Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_644/2009
Urteil vom 23. November 2009
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Mathys,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Koch.
Parteien
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Sararard Arquint,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 8090 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Strafzumessung; psychiatrisches Gutachten,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 18. Mai 2009.
Sachverhalt:
A.
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X.________ am 28. August 2008 wegen mehrfacher, mengenmässig qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, fahrlässigen Fahrens ohne Führerausweis trotz Entzugs und Verletzung von Verkehrsregeln zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten und zu einer Busse von Fr. 500.--. Die Untersuchungshaft rechnete es auf die Freiheitsstrafe an.
B.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X.________ am 18. Mai 2009 vom Vorwurf des fahrlässigen Fahrens ohne Führerausweis trotz Entzugs frei und stellte die Rechtskraft der weiteren Schuldsprüche fest. Es verurteilte X.________ zu einer Freiheitsstrafe von 27 Monaten, unter Anrechnung der Untersuchungshaft, und zu einer Busse von Fr. 100.--.
C.
Gegen dieses Urteil erhebt X.________ Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben. Die Sache sei zur Einholung eines psychiatrischen Gutachtens, eventualiter eines psychiatrischen Vorberichts, sowie zur neuen Strafzumessung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er stellt einen Antrag um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Erwägungen:
1.
1.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz verletze Art. 20 StGB, indem sie seine psychische Gesundheit nicht abgeklärt habe. Seine Lebensumstände lägen massgeblich ausserhalb des Normalen. Er sei aus dem Irak geflohen, welcher durch Krieg, Bürgerkrieg, Verfolgung von Ethnien und Staatsterror gezeichnet sei. Eine siebenjährige Tochter habe er im Krieg verloren. Er sei traumatisiert durch die Kriegserlebnisse, die Flucht und die belastende Situation in der Schweiz. Er verfüge lediglich über die vorläufige Aufenthaltsbewilligung, womit unklar sei, ob er in der Schweiz bleiben könne. Von seinen sieben Kindern seien fünf noch minderjährig. Das Geld reiche nicht zum Leben seiner siebenköpfigen Familie, auch wenn er teilweise arbeite und Sozialhilfe erhalte. Sie lebten zu siebt in einer 4 ½-Zimmerwohnung. Zudem sei seine Ehefrau psychisch erkrankt, was eine zusätzliche Belastung darstelle. Er habe sich im Tatzeitpunkt als Familienoberhaupt in einer ausweglosen Drucksituation befunden, in welcher er etwas zur Entlastung habe tun müssen. Es lägen objektive Umstände vor, welche Zweifel an seiner vollen Schuldfähigkeit begründeten.
1.2 Nach Art. 20 StGB ordnet das Gericht eine sachverständige Begutachtung an, wenn ein ernsthafter Anlass besteht, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln. Für die Prüfung der Notwendigkeit einer Begutachtung soll der Richter seine Zweifel nicht selber beseitigen, etwa indem er psychiatrische Fachliteratur beizieht, sondern er muss einen Sachverständigen beiziehen. Art. 20 StGB gilt nicht nur, wenn der Richter tatsächlich Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit hat, sondern auch, wenn er nach den Umständen des Falls ernsthafte Zweifel haben sollte (BGE 133 IV 145 E. 3.3 S. 147 f.; 132 IV 29 E. 5.1 S. 37 f.; 119 IV 120 E. 2a S. 123; 116 IV 273 E. 4a S. 273 ff.; je mit Hinweisen). Indessen genügt nicht jede geringfügige Herabsetzung der Fähigkeit, sich zu beherrschen, um verminderte Zurechnungsfähigkeit anzunehmen. Die Geistesverfassung des Betroffenen muss in hohem Masse in den Bereich des Abnormen fallen und von jener der durchschnittlichen Verbrechensgenossen abweichen, weil der Begriff des "normalen Menschen" nicht eng zu fassen ist (BGE 116 IV 273 E. 4a und b). Die Notwendigkeit, einen Sachverständigen zuzuziehen, ist erst gegeben, wenn Anzeichen vorliegen, die geeignet sind, Zweifel hinsichtlich der vollen Schuldfähigkeit zu erwecken, wie etwa ein Widerspruch zwischen Tat und Täterpersönlichkeit oder völlig unübliches Verhalten. Zeigt das Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat, dass ein Realitätsbezug erhalten war, dass er sich an wechselnde Erfordernisse der Situation anpassen bzw. auf eine Gelegenheit zur Tat warten konnte, so hat eine schwere Beeinträchtigung nicht vorgelegen (BGE 133 IV 145 E. 3.3. S. 147 f. mit Hinweisen). Ob der Richter Zweifel an der Schuldfähigkeit haben sollte, ist eine Ermessensfrage (BGE 102 IV 225 E. 7b S. 226 f. mit Hinweisen).
1.3
1.3.1 Aus den vom Beschwerdeführer angeführten schwierigen äusseren Lebensumständen (namentlich der psychischen Erkrankung der Ehefrau; den finanziellen Schwierigkeiten; der Migration aus dem Irak in die Schweiz; dem Verlust eines Kindes im Krieg, dem aufenthaltsrechtlichen Status und dem Kinderreichtum) lässt sich nichts für die Frage herleiten, ob der Richter an der Schuldfähigkeit hätte zweifeln sollen. Wohl können solche Umstände ursächlich für eine verminderte Schuldfähigkeit sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine solche bei gegebenen Umständen zwingend und in jedem Fall vorliegen muss (vgl. Urteil 6B_959/2008 vom 22. Januar 2009 E. 5.3). Ob Zweifel an der Schuldfähigkeit bestehen (müssten), ist in erster Linie anhand der Handlungen und des Verhaltens des Beschwerdeführers zu prüfen. Liegen diesbezüglich keine Anhaltspunkte für eine psychische Beeinträchtigung im Tatzeitpunkt vor, sind die Lebensumstände für die Frage der Schuldfähigkeit nicht massgebend.
1.3.2 Das Verhalten des Beschwerdeführers spricht nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz gegen eine Begutachtungspflicht im Sinne von Art. 20 StGB. So zeichnet sich die Tatausführung als solche durch keinerlei Auffälligkeiten aus. Es handelt sich um Drogengeschäfte, mit welchen das Gericht alltäglich konfrontiert ist (angefochtenes Urteil S. 8). Diese sind sogar auf Initiative des Beschwerdeführers zustande gekommen (angefochtenes Urteil S. 19). Ebensowenig deutet das Verhalten vor und nach der Tat auf einen Verlust des Realitätsbezuges hin. Er äusserte gegenüber den Untersuchungsbehörden keine Krankheitssymptome, sondern er erklärte, er sei gesund (angefochtenes Urteil S. 11). Zudem war er trotz eines unfallbedingten Unterbruchs stets in der Lage, in der Schweiz einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er konnte sich von der körperlichen Beeinträchtigung infolge dieses Unfalls beruflich auffangen und ungeachtet der Erlebnisse im Heimatland in die Arbeitswelt eingliedern. Auch während des Deliktszeitraums war er zu 50 bis 100% als Reinigungskraft tätig. Dabei wird seine Leistung im Arbeitszeugnis als überaus positiv beschrieben (angefochtenes Urteil S. 12). Nach der Tat konnte er sein Aussageverhalten der Situation anpassen. Er bestritt im gesamten Untersuchungsverfahren jedenfalls nicht vollkommen unbeholfen seine Tatbeteiligung (angefochtenes Urteil S. 8). Alle relevanten Umstände sprechen gegen Zweifel an der Schuldfähigkeit. Soweit der Beschwerdeführer einwendet, die Tat entspreche nicht seiner Persönlichkeit, geht der Einwand an der Sache vorbei. Denn dies bedeutet nur, dass das Tatverhalten eines Menschen nicht dem Eindruck entspricht, den er bisher nach aussen erweckt hat (Urteil 6S.543/2000 vom 22. September 2000 E. 2b mit Hinweis). Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, soweit sie dem Antrag auf Einholung eines Gutachtens nicht entspricht.
2.
Der Beschwerdeführer rügt, die vorinstanzliche Strafzumessung verletze Bundesrecht.
Das Bundesgericht greift in die Strafzumessung nur ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist, wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 134 IV 17 E. 2.1 S. 19 f. mit Hinweisen). Alleine einer besseren Begründung wegen hebt es das angefochtene Urteil nicht auf, solange die Strafzumessung im Ergebnis bundesrechtskonform erscheint (vgl. BGE 127 IV 101 E. 2c S. 105 mit Hinweisen).
2.1
2.1.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz wende den Strafmilderungsgrund nach Art. 48 lit. a Ziff. 2 StGB zu Unrecht nicht an. Insbesondere eine schwere finanzielle Notlage erfülle die im Gesetz umschriebene schwere Bedrängnis. Er lebe unter schwierigsten Bedingungen (vgl. E. 1.1). Infolge der existenziell schwierigen und auswegslosen Lage sei es für ihn unwiderstehlich im Sinne von Art. 48 lit. a Ziff. 2 StGB gewesen, Betäubungsmittel zwecks Geldbeschaffung zu verkaufen.
2.1.2 Die Vorinstanz verweist zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 48 lit. a Ziff. 2 StGB auf das erstinstanzliche Urteil. Danach habe sich der Beschwerdeführer im Deliktszeitpunkt nicht in schwerer Bedrängnis befunden. Er habe als Reinigungsangestellter zu 50 bis 100% gearbeitet. Mit seinem geregelten Einkommen habe er seine Familie unterstützen können. Zudem habe seine Familie Sozialhilfeleistungen erhalten.
2.1.3 Die unter altem Recht begründete Rechtsprechung zur Frage der schweren Bedrängnis nach aArt. 64 Abs. 1 al. 2 StGB ist auch auf den seit dem 1. Januar 2007 in Kraft stehenden Art. 48 lit a Ziff. 2 StGB anwendbar, da der Gesetzestext in Bezug auf die Voraussetzungen für eine Strafmilderung inhaltlich nicht geändert hat. Schwere Bedrängnis im Sinne von aArt. 64 Abs. 1 al. 2 StGB liegt vor, wenn eine notstandsähnliche Lage den Täter zur Begehung der strafbaren Handlung treibt, d.h. wenn die Bedrängnis einen besonders hohen Grad erreicht und ihn so beeindruckt, dass er einen Ausweg nur in der strafbaren Handlung zu finden glaubt (BGE 110 IV 9 E. 2 S. 9; BGE 107 IV 94 E. 4a S. 95 f.; je mit Hinweisen). Der Strafmilderungsgrund von aArt. 64 Abs. 1 al. 2 StGB setzt die Verhältnismässigkeit zwischen dem provozierenden Anlass und der Reaktion des Täters voraus (BGE 107 IV 94 E. 4c S. 97; Urteil 6S.143/2004 vom 6. Juli 2004 E. 1.1 mit Hinweisen).
2.1.4 Ob der Beschwerdeführer in schwerer Bedrängnis gehandelt hat, kann offen bleiben. Denn vorliegend fehlt es an der geforderten Verhältnismässigkeit. Er wollte mit dem Drogenhandel seine finanzielle Situation verbessern. Das gewählte Mittel, die Gefährdung der Gesundheit zahlreicher Dritter, steht in einem Missverhältnis zum bezweckten Ziel und ist nicht mehr verhältnismässig. Deshalb hat die Vorinstanz die Anwendbarkeit des Strafmilderungsgrundes von Art. 48 lit. a Ziff. 2 StGB zu Recht verneint.
2.2
2.2.1 Der Beschwerdeführer beanstandet, die Strafe erscheine willkürlich hoch. Die Vorinstanz habe seine persönliche Situation bei der Strafzumessung nicht effektiv strafmindernd veranschlagt. Seine Ehefrau sei schwer kriegstraumatisiert und falle als Elternteil für die Betreuung der fünf noch minderjährigen Kinder weitgehend aus. Zwar habe sich die Situation in letzter Zeit stablilisiert. Die Ehefrau müsse sich aber weiterhin wöchentlich behandeln lassen.
2.2.2 Die Vorinstanz berücksichtigt die für die Strafzumessung massgeblichen Gesichtspunkte und würdigt sie differenziert (angefochtenes Urteil, S. 15 bis 22). Zur Strafempfindlichkeit führt sie aus, diese sei nicht deutlich erhöht. Die Verbüssung einer langjährigen Freiheitsstrafe stelle für jeden, der in ein familiäres oder soziales Umfeld eingebettet sei, eine gewisse Härte dar. Dies sei nur zurückhaltend, d.h. bei aussergewöhnlichen Umständen zu berücksichtigen. Solche lägen nicht vor. Gerade im Hinblick auf die Vorstrafe und die erste Strafverbüssung habe vom Beschwerdeführer ein rechtskonformes Verhalten erwartet werden dürfen. Insbesondere ergibt sich aus den Erwägungen der Vorinstanz, dass sie die Strafempfindlichkeit sowie das Nachtatverhalten insgesamt leicht strafmindernd berücksichtigt (Ziff. 45 bis 48 des angefochtenen Urteils).
2.2.3 Die ausgesprochene Strafe von 27 Monaten Freiheitsstrafe ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Bereits für den Handel mit 18 Gramm Kokain liegt die Mindeststrafe bei 12 Monaten Freiheitsstrafe. Der Beschwerdeführer hat nach den Feststellungen der Vorinstanz mit 89 Gramm reinem Kokain gehandelt. Diese Menge übersteigt den über dem Grenzwert zum schweren Fall massgeblich (mehr als das Vierfache). Angesichts des weiten Strafrahmens, der objektiven und subjektiven Tatschwere und der weiteren im angefochtenen Entscheid berücksichtigten Zumessungsmerkmale (wie etwa die mehrfache Tatbegehung; die einschlägige Vorstrafe bzw. deren Vollzug; das Nachtatverhalten) liegt die ausgefällte Strafe innerhalb des Ermessensbereichs.
3.
Die Beschwerde ist insgesamt abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist abzuweisen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war. Seinen angespannten finanziellen Verhältnissen ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. November 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Favre Koch