Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5A_39/2010
Urteil vom 25. März 2010
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Zingg.
Verfahrensbeteiligte
X.________, vertreten durch Fürsprecher Reinmar J. Salzgeber,
Beschwerdeführer,
gegen
Gerichtspräsident 5, Gerichtskreis VIII Bern-Laupen, Zivilabteilung, Amthaus, Hodlerstrasse 7, 3011 Bern,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Unentgeltliche Rechtspflege (Abänderung des Scheidungsurteils),
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, vom 1. Dezember 2009.
Sachverhalt:
A.
Mit Urteil vom 13. Dezember 2000 wurde die Ehe zwischen X.________ und Z.________ geschieden und die am 11. Dezember 2000 abgeschlossene Vereinbarung über die Scheidungsfolgen genehmigt.
In der Scheidungsvereinbarung ist unter anderem vorgesehen, dass X.________ seiner ehemaligen Ehefrau eine indexierte, lebenslängliche Unterhaltsrente von monatlich Fr. 2'900.-- (Ziff. 2 lit. a der Konvention) sowie eine Ersatzzahlung gemäss Art. 124 ZGB von monatlich Fr. 950.-- (Ziff. 2 lit. b der Konvention) bezahlt.
Ziffer 5 Abs. 4 der Vereinbarung enthält folgende Bestimmung:
"Unter Vorbehalt von Tatsachen im Sinne von Art. 23ff OR verzichten die Parteien auf die Abänderbarkeit der in Ziff. 2 oben vereinbarten Unterhaltsbeiträge. Ausnahme: Lebt die Ehefrau während mehr als 12 Monaten mit einem Mann in Wohngemeinschaft, so reduziert sich die Pflicht zur Zahlung von Unterhaltsbeiträgen nach Ziff. 2a oben für die Dauer des Zusammenlebens um folgenden Betrag: Einen Viertel der Wohnkosten, CHF 75.-- an die Reduktion der Grundpauschalen."
Die Verpflichtung gemäss Ziff. 2 lit. b der Konvention ist durch eine Zahlungsgarantie der Y.________ & Co vom 28. März / 5. April 2006 gesichert.
B.
Am 17. Juli 2008 leitete X.________ ein Verfahren auf Abänderung des Scheidungsurteils ein. Er beantragt, seine Verpflichtungen zur Bezahlung einer lebenslangen Rente gemäss Art. 125 ZGB und einer Ersatzzahlung gemäss Art. 124 ZGB aufzuheben und Z.________ zu verurteilen, der Entlassung der Y.________ & Co aus der Zahlungsgarantie vom 28. März / 5. April 2006 zuzustimmen.
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung vom 9. April 2009 wurde vom Gerichtspräsidenten 5 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen am 25. September 2009 wegen fehlender Prozessarmut abgewiesen.
C.
Der von X.________ am 12. Oktober 2009 gegen diesen Entscheid erhobene Rekurs wurde vom Obergericht des Kantons Bern am 1. Dezember 2009 infolge Aussichtslosigkeit der Klage abgewiesen.
D.
X.________ (fortan: Beschwerdeführer) hat am 14. Januar 2010 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Er beantragt, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und ihm für das kantonale Verfahren die unentgeltliche Prozessführung unter Beiordnung eines amtlichen Anwalts zu gewähren. Zudem ersucht er um aufschiebende Wirkung und um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren.
Nachdem sich der Gerichtspräsident 5 (fortan: Beschwerdegegner) dem Gesuch um aufschiebende Wirkung nicht widersetzt und das Obergericht keine Stellungnahme eingereicht hat, ist der Beschwerde mit Präsidialverfügung vom 10. Februar 2010 aufschiebende Wirkung zuerkannt worden.
Hinsichtlich der übrigen Anträge des Beschwerdeführers hat der Beschwerdegegner auf Antragstellung verzichtet, während sich das Obergericht auch hiezu nicht hat vernehmen lassen.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist binnen Frist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1, 100 Abs. 1 i.V.m. Art. 46 Abs. 1 lit. c BGG), mit dem die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wurde, mithin ein Zwischenentscheid, der einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131 mit Hinweis; Urteil 5A_843/2009 vom 23. Februar 2010 E. 1). Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache (Urteil 5A_484/2008 vom 16. September 2008 E. 1.2). Diese betrifft die Abänderung eines Scheidungsurteils und zwar im Unterhaltspunkt sowie betreffend Ersatzzahlung gemäss Art. 124 ZGB, womit eine Zivilsache mit Vermögenswert vorliegt (vgl. BGE 133 III 393 E. 2 S. 395). Der Streitwert von Fr. 30'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) ist angesichts der Höhe der umstrittenen Zahlungen und der ungewissen Dauer der Zahlungspflicht erreicht (Art. 51 Abs. 4 BGG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Bundesrecht, worunter auch die Verletzung verfassungsmässiger Rechte fällt, sowie von kantonalen verfassungsmässigen Rechten ( Art. 95 lit. a und c BGG ).
2.
Das Obergericht hat das Verfahren auf Abänderung des Scheidungsurteils als aussichtslos erachtet.
Es hat festgehalten, der Beschwerdeführer berufe sich in seiner Abänderungsklage auf eine erhebliche und dauerhafte Veränderung seiner finanziellen Verhältnisse: Er mache geltend, nach Auszahlung seines Pensionskassenkapitals sein gesamtes bewegliches Vermögen an der Börse investiert zu haben, um aus Kursgewinnen und Vermögenserträgen ein Ersatzeinkommen zu erzielen, in den Börsenkrisen 2001/2002 und seit 2007 aber viel Geld verloren zu haben und seit Sommer 2008 nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, den Unterhaltszahlungen nachzukommen. Das Wertschriftenvermögen soll sich von Fr. 1'507'063.-- im Jahre 2001 auf Fr. 168'815.-- per Ende 2008 reduziert haben. Er mache weiter geltend, über eine Zweizimmerwohnung mit amtlichem Wert von Fr. 242'640.-- und einem Verkehrswert von Fr. 375'000.-- zu verfügen, die aber mit einer Hypothek von Fr. 270'000.-- belastet sei. Er behaupte, über keine Vermögenssubstanz für einen Neuaufbau des Vermögens mehr zu verfügen.
Die Vorinstanz hat erwogen, dass die Ehegatten gemäss Art. 127 ZGB die Änderung der Rente ausschliessen können. Der Ausschluss unterstehe aber dem Vorbehalt von Art. 27 Abs. 2 ZGB und der clausula rebus sic stantibus. Eine Abänderung komme nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht. Vor einem Eingriff in das Existenzminimum werde der Unterhaltsschuldner durch das Schuldbetreibungsrecht geschützt. Das Obergericht hat in der Folge zwar anerkannt, dass der Beschwerdeführer für die Unterhaltszahlungen in sein Existenzminimum eingreifen müsste, doch genüge dies allein für eine Abänderung nicht. Ein Ausnahmefall gemäss der clausula rebus sic stantibus liege nach summarischer Prüfung nicht vor und auf Ziff. 5 Abs. 4 der Scheidungskonvention oder Art. 27 Abs. 2 ZGB gehe der Beschwerdeführer in seiner Klage bzw. in seinem Gesuch und seinem Rekurs betreffend unentgeltliche Prozessführung gar nicht erst ein. Seine Klage erscheine demgemäss als aussichtslos.
3.
Der Beschwerdeführer sieht durch diesen Entscheid Art. 27 Abs. 2 ZGB, die clausula rebus sic stantibus, Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 26 Abs. 3 KV/BE (Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 1993; SR 131.212) verletzt.
3.1 Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege ergibt sich, soweit das kantonale Recht keine weitergehenden Ansprüche gewährt, als Minimalgarantie direkt aus Art. 29 Abs. 3 BV (BGE 129 I 129 E. 2.1 S. 133; 122 I 322 E. 2b S. 324; je mit Hinweisen). Gemäss dieser Bestimmung hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand.
Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 133 III 614 E. 5 S. 616 mit Hinweis). Wie es sich damit verhält, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 136 mit Hinweisen). Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer summarischen Prüfung nach den Verhältnissen zur Zeit, zu der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird (BGE 133 III 614 E. 5 S. 616 mit Hinweisen). Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, dem Sachrichter vorgreifend zu prüfen, ob das vom Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren gestellte Begehren zu schützen sei oder nicht, sondern einzig, ob der von ihm verfolgte Rechtsstandpunkt im Rahmen des sachlich Vertretbaren liegt bzw. nicht von vornherein unbegründet erscheint (BGE 119 III 113 E. 3a S. 115).
3.2 Der Beschwerdeführer beruft sich zwar auf Art. 26 Abs. 3 KV/BE, macht jedoch nicht geltend, diese Bestimmung enthalte eine weitergehende Garantie der unentgeltlichen Rechtspflege als das Bundesverfassungsrecht. Die Frage, ob der Abänderungsprozess aussichtslos erscheint, ist demnach einzig anhand des dargestellten Massstabs von Art. 29 Abs. 3 BV zu prüfen.
3.3 Entgegen der Ansicht der Vorinstanz lassen die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Änderungen in seiner Vermögenslage eine Abänderung des Scheidungsurteils bzw. der in der Konvention festgesetzten Zahlungen nicht als aussichtslos im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erscheinen.
Der hängige Abänderungsprozess wirft die Rechtsfrage auf, ob der vereinbarte Ausschluss einer späteren Rentenanpassung (Art. 127 ZGB) durchbrochen werden kann oder sogar muss, wenn die Unabänderlichkeit der Rente nachträglich zu einer Verletzung des Existenzminimums des Unterhaltsschuldners führt. Diese Frage ist höchstrichterlich nicht beantwortet und die Lehre ist hierüber geteilter Ansicht (für den Vorrang der Wahrung des Existenzminimums SUTTER/ FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, 1999, N. 16 zu Art. 127 ZGB; ähnlich Lüchinger/Geiser, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, 1996, N. 27 zu aArt. 153 ZGB; einen generellen Vorrang der Existenzminimumswahrung ablehnend, aber eine Berücksichtigung aller Umstände befürwortend Spycher/Gloor, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, 3. Aufl. 2006, N. 13 zu Art. 127 ZGB; äusserst zurückhaltend Schwenzer, Praxiskommentar Scheidungsrecht, 2000, N. 11 zu Art. 127 ZGB). Bereits dies zeigt, dass die Begehren des Beschwerdeführers nicht als aussichtslos bezeichnet werden können. Unerheblich ist im Übrigen, ob der Beschwerdeführer in seiner Klageschrift oder andernorts ausdrücklich auf Art. 27 Abs. 2 ZGB hingewiesen hat. Das Gericht wendet diese Norm von Amtes wegen an, soweit der Beschwerdeführer die erforderlichen Behauptungen tatsächlicher Natur vorgebracht haben sollte (zur Behauptungslage oben E. 2) und dabei erklärt hat, sich von der Bindung lösen zu wollen (vgl. BGE 129 III 209 E. 2.2 S. 214). Unerheblich ist auch, ob sich der Beschwerdeführer auf Ziff. 5 Abs. 4 der Scheidungskonvention berufen hat, welche die Unabänderlichkeit der Unterhaltsbeiträge unter den Vorbehalt von Art. 23 ff. OR stellt. Ohne an dieser Stelle eine Abgrenzung zu den von der Vorinstanz erwähnten allgemeinen Vorbehalten von Art. 27 Abs. 2 ZGB und der clausula rebus sic stantibus (BGE 122 III 97) durchzuführen, steht es dem Beschwerdeführer frei, sich bloss auf einen Teil der ihm zur Verfügung stehenden Behelfe zu berufen.
3.4 Da die Abänderungsklage nicht als aussichtslos im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV gelten kann, ist der angefochtene Entscheid des Obergerichts aufzuheben. Die Vorinstanz hat von den Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege einzig die Prozessaussichten untersucht, hingegen auf eine Prüfung des formellen Kriteriums der Prozessarmut verzichtet. Die Sache ist demnach an die Vorinstanz zur Abklärung der finanziellen Lage des Beschwerdeführers zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG).
4.
Dem Kanton Bern werden in dieser Sache keine Gerichtskosten auferlegt (Art. 66 Abs. 4 BGG). Auf die Erhebung von Gerichtskosten ist demgemäss zu verzichten. Hingegen hat der Kanton Bern dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das Beschwerdeverfahren wird mit dieser Kostenregelung gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, vom 1. Dezember 2009 aufgehoben. Die Sache wird zu erneuter Behandlung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 25. März 2010
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:
Hohl Zingg