BGer 6B_214/2010 |
BGer 6B_214/2010 vom 03.06.2010 |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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6B_214/2010
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Urteil vom 3. Juni 2010
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Strafrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Favre, Präsident,
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Bundesrichter Schneider, Mathys,
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Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Gasche Bühler,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
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2. A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Sascha Patak,
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3. B.________,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Einstellung der Untersuchung (fahrlässige Körperverletzung),
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Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 26. Januar 2010.
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Sachverhalt:
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A.
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Am 14. September 2008 stolperte X.________ auf ihrem Abendspaziergang über eine auf dem Trottoir liegende, eine Baugrube überdeckende Eisenplatte. Sie stürzte und zog sich einen Schienbeinkopf- und einen Schlüsselbeinbruch zu.
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B.
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Mit Eingabe vom 11. Dezember 2008 erstattete sie gegen die Baustellenverantwortlichen Strafanzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung im Sinne von Art. 125 Abs. 1 und 2 StGB und reichte - soweit notwendig - einen Strafantrag ein. Die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis stellte die Untersuchung gegen den Baupolier A.________ und den Bauführer B.________ am 19. August 2009 ein. Dagegen liess X.________ Rekurs erheben, welchen das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 26. Januar 2010 abwies.
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C.
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Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich sowie die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis seien aufzuheben.
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D.
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Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
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Erwägungen:
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1.
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Die Beschwerdeführerin ist Opfer gemäss Art. 1 Abs. 1 OHG. Der angefochtene Entscheid kann sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken. Sie ist folglich zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 5 BGG).
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2.
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Die Eröffnung eines Strafverfahrens setzt voraus, dass der Beschuldigte eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen hat. Der Zweck der Untersuchung besteht darin, dass entweder Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt werden kann (Art. 30 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich [StPO/ZH]). Fehlt es nach durchgeführter Untersuchung an einem hinreichenden Tatverdacht bzw. ist das Vorliegen eines Straftatbestandes nicht genügend dargetan, so dass eine Verurteilung in der Hauptverhandlung nicht zu erwarten ist, darf die Untersuchungsbehörde das Verfahren einstellen. Sinn dieser Prüfung ist es, den Beschuldigten vor Anklagen zu schützen, die mit einiger Sicherheit zu Freisprüchen führen müssten. Da Untersuchungsbehörden jedoch nicht dazu berufen sind, über Recht und Unrecht zu befinden, dürfen sie nicht allzu rasch, gestützt auf eigene Bedenken, zu einer Einstellung schreiten. In Zweifelsfällen beweismässiger und vor allem rechtlicher Art soll Anklage erhoben und es dem Gericht überlassen werden, einen Entscheid zu fällen. Der Grundsatz "in dubio pro reo" gilt hier nicht. Vielmehr ist nach Massgabe der Maxime "in dubio pro duriore" im Zweifel - wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch - Anklage zu erheben (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 11. April 2008 6B_588/2007 E. 3.2.3, publiziert in Praxis 2008 Nr. 123).
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Das Bundesgericht hat daher nicht zu prüfen, ob sich die Beschwerdegegner 2 und 3 der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht haben. Zu prüfen ist vielmehr einzig, ob die Vorinstanz die Einstellung der Strafverfolgung bestätigen bzw. sie ohne Willkür annehmen durfte, dass mit einer Verurteilung nicht zu rechnen sei, was der Fall ist, wenn sich die Beschwerdegegner 2 und 3 keine strafrechtlich relevante Sorgfaltspflichtverletzung haben zuschulden kommen lassen.
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3.
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Die Vorinstanz erwägt, dass im Unfallzeitpunkt an der Säumerstrasse in Rüschlikon umfassende Strassenbauarbeiten stattfanden, in deren Rahmen einige Baugruben ausgehoben wurden. Die vorliegend massgebende Grube habe sich auf dem Gehweg befunden. Ihr der Strasse zugewandte Teil sei auf Höhe des Erdbanketts mit rotweissen Holzlatten abgesperrt und strassenseitig mit mindestens einer aufgehängten Baustellenlampe markiert gewesen. Der Rest der Grube sei bündig zur Absperrung mit einer 3 bis maximal 4 cm hohen Eisenplatte abgedeckt worden. Von allen Zugangswegen her sei zusätzlich mit Baustellentafeln auf die Baustelle hingewiesen worden. Auf das Anbringen eines Belags ("Anrampen") zum Ausgleich des Niveauunterschieds zwischen Trottoir und Eisenplatte sei verzichtet worden. Richtlinien oder Normen, welche ein solches "Anrampen" ausserhalb der Stadt Zürich gebieten würden, bestünden nicht. Angesichts der konkreten Sachlage erschienen die getroffenen Sicherungs- und Warnungsmassnahmen im Lichte des allgemeinen Gefahrensatzes als ausreichend. Die Kante der Grabenplatte habe (nur) 3-4 cm über das Niveau des Trottoirs geragt. Es sei nicht so, dass mit Hindernissen in dieser Höhe im Baustellenbereich im Sinne eines erlaubten (Rest-)Risikos nicht gerechnet werden dürfe. Die Beschwerdeführerin wohne unmittelbar angrenzend an die im Unfallzeitpunkt seit mindestens zwei Wochen bestehende Baustelle. Bekanntlich würden Baugruben häufig partiell mit einer Platte überdeckt und ansonsten offen gelassen und mit Holzlatten abgesperrt. Wer an einer Baustellenabsperrung vorbeigehe, müsse deshalb damit rechnen, dass an einem oder anderen Ende der Absperrung eine Grabenplatte einen weiteren Teil der Grube überdecke. Entsprechend vorsichtig sei die Baustellenabsperrung deshalb zu passieren. Offenbar habe die Beschwerdeführerin die Absperrung gesehen, sei sie doch nicht in diese hinein gelaufen, und moniere sie auch nicht, die Holzabsperrung nicht wahrgenommen zu haben. Zusammenfassend ergebe sich, dass den Beschwerdegegnern 2 und 3 angesichts der konkreten Gegebenheiten keine Sorgfaltspflichtverletzung anzulasten sei.
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4.
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Die Beschwerdeführerin rügt eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung (Art. 9 BV). Die Distanz zwischen der Strassenlampe direkt vor ihrem Wohnhaus und der Unfallstelle betrage gemäss Landeskartenausschnitt 50 Meter. Die vorinstanzliche Feststellung, wonach sie "bloss einige Meter" von ihrem Zuhause entfernt zu Fall gekommen sei, sei deshalb willkürlich. Die Rüge ist offensichtlich unbegründet. Mit der beanstandeten Feststellung gibt die Vorinstanz nur zu verstehen, dass sich die Unfallstelle in unmittelbarer Nähe des Wohnhauses der Beschwerdeführerin befindet, was eine Distanz von 50 Meter selbstredend einschliesst. Von Willkür kann keine Rede sein. Dasselbe gilt, soweit die Vorinstanz erwägt, die Beschwerdeführerin habe die aus rotweissen Holzlatten bestehende Baustellenabsperrung des der Strasse zugewandten Teils der Baugrube gesehen, sei sie doch in diese nicht hinein gelaufen. Damit verkennt die Vorinstanz die Situation bei der Unfallstelle bzw. den Umstand, dass die Beschwerdeführerin über die neben der Holzabsperrung liegende Grubenabdeckung stolperte, entgegen der Beschwerde keineswegs, sondern bringt sie mit ihren Ausführungen ausschliesslich zum Ausdruck, dass die Beschwerdeführerin die Bauanlage bzw. Holzabsperrung offensichtlich wahrgenommen hatte, sie damit rechnen musste, dass an einem oder andern Ende der Absperrung eine Eisenplatte einen weiteren Teil der Grube abdecke, und sie die Baustellenabsperrung deswegen entsprechend vorsichtig hätte passieren können und müssen. Dass und inwiefern diese Würdigung schlechterdings unhaltbar sein sollte, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf, und solches ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.
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5.
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Der Beschwerde ist auch kein Erfolg beschieden, soweit darin geltend gemacht wird, die Baustellenverantwortlichen hätten ihre Sorgfaltspflicht verletzt, indem sie nicht alles Zumutbare - wie etwa das "Anrampen" der Stolperschwelle und das genügende Ausleuchten der Baustellenanlage - unternommen hätten, um die geschaffene Unfallgefahr zu mindern. Wie sich aus dem angefochtenen Entscheid ergibt, bestehen für das "Anrampen" ausserhalb der Stadt Zürich keine Richtlinien (vgl. die Allgemeinen Bedingungen der Stadt Zürich für Tiefbauarbeiten). Die Vorinstanz geht insoweit zutreffend davon aus, dass deshalb auf den allgemeinen Gefahrensatz zurückzugreifen ist. Dieser Auffassung stimmt die Beschwerdeführerin - zumindest implizit - zu.
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Nach dem allgemeinen Gefahrensatz hat derjenige, der einen Gefahrenzustand schafft dafür zu sorgen, dass die betreffende Gefahr zu keiner Verletzung fremder Rechtsgüter führt (vgl. BGE 134 IV 193 E. 7.2; 127 IV 62 E. 2d; 126 IV 13 E. 7a/bb), wobei sich nach dem Prinzip des erlaubten Risikos eine Gefährdung fremder Rechtsgüter, die über das allgemeine Lebensrisiko nicht hinausgeht, nicht verbieten lässt, sondern insoweit nur die Einhaltung eines bestimmten Mindestmasses an Sorgfalt und Rücksichtnahme gefordert werden kann (BGE 134 IV 193 E. 7.2). Beim erlaubten Risiko tritt an die Stelle des Verbots jeglicher Gefährdung das Gebot, die Gefahr auf dasjenige Minimum einzuschränken, das gar nicht oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand ausgeschlossen werden kann, wenn man die entsprechende Tätigkeit überhaupt zulassen will. Dabei geht es um die Frage, welche Risiken für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter in einem bestimmten Verhaltensbereich allgemein in Kauf zu nehmen sind, und nicht um eine Ermässigung der Sorgfaltsanforderungen (BGE 117 IV 58 E. 2b).
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Die Vorinstanz durfte angesichts dessen, dass im Unfallzeitpunkt umfassende Strassenbauarbeiten mit Wasserleitungsinstallationen in der Säumerstrasse durchgeführt wurden und die Beschwerdeführerin unmittelbar angrenzend an die damalige, im Unfallzeitpunkt bereits seit mindestens 14 Tagen bestehende Baustelle/Baugrube wohnte, die konkret getroffenen Warnungs- und Sicherungsmassnahmen der Beschwerdegegner 2 und 3 - Baustellentafeln mit Hinweis auf Baustelle, Holzabsperrung des der Strasse zugewandten Teils der Baugrube, Markierung der Absperrung mit zumindest einer strassenseitig aufgehängte Baustellenlampe sowie Abdeckung der restlichen Grube mit einer Eisenplatte - als ausreichend betrachten.
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Die dagegen erhobenen Einwände in der Beschwerde sind unbehelflich. So hätten auch zusätzliche Baustellenlampen das Stolpern der Beschwerdeführerin nach den insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausschliessen können, zumal derartige Lampen aufgrund ihrer schwachen Leuchtkraft nicht der Beleuchtung im Sinne von "Ausleuchten", sondern lediglich der Markierung von Hindernissen dienen, und sie aufgrund ihrer Konzeption/Ausgestaltung ohnehin nicht dazu geeignet sind, nach unten zu leuchten. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang überdies geltend macht, auch eine adäquate Strassenlampenbeleuchtung hätte den Unfall verhindern können, verkennt sie die Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiche der Beschwerdegegner 2 und 3. Die Vorinstanz stellt in diesem Zusammenhang klar, dass hier nicht über eine allfällige Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen die verantwortlichen Personen des Kantons Zürich, der Gemeinde Rüschlikon sowie der Elektrizitätswerke des Kantons Zürich zu entscheiden ist. Darauf kann verwiesen werden.
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Dem Umstand, dass die Beschwerdegegner 2 und 3 auf ein "Anrampen" verzichteten bzw. sie die über die Grube gelegte Eisenplatte ohne Niveauausgleich 3 cm bzw. am Rande 4 cm über das Trottoir hinaus ragen liessen, durfte die Vorinstanz rechtsfehlerfrei die Qualität eines erlaubten (Rest-)Risikos beimessen. So ist es in der Tat allgemein bekannt, dass Baugruben häufig partiell mit einer Platte ab- bzw. überdeckt und ansonsten offen gelassen und mit Holzlatten abgesperrt werden. Dass derjenige, der an einer solchen Bauabsperrung vorbeigeht, folglich damit rechnen muss, dass an einem oder anderem Ende der Absperrung eine Grabenplatte einen weiteren Teil der Grube überdeckt, und er die Absperrung entsprechend vorsichtig zu passieren hat, ist evident. Kommt vorliegend hinzu, dass die Beschwerdeführerin unmittelbar in der Nähe der Unfallstelle wohnte, als Ortskundige über die laufenden Bau- bzw. den Stand der Grabungsarbeiten im Bilde war und sie die Holzabsperrung der Baugrube bei ihrem Abendspaziergang offensichtlich wahrgenommen hatte. Wenn die Vorinstanz deshalb insgesamt davon ausgeht, dass in Baustellenbereichen mit Hindernissen in dieser Höhe, d.h. mit einer über das Trottoirniveau 3 bis maximal 4 cm hinausragenden Kante, gerechnet werden müsste bzw. gerechnet werden dürfte, und sie eine Verletzung der Sorgfaltspflichten durch die Beschwerdegegner 2 und 3 verneint, ist das nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ergibt sich daraus nicht eine Relativierung des Gefährdungsverbots bzw. eine Ermässigung der durch die Baustellenverantwortlichen zu erfüllenden Sorgfaltsanforderungen, sondern umschreibt die Vorinstanz damit nur die Grenzen des erlaubten Risikos (vgl. auch BGE 127 IV 65).
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Die Vorinstanz konnte aus diesen Gründen eine Verurteilung der Beschwerdegegner 2 und 3 wegen Art. 125 StGB ausschliessen und die Einstellungsverfügung bestätigen, ohne Bundesrecht zu verletzen. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, dass und inwiefern der angefochtene Entscheid die Menschenwürde der Beschwerdeführerin verletzen bzw. gegen ihren Anspruch auf gerechte Behandlung sowie gegen das Gebot der Rechtsgleichheit und der Wahrung von Treu und Glauben verstossen könnte.
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6.
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Die Beschwerde ist damit abzuweisen. Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 3. Juni 2010
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
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Favre Arquint Hill
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