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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
9C_737/2009
Urteil vom 1. April 2010
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Kernen, Seiler,
Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Fessler.
Verfahrensbeteiligte
Z.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Möri,
Beschwerdeführerin,
gegen
Ausgleichskasse Luzern,
Würzenbachstrasse 8, 6006 Luzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV
(Altersleistungen, Rückerstattung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 8. Juli 2009.
Sachverhalt:
A.
A.a Die am 15. Oktober 1921 geborene Z.________ heiratete am ... 1946. Die Ehe wurde am ... 1960 geschieden und die beiden Kinder unter ihre elterliche Gewalt gestellt. Seit Oktober 1962 wohnte Z.________, welche nicht wieder heiratete, in A.________, wo sie auch angemeldet war. Am ... 1977 verstarb ihr früherer Ehemann.
A.b Ende August 1983 meldete sich Z.________ zum Bezug einer Altersrente an. Auf dem Anmeldeformular gab sie als Zivilstand "geschieden" an. Mit Verfügung vom 28. November 1983 setzte die Ausgleichskasse Luzern die Altersrente auf Fr. 620.- im Monat fest. Im August 1985 ersuchte Z.________ wiederum unter Angabe des Zivilstandes "geschieden" und Beilage des Scheidungsurteils um Ausrichtung einer Hinterlassenenrente bis zum Beginn der Altersrente am 1. November 1983. Mit Verfügung vom 27. Dezember 1985 sprach ihr die Ausgleichskasse für die Zeit vom 1. September 1980 bis 31. Oktober 1983 eine Hinterlassenenrente (Witwenrente an den geschiedenen Ehegatten) von monatlich Fr. 563.- resp. Fr. 635.- ab 1. Januar 1982 zu. Mit einer weiteren Verfügung vom selben Tag setzte sie die Altersleistungen ab 1. November 1983 neu auf Fr. 883.- im Monat fest.
A.c Im Rahmen der 10. AHV-Revision (in Kraft getreten am 1. Januar 1997) wurde die Altersrente von Z.________ mit Wirkung ab 1. Januar 2001 neu berechnet. Dabei wurde ihr unter der Annahme des Zivilstandes "verwitwet" der für solche Personen gesetzlich vorgesehene Zuschlag von 20 % zur Rente gewährt. Im Oktober 2007 stellte die AHV-Zweigstelle fest, dass der richtige Zivilstand "geschieden" war, was vom städtischen Zivilstandsamt bestätigt wurde. Mit Verfügung vom 14. Januar 2008 forderte die Ausgleichskasse Luzern von Z.________ den zu Unrecht ausgerichteten Zuschlag für verwitwete Personen für die Zeit vom 1. Oktober 2002 bis 31. Dezember 2007 in der Höhe von insgesamt Fr. 15'240.- zurück durch Verrechnung mit den Rentenbetreffnissen ab März 2008 in sechzig monatlichen Raten à Fr. 254.-. Mit Einspracheentscheid vom 9. Mai 2008 bestätigte die Ausgleichskasse die Rückerstattungspflicht für die Zeit ab 1. Januar 2003, stellte die aufschiebende Wirkung wieder her und hob die Verrechnung auf.
B.
Die Beschwerde der Z.________ wies das Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, mit Entscheid vom 8. Juli 2009 ab und überwies die Akten an die Ausgleichskasse, damit sie gegebenenfalls die Erlassvoraussetzungen prüfen könne.
C.
Z.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 8. Juli 2009 sei aufzuheben und die Rückforderung von zu viel bezogenen Altersrenten abzuweisen.
Die Ausgleichskasse beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Gericht verzichtet auf eine Stellungnahme, während das Bundesamt für Sozialversicherungen sich nicht vernehmen lässt.
D.
Die Instruktionsrichterin hat bei der Ausgleichskasse die Akten edieren lassen. In weiteren Eingaben haben sich die Parteien zur Sache geäussert.
Erwägungen:
1.
1.1 Gemäss lit. c Abs. 7 der Schlussbestimmungen der Änderung vom 7. Oktober 1994 (10. AHV-Revision) waren die laufenden einfachen Altersrenten von Verwitweten und die Renten von geschiedenen Personen, die unter Berücksichtigung der Einkommen von Mann und Frau festgesetzt worden waren, auf den 1. Januar 2001 durch eine Altersrente nach neuem Recht zu ersetzen. Dabei galten folgende Grundsätze: Beibehaltung der bisherigen Rentenskala; Halbierung des für die bisherige Rente massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens; allenfalls Anrechnung einer Übergangsgutschrift in der Höhe der halben Erziehungsgutschrift für die Anzahl der Jahre, welche für die Festsetzung der Rentenskala berücksichtigt werden, bei Jahrgang 1945 und älter maximal 16 Jahre, gemäss Absatz 3; Zuschlag von 20 % zur Rente bei verwitweten Personen bis zum Höchstbetrag der Altersrente (Art. 35bis AHVG).
1.2 Die Beschwerdeführerin erhielt ab 1. Januar 2001 einen Zuschlag von 20 % zur Rente, was den Zivilstand "verwitwet" voraussetzte. Tatsächlich war sie jedoch seit ... 1960 geschieden und hatte danach nicht mehr geheiratet. Ihr früherer Ehemann verstarb 1977. Dies hatte zwar Anspruch auf eine Witwenrente gegeben (Art. 24a Abs. 1 lit. a AHVG: Gleichstellung einer geschiedenen Person mit einer verwitweten, wenn sie eines oder mehrere Kinder hat und die geschiedene Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hat), gab aber nicht Anspruch auf den Verwitwetenzuschlag zur Altersrente (vgl. BGE 128 V 5). Weder die Rückerstattungspflicht als solche noch die Höhe der zu viel ausgerichteten Leistungen (Fr. 14'544.-) sind streitig. Hingegen gehen die Auffassungen darüber auseinander, ob der Rückforderungsanspruch rechtzeitig geltend gemacht wurde.
2.
2.1 Gemäss dem kraft Art. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 AHVG auch im Bereich der Alters- und Hinterlassenenversicherung anwendbaren Art. 25 ATSG sind unrechtmässig bezogene Leistungen zurückzuerstatten (Abs. 1 Satz 1). Der Rückforderungsanspruch erlischt mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem die Ausgleichskasse davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Jahren nach der Entrichtung der einzelnen Leistung (Abs. 2 Satz 1). Bei diesen Fristen handelt es sich um Verwirkungsfristen, die immer und von Amtes wegen zu berücksichtigen sind (BGE 133 V 579 E. 4.1 S. 582; 128 V 10 E. 1 S. 12; 101 Ib 348 E. 2b S. 350). Für den Beginn der relativen einjährigen Verwirkungsfrist ist nicht das erstmalige unrichtige Handeln und die daran anknüpfende unrechtmässige Leistungsausrichtung massgebend. Abzustellen ist auf jenen Tag, an dem die Ausgleichskasse später bei der ihr gebotenen und zumutbaren Aufmerksamkeit den Fehler hätte erkennen müssen und dass die Voraussetzungen für eine Rückerstattung bestehen (BGE 124 V 380 E. 1 S. 383; 122 V 270 E. 5a und 5b/aa S. 274 f.; SVR 2002 IV Nr. 2, I 678/00 E. 3b: "Wahrnehmung der Unrichtigkeit der Leistungsausrichtung aufgrund eines zusätzlichen Indizes").
2.2
2.2.1 Die Vorinstanz hat erwogen, die Beschwerdeführerin habe ihre Meldungen stets korrekt mit dem Zivilstand "geschieden" gemacht. Auch in der Korrespondenz im Rahmen der Abklärung des Anspruchs auf eine Hinterlassenenrente (Witwenrente an die geschiedene Ehegattin) sei die Bezeichnung "geschiedene Ehefrau" resp. "geschiedene Frau" verwendet worden. Aus den Akten sei nicht ersichtlich, wie es zur unkorrekten Erfassung in den Zivilstand "verwitwet" gekommen sei. Dieser Punkt sei jedoch nicht von rechtlicher Relevanz. Bis zur Anpassung der Rente an die Bestimmungen der 10. AHV-Revision (vier Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle) sei die Unterscheidung zwischen "geschieden" und "verwitwet" für die Höhe der Rente nicht massgebend gewesen. Die Ausgleichskasse habe sie daher auch nicht besonders beachten müssen. Relevant geworden sei der Zivilstand "verwitwet" oder "geschieden" erst auf den 1. Januar 2001. Damals habe sich der Irrtum in der zusätzlichen Ausrichtung eines Verwitwetenzuschlages von 20 % verwirklicht. Seit diesem Zeitpunkt seien keine Korrespondenzen aus den Akten ersichtlich, worin die Ausgleichskasse auf den unrichtigen Zivilstand hingewiesen worden sei. Diese mache geltend, sie sei erst aufgrund eines Schreibens der Einwohnerkontrolle vom 26. November 2007 auf die falsche Bezeichnung aufmerksam geworden. Davon sei mangels anderweitiger Belege auszugehen. Könne aber der Verwaltung nicht vorgeworfen werden, sie hätte ihren Irrtum schon längst bemerken können und stehe fest, dass sie ihn tatsächlich erst am 26. November 2007 bemerkt habe, sei der Rückforderungsanspruch im Zeitpunkt der Verfügung vom 14. Januar 2008 noch nicht verjährt gewesen.
2.2.2 Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Begründung der Vorinstanz überzeuge nicht. Zum zentralen Punkt, ob die Ausgleichskasse den Fehler bei gebührender Aufmerksamkeit hätte erkennen können, sage sie praktisch nichts. Es sei Aufgabe der Verwaltung, regelmässig wenigstens alle paar Jahre zu kontrollieren, ob die ausgerichteten Leistungen zu Recht erbracht würden. Ein kurzer Blick in die Akten hätte genügt, um zu entdecken, dass der Zivilstand "geschieden" und nicht "verwitwet" sei. Insbesondere hätte die 10. AHV-Revision Anlass geben müssen, die Daten bezüglich des Zivilstandes zu überprüfen, da im Unterschied zu vorher für die Rentenhöhe bedeutsam sei, ob eine Person geschieden oder verwitwet sei.
2.3
2.3.1 Es ist zu Recht unbestritten, dass nicht der Zeitpunkt, ab dem die Beschwerdeführerin - trotz korrekter Bezeichnung als "geschieden" in der Anmeldung zum Rentenbezug vom 30. August 1983 - unter dem Zivilstand "verwitwet" geführt wurde, die einjährige Verwirkungsfrist nach Art. 25 Abs. 2 Satz 1 ATSG auslöste (E. 2.1). Ausser Frage steht auch, dass der Status "verwitwet" (Tod des Ehegatten während der Ehe) oder "geschieden" (Tod des früheren Ehegatten nach der Scheidung) bei sonst gleichen Bemessungsfaktoren keinen Einfluss auf die Höhe der ab 1. November 1983 ausgerichteten Altersrente hatte. Im Weitern war die Ausgleichskasse entgegen den Vorbringen in der Beschwerde nicht von Gesetzes wegen verpflichtet, die Rente, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Zivilstandes, mehr oder weniger regelmässig zu überprüfen. Ebenfalls hatte sie gemäss Rz. 1538 (seit 1. Januar 1997: Rz. 11117 und 11118) der Wegleitung über die Renten in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (RWL) lediglich den Einzelfall nach Möglichkeit zu überwachen und einzig in bestimmten, hier nicht gegebenen Fällen periodisch eine gezielte Kontrolle durchzuführen sowie mindestens alle zwei Jahre in geeigneter Weise eine Kontrolle der Adressbestände durchzuführen.
2.3.2 Die Vorinstanz hat die Frage offengelassen, wie und damit auch wann es zur unkorrekten Erfassung in den Zivilstand "verwitwet" gekommen war.
2.3.2.1 Geschah dieser Fehler bei der Neuberechnung der Altersrente gestützt auf lit. c Abs. 3 und 7 der Schlussbestimmungen der Änderung vom 7. Oktober 1994 und Art. 35bis AHVG, wurde dadurch die relative einjährige Verwirkungsfrist nach Art. 25 Abs. 2 Satz 1 ATSG nicht ausgelöst (E. 2.1). Diesfalls ist nach den daran anknüpfenden, insoweit unbestrittenen vorinstanzlichen Erwägungen der Rückforderungsanspruch nicht verwirkt (E. 2.2.1).
2.3.2.2 War die Beschwerdeführerin bereits vor der Überführung der laufenden Rente ins neue Recht unter dem unrichtigen Zivilstand "verwitwet" erfasst, hätte dieser Fehler an sich bei der gebotenen und zumutbaren Aufmerksamkeit spätestens in diesem Zeitpunkt entdeckt werden müssen. Bei der Neuberechnung der Rente war u.a. zu prüfen, ob eine nach dem Jahrgang abgestufte Übergangsgutschrift in der Höhe der halben Erziehungsgutschrift anzurechnen war und ob Anspruch auf den Verwitwetenzuschlag bestand (E. 1.1). Beide Punkte betrafen den Zivilstand und konnten Auswirkungen auf die Höhe der Rente haben. Dass der Fehler des unrichtigen Zivilstandes leicht in den (wenigen) Akten zu entdecken gewesen wäre und es hiezu keiner Abklärungen bedurfte, ist unbestritten. In den Anmeldungen vom 30. August 1983 und 16. August 1985 zum Bezug einer Altersrente resp. einer Hinterlassenenrente (Witwenrente an den geschiedenen Ehegatten) hatte die Beschwerdeführerin jeweils korrekt angegeben, seit ... 1960 geschieden zu sein. Ebenfalls befand sich das Scheidungsurteil in den Akten. Daraus ergibt sich indessen nichts zu ihren Gunsten. Es verhält sich nicht etwa so, dass mit diesem zweiten Fehler die relative einjährige Verwirkungsfrist des Art. 25 Abs. 2 Satz 1 ATSG in Gang gesetzt wurde, wie die Beschwerdeführerin anzunehmen scheint. Der unrichtige Zivilstand ("geschieden" oder "verwitwet") hatte bis Ende 2000 keinen Einfluss auf die Höhe der Rente und war somit für die Verwirkungsfrage ohne Bedeutung, da er zu keiner unrechtmässigen Leistungsausrichtung geführt hatte. Die gegenteilige Auffassung verträgt sich nicht mit der im Grundsatz unbestrittenen Rechtsprechung, wonach der erste, nicht fristauslösende Fehler der Verwaltung nicht vor der Ausrichtung der unrechtmässigen Leistung begangen werden kann (E. 2.1).
3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'300.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 1. April 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Meyer Fessler