Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_912/2009
Urteil vom 22. Februar 2010
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Mathys, Bundesrichterin
Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Koch.
Parteien
X._________, vertreten durch Rechtsanwältin Stefanie Wagner,
Beschwerdeführerin,
gegen
A._________, vertreten durch Advokat Dr. Bruno Imhof,
Beschwerdegegner,
Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis, 1950 Sitten 2,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Mehrfache sexuelle Nötigung, mehrfache Vergewaltigung,
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Wallis, I. Strafrechtliche Abteilung, vom 17. September 2009.
Sachverhalt:
A.
Das Kantonsgericht Wallis bestätigte am 17. September 2009 den erstinstanzlichen Freispruch gegen A._________ vom Vorwurf der mehrfachen sexuellen Nötigung und mehrfachen Vergewaltigung, begangen zum Nachteil von X._________. Es verpflichtete ihn, X._________ eine Genugtuung von Fr. 3'000.-- sowie eine Parteientschädigung von Fr. 3'686.60 zu bezahlen. Die Berufungskosten auferlegte es A._________ und X._________ je zur Hälfte mit Fr. 412.50.
B.
Gegen dieses Urteil erhebt X._________ Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, A._________ sei der mehrfachen sexuellen Nötigung und mehrfachen Vergewaltigung schuldig zu sprechen und er sei angemessen zu bestrafen. Er sei zu verpflichten, ihr eine Genugtuung von Fr. 5'000.-- sowie eine Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren zu bezahlen. Die gesamten Verfahrenskosten seien A._________ aufzuerlegen. Eventualiter sei das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
Nach der Rückkehr aus dem gemeinsamen Ausgang vollzog der Beschwerdegegner in den frühen Morgenstunden des 29. Oktober 2006 gegen den Willen der Beschwerdeführerin vaginalen Geschlechtsverkehr, drang mit Finger und Penis anal in sie ein und verkehrte anschliessend nochmals vaginal mit ihr. In einer zweiten Phase, ca. morgens um 8 Uhr kam es erneut zu vaginalem Geschlechtsverkehr.
2.
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz verletze Bundesrecht, indem sie die Tatbestände der sexuellen Nötigung nach Art. 189 Abs. 1 StGB und der Vergewaltigung nach Art. 190 Abs. 1 StGB verneine.
2.1
2.1.1 Sie macht geltend, das Verhalten des Beschwerdegegners in der ersten Phase des Geschlechtsverkehrs, als er sie grob angepackt und ihr die Oberschenkel auseinandergedrückt habe sowie (zweimal) vaginal in sie eingedrungen sei, sei als Gewalt bzw. Bewirken der Widerstandsunfähigkeit im Sinne von Art. 190 Abs. 1 StGB zu qualifizieren (Beschwerde S. 13 ff.).
2.1.2 Nach Art. 190 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht. Gewalt im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB bzw. 190 Abs. 1 StGB erfordert eine physische Einwirkung auf das Opfer, die darauf gerichtet ist, dessen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu brechen (vgl. BGE 122 IV 97 E. 2b S. 100 f. mit Hinweisen). Je nach den Umständen kann bereits ein verhältnismässig geringer Kraftaufwand ausreichen. Eine nur geringfügige Kraftanstrengung genügt allerdings dann nicht, wenn dem Opfer nach Lage der Dinge Widerstand möglich und zumutbar ist (Urteil 6P.74/2004 vom 14. Dezember 2004 E. 9.1 mit Hinweisen).
Nicht jedes den Handlungserfolg bewirkende kausale Verhalten, auf Grund dessen es zu einem ungewollten Geschlechtsverkehr kommt, stellt Vergewaltigung dar. Der psychische Druck, welchen der Täter durch die Schaffung einer Zwangslage erzeugen muss, hat im Blick auf die gewaltdeliktische Natur von Art. 189 und Art. 190 StGB von besonderer Intensität zu sein. Zwar wird nicht verlangt, dass er zur Widerstandsunfähigkeit des Opfers führt. Die Einwirkung muss aber erheblich sein und eine der Gewaltanwendung oder Bedrohung vergleichbare Intensität erreichen. Erwachsenen mit entsprechenden individuellen Fähigkeiten wird eine stärkere Gegenwehr zugemutet als Kindern (vgl. BGE 131 IV 167 E. 3.1 S. 170 f. mit Hinweisen). Das Ausnützen allgemeiner Abhängigkeits- oder Freundschaftsverhältnisse genügt nicht für strukturelle (psychische) Gewalt (BGE 131 IV 107 E. 2.3 S. 109 f. mit Hinweisen).
Widerstandsunfähig ist, wer nicht im Stande ist, sich gegen ungewollte sexuelle Kontakte zu wehren. Die Bestimmung schützt Personen, die einen zur Abwehr ausreichenden Willen zum Widerstand gegen sexuelle Übergriffe nicht oder nicht sinnvoll bilden, äussern oder betätigen können. Dabei genügt, dass das Opfer nur vorübergehend zum Widerstand unfähig ist. Die Gründe für die Widerstandsunfähigkeit können dauernder oder vorübergehender, chronischer oder situationsbedingter Natur sein. Erforderlich ist nur, dass die Widerstandsfähigkeit gänzlich aufgehoben und nicht nur in irgendeinem Grad beeinträchtigt oder eingeschränkt ist (BGE 133 IV 49 E. 7.2 S. 56 mit Hinweisen).
2.1.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin wendet sich nicht gegen die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts. Soweit sie abweichende bzw. ergänzende Schilderungen vorbringt (Überraschung über die sexuellen Handlungen, Alkoholisierung, Aggressivität des Beschwerdegegners, die Ausweglosigkeit ihrer Situation, die Geschwindigkeit der sexuellen Handlung, die körperliche Überlegenheit des Beschwerdegegners, ihre Schockiertheit) ist auf ihre Rügen nicht einzutreten (BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 mit Hinweis).
2.1.4 Die Vorinstanz hält zu Recht fest, dass es der kräftemässig mit dem Beschwerdegegner ebenbürtigen Beschwerdeführerin, welche auch nach Beendigung ihrer Paarbeziehung gelegentlich mit ihm sexuelle Kontakte pflegte und am Übernachtungsort auch schon Geschlechtsverkehr mit ihm hatte, zuzumuten war, sich zu wehren. Dies zeigte sie durch ihr Verhalten, als sie sich gegen die ersten Annäherungsversuche sowie beim späteren, dem Geschlechtsverkehr folgenden, Analverkehr erfolgreich zur Wehr setzte. Die Vorinstanz stellt durch die Vorgeschichte zur Beziehung der Parteien und die dem Geschlechtsverkehr vorangehenden Ereignisse fest, dass die Beschwerdeführerin weder überrascht noch völlig schockiert oder gelähmt war (angefochtenes Urteil S. 24, 26 und 27). Es bestand auch keine soziale oder emotionale Abhängigkeit (angefochtenes Urteil S. 21). Sie war im Gegensatz zum Beschwerdegegner nicht angetrunken (angefochtenes Urteil S. 8). Der blosse Vollzug des Geschlechtsverkehrs gegen den vorgängig geäusserten Willen der Beschwerdeführerin bzw. eine nur geringfügige Kraftaufwendung genügt aufgrund des unbeeinträchtigten physischen und psychischen Zustands der Beschwerdeführerin demzufolge nicht für den Tatbestand der Vergewaltigung (vgl. E. 2.1.2). Abgesehen von der Analpenetration leistete die Beschwerdeführerin keinen Widerstand, als der Beschwerdegegner sie auszog und mit ihr den Beischlaf vollzog. Sie konnte auch nicht näher beschreiben, wie sie gröber angefasst worden wäre (angefochtenes Urteil S. 21 und 24). Eine erhebliche Gewaltanwendung, wonach sie z.B. die Beine fest zusammengepresst und der Beschwerdegegner diese mit grossem Kraftaufwand auseinandergezwängt hätte, ist nicht erstellt. Nebst der Gewaltanwendung fällt auch eine Widerstandsunfähigkeit ausser Betracht. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin liegen keinerlei Feststellungen hinsichtlich einer physischen oder psychischen Beeinträchtigung vor. Die Vorinstanz durfte ohne Bundesrechtsverletzung den Tatbestand der Vergewaltigung nach Art. 190 Abs. 1 StGB verneinen.
2.2
2.2.1 Die Beschwerdeführerin rügt, der am Morgen des 29. Oktober 2006 vollzogene Geschlechtsverkehr sei als Vergewaltigung einer Widerstandsunfähigen nach Art. 190 Abs. 1 StGB zu qualifizieren (Beschwerde S. 18 f.). Sie sei nach dem ersten Vorfall in der Nacht in einem schlechten psychischen Zustand gewesen und habe nicht die Kraft gehabt, die Örtlichkeit zu verlassen. Der Beschwerdegegner habe ihren Widerstand durch den ersten Geschlechtsverkehr gebrochen (Beschwerde S. 7). Ihr körperlicher Widerstand sei aussichtlos und sie sei übermüdet gewesen, weswegen sie sich nicht mehr gewehrt habe (Beschwerde S. 19).
2.2.2 Die Vorinstanz erwägt unter Hinweis auf das erstinstanzliche Urteil (angefochtenes Urteil S. 23, erstinstanzliches Urteil S. 11 E. 5.2), die Akten enthielten keinen Hinweis auf eine Gewaltanwendung anlässlich des Geschlechtsverkehrs am Sonntagmorgen. Die Parteien seien gleich gross und gleich schwer (angefochtenes Urteil S. 24). Es habe keine tatsituative Zwangssituation vorgelegen. Die Beschwerdeführerin hätte das Zimmer, in welchem sie übernachtete, ohne Weiteres aufschliessen und verlassen können. Es habe auch kein Anlass zur Furcht bestanden, welche jeden Widerstand als unzumutbar erscheinen lasse, zumal eine Ohrfeige gereicht habe, um unerwünschte Sexualpraktiken zu unterbinden. Zwar habe der Beschwerdegegner das Freundschaftsverhältnis ausgenützt, dies genüge aber nicht zur Bejahung psychischen Drucks nach Art. 190 Abs. 1 StGB.
2.2.3 Soweit die Beschwerdeführerin vom vorinstanzlichen Sachverhalt abweichende und ergänzende Feststellungen macht (z.B. zu ihrer Ermüdung, zur Wirkung ihrer Abwehr, zur Möglichkeit, den Tatort zu verlassen), ohne die Anforderungen an eine Willkürrüge zu erfüllen, ist auf ihre Beschwerde nicht einzutreten (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 mit Hinweis). Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wehrte sich die Beschwerdeführerin anlässlich des am Morgen stattfindenden Geschlechtsverkehrs nicht (angefochtenes Urteil S. 19 f. und S. 24 unten). Sie weinte lediglich und betitelte den Beschwerdegegner als "Arschloch". Körpergewalt scheidet damit als Nötigungsmittel im Sinne von Art. 190 Abs. 1 StGB aus.
Der erste Geschlechtsakt vor dem Einschlafen fand ohne Gegenwehr der Beschwerdeführerin, aber gegen ihren Willen statt. Dabei konnte sie sich gegen unerwünschte sexuelle Praktiken wehren. Sie hatte danach die Möglichkeit, das Zimmer zu verlassen, da der Schlüssel im Schloss der Zimmertüre steckte (angefochtenes Urteil S. 26). Trotzdem blieb sie bis am kommenden Morgen mit dem Beschwerdegegner im selben Bett (angefochtenes Urteil S. 23). Der sexuelle Verkehr am Vorabend ist nicht als hinreichender psychischer Druck nach Art. 190 Abs. 1 StGB für den Beischlaf am kommenden Morgen zu werten, zumal die Beschwerdeführerin den Tatort hätte verlassen können. Beim erneuten Beischlaf am Morgen wendete der Beschwerdegegner weder physische Gewalt an, noch setzte er die Beschwerdeführerin unter unwiderstehlichen psychischen Druck, welcher einer Gewaltanwendung gleich kommt. So ist es beispielsweise nicht erstellt, dass er ihr irgendwelche Nachteile in Aussicht stellte, für den Fall, dass sie sich seinen sexuellen Absichten nicht fügt. Das allgemeine Freundschaftsverhältnis zwischen den Parteien reicht nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung für eine physische Zwangslage nach Art. 190 StGB nicht aus (vgl. E. 2.1.2). Dass er den Arm um sie legte und ihr sagte, dies sei "das letzte Mal", genügt hinsichtlich der Intensität nicht zur Bejahung psychischen Drucks. Die Vorinstanz durfte eine Vergewaltigung nach Art. 190 Abs. 1 StGB verneinen, ohne Bundesrecht zu verletzen.
3.
3.1 Die Beschwerdeführerin rügt, das Verhalten des Beschwerdegegners im Zusammenhang mit der Analpenetration bzw. dem analen Einführen eines Fingers sei als sexuelle Nötigung nach Art. 189 Abs. 1 StGB zu qualifizieren. Seine Behauptung, er habe "verfehlt" und vaginal eindringen wollen, sei eine Schutzbehauptung.
3.2 Nach den Erwägungen der Vorinstanz drang der Beschwerdegegner mit dem Finger in den After der Beschwerdeführerin ein vollzog an ihr Analverkehr (angefochtenes Urteil S. 16). Zum Willen des Beschwerdegegners stellt sie fest, angesichts seiner Angetrunkenheit sei es nicht ausgeschlossen, dass er die falsche Körperöffnung erwischt habe. Jedenfalls habe er die Aktivität sofort abgebrochen, als die Beschwerdeführerin aufgeschrien und ihm eine Ohrfeige verpasst habe (angefochtenes Urteil S. 10). Sie spricht ihn nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" frei (angefochtenes Urteil S. 16).
3.3 Was der Täter weiss, will und in Kauf nimmt, betrifft nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine innere Tatsache und ist Tatfrage. Rechtsfrage ist hingegen, ob gestützt auf die festgestellten Tatsachen Fahrlässigkeit, Eventualvorsatz oder direkter Vorsatz gegeben ist (vgl. BGE 133 IV 9 E. 4.1. S. 17 mit Hinweisen).
3.4 Die Beschwerdeführerin erhebt keine Willkürrüge gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung. Soweit sie vom vorinstanzlichen Urteil abweichende Feststellungen zum Willen des Beschwerdegegners macht, ist auf ihre Rüge nicht einzutreten (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246 mit Hinweisen). Wollte der Beschwerdegegner aber nicht analen, sondern vaginalen Geschlechtsverkehr von hinten vollziehen (angefochtenes Urteil S. 19), so verletzt es kein Bundesrecht, wenn die Vorinstanz den Tatbestand der sexuellen Nötigung nach Art. 189 StGB verneint.
4.
Soweit die Beschwerdeführerin eine höhere Genugtuung verlangt, als ihr vor Vorinstanz zugesprochen wurde, erfüllt sie die Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG nicht. Sie macht diesbezüglich weder eine Rechtsverletzung geltend, noch substanziiert sie eine solche näher. Auf ihre Rüge ist nicht einzutreten.
5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht des Kantons Wallis, I. Strafrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. Februar 2010
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Favre Koch