Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_302/2009
Urteil vom 28. September 2009
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiber Borner.
Parteien
B.________, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, 6301 Zug ,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Bestellung eines neuen amtlichen Verteidigers,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zug, Strafrechtliche Abteilung, vom 10. März 2009.
Sachverhalt:
A.
B.________ wird unter anderem vorgeworfen, maskiert und bewaffnet ein Ehepaar in dessen Einfamilienhaus überfallen und beraubt sowie bei einem anderen Überfall eine Frau vergewaltigt zu haben.
B.
Das Strafgericht des Kantons Zug verurteilte B.________ am 4. Juli 2008 wegen mehrfachen und versuchten Diebstahls, Raubes, mehrfacher Sachbeschädigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs sowie Vergewaltigung zu 39 Monaten Freiheitsstrafe. Es ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme an und schob den Vollzug der Freiheitsstrafe auf.
Das Obergericht des Kantons Zug trat am 10. März 2009 auf die Berufung des Verurteilten mangels rechtsgenüglicher Begründung nicht ein.
C.
B.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese neu Frist zur Erklärung der Berufung ansetze und die Berufungsverhandlung wiederhole.
Das Obergericht beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer hatte im kantonalen Verfahren einen amtlichen Verteidiger. Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung liess er sich zudem von einem erbetenen Anwalt verteidigen, der sein Mandat nach der Verhandlung niederlegte. Der Beschwerdeführer erhob persönlich Berufung. Sein amtlicher Verteidiger nahm am Berufungsverfahren nicht teil.
Der Beschwerdeführer macht geltend, da seine Interessen vom amtlichen Verteidiger nicht ausreichend und wirksam wahrgenommen worden seien, hätte die Vorinstanz Abhilfe schaffen müssen. Indem sie dieser Pflicht nicht nachgekommen sei, habe sie Art. 32 Abs. 2 und Art. 29 Abs. 3 BV sowie Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK verletzt.
2.
Im Berufungsverfahren standen eine Freiheitsstrafe von 39 Monaten und eine stationäre therapeutische Massnahme auf dem Spiel. Da beide Sanktionen besonders stark in die Rechtspositionen des Beschwerdeführers eingreifen, ist sowohl nach Verfassungs- und Konventionsrecht als auch nach kantonalem Recht ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben (BGE 120 Ia 43 E. 2; § 10ter Abs. 1 Ziff. 2 der Strafprozessordnung für den Kanton Zug vom 3. Oktober 1940; HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Auflage, S. 162 N. 11 f.).
Wird bei der notwendigen Verteidigung die Hauptverhandlung ohne den Verteidiger des Angeschuldigten durchgeführt, verletzt dies Art. 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK (BGE 113 Ia 218 E. 3b-d).
3.
Der Beschwerdeführer reichte am 10. September 2008 persönlich eine Berufung ein. Darin legte er dar, dass er sich durch den amtlichen Verteidiger nicht vertreten fühle, und ersuchte die Vorinstanz, sich anlässlich der Hauptverhandlung selbst verteidigen zu können (kantonale Akten, GD 1/1, S. 2 und 6).
Der Beschwerdeführer hatte zwar auch noch im vorinstanzlichen Verfahren einen amtlichen Verteidiger. Doch als dieser an der Hauptverhandlung nicht erschien, war der Beschwerdeführer nicht mehr in ausreichender und wirksamer Weise verteidigt. Dass er selbst seine Interessen nicht wahrnehmen konnte, ergibt sich aus dem angefochtenen Entscheid, wonach auf die Berufung mangels rechtsgenüglicher Begründung nicht eingetreten werden konnte. Zudem ist nicht ersichtlich, wie der rechtsunkundige Beschwerdeführer der Anklagebehörde hätte Paroli bieten sollen. Indem die Vorinstanz die Hauptverhandlung in Abwesenheit des amtlichen Verteidigers durchführte, verstiess sie gegen Art. 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK (BGE 129 I 281 E. 4.3 und 4.4 mit Hinweisen).
Folglich ist der angefochtene Entscheid aufzuheben. Im neuerlichen Berufungsverfahren wird die Vorinstanz dafür besorgt sein, dass der Beschwerdeführer in ausreichender und wirksamer Weise verteidigt ist.
4.
Da der Beschwerdeführer obsiegt, ist sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. Dem Kanton Zug werden keine Kosten auferlegt, doch hat er den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers angemessen zu entschädigen (Art. 66 Abs. 4 und Art. 68 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug vom 10. März 2009 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Zug hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, Strafrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 28. September 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Favre Borner