97 Abs. 1 BGG zu prüfen ist (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Dagegen beschlägt die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln eine Rechtsfrage (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil 9C_270/2008 vom 12. August 2008 E. 2.2).
3.3
3.3.1 Vorab ist die Kritik der Beschwerdeführerin unbegründet, das Gutachten sei nicht beweiswertig, weil dem Gutachter die Einschätzung der Haushaltabklärerin bekannt gewesen sei, was den Anschein der Befangenheit begründe. Es gehört geradezu zu den Anforderungen an ein Gutachten, dass es in Kenntnis der Vorakten erstellt wird (BGE 125 V 351 E. 3a S. 353).
3.3.2 Was den Vorwurf im Zusammenhang mit dem fehlenden neutralen Dolmetscher anlässlich der Untersuchung betrifft, ist festzuhalten, dass der bestmöglichen sprachlichen Verständigung zwischen Experte und versicherter Person zwar insbesondere bei der psychiatrischen Abklärung besonderes Gewicht zukommt. Auf der anderen Seite besteht kein Anspruch auf Untersuchung in der Muttersprache der versicherten Person oder den Beizug eines Übersetzers. Die Frage, ob eine medizinische Abklärung unter Beizug eines Dolmetschers im Einzelfall geboten ist, hat grundsätzlich der Gutachter im Rahmen sorgfältiger Auftragserfüllung zu entscheiden. Entscheidend dafür, ob und in welcher Form bei medizinisch-psychiatrischen Abklärungen dem Gesichtspunkt der Sprache und der sprachlichen Verständigung Rechnung getragen werden muss, ist letztlich die Bedeutung der Massnahme im Hinblick auf die in Frage stehende Leistung. Es geht um die Aussagekraft und damit die beweismässige Verwertbarkeit des Gutachtens als Entscheidungsgrundlage. Danach müssen die Feststellungen des Experten nachvollziehbar sein, seine Beschreibung der medizinischen Situation muss einleuchten und die Schlussfolgerungen müssen begründet sein (Urteil 8C_321/2007 vom 6. Mai 2008, E. 6.1.2; Urteil U 336/06 vom 30. Juni 2007, E. 8.2.1 mit Hinweisen).
3.3.3 Es trifft zwar zu, dass Dr. med. I.________ in seinem Gutachten angab, das Interview sei weitgehend fremdanamnestisch zu bezeichnen und die Tochter als Dolmetscherin berichte grösstenteils aus ihrer Optik. Er führte jedoch auch aus, die Explorandin höre präsent, konzentriert und aufmerksam zu und verstehe offensichtlich auch das Meiste. Manchmal beantworte sie an die Tochter (zwecks Übersetzung) gestellte Fragen auch direkt, ohne die Übersetzung abzuwarten, wobei sie mit verhaltener, aber modulierter Stimme und verzögerungsfrei antworte, ein klar artikuliertes, etwas gebrochenes Deutsch spreche und offensichtlich auf grosse inhaltliche Präzision bedacht sei. Mehrmals komme es sogar vor, dass die Tochter den Inhalt einer Frage zuerst missverstehe oder aus ihrer Sicht abweichend von der Meinung der Versicherten antworte und diese ihr klarstellend mit der Antwort auf Deutsch zuvorkomme. Auch als die Tochter seine Frage nach dem Alter des Vaters (der Versicherten) irrtümlich als auf ihren Vater bezogen auffasse und mit 45 antworte, werde sie von der Versicherten sofort korrigiert. Sie bringe auch eigeninitiativ, ohne speziell gefragt zu werden, Ergänzungen an, so z.B. dass sie nie in eine Klinik gehen würde. Es sei somit unter anderem von einem guten Sprachverständnis auszugehen.
Auf Nachfrage der IV-Stelle zur Frage einer allfällige Beeinflussung seiner Beurteilung durch Anwesenheit, Übersetzungsfunktion und emotionale Reaktion der Tochter der Beschwerdeführerin erklärte Dr. med. I.________ zudem in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. Mai 2007, wenn er sich in der Beurteilungs-Verlässlichkeit auch nur im Geringsten unsicher gefühlt hätte, hätte er seinen Gepflogenheiten gemäss auf einer ergänzenden Untersuchung mit neutralem Übersetzer bestanden. In einer solchen Situation gelte es, nicht nur die verbalen Angaben und emotionalen Reaktionen beider Personen sehr genau zu separieren, allenfalls zu vergleichen und in Bezug auf gegenseitige Beeinflussung zu analysieren, damit im Endeffekt das von der Dolmetscherin Eingebrachte und das Bild von der Explorandin allenfalls Verfälschende abfiltriert werden könne. Diese Arbeit habe er als seit 30 Jahren Interview-erfahrener Psychiater selbstverständlich gemacht. Hilfreich dabei sei gewesen, dass die Explorandin sehr gut in der Lage gewesen sei, dem auf Deutsch geführten Dialog zwischen der Tochter und ihm präzise zu folgen und auch selber auf Deutsch zu intervenieren, wenn die Tochter auch nur geringste Details abweichend oder nicht präzis genug erfasst und übersetzt habe. Es sei auch ein Leichtes gewesen, die plötzliche emotionale Betroffenheit der Tochter, die sich in Tränen äusserte, eben als subjektive Reaktion der Tochter aufzunehmen; eine Rückkoppelung durch diese Reaktion auf das weitere emotionale Verhalten der Mutter habe dabei übrigens kaum beobachtet werden können. Gesamthaft habe die Abgrenzung keine besonderen Probleme gestellt und seine Beurteilung nicht beeinflusst.
Diese Ausführungen sind nachvollziehbar und überzeugend. Inwiefern unter diesen Umständen die für eine lege artis durchgeführte Exploration erforderliche Kommunikation nicht gewährleistet und der Beizug eines neutralen Gutachters erforderlich gewesen wäre, ist nicht ersichtlich, zumal die Beschwerdeführerin bereits anlässlich der Begutachtung durch Dr. med. K.________ einen neutralen Dolmetscher für ihre Muttersprache Albanisch abgelehnt hatte und unter den gegebenen Umständen die Kombination der Befragung von Mutter und Tochter schliesslich auch wertvolle Rückschlüsse erlaubt.
Da im Weiteren das ausführliche Gutachten auf einer eingehenden Untersuchung beruht, in Kenntnis der Vorakten erfolgte, es sich beim Gutachter um einen Spezialisten in Bezug auf die hier interessierenden psychiatrischen Probleme handelt und entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin auch keine sonstigen Hinweise gegen die Nachvollziehbarkeit der gezogenen Schlussfolgerungen bestehen, ist dem Gutachten voller Beweiswert zuzuerkennen (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).
3.4 Wenn die Vorinstanz gestützt darauf mit der IV-Stelle geschlossen hat, es liege bei der Versicherten kein invalidisierender psychischer Gesundheitsschaden vor, weil die unbestrittenermassen bestehende Symptomatik durch eine adäquate Therapie besserungsfähig sei und die im Wesentlichen erhobenen Befunde in den psychosozialen und soziokulturellen Umständen ihre hinreichende Erklärung fänden, weshalb kein Anspruch auf IV-Leistungen bestehe, ist dies weder offensichtlich unrichtig noch verletzt es Bundesrecht, weshalb die Beschwerde unbegründet ist.
4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 24. Juli 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Meyer Helfenstein Franke