BGer 6B_581/2009
 
BGer 6B_581/2009 vom 15.12.2009
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
6B_581/2009
Urteil vom 15. Dezember 2009
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
Parteien
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Urs Vögeli,
Beschwerdeführer,
gegen
1. A.Y.________,
2. B.Y.________,
3. C.Y.________,
alle drei vertreten durch Rechtsanwältin Caroline Engel,
Beschwerdegegnerinnen,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 8090 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Strafzumessung; Strafaufschub zu Gunsten einer ambulanten Massnahme,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 5. Juni 2009.
Sachverhalt:
A.
X.________ wird vorgeworfen, sich zwischen ca. 1997 bis 2002 an seiner Stieftochter B.Y.________ (geb. am 11. Januar 1988), zwischen ca. 2001 und 2003 an seiner Stieftochter A.Y.________ (geb. am 14. Juni 1990) und zwischen ca. 2001 und 2003 an seiner Stieftochter C.Y.________ (geb. am 8. April 1993) sexuell vergangen zu haben. Ferner soll er von Webseiten im Internet pornographische Bilder mit Kindern, menschlichen Ausscheidungen, sadomasochistischen Praktiken und Tieren heruntergeladen und gespeichert haben.
B.
Das Bezirksgericht Bülach verurteilte X.________ am 26. April 2006 wegen mehrfacher sexueller Nötigung, mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern sowie mehrfacher Pornographie zu 4 ½ Jahren Zuchthaus und ordnete eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme an. Ausserdem wurde er zur Bezahlung von Genugtuungen an die Opfer verpflichtet. Auf seine Berufung und die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am 21. September 2007 den Schuldspruch der ersten Instanz und bestrafte X.________ mit einer Freiheitsstrafe von 5 ½ Jahren.
Die dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen von X.________ hiess das Bundesgericht am 28. August 2008 wegen Verletzung des Anklageprinzips in Bezug auf den ihm zur Last gelegten Straftatbestand der sexuellen Nötigung gut und wies die Angelegenheit zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
C.
In seiner Neubeurteilung vom 5. Juni 2009 trat das Obergericht des Kantons Zürich auf die Anklage der mehrfachen sexuellen Nötigung nicht ein. Es verurteilte X.________ wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern und mehrfacher Pornographie zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Den Vollzug der Strafe schob es nicht zugunsten der angeordneten ambulanten Massnahme auf.
D.
X.________ wendet sich erneut mit Beschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Überdies ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
Erwägungen:
1.
Vorliegend ist das neue Recht sowohl auf die Zumessung der Strafe als auch auf den in Frage stehenden Strafaufschub anwendbar. Dies deshalb, weil eine Kombination von altem und neuem Recht - im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung - ausgeschlossen ist (vgl. BGE 119 IV 145 E. 2c; 114 IV 1 E. 2a), das neue Massnahmen- und Massnahmenvollzugsrecht gemäss Ziff. 2 Abs. 1 Satz 1 der Schlussbestimmungen der Änderung des StGB vom 13. Dezember 2002 in jedem Fall anzuwenden ist, und das neue Recht für den Beschwerdeführer strafzumessungsrechtlich jedenfalls nicht strenger ist als das alte (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 19. März 2009 6B_724/2008 E. 1).
2.
Der Beschwerdeführer kritisiert die Strafzumessung. Die Vorinstanz habe den Strafmilderungsgrund der aufrichtigen Reue im Sinne von Art. 48 lit. d StGB nicht berücksichtigt und die Strafe nicht entsprechend gemildert bzw. nicht zumindest erheblich gemindert, verschiedene zu seinen Gunsten sprechende Strafminderungsgründe (Zeitablauf seit Ende Delinquenz, freiwillige Therapie, Geständnis) nicht ausreichend gewichtet und die Strafzumessung bzw. das Strafmass im Übrigen nicht nachvollziehbar begründet.
2.1 Der auf den 1. Januar 2007 in Kraft getretene Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches hat die bisherigen Strafzumessungsgrundsätze in Art. 47 Abs. 1 StGB beibehalten. Danach misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu, wobei es das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters berücksichtigt. Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden (Art. 47 Abs. 2 StGB; BGE 134 IV 17 E. 2.1). Es liegt dabei im Ermessen des Sachrichters, in welchem Umfang er die verschiedenen Strafzumessungsfaktoren berücksichtigt. Das Bundesgericht greift in die Strafzumessung nur ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat (vgl. BGE 129 IV 6 E. 6.1; 127 IV 101 E. 2).
2.2 Die Strafe von vier Jahren - bei einem erweiterten Strafrahmen von siebeneinhalb Jahren (Art. 49 Abs. 1 StGB) - und die konkrete Strafzumessungsbegründung geben zu keinen Beanstandungen Anlass. Die Vorinstanz schätzt das objektive und subjektive Verschulden des Beschwerdeführers als sehr schwer ein. Sie würdigt namentlich die Art, Intensität und Regelmässigkeit der sexuellen Übergriffe, den langen Deliktszeitraum, das Alter der drei Opfer, das rein egoistische Motiv der Triebbefriedigung und den Missbrauch der Stiefverhältnisse. Zu seinen Gunsten berücksichtigt sie leicht strafmindernd das Nachtatverhalten (Anerkennung bzw. Bezahlung von Genugtuungen, freiwillige therapeutische Behandlung), den Zeitablauf seit den Taten, das Geständnis sowie eine gewisse, von ihm an den Tag gelegte Einsicht und Reue. Diesen die Strafe mindernden Aspekte trägt die Vorinstanz (bei einer Einsatzstrafe von circa 5 bis 5 ½ Jahren) im Umfang von mindestens einem Jahr Rechnung.
Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag nicht zu überzeugen. Soweit er den Strafmilderungsgrund von Art. 48 lit. d StGB angewendet wissen will, verkennt er, dass sich die Betätigung aufrichtiger Reue nicht nur auf finanzielle Leistungen beschränken kann, sondern gerade in Fällen wie dem zu beurteilenden die Wiedergutmachung des angerichteten immateriellen Schadens umfassen muss. Das Gesetz erwähnt die materielle Schadensdeckung denn auch nur als Beispiel. Die vom Täter verlangte besondere Anstrengung muss aber gerade bei Sexualdelikten innerhalb der eigenen Familie klar über jene hinausgehen. Dass der Beschwerdeführer solches unternommen hätte, ist nicht ersichtlich. Zwar begab er sich (unter dem familiären Druck) in therapeutische Behandlung. Für sich allein manifestiert dieses Verhalten jedoch noch keine aufrichtige Reue. Dies gilt umso mehr, als sich der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der Vorinstanz erst rund 5 Jahre nach den letzten sexuellen Übergriffen ernsthafter mit seinen Delikten auseinanderzusetzen begann. Zuvor verschwieg er die sexuellen Handlungen grösstenteils oder bagatellisierte er das Vorgefallene stark und wich so lange wie möglich der Problematik der sexuellen Übergriffe auf die Opfer aus. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz das Nachtatverhalten des Beschwerdeführers nur leicht strafmindernd in Rechnung stellt. Zu einer weitergehenden Berücksichtigung war sie unter den gegebenen Umständen nicht verpflichtet. Entsprechendes gilt auch für das Geständnis des Beschwerdeführers, welches die Vorinstanz angemessen zu seinen Gunsten gewichtet. Für eine stärkere Gewichtung bestand angesichts seiner Ausweich- und Bagatellisierungstendenzen kein Anlass. Nichts anderes gilt schliesslich für den Zeitablauf von ungefähr sechs Jahren seit den letzten Straftaten Ende 2003, weil dieser zwei Dritteln der Verjährungsfrist nicht nahe kommt (BGE 132 IV 1), die Strafanzeige erst am 17. Mai 2005 eingereicht und das Verfahren insgesamt speditiv durchgeführt wurde.
Im Übrigen begründet die Vorinstanz das Strafmass in der gebotenen Ausführlichkeit. Ihre Erwägungen sind ohne weiteres nachvollziehbar und leuchten ein, was auch für ihre Ausführungen zum Nicht-Aufschub des Strafvollzugs gilt. Dass die Vorinstanz mehrfach auf die Erwägungen des aufgehobenen Entscheids vom 21. September 2007 bzw. auf diejenigen des erstinstanzlichen Urteils verweist, ändert daran nichts. Die eingereichte Rechtsschrift belegt, dass eine sachgerechte Anfechtung ohne weiteres möglich war. Die Rügen des Beschwerdeführers sind unbegründet.
3.
Der Beschwerdeführer wendet sich im Weiteren gegen die Verweigerung des Strafaufschubs zugunsten der angeordneten ambulanten Massnahme. Einerseits sei das Gutachten der Psychiatrischen Universitätsklinik vom 22. Dezember 2005, auf welches die Vorinstanz abstelle, nicht mehr aktuell, da sich die Verhältnisse seither massgeblich verändert hätten. Es wäre deshalb ein neues Gutachten einzuholen gewesen. Andererseits sei er gemäss dem Therapiebericht des PPD vom 14. Januar 2009 ungefährlich und würde der bisherige Therapieerfolg im Falle eines Freiheitsentzugs bei gleichzeitiger ambulanter Behandlung in Frage gestellt. Der angefochtene Entscheid verletze Art. 63 Abs. 2 StGB.
3.1 Das Gericht kann den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen Freiheitsstrafe zu Gunsten einer ambulanten Massnahme aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen (Art. 63 Abs. 2 StGB).
3.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Strafaufschub anzuordnen, wenn eine tatsächliche Aussicht auf erfolgreiche Behandlung durch den sofortigen Vollzug der ausgefällten Freiheitsstrafe erheblich beeinträchtigt würde. Die Therapie geht vor, falls eine sofortige Behandlung gute Resozialisierungschancen bietet, welche der Strafvollzug klarerweise verhindern oder vermindern würde. Dabei sind einerseits die Auswirkungen des Strafvollzugs, die Erfolgsaussichten der ambulanten Behandlung und die bisherigen Therapiebemühungen zu berücksichtigen, andererseits aber auch das kriminalpolitische Erfordernis, Straftaten schuldangemessen zu ahnden bzw. rechtskräftige Strafen grundsätzlich zu vollziehen. Wo ein Therapieerfolg wahrscheinlich ist, sollte nach der Praxis des Bundesgerichts - tendenziell - zunächst ärztlich behandelt werden. Ein Aufschub rechtfertigt sich aber nur, wenn die ambulante Therapie (ausserhalb des Strafvollzugs) im konkreten Einzelfall aktuelle und günstige Bewährungsaussichten eröffnet, die durch den Strafvollzug zunichte gemacht oder erheblich vermindert würden. Ein Aufschub muss sich folglich aus Gründen der Heilbehandlung hinreichend rechtfertigen (BGE 129 IV 161 E. 4.1 mit Hinweisen).
3.3 Für die Beurteilung der Frage, ob eine ambulante Massnahme unter Aufschub des Strafvollzugs oder vollzugsbegleitend zu erfolgen hat, muss sich der Richter auf ein Gutachten stützen (Art. 56 Abs. 3 lit. c StGB i.V.m. Art. 63 StGB). Diesem Erfordernis genügt eine Expertise nur, wenn sie noch aktuell ist. Das Bundesgericht knüpft dabei nicht an das formale Kriterium eines bestimmten Alters an. Auf ein älteres Gutachten kann abgestellt werden, wenn sich die Verhältnisse seit dessen Erstellung nicht verändert haben (BGE 134 IV 246 E. 4.3; 128 IV 241 E. 3.4)
3.4 Die Vorinstanz stützt sich bei ihrem Entscheid auf das Gutachten vom 22. Dezember 2005 unter Berücksichtigung des Ergänzungsgutachtens vom 7. Mai 2007. Danach liegt beim Beschwerdeführer eine Pädophilie mit heterosexueller Ausrichtung vor, ist eine Massnahme aufgrund des Rückfallrisikos indiziert und kann eine solche namentlich auch vollzugsbegleitend erfolgen, ohne dass der Therapieerfolg entscheidend in Frage gestellt wäre (Gutachten 2005, S. 37, 43, 44; Ergänzungsgutachten, S. 6). Entgegen den Vorbringen der Verteidigung lässt der Therapiebericht des PPD vom 14. Januar 2009 die gutachterliche Beurteilung 2005 und 2007 nicht als überholt erscheinen. Zwar sind die darin enthaltenen Hinweise auf die Fortschritte des Beschwerdeführers im Sinne eines "guten Einstiegs in die deliktorientierte Arbeit" nicht zu verkennen. Dass einzelne Befunde oder Aspekte der Gutachten, namentlich die Prognosebeurteilung, deswegen nicht mehr aktuell sein sollten, lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Aus dem Therapiebericht des PPD, welcher der Diagnose der Pädophilie zustimmt, geht vielmehr hervor, dass beim Beschwerdeführer im Berichtszeitraum trotz geäusserter Bereitschaft, sich mit der pädosexuellen Devianz auseinanderzusetzen, starke Widerstände und Abwehrmechanismen wirksam gewesen seien, er durch die Neigung aufgefallen sei, die Übergriffe aus der Perspektive seiner Opfer zu schildern, und sich aus der Verlaufsbeurteilung keine Hinweise auf positive oder negative Veränderungsprozesse risikorelevanter Persönlichkeitsmerkmale ergeben haben. Das strukturelle Rückfallrisiko - aktuell simuliert - zeige deshalb keine Veränderung (Therapiebericht, S. 2-4). Die ungünstigen Tendenzen des Beschwerdeführers gemäss Gutachten 2005 und Ergänzungsgutachten 2007 bestehen nach den insoweit zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz - wenn auch in etwas abgeschwächter Form - nach wie vor fort. Diese durfte deshalb ohne Bundesrechtsverletzung veränderte Verhältnisse seit Erstellung der Gutachten verneinen und auf eine erneute Begutachtung des Beschwerdeführers verzichten.
3.5 Ebenso wenig verletzt es Bundesrecht, wenn die Vorinstanz gestützt auf die Gutachten aus den Jahren 2005 und 2007 davon ausgeht, die ambulante Behandlung des Beschwerdeführers könne im Strafvollzug erfolgen, und sie deshalb einen Aufschub gemäss Art. 63 Abs. 2 StGB ausschliesst. Dass der Beschwerdeführer - wie die Verteidigung dartut - ungefährlich sein soll und der Behandlungserfolg durch den Strafvollzug in Frage gestellt würde, findet im Therapiebericht des PDD vom 14. Januar 2009 keine Stütze. Im Übrigen mag zwar durchaus zutreffen, dass der Strafvollzug die Therapie und die Resozialisierung des Beschwerdeführers unter verschiedenen Gesichtspunkten - so namentlich im Sinne eines Abbruchs von gefestigten Strukturen (mögliche Scheidung, Verlust des Arbeitsplatzes mit Weiterbildungsmöglichkeit etc.) - erschweren kann. Dies genügt indessen nicht, um einen Aufschub der Freiheitsstrafe anzuordnen. Ein solcher käme nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. E. 3.2) nur in Betracht, wenn der Strafvollzug den Erfolg der Therapie vereiteln oder zumindest erheblich beeinträchtigen würde. Dafür liegen indessen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Es kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden.
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. Dezember 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Favre Arquint Hill