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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_780/2009
Urteil vom 21. Januar 2010
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Mathys,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Binz.
Parteien
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Fertig,
Beschwerdeführer,
gegen
A.________,
Beschwerdegegner,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 8090 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Schadenersatz und Genugtuung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 25. Mai 2009.
Sachverhalt:
A.
A.________ schoss am 19. Juli 2008 in seiner Wohnung mit einer Doppellaufflinte gezielt auf das linke Bein von X.________. Mehrere Schrotkugeln durchschlugen dessen linkes Knie. X.________ erlitt Verletzungen, welche eine Versteifung des Knies erforderlich machten und eine bleibende, schwere Behinderung bewirkten.
B.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach A.________ mit Urteil vom 25. Mai 2009 zweitinstanzlich der schweren Körperverletzung in entschuldbarer Notwehr schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 2½ Jahren. Es stellte fest, dass A.________ dem Geschädigten X.________ dem Grundsatze nach im Umfang von zwei Dritteln schadenersatzpflichtig ist. Es verpflichtete ihn, X.________ eine Genugtuungssumme von Fr. 40'000.-- zuzüglich 5% Zins ab 19. Juli 2008 zu bezahlen.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das angefochtene Urteil sei im Schuld- und Strafpunkt (Ziff. 1 und 3) aufzuheben, und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ziff. 6 und 7 des Urteilsdispositivs seien dahingehend abzuändern, dass A.________ ihm gegenüber dem Grundsatze nach zur vollen Quote schadenersatzpflichtig sei und ihm eine Genugtuung von Fr. 60'000.-- nebst Zins zu 5% ab dem 19. Juli 2008 zu bezahlen habe. Eventualiter seien die Ziff. 6 und 7 aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht X.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Höhe der Zivilansprüche.
1.1 Nach Art. 78 Abs. 2 lit. a BGG unterliegen der Beschwerde in Strafsachen auch Entscheide in Zivilsachen, wenn sie zusammen mit der Strafsache zu behandeln sind. Vor der letzten kantonalen Instanz waren sowohl der Straf- als auch der Zivilpunkt strittig, womit die Beschwerde in Strafsachen gegeben ist (vgl. BGE 133 III 701 E. 2.1 S. 703).
1.2 Der Beschwerdeführer ist Opfer im Sinne des OHG und der angefochtene Entscheid kann sich auf die Beurteilung seiner Zivilansprüche auswirken. Deshalb ist er zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 Ziff. 5 BGG).
2.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 15 StGB. Die Vorinstanz hätte aus mehreren Gründen keine Notwehrsituation bejahen dürfen.
2.1 Die Vorinstanz hält fest, dass es kurz vor der Schussabgabe zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden Beteiligten gekommen sei. "In dubio pro reo" sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach der Auseinandersetzung auf den Beschwerdegegner zugegangen sei und dieser aufgrund der Bewegung des Beschwerdeführers einen entsprechenden Angriff befürchtet habe (angefochtenes Urteil E. 4.1 S. 19 f.). Der Beschwerdegegner habe sich in einer besonderen Spannungslage befunden. Er sei bei der tätlichen Auseinandersetzung leicht verletzt worden und dem Beschwerdeführer körperlich massiv unterlegen gewesen. Trotz seiner Angst vor einer erneuten tätlichen Auseinandersetzung habe er jedoch absolut unverhältnismässig gehandelt, indem er auf das linke Knie des Beschwerdeführers geschossen habe (angefochtenes Urteil E. 4.3.8 S. 27 f.).
2.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Notwehrsituation sei zu verneinen, weshalb kein Selbstverschulden seinerseits vorliege. Der Beschwerdegegner sei nach der ersten Auseinandersetzung in sein Zimmer gegangen um sein Gewehr hervorzuholen. Hätte er tatsächlich Angst gehabt, hätte er nicht die Zimmertür geöffnet und ihn mit der Waffe bedroht. Er - der Beschwerdeführer - habe die Schwelle zum Zimmer des Beschwerdegegners nicht überschritten, weshalb kein unmittelbarer Angriff gedroht habe. Eine vorsorgliche Kampfunfähigmachung schliesse eine Notwehr aus. Zudem sei der Angriff vom Beschwerdegegner ausgegangen, weshalb keine Abwehrhandlung gegen einen Angriff vorliege. Selbst wenn die Handlung des Beschwerdegegners nicht als Angriff qualifiziert werde, könne sich dieser nicht auf Notwehr berufen, weil er die Notwehrlage provoziert habe.
2.3 Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren (Art. 15 StGB).
Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr verlangt vom Angegriffenen nicht, dass er mit einer Reaktion zuwartet, bis es für eine Abwehr zu spät ist. Doch setzt die Unmittelbarkeit der Bedrohung voraus, dass jedenfalls Anzeichen einer Gefahr vorhanden sind, die eine Verteidigung nahe legen. Solche Anzeichen liegen namentlich vor, wenn der Angreifer eine drohende Haltung einnimmt, sich zum Kampfe vorbereitet oder Bewegungen macht, die in diesem Sinne gedeutet werden können. Abwehr ist zulässig, sobald mit einem Angriff ernstlich zu rechnen ist und jedes weitere Zuwarten die Verteidigungschance gefährdet. Der Angriff droht mit anderen Worten nicht erst unmittelbar, wenn es für den Angreifer kein Zurück mehr gibt, sondern bereits, wenn der Bedrohte nach den gesamten Umständen mit dem sofortigen Angriff rechnen muss. Handlungen, die lediglich darauf gerichtet sind, einem zwar möglichen aber noch unsicheren Angriff vorzubeugen, einem Gegner also nach dem Grundsatz, dass der Angriff die beste Verteidigung ist, zuvorzukommen und ihn vorsorglich kampfunfähig zu machen, fallen nicht unter den Begriff der Notwehr (Urteil 6B_289/2008 vom 17. Juli 2008 E. 7.3 mit Hinweis).
2.4 Die Ausführungen des Beschwerdeführers richten sich teilweise sinngemäss gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung. Auf dem Gebiet der Beweiswürdigung ist die Kognition des Bundesgerichts auf Willkür beschränkt (s. BGE 134 I 140 E. 5.4 S. 148 mit Hinweisen). Auf die diesbezüglichen Rügen ist mangels rechtsgenügender Begründung nicht einzutreten (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 Il 249 E. 1.4.2 S. 254). Wie die Vorinstanz verbindlich feststellt (Art. 105 Abs. 1 BGG), hat der Beschwerdegegner die Bewegung des Beschwerdeführers auf ihn zu als Anzeichen für einen unmittelbar bevorstehenden Angriff gedeutet. Der Beschwerdegegner war dem Beschwerdeführer körperlich unterlegen und fürchtete sich vor diesem. Gestützt auf den erstellten Sachverhalt ist nicht davon auszugehen, dass er mit der Waffe gedroht hat, um den Angriff des Beschwerdeführers und somit eine Notwehrsituation zu provozieren (vgl. Urteil 6B_521/2007 vom 1. Februar 2008 E. 2.2 mit Hinweisen). Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, indem sie die Notwehrlage bejaht.
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, sein Selbstverschulden sei nicht erwiesen und es fehle am adäquaten Kausalzusammenhang zwischen seinem Verhalten und dem Schaden.
3.1 Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdeführer sei massgebend daran beteiligt, dass es zu der inkriminierten Strafhandlung gekommen sei. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner nicht geschossen hätte, wenn der Beschwerdeführer ihn in der vorangehenden tätlichen Auseinandersetzung nicht verletzt hätte und nicht erneut auf ihn zugegangen wäre. Der Beschwerdeführer sei somit am Ursprung der Entwicklung der geschehenen Ereignisse zumindest im mittleren Masse mitverschuldet gewesen. Er hätte der weiteren Konfrontation mit dem Beschwerdegegner durch Verlassen der Wohnung ausweichen können. Dem Beschwerdeführer sei ein Mitverschulden in mittlerem Masse anzulasten, was eine Kürzung seines Schadenersatzanspruches um einem Drittel rechtfertige (angefochtenes Urteil E. 2.6 S. 71). Der Genugtuungsanspruch über Fr. 60'000.-- sei ebenfalls um einen Drittel zu reduzieren (angefochtenes Urteil E. 4.6 S. 75 f.).
3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz gehe gemäss dem Grundsatz "in dubio pro reo" von der Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdegegners aus. Da dieser Grundsatz im Zivilrecht keine Geltung finde, seien die Aussagen des Beschwerdegegners zivilrechtlich als reine Parteibehauptungen zu würdigen. Die Folgen der unbewiesenen Tatsachen würden sich nach der zivilprozessualen Beweislastverteilung richten. Demnach sei nicht erwiesen, dass die vorgängige Auseinandersetzung von ihm ausgegangen sei und er den Beschwerdegegner verbal bedroht habe. Auch sei nicht bewiesen, dass er vom Beschwerdegegner aufgefordert worden sei, die Wohnung zu verlassen. Weiter bringt der Beschwerdeführer vor, er habe nicht voraussehen können, dass der Beschwerdegegner aufgrund der vorangehenden tätlichen Auseinandersetzung auf ihn schiessen würde. Selbst bei Berücksichtigung des Selbstverschuldens würde es deshalb am adäquaten Kausalzusammenhang zwischen seinem Verhalten und dem Schaden fehlen. Schliesslich sei er aufgrund seines Alkoholkonsums vermindert steuerungsfähig gewesen sei. Sollte dennoch sein Selbstverschulden bejaht werden, sei dieses zu reduzieren und die Haftungsquote um höchstens zehn Prozent zu kürzen.
3.3 Das Opferhilfegesetz will unter anderem dem Opfer die Geltendmachung von Zivilansprüchen im Strafverfahren erleichtern, indem das Opfer seine Zivilansprüche auf dem vergleichsweise einfachen Weg des Strafverfahrens adhäsionsweise soll durchsetzen können. Gemäss Art. 38 Abs. 3 OHG kann das Strafgericht die Zivilansprüche nur dem Grundsatz nach entscheiden und das Opfer im Übrigen auf den Zivilweg verweisen. Diese Bestimmung erfüllt nur dann ihren Sinn und Zweck, wenn der Zivilrichter an die grundsätzliche Beurteilung der Zivilansprüche durch den Strafrichter rechtlich gebunden ist. Sofern das Opfer seine Zivilansprüche im Strafverfahren geltend gemacht hat, ist demnach der Strafrichter im Adhäsionsverfahren oder der Zivilrichter im Verfahren nach Art. 38 Abs. 3 OHG von Bundesrechts wegen an das Urteil des Strafrichters im rechtlichen Sinn gebunden (vgl. BGE 127 IV 215 E. 2d S. 218; 120 Ia 101 E. 2e S. 108; je mit Hinweisen).
Die Vorinstanz berücksichtigt bei der Höhe der Haftungsquote das Selbstverschulden des Beschwerdeführers als Anwendungsfall von Art. 44 OR (angefochtenes Urteil E. 2.6 S. 69). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist sie an ihre Erwägungen im Schuld- und Strafpunkt gebunden. Soweit der Beschwerdeführer sinngemäss eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung geltend macht, ist darauf mangels rechtsgenügender Begründung nicht einzutreten (Art. 106 Abs. 2 BGG, vgl. E. 2.4 hiervor). Gestützt auf das von ihr festgestellte mittlere Mitverschulden des Beschwerdeführers verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, indem sie die Zivilansprüche um einen Drittel kürzt.
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Rechtsbegehren des Beschwerdeführers erschienen von vornherein aussichtslos, weshalb sein Ersuchen um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung abzuweisen ist. Seiner finanziellen Lage ist mit herabgesetzten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. Januar 2010
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Favre Binz