Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1B_292/2009
Urteil vom 28. Oktober 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Schoder.
Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Emil Robert Meier,
gegen
Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17, Postfach,
8026 Zürich.
Gegenstand
Untersuchungshaft,
Beschwerde gegen die Verfügung vom 1. Oktober 2009 des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter.
Sachverhalt:
A.
X.________ befindet sich seit dem 29. Juni 2009 in Untersuchungshaft. Es wird ihm unter anderem zur Last gelegt, am 17. Mai 2009 gemeinsam mit zwei weiteren Angeschuldigten die zum Widerstand unfähige Geschädigte Y.________ in Kenntnis deren Zustandes zu beischlafsähnlichen respektive anderen sexuellen Handlungen missbraucht und die sexuellen Handlungen mit seiner Fotokamera gefilmt zu haben. Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich beantragte am 29. September 2009 die Verlängerung der Untersuchungshaft. Mit Verfügung vom 1. Oktober 2009 gab der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich dem Antrag statt und verlängerte die Untersuchungshaft bis zum 1. Januar 2010 wegen Kollusionsgefahr.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________ die Aufhebung der haftrichterlichen Verfügung und die Entlassung aus der Untersuchungshaft. Eventuell sei die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner ersucht der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren vor Bundesgericht.
C.
Der Haftrichter hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft schliesst auf Beschwerdeabweisung. Der Beschwerdeführer hat repliziert.
Erwägungen:
1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde kann somit eingetreten werden.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Er ist der Ansicht, der Haftrichter habe nicht ausreichend begründet, inwiefern der besondere Haftgrund der Kollusionsgefahr gegeben sei. Zudem seien die in Art. 112 BGG vorgeschriebenen Begründungsanforderungen für Entscheide, die der Beschwerde ans Bundesgericht unterliegen, nicht erfüllt.
2.2 Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Pflicht der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Sie kann sich dabei aber auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken. Es reicht aus, wenn sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen).
Nach der Rechtsprechung kann es grundsätzlich zulässig sein, wenn der Haftrichter in der Entscheidbegründung auf bereits ergangene Haftverfügungen oder auf den Antrag der Staatsanwaltschaft verweist (BGE 123 I 31 E. 2 S. 33 ff.; Urteile des Bundesgerichts 1B_78/2009 vom 1. April 2009 E. 4.2; 6B_1033/2008 vom 24. August 2009 E. 3.2). Mit Bezug auf das einstufige zürcherische System hat das Bundesgericht aber auch entschieden, dass, weil es sich beim Haftrichter um die einzige richterliche Haftprüfungsinstanz handelt, an die Begründungspflicht kein tiefer Massstab angelegt werden darf (BGE 133 I 270 E. 3.5.1 S. 283).
Gemäss Art. 112 Abs. 1 BGG müssen Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, unter anderem die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art enthalten, insbesondere die Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen (lit. b). Daraus folgt, dass Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, klar den massgeblichen Sachverhalt und die rechtlichen Schlüsse, die daraus gezogen werden, angeben müssen. Genügt der angefochtene Entscheid diesen Anforderungen nicht und ist deshalb das Bundesgericht nicht in der Lage, über die Sache zu befinden, ist er nach Art. 112 Abs. 3 BGG aufzuheben und die Angelegenheit an die kantonale Behörde zurückzuweisen, damit diese einen Entscheid treffe, der Art. 112 Abs. 1 BGG entspricht (Urteil 1B_301/2008 vom 20. November 2008 E. 1.2 mit Hinweisen).
2.3 Bezüglich des dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verhaltens verweist der Haftrichter auf die Haftverfügungen vom 1. Juli 2009 und vom 15. September 2009. Der dringende Tatverdacht wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten.
Gemäss der angefochtenen Verfügung ergibt sich die Kollusionsgefahr daraus, dass die Angaben des Angeschuldigten erheblich von den nicht a priori unglaubhaften Aussagen der Geschädigten abweichen und überdies bei Sexualdelikten der vorliegenden Art (Schändung) die erhöhte Gefahr einer Beeinflussung des Opfers bestehe. Die Anordnung eines Kontaktverbots als Ersatzmassnahme vermöge die Kollusionsgefahr nicht wirksam zu bannen.
Aus dieser Begründung wird - wenn auch bloss knapp - ersichtlich, gestützt auf welche Gründe die Verlängerung der Untersuchungshaft bejaht und eine Ersatzmassnahme abgelehnt wird. Der Beschwerdeführer kann die Verfügung sachlich anfechten, und das Bundesgericht ist in der Lage, die Sache zu beurteilen. Damit hat der Haftrichter die Begründungspflicht knapp erfüllt, wenn es auch wünschbar gewesen wäre, dass er sich mit den im Haftverlängerungsantrag enthaltenen Angaben der Staatsanwaltschaft ausführlicher auseinandergesetzt hätte (vgl. dazu nachfolgend E. 3.4).
Im Übrigen verkennt der Beschwerdeführer, dass die Frage, ob die Haftvoraussetzungen vollständig erfüllt sind, nicht die Begründungspflicht, sondern die materiellen Haftvoraussetzungen betrifft.
3.
3.1 Wie bereits erwähnt, bestreitet der Beschwerdeführer das Vorliegen von Kollusionsgefahr und rügt in diesem Zusammenhang eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit. Nach seiner Auffassung lässt sich allein aus dem Umstand, dass die Aussagen der Geschädigten von den seinen abweichen, eine Kollusionsgefahr nicht begründen, zumal eine weitere Befragung der Geschädigten nicht erforderlich sei. Das Argument des Haftrichters, bei Sexualdelikten der vorliegenden Art würde per se eine erhöhte Kollusionsgefahr bestehen, sei eine "Leerfloskel", mit der sich bei jedem Sexualdelikt eine beinahe unbegrenzte Untersuchungshaft rechtfertigen lasse.
3.2 Gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 (StPO; LS 321) ist die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft unter anderem zulässig, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und aufgrund bestimmter Anhaltspunkte Kollusionsgefahr ernsthaft zu befürchten ist. Die Untersuchungshaft ist durch mildere Massnahmen zu ersetzen, sofern sich der Haftzweck auch auf diese Weise erreichen lässt (§ 58 Abs. 4 i.V.m. § 72 f. StPO/ZH).
Sind diese Vorschriften erfüllt, steht der Untersuchungshaft auch unter dem Blickwinkel der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 Abs. 1 BV , Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK) nichts entgegen.
3.3 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Verhältnismässigkeit der Einschränkung der persönlichen Freiheit durch strafprozessuale Haft genügt die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in der Freiheit kolludieren könnte, nicht, um die Fortsetzung der strafprozessualen Haft zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23). Dazu gehören namentlich das bisherige Verhalten des Angeschuldigten im Strafprozess, seine persönlichen Merkmale, seine Stellung und seine Tatbeiträge im Rahmen des untersuchten Sachverhalts sowie seine Beziehungen zu den ihn belastenden Personen. Des Weitern ist der Art und Bedeutung der von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen (BGE 132 I 21 E. 3.2.1 S. 23).
3.4 Wie gesagt, sieht der Haftrichter eine Kollusionsgefahr im Umstand, dass die Aussagen des Beschwerdeführers erheblich von denjenigen der Geschädigten abweichen. Laut Haftverlängerungsantrag der Staatsanwaltschaft vom 29. September 2009 ist der Beschwerdeführer weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht geständig. Er mache geltend, dass sich die Geschädigte während der Vornahme der sexuellen Handlungen nicht in einem komatösen Zustand befunden habe und sie sich jederzeit zur Wehr hätte setzen können. In ihrer Vernehmlassung vom 15. Oktober 2009 fügt die Staatsanwaltschaft bei, die Geschädigte sei bereits einvernommen worden, jedoch sei ihre Aussage neben dem Videobeweis der einzige Beweis für die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Straftat. Nur die Geschädigte könne in einer allfälligen Einvernahme vor dem dereinst zuständigen Strafgericht ausführen, dass sie die sexuellen Handlungen zumindest nicht physisch mitbekommen habe. Der Beschwerdeführer habe sich bei der Geschädigten nie entschuldigt oder sonst Reue gezeigt. Hinzu komme, dass dem Beschwerdeführer zur Last gelegt werde, einen Mitinsassen im Gefängnis angegriffen zu haben. Dieser Vorfall zeige, dass der Beschwerdeführer gewillt sei, Konfliktsituationen mit roher Gewalt zu lösen. Dies spreche ebenfalls für Kollusionsgefahr. Ferner müsse beachtet werden, dass dem Beschwerdeführer eine empfindliche Freiheitsstrafe drohe, weshalb er versucht sein könnte, sich durch kolludierendes Verhalten zu retten.
Gestützt auf die genannten Gründe - divergierende Aussagen, Geschädigte als einzige Zeugin, mangelnde Reue trotz des belastenden Videomaterials, Gewalttätigkeit gegen einen Mitinsassen während der Untersuchungshaft, Drohung einer empfindlichen Freiheitsstrafe - ist die Bejahung von Kollusionsgefahr verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Inwiefern mit der Anordnung einer Kontaktsperre die Kollusionsgefahr wirksam gebannt werden könnte, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls ist nicht auszuschliessen, dass sich der Beschwerdeführer über das Kontaktverbot hinwegsetzen und versuchen könnte, die Geschädigte unter Druck zu setzen.
4.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist demzufolge abzuweisen. Der Beschwerdeführer hat um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren ersucht. Diesem Antrag kann entsprochen werden (vgl. Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird bewilligt.
2.1 Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
2.2 Rechtsanwalt Emil Robert Meier wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 28. Oktober 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Féraud Schoder