BGer 8C_935/2009 |
BGer 8C_935/2009 vom 29.03.2010 |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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8C_935/2009
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Urteil vom 29. März 2010
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I. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Ursprung, Präsident,
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Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard,
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Gerichtsschreiberin Schüpfer.
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Verfahrensbeteiligte |
S.________, vertreten durch
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Rechtsanwalt Luzius Hafen,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Schweizerische Mobiliar
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Versicherungsgesellschaft AG,
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Bundesgasse 35, 3011 Bern,
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vertreten durch Fürsprecher René W. Schleifer,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
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vom 1. Oktober 2009.
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Sachverhalt:
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A.
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Der 1960 geborene S.________ war seit 1988 Geschäftsführer der Firma C.________ AG und bei der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft (nachfolgend: Mobiliar) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 1. Juli 2003 führte er als Lenker eines Personenwagens ein Überholmanöver in einem Autobahntunnel aus und musste wegen eines Staus abbremsen, wobei er von einem nachfolgenden Sattelmotorfahrzeug seitlich touchiert wurde. Im Spital S.________ wurde gleichentags die Diagnose eines Halswirbelsäulen (HWS)-Distorsions-Traumas gestellt. Bereits am 5. Juli 2003 beschrieb der behandelnde Hausarzt, Dr. med. K.________, einen posttraumatischen Schockzustand, weshalb der Versicherte mit der Diagnose einer starken psychischen Traumatisierung mit Ausbildung einer reaktiven Depression einen vom 26. August bis zum 14. Oktober 2003 dauernden Rehabilitationsaufenthalt in der Clinik X.________ absolvierte. Es folgten zahlreiche weitere Behandlungen psychologisch/psychiatrischer Art, unter anderem ein stationärer Aufenthalt vom 26. April bis 29. Juni 2005 in der Klinik Y.________. Nach Einsicht in ein von ihr in Auftrag gegebenes interdisziplinäres Gutachten des Zentrums B.________ vom 14. August 2006 eröffnete die Mobiliar S.________ mit Verfügung vom 18. Dezember 2006, dass sämtliche Versicherungsleistungen auf Ende Januar 2007 eingestellt würden. Daran hielt sie auch auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 23. April 2007).
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B.
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Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 1. Oktober 2009 ab.
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C.
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S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, es sei ihm in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides eine Invalidenrente von 100 % und eine Integritätsentschädigung von 80 % zuzusprechen; allenfalls sei die Sache zur ergänzenden Abklärung seiner körperlichen Beschwerden zurückzuweisen.
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Die Mobiliar schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung.
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Erwägungen:
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1.
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Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
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2.
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Streitig und zu prüfen ist, ob aus dem Unfall vom 1. Juli 2003 über den 31. Januar 2007 hinaus ein Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung besteht.
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Die massgeblichen Rechtsgrundlagen sind im angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegt. Das gilt namentlich auch für die Grundsätze über den für einen Leistungsanspruch der obligatorischen Unfallversicherung erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181 mit Hinweisen) sowie bei Beschwerden mit organisch klar ausgewiesenen Unfallfolgen (BGE 127 V 102 E. 5b/bb S. 103 mit Hinweisen), bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall (BGE 115 V 133; sog. Psycho-Praxis) und bei organisch nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerden nach Schleudertraumen der HWS (BGE 134 V 109; sog. Schleudertrauma-Praxis). Darauf wird verwiesen.
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3.
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Das kantonale Gericht hat zunächst ausgeführt, dass der natürliche Kausalzusammenhang zwischen den diagnostizierten psychischen Beschwerden (andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung und weiterbestehenden Symptomen der vorausgegangenen posttraumatischen Belastungsstörung [ICD-10 F62.0 i.V.m. F43.1]) und dem versicherten Unfall unbestritten und zu bejahen ist.
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Im weiteren hat die Vorinstanz erwogen, die noch bestehenden Beschwerden liessen sich nicht mit einer organisch objektiv ausgewiesenen Folge des Unfalls vom 1. Juli 2003 erklären. Die demnach erforderliche besondere Prüfung des adäquaten Kausalzusammenhangs habe aufgrund der konkreten Gegebenheiten nach der Psycho-Praxis zu erfolgen. Diese Beurteilung beruht auf einer zutreffenden Würdigung der Sach- und Rechtslage und ist nicht umstritten.
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4.
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Strittig ist letztinstanzlich lediglich die Adäquanz des Kausalzusammenhanges.
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4.1 Für die Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs ist an das (objektiv erfassbare) Unfallereignis anzuknüpfen. Dabei bestimmt sich die Schwere des Unfalls nach dem augenfälligen Geschehensablauf und nicht nach den Kriterien, welche bei der Beurteilung der Adäquanz bei mittelschweren Unfällen Beachtung finden. Zu prüfen ist im Rahmen einer objektivierten Betrachtungsweise, ob der Unfall eher als leicht, als mittelschwer oder als schwer erscheint, wobei im mittleren Bereich gegebenenfalls eine weitere Differenzierung nach der Nähe zu den leichten oder schweren Unfällen erfolgt (BGE 115 V 133 E. 6 S. 139 ff.; SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26, U 2, 3 und 4/07 E. 5.3.1).
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4.1.1 Gemäss Rapport der Polizei stellt sich das Ereignis vom ... wie folgt dar: Ein Sattelmotorfahrzeug fuhr auf der Autobahn A2 in einem Tunnel, als der Lenker wegen einer langsam fahrenden Kolonne stark abbremsen musste. Der Beschwerdeführer befand sich zu diesem Zeitpunkt mit seinem Personenwagen auf der linken Fahrbahn leicht nach hinten versetzt neben dem Sattelschlepper. Ein zweites Sattelmotorfahrzeug auf der rechten Spur bemerkte das Bremsmanöver des ersteren zu spät, wollte nach links ausweichen und fuhr schliesslich mit der rechten Seite gegen die linke Heckecke des vorderen Lastwagens und stiess mit seiner linken Seite gegen die rechte Seite des Personenwagens des Beschwerdeführers. Bei diesem wurden beide Türen rechts, der vordere Kotflügel leicht und der hintere stark beschädigt. Das gleiche gilt für den hinteren rechten Pneu, die Felge, den Rückspiegel und die Türschwelle. Die linke Fahrzeugseite des Personenwagens wurde gemäss Fotodokumentation und Reparaturkalkulation des Versicherungsexperten nicht beschädigt. Durch die Kollision wurde der Tank des einen Lastwagens aufgeschlitzt, sodass Dieselöl auf die Fahrbahn floss. Gemäss eigenen Angaben erlitt der Beschwerdeführer einen zusätzlichen Schrecken, als sich einer der Lastwagenfahrer im Freien eine Zigarette anzündete. Wegen des Öls auf der Fahrbahn befürchtete er eine Explosion. Die Zigarette wurde jedoch von einem Dritten schnell gelöscht; am Unfallort hat es nicht gebrannt.
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4.1.2 Im angefochtenen Entscheid würdigt das kantonale Gericht den objektiv erfassbaren Unfallhergang ausführlich und kommt zum Schluss, das Ereignis sei nach dem augenfälligen Geschehensablauf als mittlerer Unfall im unteren Bereich zu qualifizieren. Die Vorinstanz kommt sodann zum Ergebnis, von den gemäss BGE 115 V 133 E. 6c/aa S. 140 zusätzlich zu berücksichtigenden Kriterien sei - wenn überhaupt - einzig dasjenige der besonders dramatischen Begleitumstände oder der besonderen Eindrücklichkeit erfüllt, was aber letztlich offen gelassen werden könne, da im erwähnten Bereich der Unfallschwere ein einziges zusätzliches Kriterium, welches nicht in ausgeprägter Weise vorliegt, nicht genüge, um die Adäquanz des Kausalzusammenhanges zu bejahen.
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Der Beschwerdeführer hält seinerseits dafür, es handle sich nach der Beurteilung der Augenfälligkeit um einen schweren Unfall, mindestens aber um einen solchen im mittleren Bereich an der Grenze zu den schweren. Zudem liege das Kriterium der besonderen Eindrücklichkeit des Unfallgeschehens in ausgeprägter Form vor.
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4.1.3 Das Ereignis vom 1. Juli 2003 ist auf Grund der objektiv festgestellten Tatsachen im mittleren Bereich einzuordnen. Ob die Qualifikation im eigentlichen mittleren oder im Grenzbereich zu den leichten Unfällen anzusiedeln ist (vgl. Urteile 8C_897/2009 vom 29. Januar 2010, E. 4.1 und 8C_915/2008 vom 11. September 2009, E. 5.1), muss nicht abschliessend entschieden werden, da auch in dem für den Beschwerdeführer günstigeren Fall mindestens drei Zusatzkriterien erfüllt sein müssten, damit die Adäquanz des Kausalzusammenhanges zwischen den psychischen Beschwerden und dem Unfall bejaht werden könnte (vgl. Urteil 8C_897/2009 vom 29. Januar 2010, E. 4.5). Das Ereignis vom 1. Juli 2003 stellt jedenfalls keinen schweren Unfall oder keinen mittleren im Grenzbereich zu den schweren Unfällen dar. Autounfälle, die mit vergleichbaren oder mit nicht geringeren Krafteinwirkungen verbunden sind, werden regelmässig dem mittleren Bereich zugeordnet (vgl. die beispielhafte Auflistung im Urteil 8C_915/2008 vom 11. September 2009, E. 5.1).
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4.2
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4.2.1 Hinsichtlich der zu beurteilenden Kriterien steht insbesondere dasjenige der besonderen Eindrücklichkeit zur Diskussion. Der Beschwerdeführer argumentiert, er habe mehrfach Todesängste ausgestanden (Unfall im Tunnel, Auslaufen des Benzins und Gefahr durch den rauchenden Lastwagenfahrer) und sieht diesen Punkt als ausgeprägt erfüllt.
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4.2.2 Dieses Kriterium ist objektiv zu beurteilen und nicht auf Grund des subjektiven Empfindens beziehungsweise des Angstgefühls der versicherten Person (Urteil 8C_915/2008 vom 11. September 2009, E. 5.3 mit zahlreichen Hinweisen). Ob es (knapp) erfüllt ist, kann aber mit der Vorinstanz letztlich offen gelassen werden, ist es doch bei objektiver Betrachtungsweise keinesfalls als ausgeprägt zu qualifizieren. Tatsache ist, dass der Beschwerdeführer nicht "an der Tunnelwand zerquetscht" (vgl. Beschwerde S. 7) wurde, und dass es trotz des ausgelaufenen Treibstoffes zu keinem Brand im Tunnelinnern kam. Der Beschwerdeführer argumentiert mit seinen subjektiven Angstgefühlen hinsichtlich eines in seiner Vorstellung möglichen schlimmen Verlaufs des Unfallablaufs und nicht mit dem tatsächlichen Geschehen, was - wie dargelegt - keine Berücksichtigung finden kann.
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4.2.3 Nicht stichhaltig ist auch seine Argumentation hinsichtlich der Kriterien des schwierigen Heilungsverlaufs, der körperlichen Dauerschmerzen und der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung, sind doch bei der Beurteilung gemäss BGE 115 V 133 nur die somatischen Unfallfolgen zu berücksichtigen. Diese haben ausweislich der medizinischen Akten von Beginn an eine sehr untergeordnete Rolle gespielt. Die Heilbehandlung konzentrierte sich bereits wenige Wochen nach dem Unfall auf die psychische Fehlentwicklung. Es gibt keine organische Ursache für die vom Beschwerdeführer angegebenen Dauerschmerzen und auch die Arbeitsfähigkeit war einzig wegen der psychischen Erkrankung eingeschränkt. Das kantonale Gericht hat damit die Adäquanz des Kausalzusammenhanges zwischen den psychischen Beschwerden und dem Unfall vom 1. Juli 2003 zu Recht verneint und folgerichtig die Einstellung der Versicherungsleistungen durch die Mobiliar geschützt.
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5.
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Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 29. März 2010
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
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Ursprung Schüpfer
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