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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1C_163/2010
Urteil vom 13. April 2010
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb, Raselli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Marco Broggini,
gegen
Bundesamt für Justiz, Direktionsbereich
Internationale Rechtshilfe, Bundesrain 20, 3003 Bern.
Gegenstand
Auslieferung an Deutschland,
Beschwerde gegen den Entscheid vom 24. Februar 2010 des Bundesstrafgerichts, II. Beschwerdekammer.
Sachverhalt:
A.
Am 6. März 2009 ersuchte die Justizbehörde Hamburg die Schweiz um Auslieferung des deutschen Staatsangehörigen X.________; dies gestützt auf den Haftbefehl des Landgerichts Hamburg vom 6. April 2000 wegen Steuerhinterziehung und versuchter Steuerhinterziehung.
Am 23. Juli 2009 bewilligte das Bundesamt für Justiz die Auslieferung für drei Tatvorwürfe.
Die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesstrafgericht (II. Beschwerdekammer) am 24. Februar 2010 ab.
B.
X.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der Entscheid des Bundesstrafgerichts sei aufzuheben und die Auslieferung abzulehnen.
C.
Das Bundesstrafgericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Das Bundesamt für Justiz hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Es hält dafür, es fehle an der Eintretensvoraussetzung des besonders bedeutenden Falles nach Art. 84 BGG.
D.
X.________ hat eine Replik eingereicht. Er hält sinngemäss an seinen Anträgen fest.
Erwägungen:
1.
Der angefochtene Entscheid ist in deutscher Sprache verfasst. Der Beschwerdeführer hat seine Eingaben in italienischer Sprache eingereicht.
Gemäss Art. 54 Abs. 1 BGG wird das Verfahren in einer der Amtssprachen geführt, in der Regel in der Sprache des angefochtenen Entscheids. Von dieser Regel abzuweichen besteht hier kein Grund, zumal es sich beim Beschwerdeführer um einen deutschen Staatsangehörigen handelt. Das bundesgerichtliche Urteil wird deshalb in deutscher Sprache verfasst.
2.
2.1 Gemäss Art. 100 Abs. 2 lit. b BGG beträgt die Beschwerdefrist bei Entscheiden auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen zehn Tage.
Der Anwalt des Beschwerdeführers hat den angefochtenen Entscheid am 9. März 2010 in Empfang genommen. Der letzte Tag der Beschwerdefrist fiel damit auf den Freitag, 19. März 2010. Bei diesem handelt es sich um den Tag des Heiligen Josef ("San Giuseppe"), der nach Art. 1 des Decreto legislativo del 10 luglio 1934 concernente i giorni festivi nel Cantone (raccolta delle leggi 10.1.1.1.2) im Tessin einen offiziellen Feiertag darstellt. Gemäss Art. 45 Abs. 1 BGG endete somit die Beschwerdefrist am nächstfolgenden Werktag, d.h. dem Montag, 22. März 2010. An diesem Tag hat der Beschwerdeführer die Beschwerde der schweizerischen Post übergeben, weshalb die Beschwerdefrist gewahrt ist.
2.2
2.2.1 Gemäss Art. 84 Abs. 1 BGG ist gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Beschwerde nur zulässig, wenn er unter anderem eine Auslieferung betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt.
Art. 84 BGG bezweckt die wirksame Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (BGE 134 IV 156 E. 1.3.1 S. 160 mit Hinweisen). Ein besonders bedeutender Fall kann auch bei einer Auslieferung nur ausnahmsweise angenommen werden. In der Regel stellen sich insoweit keine Rechtsfragen, die der Klärung durch das Bundesgericht bedürfen, und kommt den Fällen auch sonst wie keine besondere Tragweite zu (BGE 134 IV 156 E. 1.3.4 S. 161).
Bei der Beantwortung der Frage, ob ein besonders bedeutender Fall gegeben ist, steht dem Bundesgericht ein weiter Ermessensspielraum zu (BGE 134 IV 156 E. 1.3.1 S. 160 mit Hinweis).
Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Rechtsschrift in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Ist eine Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein besonders bedeutender Fall nach Artikel 84 vorliegt, so ist auszuführen, warum diese Voraussetzung erfüllt ist.
2.2.2 Im vorliegenden Fall geht es um eine Auslieferung und damit um ein Sachgebiet, bei dem die Beschwerde nach Art. 84 Abs. 1 BGG insoweit möglich ist.
Es stellt sich die Frage, ob ein besonders bedeutender Fall gegeben sei. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dies treffe zu. Er bringt vor, die Vorinstanzen hätten die Auslieferung bewilligt gestützt auf Art. 63 i.V.m. Art. 50 Abs. 1 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 (Schengener Durchführungsübereinkommen, SDÜ; Amtsblatt der EU Nr. L 239 vom 22. September 2000, S. 19-62). Zu berücksichtigen seien jedoch das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1), das Zweite Zusatzprotokoll dazu (2. ZP; SR 0.353.12) und der zwischen der Schweiz und Deutschland abgeschlossene Zusatzvertrag vom 13. November 1969 über die Ergänzung des EAUe und die Erleichterung seiner Anwendung (Zusatzvertrag; SR 0.353.913.61). Aufgrund des EAUe, des 2. ZP und des Zusatzvertrages sei die Auslieferung bei fiskalischen strafbaren Handlungen ausgeschlossen. Diese Staatsverträge gingen dem SDÜ als "lex specialis" vor.
Wie der Beschwerdeführer zutreffend vorbringt, hat sich das Bundesgericht dazu bisher nicht geäussert. Es geht um eine rechtliche Grundsatzfrage. Schon dies rechtfertigt es, dass das Bundesgericht die Sache an die Hand nimmt (vgl. BGE 1C_381/2009 vom 13. Oktober 2009 E. 1.2; 133 IV 215 E. 1.2 S. 218). Die Frage, wieweit die Schweiz bei fiskalischen strafbaren Handlungen Rechtshilfe gewährt, ist sodann vor dem Hintergrund der derzeit namentlich mit Deutschland insoweit geführten Diskussionen auch von politischer Tragweite. Die besondere Bedeutung des Falles im Sinne von Art. 84 BGG ist daher zu bejahen.
2.3 Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
3.
3.1 Gemäss Art. 5 EAUe wird in Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen die Auslieferung unter den Bedingungen dieses Übereinkommens nur gewährt, wenn dies zwischen Vertragsparteien für einzelne oder Gruppen von strafbaren Handlungen dieser Art vereinbart worden ist. Eine solche Vereinbarung hat die Schweiz nicht abgeschlossen (ROBERT ZIMMERMANN, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 3. Aufl. 2009, S. 592 N. 638).
Gemäss Art. 2 des 2. ZP kann die Auslieferung bei fiskalischen strafbaren Handlungen unter den dort genannten Voraussetzungen gewährt werden. Die Schweiz hat erklärt, diese Bestimmung nicht anzunehmen (Art. 1 des Bundesbeschlusses betreffend drei Zusatzprotokolle des Europarats [...] vom 13. Dezember 1984, AS 1985 712).
Der Zusatzvertrag schweigt sich zur Frage der Auslieferung bei fiskalischen strafbaren Handlungen aus.
Art. 59 ff. SDÜ (Kapitel 4) enthalten Bestimmungen zur Auslieferung. Gemäss Art. 59 SDÜ sollen die Bestimmungen dieses Kapitels das Europäische Auslieferungsübereinkommen ergänzen und seine Anwendung erleichtern (Abs. 1). Die zwischen den Vertragsparteien geltenden weitergehenden Bestimmungen aufgrund bilateraler Abkommen bleiben unberührt (Abs. 2). Nach Art. 63 SDÜ verpflichten sich die Vertragsparteien, nach Massgabe der in Artikel 59 erwähnten Übereinkommen die Personen auszuliefern, die durch die Justizbehörden der ersuchenden Vertragspartei im Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung nach Artikel 50 Absatz 1 verfolgt werden oder zur Vollstreckung einer aufgrund einer solchen Handlung verhängten Strafe oder Massnahme gesucht werden. Gemäss Art. 50 Abs. 1 SDÜ verpflichten sich die Vertragsparteien, Rechtshilfe (...) zu leisten wegen Verstössen gegen die gesetzlichen Bestimmungen und Vorschriften im Bereich der Verbrauchsteuern, der Mehrwertsteuern und des Zolls.
Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass es hier um indirekte Steuern nach Art. 50 Abs. 1 SDÜ geht. Er macht geltend, die Auslieferungspflicht nach dem SDÜ bestehe nicht, da das EAUe, das 2. ZP und der Zusatzvertrag die Auslieferung als "lex specialis" ausschlössen.
3.2 Gemäss Art. 2 Ziff. 1 des Abkommens vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands (Schengen-Assoziierungsabkommen, SAA; SR 0.362.31) werden die in Anhang A aufgeführten Bestimmungen des Schengen-Besitzstands, die für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten, von der Schweiz umgesetzt und angewendet. In Teil 1 von Anhang A sind grundsätzlich alle Bestimmungen des SDÜ aufgeführt. Ausgenommen sind im Einzelnen genannte Artikel des SDÜ. Dazu gehören Art. 59, Art. 63 und Art. 50 Abs. 1 nicht.
Gemäss Art. 15 Ziff. 1 SAA werden die unter anderem in Anhang A genannten Bestimmungen für die Schweiz zu dem Zeitpunkt in Kraft gesetzt, der vom Rat durch einstimmigen Beschluss seiner Mitglieder, die die Regierungen der Mitgliedstaaten vertreten, die alle in den Anhängen A und B genannten Bestimmungen anwenden, im Anschluss an Konsultationen im Gemischten Ausschuss festgesetzt wird, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass die Voraussetzungen für die Umsetzung der einschlägigen Bestimmungen von der Schweiz erfüllt sind und dass an den Aussengrenzen effiziente Kontrollen stattfinden.
Am 27. November 2008 hat der Rat der Europäischen Union beschlossen, dass alle Bestimmungen, die in den Anhängen A und B des Schengen-Assoziierungsabkommens enthalten sind, für die Schweiz in ihren Beziehungen unter anderem zu Deutschland mit Wirkung ab 12. Dezember 2008 gelten (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 327 vom 5. Dezember 2008, S. 15-17).
Die Schweiz ist somit gemäss Art. 63 i.V.m. Art. 50 Abs. 1 SDÜ zur Auslieferung in den dort genannten Fällen der indirekten Fiskalität verpflichtet (Stephan Breitenmoser, Neuerungen in der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, in: Breitenmoser/Ehrenzeller [Hrsg.], Aktuelle Fragen der internationalen Amts- und Rechtshilfe, 2009, S. 32; URS BEHNISCH, Aktuelle Entwicklungen in der Amts- und Rechtshilfe im Steuerbereich, in: Breitenmoser/Ehrenzeller [Hrsg.], Aktuelle Fragen der internationalen Amts- und Rechtshilfe, 2009, S. 265; Rudolf Wyss, Strafrechtshilfe - wie weiter?, in: Festschrift für Heinrich Koller, 2006, S. 304 f.; HANSPETER PFENNINGER, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, in: Kaddous/Jametti Greiner [Hrsg.], Bilaterale Abkommen II Schweiz-EU, 2006, S. 353 f.).
Wie gesagt, sollen gemäss Art. 59 Abs. 1 SDÜ die Bestimmungen dieses Übereinkommens über die Auslieferung (Art. 59 ff.) das EAUe ergänzen und seine Anwendung erleichtern. Die Bestimmungen des SDÜ gehen deshalb, sofern sie - wie hier - eine Frage ausdrücklich regeln, als "lex specialis" und "lex posterior" vor (BREITENMOSER, a.a.O., S. 31; PFENNINGER, a.a.O., S. 353).
Die Beschwerde ist in diesem Punkt daher unbegründet.
3.3 Gemäss Art. 63 SDÜ verpflichten sich die Vertragsparteien zur Auslieferung nach Massgabe der in Artikel 59 erwähnten Übereinkommen, also insbesondere des EAUe. Nach Art. 2 Ziff. 1 EAUe wird ausgeliefert wegen Handlungen, die sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch nach dem des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe (...) im Höchstmass von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Strafe bedroht sind.
Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Handlungen stellen nach schweizerischem Recht unstreitig einen Abgabebetrug nach Art. 14 Abs. 2 VStrR (SR 313.0) dar. Dafür droht das Gesetz Gefängnis bis zu einem Jahr an. Die Auslieferungsvoraussetzung nach Art. 2 Ziff. 1 EAUe ist damit erfüllt.
4.
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Auslieferung sei in Anbetracht seines Alters von bald 71 Jahren und seiner gesundheitlichen Probleme unverhältnismässig.
Der Einwand ist unbehelflich. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, welcher Art seine gesundheitlichen Probleme sein sollen. Wie es sich damit verhält, kann jedoch dahingestellt bleiben. Sind - wie im vorliegenden Fall - die entsprechenden staatsvertraglichen Voraussetzungen erfüllt, ist die Schweiz zur Auslieferung verpflichtet. In Deutschland gilt ebenso die EMRK und damit das Verbot unmenschlicher Behandlung nach deren Art. 3. Dass der Beschwerdeführer in der deutschen Haft die allenfalls notwendige medizinische Betreuung erhalten wird, darf daher ohne Weiteres angenommen werden.
5.
Der Beschwerdeführer macht (Beschwerde S. 6 Ziff. 5) geltend, die ihm vorgeworfenen Taten seien nach deutschem Recht verjährt.
Diese Rüge hat er vor Vorinstanz nicht erhoben, weshalb sich diese dazu auch nicht geäussert hat. Dazu wäre er nach Treu und Glauben aber verpflichtet gewesen. Der Beschwerdeführer muss den Instanzenzug nicht nur prozessual durchlaufen, sondern auch materiell erschöpfen (vgl. BGE 133 III 638 E. 2 S. 640). Da er dies im vorliegenden Punkt nicht getan hat, kann auf die Beschwerde insoweit nicht eingetreten werden.
6.
Die Beschwerde ist danach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Justiz und dem Bundesstrafgericht, II. Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. April 2010
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Féraud Härri